Читать книгу Moskito-Küste - Paul Theroux - Страница 4
I Bananen boot 1
ОглавлениеAn Tiny Polskis Herrschaftshaus vorbei fuhren wir zur Hauptstraße und dann weiter die fünf Meilen nach Northampton hinein. Vater redete den ganzen Weg über Wilde, Eingeborene und die Schrecklichkeit von Amerika – dass es sich immer mehr in eine rauschgiftsüchtige, Türen versperrende, verpestete Gefahrenzone tollwütiger Geier und krimineller Millionäre und moralischer Heuchler verwandelte. Und schau dir die Schulen an. Und die Politiker. Und kein Harvard-Absolvent, der eine Reifenpanne beheben oder zehn Liegestütze machen könnte. Und in New York City gab es Leute, die von Katzenfutter lebten, die einen glatt wegen ein paar Münzen umbrachten. War das noch normal? Wenn nicht, warum fand sich dann jedermann damit ab?
»Ich weiß es nicht«, sagte er, sich selbst die Antwort gebend. »Ich denke nur laut.«
Bevor wir Hatfield verließen, hatte er den Pick-up-Truck auf einer höhergelegenen Stelle der Straße geparkt und nach Süden gedeutet.
»Da kommen die Wilden«, sagte er; von einer kleinen Baumgruppe aus zogen sie in langer Reihe über die Felder, hinter ihnen die gummiartigen, hitzeflimmernden Umrisse von Polskis Ställen. Sie waren dunkel, und ihre Kleidung war lumpig; einige hatten sich Lumpen um die Köpfe gewickelt, andere trugen breitkrempige Hüte. Es waren Männer und Jungen, ein paar nicht älter als ich; alle trugen sie lange Messer.
Vaters Finger jagte mir mehr Angst ein als die Männer. Er deutete immer noch damit. Das letzte Glied des Zeigefingers fehlte bis zu dem großen Knöchel. Der Fingerstumpf endete breit in genähten Hautfalten und war auf furchtbare Art vernarbt, konnte nur annähernd die Richtung anzeigen.
»Warum kommen die überhaupt erst her?«, sagte er. »Geld? Das kann es doch nicht sein?«
Er schien die Fragen aus seiner Zigarre herauszukauen.
Es war Vormittag, für Massachusetts im Mai schon zu heiß. Wir hatten einen trockenen Frühling, das Tal sah verbrannt aus, und die flachen Gräben dampften wie frische Kuhfladen. In den Furchen, die das Feld von einem Ende zum anderen aufrissen, zeigten sich nur winzige Palmwedel von Wunder-Mais. Kein einziger Vogel zwitscherte hier. Und die Spargelfelder, zu denen die Männer unterwegs waren, wirkten so braun und glatt, als wäre der Erde der grüne Skalp des Grases abgezogen und die ganze Kahlheit glattgewalzt worden.
Vater schüttelte den Kopf. Er löste die Handbremse und spuckte aus dem Fenster. Er sagte: »Hundertprozentig ist es nicht das Geld. Heutzutage ist ein Dollar bloß noch zwanzig Cent wert.«
Hinter Hatfield und Polskis Haus, am oberen Rand der Talmulde, ragten belaubte Zinnen auf, manche so blass wie Zitronenschaum, andere dunkle Buckel und einzelne Buschhaufen und Staketen berstender Äste; so stellte ich mir den Dschungel vor. Als wir vor ein paar Stunden die Augen aufgeschlagen hatten, war der Boden mit den Glitzerperlen kalten Taus bedeckt gewesen. Sommereis, so nannte ich es bei mir. Mein Atem hatte Nebelwolken erzeugt. Wolkenfetzen hatten sich über den Himmel gezogen. Jetzt stand die Sonne hoch, füllte das Tal mit Licht und Hitze, die gegen diese Männer loderte und sie in hagere Dämonen verwandelte.
Vielleicht lag hier der Grund, weshalb ihr Anblick mich genau wie Vaters Finger erschreckt hatte, obwohl ich diese Männer zuvor schon gesehen hatte – die Wilden, genau an dieser Stelle und nah genug, um die schwarzen Flecken, die die Sonne in ihre lederbraune Haut brannte, zu erkennen.
