Читать книгу Thriller Collection I - Penelope Williamson - Страница 37
25. Oxana
ОглавлениеKreischend krachten die Bremsklötze der gelben, von Rost zerfressenen Bahn auf die Schienen. Das Geräusch brüllte Oxana an. Wimmernd sackte sie auf die Knie und legte die Arme über ihren Kopf. Sie hatte verloren. Jetzt würden sie kommen und sie wieder einfangen.
„Hallo? Ist dir nicht gut? Brauchst du Hilfe?“
Oxana spähte an ihrem rechten Ellbogen vorbei nach oben. In der offenen Tür der Bahn stand eine stämmige Frau und musterte sie.
„Verstehst du mich?“ Die Schaffnerin watschelte die zwei Stufen hinunter und beugte sich über Oxana.
Sie haben mich noch nicht gefunden? Die Frau hatte keine Ahnung, wer sie war? Oxana ließ die Arme sinken.
„Verstehst du mich?“ Die Schaffnerin hatte vom Ukrainischen ins Russische gewechselt.
Oxana nickte. Im Gesicht der Frau bewegten sich die Runzeln und Falten zu einem Lächeln, das zwei gelbe Zahnstummel einrahmte. Ein warmes, längst vergessenes Gefühl durchströmte Oxana. Sie lächelte zurück.
„Was machst du hier alleine mitten im Wald?“
„Ich … ich habe mich verlaufen. Ausflug, ja, Schulausflug. Bus ist weg.“
Das Mütterchen tätschelte Oxana den Kopf und zeigte in die Bahn. „Komm, Kleines. Ich bring dich in die Stadt. Von da kommst du zur Schule zurück.“ Wieder nickte Oxana und stolperte die zwei Stufen hoch. Sie ließ sich auf einen der altertümlichen, am Boden verschraubten Metallsitze fallen. Die Flügel der Tür krachten zu, und die Bahn setzte sich in Bewegung. Sie war entkommen! Sie hatte es wirklich geschafft. Aber was nun? Wo sollte sie jetzt hin? Oxana grübelte. Zurück ins Internat konnte sie nicht. Die würden auf sie warten. Sie musste ohne diese Untersuchung nach Deutschland kommen. Wer würde ihr helfen? Helena hatte sie mal mit zu Connect Positive genommen und dabei erfahren, wie sehr sie junge Mädchen in Not unterstützten. Helena war den Frauen in der Einrichtung auf ewig dankbar. Kein einziger Mann arbeitete dort. Würde sie dahin finden? Podol, genau, die Frauen von Connect Positive saßen in Podol. Die wussten, wo Helena war. Sie wohnte nicht weit weg von der Organisation. Oxana schöpfte neuen Mut und setzte sich kerzengerade hin. Jetzt hatte sie endlich ein Ziel.
An der Endhaltestelle in der Altstadt bedankte sie sich mit einer Umarmung bei der Schaffnerin und kletterte mit neuer Energie aus der Bahn. Hier kannte sie sich ein wenig aus. Sie würde das Haus wiedererkennen. Oxana sprang über die löchrigen Bürgersteige und wich großen Pfützen aus, die sich in den Ritzen der bröckelnden Asphaltdecke sammelten. Sie lief kreuz und quer durch die Straßen und hielt Ausschau nach etwas, das sie wiedererkannte.
Endlich! Da hing das rote Schild mit dem Logo der Hilfsorganisation über einer Einfahrt. Vor langer Zeit hatte jemand den tristen Durchgang mal in Türkis gestrichen. Nun aber war er mit Graffiti und abblätternden Plakaten verunstaltet. Ja, hier war sie schon mal gewesen. Mit klopfendem Herzen lief sie durch den kurzen Tunnel und gelangte in den Hinterhof. Sie wandte sich nach links, hob den Riegel einer ebenfalls in Türkis gestrichenen Metalltür und lief die Holztreppe hoch, die eine dekorative Seele mit Blümchen und einem gelben Geländer verziert hatte. Nichts konnte jedoch den Verfall und den Rost überdecken. Atemlos kam Oxana im ersten Stock an und klopfte an die Tür.