Читать книгу Flammen im Wind - Penelope Williamson - Страница 14

Sechstes Kapitel

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Sie kam aus der schattigen, mit Abfall übersäten Gasse, eine geheimnisvolle Frau in schwarzer Seide.

»Ich habe ein Hühnchen mit dir zu rupfen, Lieutenant Daman Rourke«, sagte sie, mit einer Stimme, die sich so atemlos und gebrochen anhörte, wie er sich fühlte. »Dein Captain sagt, dass du mir einen verlogenen, miesen Streich gespielt hast. Offenbar gibt es gar kein Gesetz, wie du behauptet hast, das mich zwingt, herzukommen und meine Finger auf das Stempelkissen zu drücken. Und jetzt wirst du versuchen, mich mit diesem blöden alten Daumenabdruck an den Galgen zu bringen.«

Er lächelte. »Auf den elektrischen Stuhl.«

Sie lachte, wie er erwartet hatte. Sie hatte sich nie vor der Sünde oder vor dem Tod gefürchtet.

»Tot ist tot, und Hölle ist Hölle, und wie du hinkommst, spielt keine große Rolle«, sagte sie und ihr Mund schien diese Worte zu singen. Ihr Mund war unvergesslich. Er hatte niemals den Geschmack ihres Mundes vergessen. »Aber versuch doch nicht, mich vor dir hinzuschicken, Day.«

Sie war inzwischen zu ihm gekommen. Er lehnte am schnittigen Flügel seines Stutz Bearcat Roadsters und sie trat so dicht an ihn heran, dass sie ihn fast berührte. Sie hob die Hände an seinen Hals, wie um ihn ganz sanft zu erwürgen. »Das ist nicht fair.«

»Du kennst doch die Redensart, dass alles erlaubt ist.«

»Aber was spielen wir diesmal, Liebling – Liebe oder Krieg?«

Er konnte seinen Puls gegen ihre Hand pochen hören. Früher einmal hatten sie ihre Hände nicht voneinander lassen können. »Für dich Krieg«, sagte er. »Aber wir können es auch noch mal mit der Liebe versuchen, wenn du dich traust.«

Ihre Finger folgten einer Sehne an seinem Hals bis zu seiner Halsgrube, hielten dort inne und drückten ein wenig. »Soll das eine Wette sein?«

Jesus, o Jesus.

Ihre Hand fiel hinab und sie trat einen Schritt zurück. »Ich wette, du nennst sie Baby«, sagte sie.

»Was?«, fragte er. Noch immer konnte er den Puls in seinem Hals hämmern hören.

Sie trat zurück, fuhr mit der Hand über die lange, sexy Motorhaube des Automobils und streichelte den kanariengelben Lack mit den rot lackierten Fingernägeln.

Sie lachte, als sie sein Gesicht sah. »Du nennst sie wirklich Baby. Ich wette, du fährst mit ihr über die Old Shell Road und sagst: Na, komm schon, Baby. Zeig mal, wie schnell du fahren kannst.«

Rourke musste einfach in ihr Lachen einstimmen, denn sie hatte Recht. Er hatte den exorbitanten Preis von dreihundertfünfzigtausend Dollar für den Bearcat mit seinen bourrée-Gewinnen bezahlt und er fand, den sechszylindrigen Franklinmotor mit Luftkühlung voll aufzudrehen war fast so gut wie Sex.

Remy stand jetzt wieder vor ihm, dicht genug, um ihn zu berühren, was sie diesmal aber nicht tat. »Also nimm mich doch mit, Day. Und lass sie schnell fahren.«

Er hatte die ganze Zeit vorgehabt, mit ihr loszufahren. Deshalb hatte er den wachhabenden Sergeant gebeten, sie durch den Hinterausgang zu führen, weg von den vielen Presseleuten und hingebungsvollen Fans. Er wollte mit ihr an einen Ort fahren, wo er sehen konnte, wie sehr sie sich geändert hatte. Wenn überhaupt.

