Читать книгу Hull Storys - Peter Empt - Страница 10
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Später, gegen Abend, rief er wie versprochen seine Cousine Susan an.
Susan, kurz angebunden: „Die Testamentseröffnung findet nächste Woche, am 10. Mai, in unserem Kontor statt! Ich rate dir dringend vorab zu einem Abstimmungsgespräch!“
„Ja, Susan, ich sagte dir doch bereits, dass ich ein Vorabgespräch richtig finde. Bitte mach einen Terminvorschlag!“
Susan: „Am kommenden Montag, den 5. Mai, 15.00 Uhr, bei uns!“
Robert: „O. k., ich werde da sein!“
Der Tag endete mit angenehmer Temperatur. Rötlich leuchtendes Abendlicht erzeugte eine feierliche Atmosphäre auf dem Sund.
Robert dachte: „Ich möchte einmal im Sund schwimmen, wie in meiner Kindheit. Das würde sich wie ein wenig „Nach-Hause-Kommen“ anfühlen!“
In Badeshorts und mit Badetuch ging er in den verwilderten Garten an der Ostseite des Hauses zu der Badestelle, an der sein Grandpa Knuth ihm das Schwimmen beibrachte. Er war vier oder fünf Jahre alt gewesen. Es befand sich dort noch ein Fleckchen Gras. Er legte das Badetuch aus, setzte sich und schaute. Gegenüber sah er die Sund-Promenade von Hull-City. Einzelheiten konnte er wegen der Entfernung von etwa tausend Metern ohne Fernglas nicht ausmachen. Die Abbruchkante des Karstplateaus über der Stadt leuchtete in rosa Farbtönen. Küstenschiffe fuhren in der stadtnahen Fahrrinne von West nach Ost und umgekehrt. Bei schwachem Südwestwind vernahm Robert das leise Wummern der Schiffsmotoren. Möwen gab es zur Abendstunde keine am Sund. Die Fischer hatten ihr Tagewerk beendet.
Vorsichtig ließ er sich in das Wasser gleiten. Es roch frisch, schmeckte salzig und war wärmer als vermutet. Er schwamm etwas in den Sund hinaus, eine Strömung war kaum spürbar. Ein Glücksgefühl ließ Robert genüsslich erschauern.
Am folgenden Tag, Samstag, erschien gegen 10.00 Uhr Conchita und begann mit der Hausarbeit im Boganson-Cottage. Robert fühlte, dass er hier jetzt nicht richtig am Platz war und ging hinüber zum Bürgermeisterhaus.
Josh O’Bready telefonierte in seinem Büro. Mit freundlicher Miene winkte er Robert einzutreten.
Josh, Mitte sechzig, war ein alter Bekannter. Er war von stämmiger Statur, trug dichtes schwarzes, etwas grausträhniges Haar. Er war verheiratet, hatte mit seiner Frau drei jetzt erwachsene Kinder, wahrscheinlich auch Enkelkinder.
Mit sonorer Stimme begrüßte er Robert: „Hi, du alter Tramper! Haben wir dich endlich wieder zu Hause?“
Robert grinste: „Vorläufig ja!“
„Wieso vorläufig?“
„Nächste Woche ist bei Finnlys Testamentseröffnung, ich muss sehen, was sich ergibt!“
„Hast du noch keinen Plan?“
„Weißt du, Josh, meine Wurzeln habe ich hier in Chapel. Ich gehöre hier hin, ich will hierhin zurückkommen! Mein Gefühl sagt: „Wenn ich das Finnly-Erbe annehme, werde ich wahrscheinlich wieder in die unternehmerische Mühle der Finnlys geraten. Die Finnly-Werft ist ein Segen für unser County, zweifellos! Aber ich muss etwas anderes machen. Zurzeit weiß ich nicht, was, also lasse ich die Dinge auf mich zukommen! Ich überlege ernsthaft, das Erbe nicht anzunehmen. Am kommenden Montag spreche ich mit meiner Cousine vorab darüber!“
Josh nickte verstehend: „Wir kennen uns schon lange Robert. Ja, ich glaube, dass es für dich so richtig ist!“
Robert nickte mit dankbarer Geste.
