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Im Krebsgang zur ersten Bandgründung

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Während seiner Zeit auf dem Kingston Art College verbrachte Clapton nach eigener Aussage mehr Zeit in irgendwelchen Kneipen als in Seminarräumen. In dem Studententreff The Crown in Kingston nutzte er an Samstagnachmittagen die Open-Mic-Sessions, um mit anderen Blues-Begeisterten aus der Gegend zu jammen und seine Live-Präsenz auf der Bühne zu schärfen. Mit seiner Green-Line-Buskarte unternahm er regelmäßig Ausflüge nach Twickenham und Richmond, erforschte die dortige Kneipenkultur und wurde Stammgast in diversen Kaffeehäusern. Und abends ging es nach Eel Pie Island, einer kleinen Insel im Privatbesitz mitten in der Themse vor Twickenham. Dank der Pionierarbeit von Alexis Korner und Cyril Davies – während der eine zur Gitarre raue Folk-Blues-Songs intonierte, unterstützte ihn der andere mit seiner Mundharmonika – avancierte der verräucherte Keller im Eel Pie Hotel bald zum Mekka aller Blues-Enthusiasten und Skiffle-Jünger.

Bis Februar 1957, als endlich eine Fußgängerbrücke auf das von verwunschenen Gärten überwucherte Inselchen gebaut wurde, musste man noch per Fähre übersetzen. Der konspirative Charakter dieses bekanntermaßen freizügigen Ortes zeigte sich nicht zuletzt darin, dass handgefertigte Pässe ausgegeben wurden, um »Eelpieland« betreten zu dürfen. Clapton genoss hier das Zusammensein mit Gleichgesinnten, wie er in JC Wheatleys Eel-Pie-Island-Hommage The British Beat Explosion von 2013 betont:

Ich werde niemals das Gefühl vergessen, wenn du den halben Weg über die Brücke zurückgelegt hattest und plötzlich merktest, dass du im Mittelpunkt einer immer weiter anwachsenden Menge von Menschen standest, die alle irgendwie gleich aussahen. Es herrschte ein unglaubliches Gefühl der Zusammengehörigkeit.


Verschworene Community auf »Eelpieland«

In dieser lockeren Atmosphäre jugendlichen Überschwangs entdeckte Eric auch erstmals die Verlockungen des Alkohols. Er hoffte nicht zuletzt, seine Schüchternheit Mädchen gegenüber durch übermäßiges Trinken überwinden zu können. Zudem saß er dem Trugschluss auf, dass Trunkenheit ihn in irgendeiner Form attraktiver erscheinen ließ. Hochprozentige »Rum and Black«-Cocktails und Gin-Tonic wurden neben »Purple Hearts«, das heißt herzförmigen Amphetamintabletten, zu seinen bevorzugten Stimmungsaufhellern.

Am liebsten aber stöberte Eric in Londoner Plattenläden wie Ray’s oder Dobell’s auf der Suche nach seltenen Blues-Importplatten herum. Er schien vollkommen in der Musik aufzugehen und an anderen Verlockungen des Bohemian-Lebens kaum interessiert zu sein. Nach Aussage seines Kommilitonen Guy Pullen war Eric damals »nicht gerade ein Romeo«. In den Kneipen von Kingston beteiligte er sich zwar an den immerwährenden Gesprächen über Mädchen und Sex, beschränkte sich dabei aber mangels praktischer Erfahrungen meist auf theoretische Bemerkungen. Das Yardbirds-Mitglied Chris Dreja ist davon überzeugt, »dass Eric als Teenager überhaupt kein Sexualleben hatte. Das aggressive Macho-Gehabe, von dem er glaubte, dass es zum Blues gehöre, wirkte ja nicht gerade anziehend auf Frauen. Er wollte eben unbedingt anders sein.«

Lange währte sein Studentenleben nicht. In seinem Probejahr hatte Clapton kaum am Unterricht teilgenommen, und so verwunderte es niemanden, dass er nach mehreren Vorwarnungen am Ende nicht genug Material für seine Kunstmappe produziert hatte. Am Schluss des Probejahres wurde er daher aufgefordert, das Kingston Art College zu verlassen. Jahre später sollte er dennoch ohne Zorn zurückblicken: »Auf der Art School habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass etwas in mir sein musste, das respektiert wurde, wenn auch nur für Momente.« Nach seiner Relegation bot Großvater Jack ihm zähneknirschend an, ihn bei einigen seiner Bauprojekte zu beschäftigen. Eric arbeitete zunächst als Maurer und Fliesenleger, und schon bald versuchte er, dem Perfektionsdrang seines Großvaters nachzueifern: »Als Fliesenleger war er ein wahrer Künstler, der ein ganzes Zimmer in knapp zwei Stunden kacheln konnte. Bei ihm habe ich mir abgeschaut, dass bei der Arbeit die kleinen Dinge ganz wichtig sind.« Wenn es auf dem Bau gerade nichts zu tun gab, hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und arbeitete in der Weihnachtszeit als Aushilfsbriefträger.