Er öffnete die Beifahrertür und sah zu, wie sie einstieg und dabei ihre langen Beine zeigte. Als sie sich auf dem niedrigen Sitz aus handgearbeitetem spanischem Leder niederließ, schob sich ihr schwarzes enges Kleid hoch und entblößte die Kanten ihrer Strümpfe und ihre knallrosa geschminkten Knie.

»Die Trauer steht dir gut«, sagte er.

Sie schaute aus großen, harmlosen Augen zu ihm auf. »Bin ich zu raffiniert gekleidet, was meinst du? Hätte ich mich in schwarze Taftröcke und einen Schleier hüllen sollen?«

Er konnte ihre Energie wie heiße Blitze pulsieren spüren. Er wusste, woher diese Energie stammte. Selbst in der kurzen Zeit, die er im Gemeinschaftszimmer verbracht hatte, hatte er zusehen können, wie sie Besitz von ihnen ergriff. Erfahrene, müde Bullen, die alles gesehen hatten und es besser wissen müssten, waren in diesen großen, katzenhaft schrägstehenden Augen versunken und ihre Seelen waren elektrisch geladen worden.

Und sie hatte sich von ihnen ernährt, ernährte sich noch immer von ihnen.

Rourke setzte sich hinter das Lenkrad und ließ den Motor an, doch ehe er den Rückwärtsgang einlegte, zog er einen Flachmann mit Scotch aus der Tasche und hielt ihn ihr hin. »Um die zerfransten Nerven der trauernden Witwe zu besänftigen.«

»Auf Liebe und Krieg«, sagte sie und nahm die Flasche, wobei sie nur kurz seinen Handrücken berührte. Er verachtete sich deshalb, aber er spürte ihre Berührung tief unten in seinem Bauch brennen.

Rourke ließ den Bearcat in einer Wolke aus Staub und einem Wirbel aus öligem Kies aus der Gasse schießen.

Er fuhr über die Tulane Avenue nach Claiborne und bog dann nach Osten ab. Sie fragte nicht, wohin er wollte, nicht einmal, als sie auf dem St. Bernard Highway auf den Fluss und die offene Landschaft zuhielten. Er ließ dem Bearcat freien Lauf, brachte den Tacho auf achtzig Meilen die Stunde, was doppelt so schnell war, wie irgendein vernünftiger Mann auf dieser Straße fahren würde.

Sie trank immer wieder aus dem Flachmann, vermutlich mehr als ratsam war für jemanden, der in kurzer Zeit von einem Mordermittler durch die Mangel gedreht werden sollte. »Du bist so gemein, Daman Rourke«, sagte sie nach einiger Zeit.

»Bin ich das?«

»Da komme ich in Todesangst auf eure Wache und dann schaust du mich so an. Wie irgendein fieses altes Ungeheuer bevor es sich an die Verfolgung der Frau macht und brüllt: ›Ich krieg dich schon!‹«

Er lachte und sie antwortete mit einem Lächeln. Sie musste im Fahrtwind ihren Hut festhalten und er konnte die blauen Adern auf der Innenseite ihres Arms sehen. Ihr Gesicht strahlte wie eine weiße Rose.

Das ist wie eine Szene aus einem ihrer Filme, dachte er. Illegaler Whiskey in einem schnellen Flitzer, mit dem Wind in ihren Haaren. Das muntere, verantwortungslose Nach-uns-die-Sintflut-Zelluloidleben.

In der vergangenen Nacht, als sie von Kopf bis Fuß mit dem Blut ihres ermordeten Mannes bedeckt gewesen war, war sie ihm so verängstigt und verletzlich vorgekommen. So unschuldig, falls man sie nicht kannte. In der vergangenen Nacht hatte sie versucht, ihn mit ihrer Unschuld zu verführen.

Sie versuchte noch immer, ihn zu verführen. Aber an diesem Morgen zeigte sie eine Reizbarkeit, eine nervöse Verzweiflung. Und sie kam ihm auf irgendeine Weise glaubhafter vor, diese Remy.

