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27. Liv

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Verärgert drehte sich eine Frau um, deren Akne nur notdürftig von einer Schicht Make-up bedeckt wurde, und beschimpfte Liv auf Russisch. Sie murmelte eine Entschuldigung und blickte sich suchend um. Oxana war verschwunden.

„Verdammter Mist.“ Liv drehte sich um die eigene Achse und musterte die Umgebung. Um ihr hämmerndes Herz zu beruhigen, zog sich Liv in den Schatten eines Hauseingangs zurück und wartete. Das konnte doch nicht wahr sein. Oxana hatte auf sie einen eher erschöpften Eindruck gemacht. Wieso war ihr das Mädchen dann entwischt? Sie würde warten, ob Oxana hier wieder auftauchen würde.

Liv musste nicht lange ausharren. Nach wenigen Minuten tastete sich Oxana aus einer hinter einem Tor verborgenen Einfahrt heraus und sah sich um wie ein Reh, das von Wölfen umzingelt war. Sie ging mit dem Rücken an der Hauswand entlang und lief so geradewegs auf Livs Versteck zu. Livs Hand schnellte hervor und packte Oxana am Arm. Sie zog sie an sich in den Schatten und legte ihr die Hände auf die Schultern.

„Oxana, bitte beruhige dich. Ich tue dir nichts. Ich will nur mit dir reden. Okay? Ich weiß, dass du Deutsch sprichst. Hast du mich verstanden? Dann nicke. Ich lasse dich jetzt los.“ Behutsam nahm Liv ihre Hände von Oxanas Schultern. Jeder Widerstand fiel von dem Mädchen ab. Sie wirkte zu erschöpft, um lange Kämpfe ausfechten zu können. Oxana sank vor Liv in die Knie und schluchzte auf. Liv ging in die Hocke, strich ihr über den Kopf und ließ sie weinen.

„Oxana, keine Angst! Ich will nur mit dir reden.“ Vorsichtig legte Liv ihr die Finger unters Kinn und suchte den Blick der jungen Frau.

„Oxana, bitte. Vertrau mir. Ich will dir nichts tun.“

„Wer bist du?“ Die Angst war deutlich in ihrer Stimme zu hören.

„Ich möchte den Männern, die dir wehgetan haben, das Handwerk legen. Ich komme extra aus Deutschland, damit du mir hilfst. Ich habe dich gesucht.“ Livs Stimme hatte etwas Beschwörendes.

„Polizei?“

„Nein, nein. Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin eine Journalistin und will über diese Männer schreiben, damit sie niemals wieder einem Mädchen wehtun können.“

„Wie hast du mich gefunden?“ Ihre Augen huschten hin und her. Sie sah Liv nicht an. Liv fühlte sich schlecht, als sie sah, dass sich Oxana wie ein verängstigtes Tier in der Falle verhielt. Es gab kein Zurück mehr. Oxana war ihre einzige Chance, belastbare Aussagen über das, was ihr passiert war, zu bekommen. Die anderen Mädchen, die auf den Bildern zu sehen waren, zu finden, würde nur noch schwieriger werden. Vielleicht waren sie längst irgendwohin verschleppt oder Schlimmeres.

„Die andere Frau aus Deutschland, Beatrice, arbeitet immer mal wieder für Connect Positive. Sie hat ein Bild von dir und einem Mann gesehen und war sich ziemlich sicher, dass du aus Kiew kommst. So kamen wir hierher. Beatrice kennt auch die Unternehmerin aus Deutschland, die sich für bessere Lebensbedingungen in der Ukraine engagiert und das Internat betreibt. Isolde Züchner. Die Frau kennst du doch auch, oder? Vielleicht kann sie uns helfen.“

Oxana zuckte zusammen und schaute Liv mit weit aufgerissenen Augen an. Was war denn jetzt los? Warum versteifte sie sich so? Bedrängte sie das Mädchen zu sehr? Liv ließ den Blick über die Straße schweifen. Sie mussten dringend hier weg und in einen geschützten Raum.

„Lass uns zum Hotel fahren. Da können wir ungestört reden.“

Vor dem Hotel angekommen, zahlte Liv das Taxi. Oxana schaute an dem Schiff hoch, als wäre es das Tor zur Hölle. Liv war bewusst, was dem Mädchen hier passiert war, und strich ihm beim Aussteigen beruhigend über den Rücken. Oxana hatte hier eine der schlimmsten Erfahrungen ihres jungen Lebens gemacht. Es zerriss Liv beinahe das Herz, dass sie ihr das antun musste, aber nur so konnten sie vielleicht verhindern, dass das auch anderen Mädchen passierte.