Er fragte: „Warum hast du die Doppelfunktion Reverend und Bürgermeister, Josh?“
„Du weißt, ich bin gelernter Geistlicher. Aber hier in unserer kleinen Kommune konnten sie weder einen Reverend noch einen Bürgermeister bezahlen. Raffaela, die vor, ich glaube, 17 oder 18 Jahren zu uns kam, machte auf einer öffentlichen Gemeindeversammlung den Vorschlag, beide Ämter in die Hand einer Person zu geben. Den Vorschlag, die Ämter mir zu geben, brauchte sie nicht zu machen, der kam spontan aus der Versammlung!“
Robert meinte: „Raffaela Conte scheint eine dominante Person zu sein. Weißt du, woher sie kam und warum?“
„Sie kam mit zwei Kindern, ohne Mann. Offenbar verfügte sie über ein gut gefülltes Konto! Ich würde sie nicht dominant, sondern engagiert beschreiben. Jedenfalls genießt sie das volle Vertrauen der Bevölkerung. Den Store und das Wohnhaus hat sie von den alten Bloombergs auf Rentenbasis gekauft und den Warenwert des Stores bar bezahlt. Sie scheint keine Ambitionen zu haben, sich an einen Mann zu binden. Ihr Sohn Emilio studiert Nautik in Hull und ihre Tochter Claudia besucht die Highschool!“
Robert erinnerte sich: „Dora erwähnte, dass Claudia mit einer Farmerstochter aus Eastchurch befreundet ist, die Drums spielt.“
„Ja, die beiden Mädels kennen sich von der Highschool!“
Robert verabschiedete sich von Josh und ging nach Hause. Conchita hatte ihre Arbeiten erledigt und ging zufrieden zurück zu ihrer Familie.
Robert überlegte, was er zum Pub-Abend im Westcorner anziehen sollte. Er wählte eine Jeans, Turnschuhe, ein helles T-Shirt und eine schwarze Lederweste, dazu eine helle Hull-Cap.
Nachdem er etwas Brot und Käse gegessen hatte, ging er gegen 19 Uhr hinüber zum Fähranleger. Donald McCancie grüßte ihn aus dem Steuerhaus, er hatte Fährdienst bis Mitternacht. Dann würde Lena Malinowski übernehmen bis 4 Uhr am Sonntag. Die Fähre war gut besetzt mit Chapel-Einwohnern, die wahrscheinlich auch die Musikveranstaltung im Westcorner-Inn besuchen wollten und Touristen, die von Ausflügen auf Hull-Island in die Stadt zurückkehrten. Am Verkaufspunkt der Fähre herrschte Gedränge von Kunden für Tabak, Spirituosen und Süßigkeiten, alles steuerfrei. Die Überfahrt dauerte mit Ab- und Anlegemanöver vierzig Minuten.
Gegen 20 Uhr betrat Robert das Westcorner-Inn. Das Publikum des jetzt schon gefüllten Pubs bestand überwiegend aus jungen Menschen. Robert registrierte mit Genugtuung die bunte Mischung von fröhlichen Menschen verschiedenster Ethnien.
An der linken Raumseite verlief ein langer Tresen in die Tiefe des Raumes. Der Kassenplatz am Tresen war im Augenblick seines Eintretens nicht besetzt. Robert hatte gehofft, Beccy Balmore, die Chefin, anzutreffen. In der hinteren rechten Raumecke war ein Podium als Bühne aufgebaut. Robert eroberte einen Stehplatz am Tresen in der Nähe des Podiums.
Die Band mit dem Namen „Hull-City-Rollers“ brachte Verstärker und Boxen in Position und begann die Instrumente einzustöpseln und zu stimmen. Auf einer höheren zweiten Stufe des Podiums stand ein sehr komplettes Drumset. Auf der Ebene darunter befanden sich links ein Keyboard, rechts daneben ein E-Gitarren-Set, mittig ein Mikrofon-Set und rechts ein weiteres Gitarren-Set.
Das enthusiastische Gemurmel im Publikum verstummte augenblicklich, als eine junge rotblonde Frau das Podium betrat und sich an das Drumset setzte.
Das muss Jennifer O’Toole sein, dachte Robert. Sie sah überirdisch gut aus.