Er wandte seinen Blick von der Straße ab und schaute sie wieder an. Sie hatte dieses Leuchten, das auf der Filmleinwand so deutlich wurde, ein Glitzern wie ein Eiszapfen, der in der Sonne schmilzt, aber sie umklammerte den Flachmann so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Er konnte auf dem Flachmann schwache schwarze Fingerabdrücke sehen.

»Solltest du dir nicht einen Rechtsanwalt zulegen?«, fragte er. Sie nahm abermals einen großen Schluck Scotch. »Das hat Mama mir auch gesagt – na ja, Mama hat es nicht direkt gesagt, weil wir nicht miteinander reden. Belle hat heute Morgen auf ihren Wunsch hin angerufen und mir diese Weisheit übermittelt: Dass ich mir einen Anwalt besorgen soll. Natürlich hat Mama weniger Angst vor einer Verhaftung als davor, dass ich das Haus vielleicht nicht bekomme. Du weißt doch, wie sehr Mama an Sans Souci hängt.«

»Du bekommst also das Haus? Steht das in St. Claires Testament?«

»Du bist durch und durch zum Bullen geworden, Day. Jetzt glaubst du, ich hätte ihn wegen des Hauses umgebracht.«

Sie zog einen leichten Schmollmund, spielte mit ihm und kümmerte sich auch nicht darum, dass er sie ganz und gar durchschauen würde. Ihr war es egal, wenn er wusste, dass sie Sans Souci ihr ganzes Leben lang begehrt hatte.

Er stieg auf die Bremsen und der Bearcat kam mit kreischenden Bremsen und dem Gestank von brennendem Gummi zum Stehen. Er starrte sie an und sie erwiderte seinen Blick ohne mit der Wimper zu zucken. Sie atmete nicht einmal schwer.

Dann sah er, wie sich ihre Augen langsam mit Tränen füllten. Sie wandte den Kopf ab und blickte über eine leere Weide auf einen alten Kuhstall. Der Stall, der früher rot gewesen war, hatte jetzt einen rostigen Farbton angenommen. Mit einiger Mühe konnte man noch das verblasste Bild einer gefleckten Kuh auf dem steilen Schrägdach erkennen.

Er fasste sie am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich hin. »Aber, aber, sieh dich doch bloß an – ganz plötzlich die trauernde Witwe. Aber wem gelten diese Tränen, Baby? Dir selbst oder ihm? Soll ich glauben, dass du seinen Tod bedauerst?«

Sie schüttelte den Kopf und einige nasse Tropfen fielen auf seinen Handrücken. »Sei nicht so, Day, bitte«, sagte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte. »Hass mich doch nicht so sehr.«

Er ließ sie so abrupt los, als habe er sich an ihr verbrannt. Sie machte ihn fertig, stülpte sein Inneres nach außen mit ihren Wahrheiten und ihren Lügen. Er wusste, wenn er ihr lange genug zuhörte, würde er eine Möglichkeit finden zu glauben, was immer sie ihm erzählte.

Er hörte ihr eine Zeit lang beim Weinen zu. Schließlich waren ihre Wangen geschwollen und nass und ihre Nase war rot. Er hatte sie auch früher schon so weinen sehen, in Wirklichkeit und in ihren Filmen – harte, brutale Tränen, die sie so menschlich wirken ließen, dass sie fast hässlich wurde. Dass sie nicht so schön war, wenn sie weinte, machte es leichter, ihr zu glauben. Aber vermutlich wusste sie das auch selbst.

»Charles tut mir Leid«, sagte sie. »Weil er tot und auf diese schreckliche Weise gestorben ist und weil wir einander in den letzten Monaten so wehgetan haben.«

Sie sah ihn an, mit leicht geöffneten Lippen und so feuchten, dunklen und tiefen Augen. Wie ihre Tränen konnte auch alles andere an ihr eine Lüge sein. Er umklammerte das Lenkrad, hart, um sich daran zu hindern, sie zu berühren, verließ die Straße und folgte einem Weg, der über die Weide zu dem alten Kuhstall führte. Der Stall war zu einem Flugzeugschuppen umgebaut worden, in den einige Spad-Kampfflieger und ein Jenny-Schulflugzeug als überzählige Hinterlassenschaften des Krieges verbannt worden waren. Ein Teil der Weide war zur Startbahn geworden, auf der sich im Moment jedoch außer Katzenschwänzen und Krähen nichts bewegte. Sogar der Windsack hing lustlos in der dicken, übellaunigen Luft.