»Den Teil jetzt hasse ich«, sagte er, als wir in Northampton ankamen. Er trug eine Baseballmütze; beim Fahren ragte sein Ellbogen aus dem Fenster. »Die Collegemädels sind’s nicht, obwohl die schlimm genug sind. Schau dir Tugboat Annie dort drüben an, ihren Umfang. Sie ist so dick, elf von ihrer Sorte, und man könnte ein Dutzend draus machen. Aber das ist Fett – hat nichts mit Gesundheit zu tun. Das sind die Cheeseburger.« Er schob seinen Kopf aus dem Fenster und brüllte: »Das sind diese Cheeseburger!«
Die Main Street runter (»Alles Drogensüchtige«) fuhren wir an einer Getty-Tankstelle vorbei, und Vater jaulte bei dem Benzinpreis auf. ZWEI TOTE BEI SCHIESSEREI knallte uns von einem Zeitungsstand entgegen, und er sagte: »Scheißblatt.« Allein das Wort Sammlerstücke an einer Ladenfront irritierte ihn. Und in der Nähe der Eisenwarenhandlung gab es einen Automaten, der Eis im Beutel verkaufte.
»Sie verkaufen Eis – zehn Pfund für einen Quarter. Aber Wasser gibt’s genauso umsonst wie die Luft. Diese Geldgeier verkaufen Wasser! Wasser ist die neue Wachstumsindustrie. Mineralwasser, Quellwasser, Wasser mit Kohlensäure. Die größte Neuigkeit – Wasser ist gut für Sie! Bier mit wenig Kalorien – weißt du, was drin ist? Warum es einen schlank hält? Weißt du, warum es mehr als das normale Bier kostet? Wasser!«
Vater sagte Wassa, nach Art der Yankees.
Immer mürrischer werdend, kurvte er herum, bis er eine noch nicht abgelaufene Parkuhr fand. Dann parkte er, und wir marschierten zurück zur Eisenwarenhandlung.
»Ich brauch einen Gummischlauch, zweieinhalb Meter mit Schaumfütterung«, sagte Vater, und während der Mann den Schlauch holte, meinte er: »Wahrscheinlich ist Benzin deswegen so teuer. Sie tun Wasser rein. Du glaubst mir nicht? Wenn du darauf bestehst, dass es im Geschäftsleben so was wie Moral gibt« – ich hatte kein Wort gesagt –, »dann hast du vielleicht die Freundlichkeit, mir zu erklären, wieso zwei Drittel des von der Regierung untersuchten Fleisches krebserzeugende Nitrate in überreichlichem Ausmaß enthält und wieso Junkfood – das ist eine erwiesene Tatsache – nicht den geringsten Nährwert hat …«
Der Verkäufer kehrte mit einem zusammengerollten Schlauch zurück und reichte ihn Vater, der ihn untersuchte und zurückgab.
»Will ich nicht«, sagte er.
»Das haben Sie verlangt«, sagte der Mann.
Vater machte ein mitleidiges Gesicht. »Was ist mit Ihnen, arbeiten Sie für die Japaner?«
»Wenn Sie’s nicht wollen, sagen Sie’s doch.«
»Ich hab’s gerade gesagt. Kommt aus Japan. Ich hab keine Lust, dass sich meine schwerverdienten Dollars in Devisen für die Söhne Nippons verwandeln. Ich will keine weitere Generation von Kamikaze finanzieren. Ich will ein amerikanisches Stück Gummischlauch, mit Schaum – arbeiten Sie hier oder nicht?« Er fluchte, weil der Mann sich entfernt hatte und einen anderen Kunden bediente.
Vater bekam seinen Gummischlauch in einem kleineren Eisenwarenladen in einer Nebenstraße, aber als wir schließlich zu dem Pick-up zurückkamen, war er einem Schlaganfall nahe: Was hätte er doch alles in dem ersten Geschäft sagen sollen. »Ich hätte ›Sayonara‹ sagen sollen, eine Riesenszene hätte ich machen sollen.«
Ein Polizist lehnte an unserer Parkuhr, die Hände darübergelegt, sein Kinn ruhte auf den Fingern, wie ein Arbeiter, der Pause machte und sich auf seine Schaufel stützte. Er schaute Vater an und lächelte eine Art Begrüßungslächeln; dann sah er mich und nagte an seiner Lippe.
»Müsste der Kleine nicht in der Schule sein?«
»Krank«, sagte Vater, ohne den Schritt zu verlangsamen.
Der Polizist folgte Vater zur Tür des Wagens, klemmte die Daumen in seinen Revolvergurt und sagte: »Moment mal. Warum ist er dann nicht im Bett?«
»Mit einer Fußpilzinfektion?«
Der Polizist bückte sich etwas und starrte mich über den Sitz hinweg an.
