Читать книгу Parodontologie von A bis Z - Peter Eickholz - Страница 31
Welche Faktoren begünstigen die Entgleisung der entzündlichen Infektabwehr?
ОглавлениеWarum geht eine durch bakterielle Plaque induzierte Gingivitis bei manchen Menschen früher, z. T. schon in jugendlichem Alter, bei anderen später oder aber bei manchen Individuen nie in eine Parodontitis über3,10? Die entzündliche Reaktion der Gingiva ist ein Schutzmechanismus: Sie soll verhindern, dass Mikroorganismen an der Schwachstelle der Körperhülle, die die Durchtrittsstelle der Zähne durch die Mundschleimhaut darstellt, ins Körperinnere (Blut, Bindegewebe, Knochen) eindringen. Diese Entzündungsreaktion ist hochkomplex1,4 und deshalb anfällig für Störungen insbesondere dann, wenn sie über Monate und Jahre aufrechterhalten werden muss. Welche Einflüsse bewirken eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Noxen und Wirtsabwehr, zwischen protektiven (angemessene Immunantwort) und destruktiven (unangemessene Immunantwort) Prozessen? Zum einen spielt hier eine spezifische dysbiotische bakterielle Plaque eine wesentliche Rolle, die dazu in der Lage ist, zentrale Funktionen der wirtseigenen Abwehr außer Kraft zu setzen. Subgingivale Biofilme von spezifischer Zusammensetzung können die Funktion der neutrophilen Granulozyten, z. B. durch die Freisetzung von Leukotoxin oder die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren bzw. Polyaminen, die für neutrophile Granulozyten toxisch sind, beeinträchtigen6. Bakterielle Plaque ist der Auslöser und ätiologischer Hauptfaktor entzündlicher Parodontalerkrankungen3, der entzündliche und immunologische Prozesse in Gang setzt, die zu einer klinisch manifesten Gingivitis führen, wenn das Parodont lange genug viel Biofilm ausgesetzt ist (Abb. 4). Daneben existieren zahlreiche lokale und systemische Ko- bzw. Risikofaktoren (Tab. 1), die auf die immunologische und entzündliche Wirtsantwort sowie den Bindegewebs- und Knochenstoffwechsel einwirken und so im Spannungsfeld von Exposition und Disposition den Verlauf von Gingivitis und Parodontitis sowie deren Geschwindigkeit kausal beeinflussen (Abb. 4). Der multifaktorielle Charakter und damit die Komplexität der Ätiologie und Pathogenese der Parodontitis erschwert die Identifikation von parodontalpathogenen Mikroorganismen und Risikofaktoren.
Abb. 4 Pathogenese von Gingivitis und Parodontitis nach Meyle & Chapple11, das sich aus dem klassischen Modell von Page & Kornman12 entwickelt hat. Wenn der Biofilm auf den Zähnen nicht regelmäßig entfernt bzw. zerstört wird, entwickelt sich eine Dysbiose, die einen chronischen und destruktiven Entzündungsprozess auslöst und aufrechterhält (AMP: antimikrobielle Peptide; DAMP: Damage-Associated Molecular Pattern; fMLP: f-Met-Leu-Phe; GCF: gingivale Sulkusflüssigkeit; LPS: Lipopolysaccharide; MMP: Matrix-Metalloproteinasen; PMN: polymorphkernige neutrophile Granulozyten).
Tab. 1 Definitionen für Faktoren, die den Verlauf einer Erkrankung (z. B. Parodontitis) beeinflussen8.
Risikofaktor: Eine Variable, von der angenommen wird, dass sie mit der Krankheitsentstehung eines Individuums kausal in Zusammenhang steht. Diese Variable kann aus dem Bereich des Lebensstils, der Umwelt und angeborener bzw. erworbener Faktoren stammen. Sie ist auf der Basis epidemiologischer Evidenz mit einem bestimmten Gesundheitszustand assoziiert (z. B. Nikotinkonsum). |
Risikoindikator: Ein potenzieller Risikofaktor, der nur in Querschnittsstudien ermittelt, jedoch (noch) nicht longitudinal bestätigt wurde (z. B. psychosozialer Stress). |
Risikomarker/-prädiktoren: Eng mit erhöhter Erkrankungswahrscheinlichkeit verknüpfte Faktoren, die jedoch kein Bestandteil der Ursache(n) sind (z. B. Zahl der bereits fehlenden Zähne). |
Hintergrundfaktoren: Sie sind mit erhöhter Erkrankungswahrscheinlichkeit vergesellschaftet, aber nicht beeinflussbar (z. B. Lebensalter). |
Relatives Risiko: Es gibt an, um welchen Faktor sich die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Exposition mit dem Agens erhöht. Der Faktor sollte > 2 sein (z. B. ist das relative Risiko für Parodontitis bei Rauchern 2,5–6). |
Attributables Risiko: Jener Anteil, um den die Erkrankungsprävalenz bei vollständiger Elimination des Risikofaktors abnähme. |