„Hab keine Angst. Er ist nicht hier und wird auch nie wieder versuchen, dir was zu tun.“ Liv kramte nach einer Sonnenbrille und ihrer Schirmmütze. Beides setzte sie Oxana auf, band sich selbst einen Zopf, hakte sich bei ihr unter, und so gingen sie unerkannt, wie zwei Freundinnen nach einer Shoppingtour, an der Rezeption vorbei.

Während Liv die Zimmertür aufschloss, suchten Oxanas Augen immer wieder den Gang ab. Sie war so verängstigt, dass Liv bedauerte, dass sie sie ausgerechnet hierher gebracht hatte.

Liv schob die stumme Oxana auf einen Sessel und legte den Türriegel vor. Sollte sie Beatrice noch eine SMS schreiben, wo sie war? Liv griff unschlüssig nach ihrem Blackberry, schob ihn dann aber in die Tasche zurück. Es gab jetzt Wichtigeres. Sie setzte sich in den zweiten Sessel. „Oxana, was mit dir passiert ist, ist ein großes Unrecht, und du hast keine Schuld daran. Ich will dir helfen.“

Oxana schüttelte den Kopf und hielt den Blick gesenkt. „Du kannst nichts machen gegen Männer. Auch Polizei keine Hilfe.“

„Doch, ich kann. Wenn wir der Welt erzählen, was passiert ist, werden die Behörden handeln müssen. Es darf nicht im Verborgenen bleiben! Aber ich brauche deine Hilfe.“

Oxana wich zurück. „Wenn ich was erzähle, darf ich nicht in Schule nach Deutschland.“

Liv legte ihre Hände auf Oxanas Schultern und fühlte, wie sie sich versteifte. Liv verfluchte ihre Ungeduld. Sie bedrängte das Mädchen zu sehr. So ging es nicht. Sie ließ sich zurück in den Sessel sinken. Sofort entspannte sich das Mädchen ein wenig.

Liv überlegte, wie sie den Faden wieder aufnehmen konnte, aber ihr fiel kein liebevoller Einstieg ein. Es war und blieb traumatisch. Sie zog ihren Blackberry heraus und öffnete das Foto von Oxanas Vergewaltigung. Wortlos reichte sie dem Mädchen das Handy.

„Nein!“ Oxana riss die Augen auf und sprang auf. Das Telefon fiel auf den Boden, mit dem Display nach oben. Oxana starrte in ihr eigenes schmerzverzerrtes Gesicht, das in die Kissen gedrückt wurde, während sie von Bögershausen vergewaltigt wurde. Ihr liefen die Tränen über die Wangen, und sie schloss gequält die Augen.

„Nein, nein! Ist alles kaputt, hatte nie Freund, dann kam dieser deutsche, alte Mann. Hat alles kaputtgemacht.“ Oxana gestikulierte und zeigte zitternd auf ihren Bauch.

„Hatte dir der Mann eine Schule in Deutschland versprochen, wenn du mit ihm gehst?“

Oxana blickte auf den Boden und weinte. Tropfen sammelten sich an ihrer Nase und fielen auf den Teppich. „Nein. Ich nichts sagen, sonst keine Schule bei Doktor Specht!“

Doktor Specht? Liv hatte das Gefühl, dass sie in einem fremden Stück mitspielte, von dem sie weder Handlung noch Text kannte. Sie atmete tief durch, strich der weinenden Oxana über den Kopf und wartete. Was sollte sie das Mädchen fragen, damit sie weiterkamen?

„Andrej hat mich gebracht hierher“, flüsterte Oxana.

„Andrej? Der Internatsleiter?“, fragte Liv erstaunt. Oxana nickte.

„Und du sollst in eine Schule nach Deutschland kommen?“

„Ja, aber geht nur, wenn ich keinen Freund hatte da unten. Jetzt ist alles vorbei.“

„Warum soll das vorbei sein?“

„In Deutschland dürfen nur Mädchen in eine Schule gehen, die noch keinen Mann hatten, sagt Andrej.“

„Was? Was für eine Schule soll das sein? Oxana, so was gibt es bei uns nicht. Andrej hat gelogen!“

„Nein, nein. Wir sollten im Wald alle untersucht werden. Ich bin weggelaufen. Sonst kommt alles raus!“ Ihre Stimme kippte. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, sprang auf und lief in das kleine Bad.

Liv widerstand dem Impuls, ihr hinterherzugehen. Sie wollte Oxana Zeit geben, den Schock zu verdauen und sich zu sammeln. Worum ging es hier eigentlich? Die Sache wurde immer konfuser. Untersuchungen im Wald? Was konnte sie nur tun, damit das Mädchen ihr vertraute, und vor allem, wie konnte sie für Oxanas Sicherheit garantieren, wenn sie nicht mal verstand, wer hier für was verantwortlich war?

Thriller Collection I

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