Читать книгу Hull Storys - Peter Empt - Страница 5
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Er betrat das in der Sonne glitzernde Direktionsgebäude der „Bellman-Cargo-Shipping“ (BCS), nahm den Fahrstuhl in das achte Obergeschoß. Lisa Bonelli, Assistentin der Direktion, lächelte, als er den Vorraum betrat. Er schaute sie entspannt an, nahm seine Kapitänsmütze vom Kopf, klemmte sie unter den linken Ellenbogen und meldete sich als Robert Finnly, Kapitän zur See.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Bonelli.
„Herr Direktor Bellmann hat mich um 15.00 Uhr zu einem Gespräch in sein Arbeitszimmer gebeten!“
Bonelli schaute demonstrativ auf eine Uhr, es war Punkt 15 Uhr. Sie zog skeptisch die Augenbrauen hoch, nahm den Telefonhörer und fragte: „Darf Mr. Finnly eintreten?“
Zu Robert gewandt sagte sie: „Bitte sehr, die Doppeltüre links!“ Dabei bewegte sie lässig ihre rechte Hand in Richtung der Doppeltüre.
Robert dachte: „Hübsches Mädchen, aber für diesen Job zu jung, zu unerfahren.“ Er öffnete ohne anzuklopfen die Türe des Direktorzimmers und trat gemessenen Schrittes ein.
Leonhard Bellmann, 72 Jahre, hinter einem gewaltigen Mahagonischreibtisch sitzend, nahm eine kapitale Zigarre aus dem Mund, legte sie in eine Aschenschale und schaute den für seine Reederei arbeitenden Kapitän an. Nach einer gedehnten Schweigepause sagte er: „Bitte nehmen Sie Platz, Kapitän!“
An der rechten Seite des Schreibtisches saß Sean Blocker, Arbeitsdirektor der BCS.
Bellman eröffnete das Gespräch: „Sie wollen uns verlassen – darf ich fragen, welche Bewegründe Sie dazu veranlassen?“
„Eigentlich nein, Mr. Bellman, aber wir arbeiten seit einigen Jahren erfolgreich zusammen und ich will Ihnen meine Gründe nicht vorenthalten. Fünfzehn Jahre Kapitän auf einem Trampfrachter sind für mich genug. Die Arbeit ist gleichförmig geworden und ich will mein Leben verändern!“
„Donnerwetter, Finnly, Sie sind unser erfolgreichster „Tramper“! Was wollen Sie: Wollen Sie eine andere Aufgabe in unserer Reederei? Sind Sie mit unserer Reederei nicht zufrieden?“
„Ich bin 45, in vielen Stunden alleine auf der Brücke ist mir klar geworden, dass ich nur ein Leben habe. Ich beende die große Seefahrt, um etwas Neues zu beginnen! Meine Heimat ist Hull und hier versuche ich ein abwechslungsreicheres Leben für mich zu gestalten!“
„Haha, hört, hört, der junge Herr macht auf Privatier? Also, ist das Ihr letztes Wort?“
„Absolut, Mr. Bellman!“
Bellman spürte, dass der Entschluss seines Kapitäns nicht umkehrbar war. Er wusste auch, dass Finnly viel Geld verdient hatte und sich diesen Ausbruch aus der jetzigen Berufssituation wahrscheinlich leisten konnte.
„Haben Sie einen Vorschlag, wie wir mit Ihrem Schiff weiter verfahren können, Mr. Finnly?“
„Ja, natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, Mr. Bellman!“
Sean Blocker meldete sich: „Meine Herren, es geht um die personelle Neubesetzung der „BCS-Beluga 3“. Als Vertreter der Belegschaft habe ich Vorschläge zu machen!“
„Sachte, sachte, Mr. Blocker. Wir wollen uns Finnlys Gedanken anhören“, warf Bellman ein.