»Na los, Charlie, zeig’s ihm. Er glaubt mir nicht. Zieh den Schuh aus. Lass ihn mal riechen.«
Ich löste die Schnürsenkel meiner Segeltuchschuhe, als der Polizist sagte: »Schon gut.«
»Bloß keine Entschuldigung«, sagte Vater und lächelte dem Polizisten zu. »Höflichkeit ist ein Zeichen von Schwäche. Auf die Weise lässt sich das Verbrechen nicht bekämpfen.«
»Wollen Sie was?« Der Polizist presste die Kiefer zusammen und rückte drohend näher. Er war jetzt wütend. Er wirkte schwergewichtig, auf der Hut vor allem Möglichen.
Vater lächelte immer noch. »Ich hab nur laut gedacht.«
Er sagte nichts mehr, bis wir die Straße nach Hatfield erreicht hatten.
»Hättest du wirklich deine Schuhe ausgezogen und dem Bullen deine gesunden Zehen gezeigt?«
»Du hast es doch gesagt«, erwiderte ich.
»Richtig«, sagte er. »Aber was muss das für ein Land sein, das aus friedlichen Ladenkunden Verräter und aus ehrlichen Männern Lügner macht? Nicht einer, der daran denkt, dieses Land zu verlassen. Charlie, ich denke jeden Tag daran!«
Er fuhr weiter.
»Und zwar deswegen, weil ich der letzte Mann bin!«
Das war unser Leben hier, die Farm und die Stadt. Vater arbeitete gern auf Polskis Farm, aber die Stadt löste Anfälle bei ihm aus. Das war der Grund, warum er mich der Schule fernhielt – genau wie Jerry und die Zwillinge.
Später am Tag, als wir eine Pumpe am Rande eines Feldes reparierten, sahen wir die Wilden wieder.
»Sie stammen aus dem Dschungel. Wanderarbeiter. Hatten keine Ahnung, dass es ihnen gut ging. Ich hätte jederzeit mit ihnen getauscht. Sie halten das hier fürs Paradies. Wären besser geblieben, wo sie waren.«
Vater hatte die Pumpe vor einem Jahr für Polski entwickelt. Ein empfindlicher, fingerartiger Sensor führte wie eine Wurzel in den Boden, und wenn die Erde austrocknete, aktivierte dieser Nervendraht einen Schalter und setzte die Pumpe in Gang. Vater war als Erfinder ein absolutes Genie. »Neun Patente«, sagte er gern. »Sechs noch in der Schwebe.« Er rühmte sich damit, dass er von Harvard abgehauen war, um sich eine gründliche Bildung zu erwerben. Auf seinen ersten Job als Hausmeister war er stolzer als auf sein Harvard-Stipendium. Er hatte ein mechanisches Scheuertuch erfunden – man hielt es mit der Stange, an der es befestigt war, und es flitzte über den Boden, dann wrang es sich selbst aus. Wenn man dieses Gerät benutzte, war es, als tanze man mit einer Frau ohne Kopf, sagte er. Er nannte das Ding »Die stumme Hausfrau«. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, Dinge auseinanderzunehmen, sogar Bücher, sogar die Bibel. Er sagte, die Bibel wäre wie ein Führer, eine Reparaturanleitung für eine unvollendete Erfindung. Und dass die Bibel eine Wildnis wäre. Es war eine von Vaters Theorien, dass es Teile der Bibel gab, die noch nie jemand gelesen hatte, so wie es Teile der Welt gab, die keines Menschen Fuß je betreten hatte.
»Du hältst das für schlimm? Ganz im Gegenteil. Es sind die leeren Räume, die uns retten werden. Keine komischen Bunnies, keine Bullen, keine Ganoven, keine Räuber und Totschläger, keine süchtigen Schnüffler, keine Pestizide. Ich hab mich nicht verirrt, wie die da.« Er deutete auf die Wilden. »Ich kenn den Weg hinaus.«
Er berührte die verschiedenen Teile der Pumpe, so wie ein Arzt ein Baby nach Schwellungen abtastet, und immer noch redete er über leere Räume und Wilde. Ich schaute auf und sah sie. Sie schienen geradewegs aus der Wildnis gekrochen zu kommen, die er eben beschrieben hatte. Wir beobachteten, wie sie sich ihren Weg zu den oberen Feldern bahnten, und obwohl ich wusste, dass sie nur Spargel stechen würden, machten sie auf mich den Eindruck, als wären sie auf der Suche nach ein paar Fingern zum Abhacken.