Sie rückte das Mikro in Position, nahm Schlagstöcke und begann einen schnellen, dezent geschlagenen Rhythmus. Sofort begannen die Pubgäste sich rhythmisch im Takt zu bewegen. Nach etwa 10 Sekunden sprach sie in ihren Schlagrhythmus: „Hi Leute, schön dass Ihr hier seid. Wollt Ihr heute mit uns die Sau rauslassen?“
Die Menge brüllte: „Wir wollen!“ Dann erschien ein Gitarrist, den die Drummerin als Cliff Hutchinson vorstellte. Es folgte der zweite Gitarrist, Ossy Carpenter, und weiter die schwarze Kim Harvester. Ein großer, schlaksiger Keyboarder wurde als Frank Colomba vorgestellt. Die Menge tobte. Jennifer ließ die Drums sehr laut werden, Frank ließ aus dem Keyboard ein Bass-Riff einfließen. Die E-Gitarren mischten sich dazu und Kim Harvester begann einen Song, den „Hull Dream Song“. Im Publikum schienen sie den Song zu kennen, denn sofort sangen alle mit. Der Vocal Part wechselte zu Cliff Hutchinson, damit Kim mit einem fetzigen Saxofon-Solo einsetzen konnte. Die Euphorie der Menschen im Saal schien sich zu überschlagen, so empfand es Robert. Es war klar, die Band hatte bereits ein Standing in Hull. Sie elektrisierten das Publikum mit einer unglaublichen Power. Kleine Unsauberkeiten in der Musik nahm das Publikum nicht wahr. Von der ersten Minute an wurde gefeiert. Junge männliche und weibliche Bediener flitzten artistisch durch die Menge und baggerten Getränke heran. An der Kasse vorne am Tresenkopf entdeckte Robert Beccy Balmore.
Die Band spielte eine Reihe Songs aus eigener Entwicklung und auch gecoverte Songs, etwa eineinhalb Stunden. Dann legten sie eine Pause ein.
Robert arbeitete sich nach vorne durch zu Beccy Balmore und begrüßte sie: „Hi Beccy, ich bin wieder im Lande!“
Sie sah ihn überrascht an, benötigte eine Sekunde des Erkennens: „Hi Robert, du hier? Du siehst so freizeitmäßig aus! Was ist los mit dir?“
Robert lächelte: „Ist eine lange Geschichte, Beccy! Ich erzähle sie dir später, wenn du etwas Zeit hast!“
Beccy nickte mit erfreutem Lächeln. Der Geräuschpegel ließ eine weitere Unterhaltung nicht zu.
Robert arbeitete sich wieder zum Podium durch. Er sprach den Keyboarder an: „Hi Frank, ich bin begeistert von eurer Power. Warum habt ihr keinen Bass in eurer Gruppe?“
„Wir konnten noch keinen Bassisten finden, der unseren Soundvorstellungen entspricht!“, erklärte Frank.
„Könnt ihr euch vorstellen, einen älteren Mann wie mich am Bass zu haben?“
„Bist du ein Bass-Mann?“
„Ja, ich könnte direkt bei euch einsteigen, nachdem ich einiges gehört habe!“
„Ich rede mit meinen Freunden darüber!“
Die Band beendete ihre Pause und besetzte wieder die Sets.
Jennifer O’Toole suchte Blickkontakt mit Robert und winkte ihm, auf das Podium zu kommen.
Cliff und Jennifer sprachen ihn an: „Wie lange willst du heute hierbleiben? Die letzte Nummer spielen wir um 0.45, dann noch ein paar Zugaben. Wenn du bleibst, können wir danach noch eine kurze Probejam spielen, eine Bassgitarre ist hier!“
„Klar, ich bleibe gerne hier, vielen Dank!“
Gegen ein Uhr, so schien es, waren alle Fans noch im Pub. Jennifer verständigte sich mit Beccy, dass die Polizeistunde eine viertel Stunde überzogen wurde.
Robert hatte keinen Alkohol getrunken. Im Anschluss an die letzte Nummer kündigte Jennifer einen Gastbassisten an: Robert Finnly.
Die gestöpselte Bassgitarre stimmte Robert mit dem Keyboarder, dann ging es los.
Die Band begann mit einem gecoverten Stück, das Robert kannte. Es fiel ihm leicht, den Bass einzusetzen. Dann drummte Jennifer den Hull-Dream-Song an und Robert ließ das Bass-Riff einfließen.
