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Prolog

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Er stand nackt auf der eingesunkenen Veranda der alten Sklavenhütte und im Mondschein glänzte seine Haut im Elfenbeinton eines marmornen Grabsteins. Er hätte auf seine Geliebte warten können.

Die Nacht roch nach Tod, drückend und stickig. Es war Sommer in New Orleans. Die Straßen dampften am Morgen und der Regen brach am Abend herein, wenn der braune Fluss sich trübe und lehmbraun dahinschleppte und die Sümpfe einen urzeitlichen Geruch von verrottenden Seerosenblättern und Krebsen absonderten. Auf den alten Friedhöfen von St. Louis, wo die Mausoleen Risse warfen und im Boden versanken, umspielte Wasser die zerfallenden Gebeine, sodass süßlicher Verwesungsgestank aufstieg und wie wieder auferstandenes Leben zu atmen schien. Sommernacht in New Orleans, übel riechendes Leben und reifer Tod, und immer – die Hitze.

Die Veranda, auf der er stand, zeigte auf den Bayou St. John hinaus, obwohl man diesen durch die riesigen Eichen nur ahnen konnte. Moosgirlanden hingen von den knotigen Ästen, hingen schlaff in der bewegungslosen, drückenden Luft. Das Wasser wand sich wie eine träge silberne Schlange um den tief stehenden Mond.

Wenn er sich umschaute und über den Hofplatz blickte, würde er das Herrenhaus sehen können. Ein Erbstück mit schlanken weißen Säulen und breiten Galerien, das so sehr zu ihm gehörte wie seine Knochen und sein Atem.

Wenn er sich umschaute, würde er das Schlafzimmerfenster seiner Frau sehen können, aber er brauchte sich nicht umzuschauen, um sie in seiner Erinnerung zu sehen. Leinenlaken wickelten sich um ihre nackten Beine, das Lampenlicht fiel auf ihren Bauch. Ihre Wimpern lagen wie gespreizte Schatten über ihren Wangenknochen.

Er holte Atem und die schwüle Luft keuchte mit ihm zusammen auf. Er stellte sich vor, wie sie aus ihrem Fenster schaute und ihn nackt in der Nacht dastehen sah.

Er drehte sich um und ging in die Hütte. Die Tür ließ er offen. Sein Schatten huschte in der Lichtflut der Gasleuchter aus Messing vor ihm her. Schon vor Jahren hatten sie eine Stromleitung in die Hütte legen lassen, aber er liebte das Gaslicht. Früher, zur Zeit seines Großvaters, hatten hier Sklaven gelebt. Natürlich war der Boden damals aus festgetrampeltem Lehm gewesen, ein verfaulender Tisch und ein oder zwei Schemel hatten als Möbel gedient und die Sklaven hatten auf groben, stechenden Säcken voller Moos und Moorgras geschlafen. Ganz bestimmt hatte es keine grünen Ledersessel, keine vergoldete Kommode, kein breites Messingbett gegeben. Für ihn und seinen Bruder hatten diese beiden kleinen Zimmer früher als eine Art Junggesellenwohnung fungiert. Hier draußen, wo ihre Mutter es nicht zur Kenntnis nehmen musste, hatten er und Julius sich in teurem Bourbon und billigen Frauen gesuhlt. Doch, wirklich, damals war hier ziemlich gesündigt worden, vor allem von ihm.

Vor allem von ihm, ja, aber nicht nur. Nicht nur.

Bewegt durch seine Erinnerungen schaute er durch einen Vorhang aus blauen Glasperlen in das schattige Schlafzimmer. Er sah im Silberschein des Mondlichts, der durch das hauchdünne Insektennetz trieb, die süße Kurve einer Frauenbrust.

Er atmete schneller und eine Welle heißen Schauders ergoss sich über seine nackte Haut. »Bist du’s, Liebling?«, fragte er.

Er trat einen Schritt vor und das Netz kam zur Ruhe, der Schatten verschwand. Seine Erregung starb ab und hinterließ nur einen wehmütigen Schmerz. Plötzlich hätte er alles gern hinter sich gehabt. Er wollte ein Leben ohne Sehnsüchte führen, befreit von Vergangenheit und alten Sünden. Alten Sünden und Chaos und Schmerzen, die in ihm wüteten.

Er hob seinen Seidenschlafrock vom Boden auf und streifte ihn über. Er ging zur Kommode und seine Hände zitterten, als er die flache Silberdose öffnete, die keine Zigaretten enthielt, sondern geschnittenes Kokain. Mit der Klinge eines Taschenmessers schob er die feinen weißen Flocken zusammen und streute sie sich dann auf den Handrücken. Er hielt die Hand an seine Nase, atmete tief ein, kniff die Augen zusammen.

Seine Lippen wichen von seinen Zähnen zurück und er riss die Augen weit auf, als der Rausch ihn traf. Hinter der offenen Tür bewegten sich die messerscharfen Blätter des Bananenbaums, was in seinen Ohren wie ein Hurrikan klang. Er konnte sein Herz jetzt heftig schlagen hören.

Er zog ein Seidentaschentuch aus der Schlafrocktasche und putzte sich die Nase. Dann füllte er ein Glas mit Absinth und würzte es mit noch mehr Kokain. Er kippte einen Großteil des Cocktails mit einem langen Schluck hinunter. Wieder traf ihn der Rausch – diesmal härter – und ließ ihn erzittern.