Er war in den Krieg gezogen, nachdem sie ihn in jenem Sommer verlassen hatte, dem Sommer 1916. Den »Großen Krieg« hatten sie ihn genannt, und groß war er gewesen, als er schützengrabenweise Blut und Fleisch und Knochen verschlungen hatte. Die USA beteiligten sich damals noch nicht an dem Gemetzel, aber es hatte ein aus Freiwilligen bestehendes Fluggeschwader gegeben, die Lafayette Escadrille. Daman Rourke war in der Hoffnung auf den Tod nach Frankreich gegangen, hatte aber stattdessen seine Liebesaffäre mit der Gefahr in Form von Leuchtspurgeschossen, die aus der blendenden Sonne herausjagten, erneuert. Er hatte in sich neue und schreckliche Talente entdeckt, die Begabung, am Himmel zu kämpfen und zu töten.

Bei Kriegsende hatte er aufhören müssen zu töten, aber das Fliegen hatte er nicht aufgeben können. Es war so leicht, hatte er festgestellt, und einfach wunderschön, mit einem Flugzeug bis ins Letzte zu gehen und zu tanzen.

Meistens flog er eins der Spads, aber diesmal holt er die Jenny aus dem Stall und machte sich an die Überprüfung vor dem Flug, ließ seine Hände über die Streben fahren, testete die Spannung der Drähte, zog Nuten und Bolzen an. Remy wanderte um das Flugzeug herum wie zuvor um den Bearcat, berührte es, musterte die zerbrechliche Konstruktion aus Holz und Draht und Stoff.

»Willst du mit mir in diesem Ding losfliegen?«, fragte sie endlich.

»Na ja, du hast doch zugegeben, dass du Tempo liebst, Prickeln garantiert und dein Geld zurück, wenn du ums Leben kommst.« Er steckte eine Menge Herausforderung und einen kleinen Hauch Gemeinheit in sein Lächeln. »Das ist eine doppelte Wette, Remy Lelourie.«

Sie lachte nur.

Er half ihr, Fliegerbrille, Helm und eine seiner alten Lederjacken anzulegen, und dann hob er sie auf den abgenutzten Rohrsitz im Cockpit. Obwohl sie das Flugzeug nicht lenken würde, musste sie dort sitzen, weil sie so viel leichter war als er und das Flugzeug sonst vorn zu schwer geworden wäre.

Sie saß im Cockpit, sah ihm zu und er glaubte, ihre Erregung zu spüren, ihre Spannung, wie ein Vibrieren, das die Flugdrähte der Jenny durchlief. Sie behielt jede seiner Bewegungen im Blick, als er überprüfte, ob der Zündschalter geschlossen und Luft- und Benzintank geöffnet waren, ehe er mit der Hand Luftdruck in den Benzintank pumpte. Er trat vor das Flugzeug und drehte den Propeller viermal im Uhrzeigersinn um, dann ging er zum Cockpit zurück, schloss langsam die Luftventile und legte den Magnetschalter um. Er ging wieder nach vorn, legte die Handflächen auf den Propeller und hob ihn an.

Der Motor hustete und erwachte brüllend zum Leben, als Day sich mit einem Sprung vor den Propellerflügeln rettete. Er schwang sich auf die Tragfläche, als das Flugzeug sich in Bewegung setzte.