»Sie kommen vom sichersten Platz der Erde – aus Mittelamerika. Weißt du, was sie da unten haben? Geothermische Energie. Der ganze Saft, den sie brauchen, liegt hundertfünfzig Meter unter der Erdoberfläche. Der Nabel der Erde. Warum kommen sie hier her?«
Die Wilden gingen über die Felder, vornübergebeugt, hin und her schwankend. Die winzigen Köpfe eingezogen, so liefen sie in ihren riesigen Schuhen am Wald entlang und erschreckten die Krähen, die krächzend aufstiegen. Die Vögel flogen wie schwarze, von einer Leine gerissene Handschuhe rückwärts hoch, plusterten mit jedem Flügelschlag ihre Federn auf.
»Kein Fernsehen dort, wo sie herkommen. Kein japanischer Videodreck. Gib mir mal das Ölkännchen. Hier oben ist die Natur noch jung. Aber das Öko-System in den Tropen ist unendlich alt und hat sich von Anbeginn der Welt nicht verändert. Warum meinen sie, wir wüssten die Antworten? Meinst du, es sei der Glaube? Bedeutet Glaube nur, fromme Lieder wie ›Komm zu Jesus‹ zu singen?«
Mit dem Schraubenschlüssel machte er sich über das Gewinde des hervorstehenden Rohres her, hielt dann die Öffnung der Ölkanne an das Rohrgelenk und spritzte. Mit beiden Händen befreite er das Rohr und seufzte.
»Nein, Sir. Glaube bedeutet, an etwas zu glauben, von dem man weiß, dass es nicht stimmt. Ha!«
Er steckte seinen kurzen Finger in das rostige Getröpfel des Pumpengehäuses und zog eine Messingklappe unter einem Schwall Wasser heraus.
»Dort, wo diese Wilden herstammen, kannst du das Wasser nicht trinken. Da sind Lebewesen drin. Würmer. Winzige Kreaturen. Sie haben nicht genug Verstand, um es zu kochen und zu reinigen. Noch nie was von Filtrierung gehört. Die Keime gelangen in ihre Körper, und sie werden grün, wie das Wasser, und sterben. Die anderen denken sich, hier kann man’s nicht aushalten – Spinnen von der Größe junger Hunde, Moskitos, Schlangen, Überschwemmungen, Sümpfe, Alligatoren. Von geothermischer Energie haben sie keinen blassen Schimmer. Warum auch etwas daran ändern, wenn man hierherkommen und vor die Hunde gehen kann? Nimm dir eine Coke, sieh fern, lass dich von der Wohlfahrt aushalten, schnapp dir das geschenkte Geld. Werd Verbrecher. Verbrechen zahlen sich aus in diesem Land – Straßenräuber, die neuen Stützen der Gesellschaft. Die alle da landen früher oder später bei Raubüberfällen und Handtaschenklau.«
Das Wasser strömte nun gleichmäßig aus der Pumpe, die inneren Mechanismen tickten und maßen.
»Ich fahr nicht mehr nach Northampton. Regt mich zu sehr auf. Ich hab’s satt, Leute zu treffen, die Sachen wollen, die ich bereits besessen und wieder abgelegt hab. Ich hatte jeden Dollar, den ich mir je gewünscht hab, Charlie. Und erzähl mir nichts von Erziehung und von Bildung. Der Bulle heute Morgen besaß Schulbildung – dieser Beamtenfaulenzer –, und alles, was er will, ist das, was ihm im Fernsehen vorgeführt wird. Ich würd den Kerl nicht mal nach Sandwiches schicken! Ich hab alles gehabt – alles, hinter dem die Leute her sind. Es funktioniert nicht, und es ist irritierend zu hören, wie es so ahnungslos angepriesen wird.«
Er sah mich lächelnd an.
Er sagte: »Es ist eine unvollkommene Welt.«
Jetzt betrachtete er lächelnd seinen abgeschnittenen Finger.
»Was unternehmen die Russen, während diese Leute in den Fernseher glotzen? Sie führen ein paar äußerst interessante Experimente mit Wasser durch. Sie entgasen es, lassen alles herausblubbern, einschließlich Sauerstoff und Stickstoff. Und wenn sie alles rausgepresst haben, versiegeln sie es in Steinkrügen, wie eingemachte Pfirsiche. Stellen es für eine Weile beiseite. Wenn sie dann dieses Wasser für Pflanzen verwenden, dann wachsen die zwei- oder dreimal so schnell – große, gesunde Monsterpflanzen. Bohnen klettern über ihre Stangen hinaus, Sommerkürbisse so groß wie Ballons, rote Rüben wie Volleybälle.«
Er machte eine Handbewegung zum Wasser hin.
