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1. Wirtschaftliche Gesamtzielsetzung

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Die wirtschaftliche Dimension der Europäischen Integration kommt auf der Ebene der allgemeinen Zielbestimmung des Art. 3 Abs. 1 EUV in der Förderung des „Wohlergehens“ der in der Union zusammengeschlossenen Völker zum Ausdruck. Damit nimmt der EUV den von den Vertragsparteien in der Präambel erklärten Willen auf, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt“ zu fördern. Der Sinn der Integration besteht also in der konkreten Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen. Dies soll nach der Präambel „im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes“ geschehen. Die Bezugnahme auf den Binnenmarkt bedeutet, dass die Vertragsparteien gerade von der Verwirklichung der für den Binnenmarkt konstitutiven Grundfreiheiten, die der Marktöffnung dienen, einschließlich der Wettbewerbsregeln, welche die Wettbewerbsfreiheit gewährleisten,[3] die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts erwarten. Dem müssen die Förderung der Kohärenz und des Umweltschutzes nicht entgegenstehen.

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Mit dem Hinweis auf den Binnenmarkt wird für die Förderung des Wohlergehens der Völker ein Ordnungsprinzip in Bezug genommen, von dessen Verwirklichung die Förderung der ökonomischen Effizienz auf der Grundlage individueller wirtschaftlicher Freiheiten erwartet wird. Effizienz bedeutet, dass die stets knappen Mittel, die den Menschen für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung stehen, denjenigen Verwendungen zugeführt werden, die aus der Sicht der Menschen den relativ größten Nutzen stiften. Alles andere wäre Verschwendung. Die Mittel reichen gewöhnlich nicht aus, um alle Bedürfnisse bzw. die Bedürfnisse aller gleichermaßen zu befriedigen. Es bedarf in diesem Sinne einer Rationierung. Ihre unterschiedlichen Präferenzen kennen aber nur die einzelnen Menschen selbst. Es gilt daher, ein Rationierungsverfahren anzuwenden, das den Menschen nicht von außen vorgibt, welche Bedürfnisse sie mit welchen Mitteln befriedigen sollen, sondern das sie selbst hierüber frei entscheiden lässt. Dabei müssen sie allerdings mit den konkurrierenden Ansprüchen aller anderen konfrontiert werden. Die Menschen müssen also, bevor sie bestimmte Mittel für die eigene Bedürfnisbefriedigung verwenden, gezwungen sein, ihre Bewertung mit der aller anderen zu vergleichen.

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Damit ein Vergleich der unterschiedlichen Präferenzen möglich ist, muss der Zugriff jedes Einzelnen auf die von ihm gewünschten Mittel der Bedürfnisbefriedigung davon abhängig gemacht werden, dass andere die Möglichkeit haben, ihre Präferenzen ebenfalls zur Geltung zu bringen. Dies setzt voraus, dass niemand freien Zugriff auf bestimmte Mittel hat, sondern nur unter der Voraussetzung, dass er als Kompensation für diesen Zugriff auf andere Mittel verzichtet, indem er einen Preis zahlt. Diese Zahlungsbereitschaft reflektiert seine sog. Opportunitätskosten. Das sind die Kosten, die darin bestehen, dass er die Mittel, die er zum Erwerb eines begehrten Gutes hingibt, nicht mehr für den nächst besten Ressourcenerwerb verwenden kann. Der Verzicht auf die Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses ist also der unerlässliche Preis dafür, dass ein bestimmtes anderes Bedürfnis mit den vorhandenen Mitteln befriedigt werden kann. Was immer wir tun, ist in diesem Sinne nicht kostenlos.[4] Das gilt schon für jeden selbst: Indem wir beispielsweise unsere Zeit für eine bestimmte Tätigkeit verwenden, begeben wir uns der Möglichkeit, gleichzeitig eine andere Tätigkeit zu verfolgen. Es gilt aber auch interpersonell: Indem wir unsere begrenzten finanziellen Mittel für den Erwerb eines bestimmten Gutes einsetzen, begeben wir uns der Möglichkeit, sie für den Erwerb anderer Güter zu verwenden. Die Bewertung des Nutzens einer bestimmten Ressourcenverwendung setzt also für jeden Einzelnen voraus, dass er sich gewissermaßen die Rangliste seiner Bedürfnisse vergegenwärtigt und sich dann für diejenige Verwendungsmöglichkeit entscheidet, die er am höchsten bewertet. Nur diese Alternative wird er dann realisieren, indem er die ihm zur Verfügung stehenden Mittel für den Erwerb der ihm bisher nicht zur Verfügung stehenden – aber erwünschten – Mittel verwendet. Entsprechendes gilt für den Inhaber des begehrten Gutes, der sich entscheiden muss, ob er es für eine Gegenleistung abgeben oder lieber behalten möchte.

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Im Verhältnis der Menschen zueinander bedeutet dies im Grundsatz, dass sich eine interpersonale Umverteilung von Ressourcen effizient nur im Wege des Austauschs vollziehen kann. Nur dann werden sich insgesamt diejenigen Ressourcenverwendungen durchsetzen, die von den einzelnen Tauschpartnern jeweils am höchsten bewertet werden. Dies setzt aber voraus, dass allen der freie Zugriff auf die insgesamt nur begrenzt vorhandenen Mittel versperrt bzw. nur unter der Voraussetzung eröffnet wird, dass jeder Einzelne bereit ist, andere für deren Ressourcenübertragung durch eine Gegenleistung zu kompensieren.

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Eben diese ökonomische Funktion erfüllt das Rechtsinstitut des Eigentums: Der Eigentümer ist berechtigt, alle anderen von der Nutzung der ihm gehörenden Gegenstände auszuschließen; und deshalb kann er die Nutzung durch andere davon abhängig machen, dass sie ihm eine Gegenleistung zahlen. Der rechtlichen Absicherung solcher Transaktionen, durch welche die Nutzungs- bzw. Eigentumsrechte an bestimmten Gegenständen gegen Entgelt übertragen werden, dient das Vertragsrecht. Eigentum und Vertrag sind somit die grundlegenden institutionellen Voraussetzungen für eine effiziente Verteilung (Allokation) der begrenzt vorhandenen Mittel auf die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten. Sie sind zugleich die institutionellen Voraussetzungen dafür, dass die Menschen selbst darüber bestimmen können, welche Mittel der Bedürfnisbefriedigung sie für welche Zwecke zu welchem Preis erwerben wollen. Hieraus folgt, dass die Förderung des „Wohlergehens“ der in der Union zusammengeschlossenen Völker im Sinne der Zielbestimmung des Art. 3 Abs. 1 EUV einen institutionellen Rahmen voraussetzt, innerhalb dessen die in der Union lebenden Einzelnen ihr jeweiliges individuelles bzw. kollektives Wohlergehen nach ihren eigenen Vorstellungen fördern können. Dem tragen die folgenden Zielebenen ausdrücklich Rechnung.

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht

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