Er stieg ins Cockpit und zog die Jenny nach oben. Der Horizont war besetzt von grauen Wolkenfetzen wie schmutzige Federn, der Himmel über ihnen jedoch glühte in einem weichen, safrangelben Licht. Sie stiegen höher und höher, sie flogen dahin, bis Palmen, Wassereichen und Weiden allesamt zu grünen Tupfen auf brauner Erde geschrumpft waren und die Austern- und Krabbenboote auf dem Wasser klein wie Krähenspuren aussahen. Sie flogen, jagten der Sonne entgegen und er riss seine Augen auf, um die ganze Welt unter, über und um ihn herum sehen zu können.

Er kreuzte eine Zeit lang hin und her, entwickelte ein Gefühl für das Flugzeug und wärmte sich dann mit einigen Rollen und mehreren Loopings auf. Nach dem letzten Looping ließ er die Maschine ein Stück weit sinken, drehte den Motor dann voll auf und stellte das Flugzeug auf den Kopf. Auf dem höchsten Punkt des Kreises drosselte er den Motor nicht, um sinken und einen weiteren Looping vollenden zu können, sondern blieb auf Vollgas, machte eine halbe Drehung nach links, kam dann wieder in aufrechte Stellung und jagte mit dem Flugzeug eine lange gerade Strecke immer weiter nach unten, und weiter, weiter, weiter, während der Boden ihnen entgegenschoss.

Er wartete bis zur letzten möglichen Sekunde, um die Maschine hochzureißen, wartete, bis er nur einen Herzschlag vom Ende entfernt war, griff nach dem Magen verkrampfenden, atemlosen Ort zwischen geöltem Blitz und der wunderschönen Stelle, wo alles trifft.

Jede andere Frau auf der Welt hätte geschrien. Der Tod kreischte ihnen im Druck des Windes entgegen, doch Remy Lelourie lachte.

Sie hatte sich nicht geändert.

Als sie vom Flugplatz zurück in die Stadt fuhren, hielten sie am Straßenrand an, wo ein Mann von der Rückklappe eines mitgenommenen alten Pritschenwagens scheibenweise Wassermelonen verkaufte. Sie setzten sich zum Essen nebeneinander auf das Trittbrett des Bearcat, spuckten Kerne in den Dreck und hatten am Ende klebrige Hände und Gesichter.

Nadelstiche aus Sonnenlicht durchbohrten ihren schwarzen Strohhut, malten Sommersprossen auf ihr Ohr und ihre Wange. Ihre Lippen waren nass vom Wassermelonensaft. Er dachte daran, wie es früher gewesen war, als sie eigentlich noch Kinder gewesen waren, und doch hatte in der Wut ihrer Liebe etwas Reines, Klares gelegen, wie die blaue Flamme eines Streichholzes, ehe es ausbrennt. Danach war er in den Krieg gezogen, hatte eine andere geheiratet, mit ihr ein Kind gezeugt und sie dann begraben – er hatte gelebt und geglaubt, über Remy Lelourie hinweg zu sein.

»Was machst du hier?«, fragte er laut. »Du hattest die ganze Welt als Spielplatz, weshalb bist du also zurückgekommen?«

Ihr Mund verzog sich zu etwas, das nicht ganz ein Lächeln war. »Es fällt dir vielleicht schwer, das zu glauben, aber es gibt Grenzen dafür, wie viel man vertragen kann – und das gilt sogar für Champagnerbäder, Tangotanzen und Knutschpartys in der lila Morgendämmerung.«

Er spuckte einen Kern gegen einen Zaunpfosten. »Ja, in letzter Zeit ist es mir genauso gegangen – des Guten zu viel. Zu viele Whiskeys und bourrée-Partien, die um zwei Uhr nachts noch immer nicht zu Ende sind. Zu viele Leichen.«

Sie wandte den Kopf und begegnete seinem Blick, doch ihr Gesicht behielt ihre Geheimnisse für sich. Er hatte einmal gelesen, dass die Kamera jeden Gedanken einfängt, den Schauspieler beim Spielen denken. Aber wenn diese Gedanken Lügen sind – was sieht das Publikum dann wirklich?