Im Januar 1963 wendete sich das Blatt. Der Blues-Fan Tom McGuiness lud Eric in den Prince of Wales Pub in New Malden zu einem Vorspiel ein. Vermittelt hatte den Kontakt McGuiness’ Freundin Jennifer Dolan, die Clapton von der Art School kannte. Tom, 21 Jahre alt und Jesuitenschüler, schätzte zwar die Blues Incorporated von Alexis Korner, kam aber von der Rock-’n’-Roll-Seite des Rhythm ’n’ Blues und bevorzugte daher den kantigeren Sound der Rolling Stones. Nachdem McGuiness schon mit ein paar Freunden in South London erfolglos Nummern von Cliff Richard And The Shadows gecovert hatte, beschloss er 1962, eine eigene Rhythm-’n’-Blues-Band zu gründen. Inserate im Melody Maker, mit denen er Gleichgesinnte ansprechen wollte, halfen zunächst nicht weiter. Nach der Audition war klar, dass Clapton, gerade 18 geworden, die Leadgitarre und McGuiness die Rhythmusgitarre übernehmen würde. Einen Bassisten hatte die Band jedoch noch nicht. Das Line-up bestand aus dem Sänger Terry Brennan (laut McGuiness brachte er »eine gute Little-Richard-Imitation zustande«), Eric Clapton, dem Drummer und Autobesitzer Robin Mason, Tom McGuinness an der zweiten Gitarre und Ben Palmer am Piano. Ihr Name The Roosters war vermutlich durch Songs wie Howlin’ Wolfs »Little Red Rooster« oder Lightnin’ Slims »Rooster Blues« inspiriert. Zudem galt der »Little Red Rooster« (»Der kleine rote Hahn«) im Blues-Idiom als Umschreibung für den Penis. Von einem potenten Sound konnte bei den Roosters aber nicht die Rede sein, denn ihr kleiner 20-Watt-Verstärker musste für zwei Gitarren und ein Gesangsmikrofon ausreichen.

Während McGuiness stolzer Besitzer einer in England produzierten Futurama-Gitarre mit protzigen, großen Tasten zur Pickup-Umschaltung war (auch George Harrison und Jimmy Page nutzten Futurama), spielte Clapton in jenen Tagen eine Kay Jazz II. Im Herbst 1962 hatte er sich die Gitarre bei Bell’s Music in Surbiton ausgesucht. Seiner noch immer spendablen Großmutter Rose blieb nichts anderes übrig, als sie auf Ratenbasis für ihren inzwischen Blues-besessenen Enkel zu erwerben, wollte sie doch seinen Enthusiasmus – nach dem Rausschmiss auf der Art School – auf keinen Fall dämpfen. Es handelte sich um eine halbakustische E-Gitarre mit Double Cutaway, um die oberen Bünde leichter erreichen zu können, und einem Bigsby-Vibrato. Allerdings war sie nur die billigere Kopie der damals leider unerschwinglichen Gibson ES-335, die mehr als 100 Pfund kostete. Die Kay war für ein Zehntel davon zu haben. Schon nach vier Wochen verzog sich der Hals der Gitarre ein wenig, da sie keinen verstellbaren Stahlstab besaß, das heißt ihre Saitenlage war alles andere als optimal. Doch Eric musste mit diesen Widrigkeiten klarkommen, hatte er doch keine Alternative. Zudem fehlte ihm ein Verstärker, so dass er die elektrische Kay zunächst nur akustisch spielen konnte. Weil er auf diesem unvollkommenen Instrument auch seine ersten Versuche startete, Robert-Johnson-Songs nachzuspielen, nimmt sie in Claptons Gitarrenhistorie einen besonderen Platz ein.