Robert argumentierte: „George Bennon, unser Erster Offizier auf der Beluga 3, fährt bereits fünf Jahre unter meinem Kommando. Jeder in diesem Raum kennt seine Qualitäten und deshalb ist er erster Anwärter auf den Kapitänsposten!“
Blocker schaute Robert hasserfüllt an. In seinem Gefolge als Gewerkschaftsboss befanden sich Kapitäne, die von der Linie auf den Tramp wechseln wollten. Die musste er positionieren, wenn er nicht an Achtung verlieren wollte. Blocker suchte nach Totschlagargumenten: „Bennon ist zweifellos ein Top-Seemann – aber als Frachtmanager?“
Bellman schaute Robert fragend an.
„Das Frachtmanagement hat Bennon in den letzten zwei Jahren unter meiner Betreuung weitgehend selbstständig gemacht. Schauen Sie sich die Frachtraten und die Margen dieser Zeit an und Sie müssen anerkennen, dass Sie in Bennon einen Mann haben, dem kein anderer das Wasser reichen kann!“, argumentierte Robert.
Bedächtig zündete Bellman erneut seine Zigarre an. „Wir machen es so Mr. Blocker, Bennan wird Kapitän und aus Ihrer Riege rückt jemand auf einen Offiziersposten. Vielen Dank meine Herren!“
Robert erhob sich: „Eine Frage: Heute ist der 29. April, morgen will ich mit Beginn der dritten Tageswache das Kommando an Bennon übergeben, ist das o. k.?“
Bellman nickte: „O. k!“
Robert verließ das Direktorbüro. Auf der gegenüberliegenden Seite des Vorraumes schaute er durch eine riesige Glaswand nach Westen auf die Stadt Hull. Das Hafengelände, der East-Channel, St. Andrew Cathedral, der Rundbau des Story-Ville, die weiße Abbruchkante des „Hull Karstplateau“: Alles erstrahlte im von Südwesten einfallenden Sonnenlicht. Robert empfand ein heftiges Glücksgefühl: „Meine Stadt!“ An Bonelli gewandt fragte er nach der Personalabteilung. Bonelli beobachtete ihn aufmerksam. Sie wollte aus seinen Gesichtszügen lesen, wie das Gespräch im Direktionszimmer verlaufen sein mochte. Robert hatte jedoch sein Pokerface aufgesetzt: ruhiger Blick, alle Gesichtsmuskeln entspannt. Enttäuscht flötete Bonelli: „drittes Obergeschoß.“
Bei BCS wussten alle, dass Finnly geschmissen hatte. Niemand konnte das verstehen, da Finnly in allen Jahren der Top-Tramper gewesen war. Außerdem, war er mit 45 Jahren nicht zu jung, eine solche Karriere einfach zu beenden?
Im dritten Obergeschoß traf er nach einigem Herumfragen die Personalchefin Liz Looberg und bat sie, die Auflösung seines Dienstleistungsvertrages mit BCS und die Tantiemenabrechnung an die Adresse:
„Hull-Island, Westchapel, Boganson-Cottage“
zu senden.
Looberg nickte bestätigend, lächelte und wünschte ihm Glück und Gesundheit. Dankbar nahm Robert zur Kenntnis, dass die Wünsche der erfahrenen Kollegin ehrlich gemeint wirkten.
Die Beluga 3 lag an Pier 6, ca. fünfhundert Meter von der Bellman-Reederei entfernt. Robert entschloss sich, durch die Hafenanlagen zu Fuß zu seinem Schiff zurückzugehen. Gegen 16.30 Uhr traf er George Bennon in der Schiffsmesse. Er bat George in seine Kapitänsunterkunft und berichtete vom Verlauf des Gesprächs mit Bellman und Blocker. George wirkte erleichtert und bedankte sich knapp, aber herzlich, bei seinem Kapitän.
Robert ließ die anwesende Mannschaft in die Messe beordern. Er teilte die neueste Entwicklung mit, bedankte sich bei allen und kündigte an, dass morgen, am 30. April, mit Beginn der dritten Tagwache, das Kommando an den neuen Kapitän, George Bennon, übergeben werde, und er dann das Schiff verlasse.