»Ich wollte nach Hause, Day«, sagte sie. »Na ja, vielleicht nicht für immer, aber doch für eine Weile. Manchmal kann die Vergangenheit uns fest im Griff halten, viel mehr, als irgendeine Zukunft sich das je erhoffen kann. Ich wollte einfach für eine Weile nach Hause. Ist das so schwer zu verstehen?«

»Nein«, sagte er, aber auch das war eine Lüge. Er verstand das nicht, wenn er daran dachte, wie ihre Zukunft davon zerstört worden war, was sie elf Jahre zuvor an einem Sommerabend getan hatte. Er hatte immer gewusst, warum sie gegangen war. Was er nicht wusste, war, wie sie – so tapfer, so rücksichtslos sie auch sein mochte – es gewagt hatte zurückzukehren.

»Das war eine Doppelwette für Remy Lelourie«, sagte sie mit sanfter Stimme, als habe sie seine Gedanken gelesen.

Er nahm ihre Melonenschale und warf sie, zusammen mit seiner, in den von Unkraut überwucherten Straßengraben. Er reichte ihr sein Taschentuch, damit sie sich den Saft von Mund und Händen wischen konnte. »Wir sollten dich jetzt wohl nach Hause schaffen«, sagte er.

Auf der Fahrt nach New Orleans sprachen sie nur noch einmal. Er fragte sie, wohin sie in der vergangenen Nacht mit ihrer gepackten Reisetasche habe fahren wollen, in der Nacht, in der ihr Ehemann sich soeben mit einem Rohrmesser hatte aufschlitzen lassen, und sie sagte: »Es war so heiß in letzter Zeit, ich wollte einfach für ein paar Tage an den See.« Aber er wusste, dass auch das gelogen war.

Er setzte sie am Anfang der Austernschalenauffahrt ab und sah zu, wie sie unter den von Moos überwucherten Eichen von ihm fortging, sah zu, wie sie durch Sonnenschein und Schatten ging, zu dem Haus mit seinen schlanken weißen Säulen und weiten, großzügigen Galerien. Obwohl sie eine durch und durch moderne Frau war mit ihrem Bubikopf und ihren lackierten Fingernägeln, ihren Seidenstrümpfen und ihren geschminkten Knien, schien sie nur zu diesem Haus, zum Süden und zur Vergangenheit zu gehören.

Einmal, vor Jahren, als sie noch ein Liebespaar gewesen waren, hatte er mehr als alles andere gefürchtet, sie könne alles, sogar ihn aufgeben, um Sans Souci zu besitzen. Und sie hatte ihn ja auch verlassen, nur hatte sie dazu auch noch das Haus verloren. Am Ende aber, dachte er, war sie nach Sans Souci zurückgekehrt, nicht zu ihm.

Ihre Mama hatte Remy diese besondere Besessenheit in den Kopf gesetzt. Vor Generationen hatte die Plantage den Lelouries gehört. Sie hatten sie bei einer Kartenpartie oder durch ein Duell verloren, aber vielleicht logen diese alten Geschichten auch und es war einfach verkauft worden, um dringende Schulden zu begleichen – wie es passiert war, hatte ohnehin nie eine Rolle gespielt. Für die Lelouries war es immer darum gegangen, Sans Souci zurückzubekommen. Man musste aus New Orleans stammen, um zu begreifen, dass ein Haus wie Sans Souci mehr war als Zypressenholz und Ziegelsteine. Es war ein Zeugnis vergangener Größe und alter Sünden, ein in Stolz, Ehre und Unsterblichkeit gehülltes Vermächtnis. Ein Erbe von Ehrgeiz, Gier und Betrug. Es war la famille.

Rourke konnte sie verstehen, diese Besessenheit von Vergangenheit und la famille. Seine und Remys Vergangenheit – die war wie eine gemeinsame Sünde, nicht vergessen, aber niemals gebeichtet. Denn einst, vor vielen Jahren, hatte seine Mutter ihn, seinen Vater und seinen Bruder verlassen, um zu ihrem Liebhaber in das Haus in der Conti Street zu ziehen.

Zu ihrem Liebhaber, dessen Name Reynard Lelourie gewesen war.

Flammen im Wind

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