Unmittelbar nach dem Erwerb seiner »Traumgitarre«, nach der er sich so lange gesehnt hatte, deutete sich bei Eric ein psychologisches Phänomen an, »das in meinem Leben immer wieder auftauchen und mir viele Probleme bereiten sollte«: Wenn er das Objekt seiner Begierde erst einmal besaß, wollte er im nächsten Moment schon nichts mehr davon wissen und verlor schnell sein Interesse daran. Diese gestörte Objektbeziehung dokumentiert sich nach Claptons eigener Aussage nicht zuletzt in einer fast manischen Sammelleidenschaft, die von Gitarren, über Uhren und Ferraris bis hin zu seinen zahlreichen Liebschaften reichte. Man darf vermuten, dass diese Form »narzisstischer Abwehr« ihren Ursprung in Erics frühkindlicher Kränkung hat.

Ihr Debüt gaben The Roosters als Pausenfüller im Oxford University Jazz Club und setzten ihre erste Gage in Höhe von fünf Pfund gleich in Getränke um. Ein Gig führte sie bis in das Seebad Brighton, wo sie in Uncle Bonnie’s Chinese Jazz Club auftraten. Eine Gruppe betrunkener französischer Studenten forderte dort mit lautstarken Zwischenrufen immer wieder, die Band solle endlich »Hot Jazz« spielen. Schließlich wurde es dem Sänger Terry Brennan zu bunt: Er sprang mitten in die randalierende Gruppe hinein, was zu einer wüsten Schlägerei führte. Der Auftritt war damit zu Ende. Dabei hatte sich Eric gerade erst die beiden Blues-Originals »I Love The Woman« und »Hideaway« seines neuen Heroes Freddie King eingeübt, des jüngsten Mitglieds der Three Kings of Electric Blues neben B. B. und Albert. Als er zum ersten Mal King hörte, fühlte sich das für Clapton »wie die Begegnung mit einem Außerirdischen« an. Vor allem war er von der Aggressivität, Schärfe und der Kraft in den sparsamen King-Soli beeindruckt.

Unterm Strich probten die Roosters häufiger als sie auftraten. Eric genoss sichtlich die wenigen Gelegenheiten, mit einer Band vor engagiertem Publikum zu spielen. Sein Freund, der Pianist Ben Palmer, war da ganz anderer Ansicht und gestand schließlich seinen Kumpels, wie wenig Spaß ihm die Live-Konzerte eigentlich machten. Er verließ die Band, und auch Erics Gastspiel währte nur sechs Monate: Im August löste sich das Quintett schon wieder auf. Palmer zeigte sich dennoch von Claptons gitarristischen Fähigkeiten tief beeindruckt:

Ich merkte sofort, dass sich Eric in seinen Soli nicht darum kümmerte, wie lange sie dauerten. Er spielte einfach immer weiter, bis man ihn irgendwann stoppen musste. Er besaß ein für sein Alter ganz erstaunliches Gefühl für Dynamik.

Einen Monat nach Auflösung der Roosters hörte McGuiness zufällig in einer Kneipe, dass jemand aus Liverpool, Casey Jones, eine Begleit-Band suche. Jones, der mit bürgerlichem Namen Brian Casser hieß, galt als eine führende Stimme des Merseybeat-Booms der frühen Sechziger und hatte sogar einen Plattenvertrag bei Columbia Records ergattert. Um die Debütsingle »One Way Ticket« / »I’m Gonna Love« von Casey Jones & The Engineers (der Name spielt auf die beliebte Geschichte des amerikanischen Lokführers Casey Jones an) live zu promoten, brauchte er Mitmusiker: Von seinen Engineers waren nur der Drummer Ray Stock und der Bassist Dave McCumiskey übrig geblieben. Als Stock dann eines Abends zufällig Clapton in Soho begegnete und die Bemerkung fallen ließ, Casey Jones suche händeringend zwei Gitarristen, um endlich auf Tour gehen zu können, bekundete Eric sofort sein Interesse – allerdings unter der Bedingung, dass er seinen Ex-Roosters-Kumpel McGuiness mitbringen könnte. Nach einer kurzen Probe wurden beide von Jones engagiert. Doch schnell entpuppte sich das ganze Projekt als großes Missverständnis: Jones war ein Show-Typ, der auf der Bühne gern den Clown gab. Außerdem drehte er seine schrille Stimme immer bis zum Anschlag auf und war nicht gerade intonationssicher. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich ein Konzert in der Kings Hall in Manchester, wo Jones von der Band verlangte, sich mit Papp-Kappen der amerikanischen Südstaaten-Armee zu verkleiden. In einem Albtraum sah sich Eric schon als Kabarett-Nummer verheizt und wandte sich nach nur sieben Monaten von der Band ab. Frustriert kehrte er nach Ripley zurück.

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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