Der Maat (Vorarbeiter der Mannschaft) bedankte sich im Namen der Mannschaft. Er fand einige kernige Worte der Anerkennung für Kapitän Finnly und stellte unter fröhlichem Gejohle der Kameraden die Frage: „Kapitän Finnly, ist eine Abschiedsparty vorgesehen?“
Robert antwortete: „Männer, feiert nicht den Abschied von mir, sondern den Neuanfang mit Käpten Bennon. Ich übertrage euch hiermit das Kommando über die Gestaltung der Feierlichkeiten des Kommandowechsels und sponsere das mit 600 Dollar!“ Anerkennendes Gegröle! Jetzt war es 18.00 Uhr. Es entstand heftige Betriebsamkeit und zwei Stunden später glänzte die Beluga 3 festlich erleuchtet und geschmückt. Die Entwicklung dieser Festlichkeit machte schnell die Runde und nahm noch nie in Hull gesehene Dimensionen an. Die Seeleute der umliegenden Schiffe strömten in Richtung Liegeplatz der Beluga 3, brachten Getränke und Speisen mit, ein riesiger Grill wurde auf der Pier angefeuert, auf dem wie aus dem Nichts zwei Lämmer bräunten. In Windeseile sprach sich das Ereignis auch in der Stadt herum und gegen 22.00 Uhr erschienen etliche Liebesdienerinnen aus der Stadt auf dem Festgelände. Bereits um 19.00 Uhr telefonierte Robert mit der Polizei in Hull und kündigte ein Spektakel an, das nicht mehr abzuwenden sei. Er bat die Verantwortlichen, das Ereignis wohlwollend zu beobachten und zu beschützen.
Gegen 23.00 Uhr brüllte der Beluga-Maat durch ein Mikro, dass jetzt die Bordband der Beluga-Musik zum Tanz spiele, da inzwischen die schönsten Frauen der Stadt anwesend seien.
Die B3 lag mit der Steuerbordseite an der Pier. Hinter dem niedrigen Schanzkleid, etwa in der Mitte des Schiffes, hatten die B3-Männer Musikverstärker aufgebaut und Instrumente platziert.
Der Maat drängte Robert, seine Bassgitarre einzustöpseln und mitzuspielen.
Darauf hin bat Robert George Bennon, das Ganze im Auge zu behalten, und nahm in der zusammengestoppelten Musikformation Platz mit seiner Bassgitarre. Mit Drums, Bass, Gitarre, Banjo, Akkordeon präsentierten die Männer das, was sie in etlichen Freiwachen auf See einstudiert hatten. Die Stimmung stieg, die Getränke gingen zur Neige. George Bennon sprach den Polizeisergeant an und bat um Hilfe. Die Polizei solle bitte Getränke in der Stadt holen und cash bezahlen. Er drückte dem Sergeant 200 Dollar und eine Bestellliste in die Hand.
Der Sergeant wusste nicht, wie ihm geschah: „Wieso wir, die Polizei?“
Bennon argumentierte: „Meine Leute haben keine Fahrzeuge und dürften auch nicht mehr fahren. Ihr wisst, wo man Getränke kaufen kann. Euch überlassen die Händler gegen Cash auch um diese Zeit noch Getränke, weil ihr es als,notwendig‘ erklärt!“ Der Sergeant nickte, ergriff Dollars und Warenzettel, gab Befehle und fünfunddreißig Minuten später war der Nachschub unter riesigem Beifall an der B3.
Robert fand die Idee genial, bei seinen Hobbymusikern mitzuspielen, er wurde nicht weiter zum Alkoholgenuss genötigt und es bestand für ihn die Aussicht, seinen ersten Tag in „Freiheit“ mit einem klaren Kopf zu beginnen. Gegen 4.00 Uhr kroch er weitgehend nüchtern in seine Koje.