»Ich denke nur laut. Was glaubst du? Meinst du, mit dem Regen stimmt irgendwas nicht? Sag was.«
Ich sagte, ich wüsste es nicht.
»Glaubst du, jemand sollte mal ein Wort mit Gott reden, dass er sich Gedanken übers Wetter macht? Ich sage dir, Charlie, es ist eine unvollkommene Welt. Amerika steckt in der Klemme.«
Er schob seine gewölbten Hände unter das spritzende Wasserrohr und hob sie zum Mund. Dann schlürfte er. »Das ist für diese Wilden wie Champagner.«
Mit schmatzenden Lippen deutete er an, wie wunderbar es war.
»Dinge, die du und ich für selbstverständlich halten, wie Eis. In ihrem Land gibt es so was nicht. Beim Anblick eines Eiswürfels würden sie wahrscheinlich denken, sie hätten irgendeinen Diamanten oder ein Juwel vor sich. Kein Eis – das ist nicht der Weltuntergang, scheint es. Aber denk mal drüber nach. Stell dir mal die Probleme vor, die sie ohne richtige Kühlung haben.«
»Vielleicht haben sie keine Elektrizität«, sagte ich.
Vater sagte: »Natürlich nicht. Wir reden vom Dschungel, Charlie. Aber du kannst auch ohne Strom Kühlung erzeugen. Du brauchst nur ein Saugsystem. Lass einen Staubsauger laufen, und du hast Kühlung. Hör zu, du kannst aus Feuer Eis machen.«
»Wieso wissen sie das nicht?«
»Keine Chance«, sagte er. »Eben weil sie Wilde sind.«
Er fing an, die Pumpe wieder zusammenzubauen.
Er sagte: »Müssen alle möglichen Krankheiten haben.« Er deutete mit dem Schraubenschlüssel in die Richtung, die die Männer eingeschlagen hatten. »Sie – sie haben Krankheiten.«
Die Männer schienen ihn zu faszinieren und zugleich abzustoßen, und er vermittelte mir diese Gefühle, indem er mir etwas Interessantes sagte und mich dann ermahnte, mich nicht zu sehr dafür zu interessieren. Ich hatte mich gefragt, woher er all das über die Männer wusste, die er Wilde nannte. Er behauptete, er wüsste es aus eigener Erfahrung, er habe in unzivilisierten Gegenden und unter primitiven Menschen gelebt. Er gebrauchte das Wort »Wilde« mit einer gewissen Zuneigung, als ob er sie wegen ihrer Wildheit liebte. Er respektierte das Wilde. Er sah darin eine persönliche Herausforderung, etwas, das sich mit einer Idee oder mit Hilfe einer Maschine in Ordnung bringen ließ. Er glaubte sich im Besitz der Lösungen für die meisten Probleme – wenn nur jemand ihm zuhörte.
Die Krähen kehrten zum Wald zurück, schossen auf die Wipfel zu, kreisten vorsichtig darüber und ließen sich auf ihren Schlafplätzen nieder.
Ich sagte: »Sind diese Männer gefährlich?«
»Nicht so gefährlich wie der Durchschnittsamerikaner«, sagte er. »Und nur, wenn sie durchdrehen. Du erkennst es daran, dass sie lächeln. Das ist das Zeichen, wie bei Hunden.«
Er wandte sich mir zu und lächelte über das ganze Gesicht. Ich wusste, er wollte, dass ich weitere Fragen stellte.
»Und dann?«
»Dann verwandeln sie sich in Tiere. Killer. Tiere haben so eine Art Lächeln, kurz bevor sie einen beißen.«
»Beißen diese Männer?«
»Ich geb dir ein Beispiel. Weißt du, wie sie’s tun? Wie sie dich töten? Ich werd’s dir sagen, Charlie-Boy. Sie höhlen dich aus.«
Bei seinen Worten beschlich mich das Gefühl, als würden hundert scharfe Klauen an meinem Skalp zerren.
»Deswegen gehört Mut dazu, dorthin zu gehen – nicht nur das übliche bisschen Mumm, sondern Vier-Uhr-morgens-Mut. Wer hat so was schon?«
Wir arbeiteten draußen, bis der Himmel rot aufflammte, dann gingen wir zum Abendessen heim.
»Gib’s zu«, sagte Vater, »das ist besser als Schule.«