Die Fans tobten. Beccy erhob sich erstaunt von ihrem Sitz, als sie Robert am Bass sah. Die Fans forderten ohne Ende Wiederholungsschleifen, damit sie den Refrain mitsingen konnten. Robert hatte inzwischen den Text des Hull-Dream-Song verstanden:
Hallo, St. Andrew Cathedral
du bist die größte in Hull
du bewachst uns Tag und Nacht
du bist der Anker unserer Stadt
nach Westen schaust du auf das alte Hull
nach Osten auf das junge Hull
du siehst den Sund im Süden
weiße Steine und Schafe im Norden
Tag für Tag rufen deine Glocken
Hi, aufwachen, der Tag beginnt
Hi, Pause machen mit Kollegen
Hi, chillen im Pub, wo deine Freunde sind
(Refrain)
Hallo, St. Andrew Cathedral
du bist die größte in Hull
du bewachst uns Tag und Nacht
du bist der Anker unserer Stadt
Durchgefeiert die halbe Nacht,
angedröhnt am Central-Place;
hi, St. Andrew, bist du auch noch wach?
Wir grinsen dich an und heben das leere Glas
Langsam schleichen wir nach Hause,
Mutter wartet mit Sorge im Gesicht
Mutter, mach dir keine Sorge,
St. Andrew beschützt uns, das ist gewiss
Hallo, St. Andrew Cathedral
du bist die größte in Hull
du bewachst uns Tag und Nacht
du bist der Anker unserer Stadt
Vor deinem Altar geben wir uns das Jawort.
Christen, Juden, Muslime und Buddhisten
stehen vereint mit uns an diesem geheiligten Ort
sie alle jubeln uns zu; es staunen die Chronisten
Ja, vor St. Andrew sind wir alle gleich
alle Ethnien, alle Geschlechter, alle Klassen
gemeinsam machen wir unser Leben reich
Ja, auf St. Andrew wollen wir uns verlassen.
Beccy zog schließlich der Band den Stecker, nahm ihr Kassenmikro, und rief: „Hi Leute, wir haben die Polizeistunde überschritten, wir müssen Schluss machen. Das Westcorner-Inn und die Rollers, wir bedanken uns bei euch. Ihr wart ein super Publikum! Gute Nacht und gute Heimfahrt! Bis zum nächsten Mal!“
Es gab mehrere Minuten Ovations.
Die Rollers schauten Robert überrascht und interessiert an.
Frank sagte: „Hi Robert, du bist doch Profi, oder?“
„Nein, aber ich freue mich, dass ihr mich so einschätzt!“
„Hast du kein Engagement?“
„Nein!“
„Willst du bei uns einsteigen?“, fragte Cliff.
„Bin ich nicht zu alt für euch?“
Jennifer meinte: „Bei uns steht Qualität vor allem anderen!“
„Wie oft spielt ihr und wo?“
„Einige von uns sind Schüler. Deshalb spielen wir öffentlich nur an Wochenenden, zurzeit etwa jede zweite Woche!“, erklärte Cliff.
„O. k., da könnte ich mich einklinken!“
„Wir üben jeden Mittwoch von 14 bis 20 Uhr im Übungssaal der Musikfakultät an der UNI in Middle-East-Channel!“, bot Frank an.
„Ja, da kann ich mitmachen!“
Jennifer erfreut: „Fein Robert, dann am Mittwoch nächste Woche, am 8. Mai an der UNI!“
Robert verabschiedete sich von den Rollers und von Beccy, die ihm zuraunte: „Mann, Finnly, du bist vielleicht ein verrückter Kerl!“
Sie lächelten einander zu, dann ging Robert hinüber zum Fähranleger. Lina Malinowski stand im Ruderhaus.
Die Fähre war besetzt mit Rollers-Fans die nach Westchapel zurückfuhren. Es wurden Spirituosen gekauft, reichlich Spirituosen! Lina gab über die Bordlautsprecher bekannt, dass der Genuss von Alkohol an Bord verboten sei. Entrüstetes Gemurmel der Fährgäste, offensichtlich wollten sie die im Westcorner-Inn angeheizte Musikdröhnung etwas nachbrennen lassen.