Die Zeit wirbelte für ihn davon und er ließ los. Er schwankte, trieb dahin, war in den sich auflösenden Fäden eines Traums gefangen. Etwas holte ihn zurück, ein Geräusch. Die Heuschrecken in den Zuckerrohrfeldern, die ihren Paarungsgesang angestimmt hatten. Er holte tief Luft und spürte, wie seine Brust sich dabei weitete, spürte, wie der Sauerstoff seinem Blut Nahrung gab. Sein Blut pulsierte jetzt im Rhythmus des rauen Gesangs der Heuschrecken.

Und dann verstummten sie.

Draußen auf der Veranda knarrte ein geflochtener Schaukelstuhl. Er lief los, stolperte fast, um durch die offene Tür zu blicken. Der Stuhl bewegte sich nicht. Der Perlenvorhang klirrte leise und wieder fuhr er herum. Er hielt jetzt den Atem an, horchte, aber er hörte nur das Brummen des Ventilators unter der Decke und die Regentropfen in den Bananenblättern. Und das rhythmische Hämmern seines eigenen Herzens.

Ein kalter Schauer jagte ihm den Rücken hinab, trotz der drückenden Hitze. Diese Nacht hatte etwas Gefährliches, er hatte das Gefühl, dass uralte Raubtiere leise durch das hohe Gras schlichen oder auf lautlosen Schwingen zwischen den Bäumen einherflogen.

Er lachte.

Wieder bewegte sich das Moskitonetz im Nebenzimmer, wie ein weißer Blitz in einem Augenwinkel. Der Vorhang öffnete sich, und eine Frau erhob sich vom Bett. Eine nackte Frau, deren Leib silbern leuchtete, wie vom Mondlicht beschienener Schnee. Ein Schneetraum, sagte er sich. Sie ist nur ein Traum.

Er trat trotzdem einen Schritt zurück – auch wenn sie nur ein Traum war – und sie kam weiter auf ihn zu. Der Perlenvorhang teilte sich um sie, klirrte und klimperte. Dicke Würmer krümmten sich in ihren Haaren und ihr Gesicht war leer und tot, es hatte die Farbe der alten Gebeine, die auf dem Friedhof unten an der Straße verrotteten.

Sie hob den Arm, hielt ein Rohrmesser in der Hand. Die lange, funkelnde Klinge blutete ein rotes, flüssiges Feuer.

»Nein«, sagte er, obwohl er gar nicht wirklich glaubte, was er hier sah.

Sie kam näher, die Schneefrau mit dem entsetzlichen toten Gesicht, und dann ging ihm auf, was er sah, und wieder lachte sie. »Remy«, sagte er, lächelnd, lachend. »He, willst du mich holen, Baby?« Er trat noch einen Schritt zurück, schwenkte jetzt ein wenig die Hüften, wie bei einem Tanz, und sie folgte ihm. Sie spielte gern, seine Remy, aber alles blieb eben doch nur ein Spiel. »Na komm, komm schon, hol mich.«

Das Rohrmesser wurde über seinen Bauch gezogen.

Er grunzte und schaute nach unten, sah, wie sein Fleisch auseinander klaffte und wie das Blut dick und schwarz hervorquoll. Er staunte darüber, dass es nicht wehtat, und dann schrie er auf.

Wieder traf ihn das Messer, diesmal weiter unten, und sein Schrei wurde zum Geheul. Weglaufen, er musste weglaufen; er rannte los, aber das Messer folgte ihm, zielte diesmal auf seine Augen und er hob die Hände, um es aufzuhalten. Die Klinge zerschnitt seine Handflächen und er sah einen Finger davonfliegen, aber das konnte doch nicht sein, und deshalb lachte er, dann schrie er, dann wimmerte er. »Bitte«, sagte er, als das Messer wieder zustieß. Er öffnete den Mund und seine Schreie füllten ihn, sodass er nicht atmen konnte, die Schreie stiegen in seiner Kehle auf und füllten sie mit riesigen feuchten Blasen.

Er konnte in der nassen Finsternis, die jetzt von Schmerz erfüllt war, ihr lautes Keuchen hören. Er wollte sie aufhalten, um wieder atmen, um schreien zu können. Er wollte sie um Entschuldigung bitten. Er wollte ihr klarmachen, dass er mit Sterben noch nicht an der Reihe war.

Aber er fiel zu Boden und sie setzte ihm noch immer nach. Um ihm mit ihrem Messer das Herz aus dem Leib zu schneiden.

Er fiel jetzt immer tiefer, tief hinab in einen heißen, schwarzen Kokon, seine Brust barst, brannte. Seine Augen füllten sich mit einem schwarzen Licht, dann wurde das Licht zu einem hellen Weiß und die Welt war neu und wieder gut. Noch immer tropfte der Nachtregen von den Bananenblättern, aber die Kamelien vor dem Fenster dufteten nach dem Sonnenschein des kommenden Tages. Sie küsste ihn, heiße, schmachtende Küsse, ihre Lippen baten ihn zu bleiben und er wollte ja auch gar nicht weg.

Langsam drehte er den Kopf und schaute in ihr Gesicht. Die Schreie waren noch immer in seiner Kehle gefangen, sie flatterten herum wie Motten gegen Glas. Er öffnete den Mund, um ein letztes Mal ihren Namen zu sagen.

Und der wurde mit einem heißen Blutschwall herausgespült.

Flammen im Wind

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