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I. Motherless Child – Blues der Kindheit

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Claptons Psychodrama nahm schon viel früher seinen Lauf: Als er seiner Mutter Pat zum ersten Mal bewusst begegnete, war er neun Jahre alt. Sie traf eines Tages im Jahr 1954 für Eric völlig überraschend mit einem Ozeandampfer in Southampton ein und führte ihre beiden Kinder mit sich, den sechsjährigen Brian und die einjährige Cheryl. Ein Foto von ihr auf der Gangway zeigt eine hübsche, wenn auch etwas streng wirkende Frau, die ihr rötlich braunes Haar der Mode entsprechend hochgesteckt trug. Auf Eric, der mit seiner Großmutter Rose am Pier stand, muss sie glamourös wie ein Hollywoodstar aus einer anderen Welt gewirkt haben. Rose und ihr Mann Jack hatten Eric erzählt, seine Schwester käme zu Besuch. Die letzten sieben Jahre hatte Pat nämlich in Kanada verbracht, wo sie mit ihrem Ehemann, dem Soldaten Frank McDonald, eine Familie gegründet und ihr erstes Kind Eric anscheinend aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt verbannt hatte.


Die vielleicht wichtigste Frau in seinem Leben: Clapton mit seiner Großmutter Rose Clapp in ihrem Haus in Surrey

Obwohl Clapton sich wegen seiner unehelichen Geburt lebenslang als Außenseiter fühlte, war er mit diesem ›Makel‹ keineswegs allein. Man nimmt an, dass rund 300 000 Kinder von unverheirateten britischen Frauen nach Ende des Krieges zur Welt gebracht wurden, während ihre Väter, amerikanische und kanadische GIs, in ihre Heimat zurückkehrten. Die meisten von ihnen hatten zuvor ein erstes militärisches Training in Aldershot durchlaufen, damals der größte Standort der britischen Armee. Um der Enge und Langeweile in ihrem Ausbildungscamp zu entgehen, besuchten die GIs aus Übersee gern Tanzveranstaltungen in der Umgebung und trafen sich dort mit Einheimischen. Sexuelle Liaisons zwischen GIs und englischen Mädchen waren an der Tagesordnung.

Patricia Molly Clapton, die älteste Tochter von Rose, war erst 15 Jahre alt, als sie unmittelbar vor dem sogenannten D-Day am 6. Juni 1944, der Invasion der Alliierten in der Normandie, eine kurze Affäre mit dem acht Jahre älteren Edward Walter Fryer hatte. Der in Montreal geborene Soldat war 1942 nach England gekommen und in Surrey, in der Gegend von Guildford – nicht weit von Aldershot entfernt – stationiert worden. In den Pubs der Umgebung verdiente sich Fryer an den Wochenenden etwas Taschengeld dazu – wie er es regelmäßig tat, seit er im Alter von 14 Jahren von zu Hause weggelaufen war –, indem er am Klavier amerikanischen Boogie-Woogie zum Besten gab. Fryer war ein erklärter Jazz-Enthusiast und fühlte sich besonders dem Swing der Big-Band-Ära verpflichtet. Bei einer dieser Tanzveranstaltungen lernte er eines Abends die bezaubernde Pat kennen und lieben, die von der Charme-Offensive des gutaussehenden, singenden Soldaten völlig überrumpelt wurde. Nach einem One-Night-Stand war sie mit Eric schwanger. Fryer weigerte sich jedoch, jegliche Verantwortung zu übernehmen. Im prüden England galt damals ein solcher Unfall als Skandal, der Mutter und Kind nachhaltig stigmatisierte. Kein Wunder, dass man in der Öffentlichkeit Pats Schwangerschaft – so gut es ging – zu verheimlichen suchte, und ihr Sohn am 30. März 1945 im oberen Schlafzimmer des winzigen Hauses von Rose und Jack zur Welt kam. Eric Patrick erhielt den Nachnamen seiner Mutter: Clapton, während seine Großmutter und ihr Mann den Namen Clapp trugen.

Rose war in erster Ehe mit dem Anwaltsgehilfen Reginald ›Rex‹ Clapton verheiratet, dem Sohn eines in Oxford erzogenen Armeeoffiziers, dessen betuchte Eltern sich zunächst vehement gegen die Liaison ihres Sohnes mit einem Mädchen aus der Arbeiterklasse gewehrt hatten –, auch wenn sie aus einer der ältesten Familien Ripleys, den Mitchells, stammte. Doch die beiden hatten sich durch keine Intrige auseinanderbringen lassen. Nach ihrem Erstgeborenen Adrian, brachte Rose am 7. Januar 1929 in London ihre Tochter Patricia zur Welt. Als Rex Clapton drei Jahre später an Tuberkulose verstarb, zog Rose mit ihren beiden Kindern von Woking in das fünf Meilen entfernte Dörfchen Ripley. Heute ein beliebter Pendler-Ort, galt Ripley Mitte der 1940er Jahre als verarmte Gemeinde, in der hauptsächlich schlecht bezahlte Landarbeiter wohnten, deren Lebensstil sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert hatte. Hier lernte Rose ihren zweiten Mann, den großgewachsenen, schwarzhaarigen Jack Clapp kennen, einen geschickten Handwerker, den sie 1942 heiratete. Ein roter Backsteinbau mit vier Zimmern und Toilette im Garten, der an offenes Weideland, die sogenannten »Fuzzies«, grenzte, musste den bescheidenen Ansprüchen der vierköpfigen Familie genügen: Es gab in dem kleinen Mietshaus weder Elektrizität noch ein Badezimmer. Da Roses Sohn Adrian das zweite Schlafzimmer für sich beanspruchte, musste Eric in seinen ersten Lebensjahren entweder im ebenerdigen Wohnzimmer oder im Schlafzimmer seiner Großeltern in einem Campingbett nächtigen.

Man darf davon ausgehen, dass Pat ihren kleinen Jungen vom ersten Moment an ablehnte, markierte er doch nicht nur das Ende ihrer Jugend. »Mir war schon bei seiner Geburt klar, dass ich keine Chance haben würde, ihn großzuziehen. Darüber werde ich nie hinwegkommen, denn ich habe mich schuldig gemacht«, gestand sie später. Schon während Pat mit Eric schwanger war, wurde sie mehrfach auf der Straße angespuckt und beschimpft. Schmierereien an der Hauswand der Clapps stellten ihre moralische Integrität in Frage. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass während des desolaten Kriegswinters 1944/45 in der Familie Clapp auch das Stimmungsbarometer auf den Gefrierpunkt fiel: Wie sollte man in den beengten Verhältnissen, bei ständiger Lebensmittelrationierung und zunehmender Geldknappheit ein weiteres Kind aufziehen?

Schon früh hatte man sich auf eine Scharade verständigt; der Plan war einfach und tausendfach erprobt: Pat, gerade erst von der örtlichen höheren Schule abgegangen, sollte fortan als die ältere Schwester ihres Sohnes auftreten, während seine Großeltern sich als seine leiblichen Eltern ausgeben wollten: Eric, der Junge von Rose und Jack. Obwohl sie ihn nie offiziell adoptiert hatten, behielten seine Großeltern bis zu seiner Volljährigkeit de facto die Vormundschaft. So konnte auch die Abwesenheit seines leiblichen Vaters verschwiegen werden, der (wie Philip Norman erst jüngst durch Recherchen im Armee-Register nachwies) keineswegs als Kampfpilot nach England gekommen und auch nicht verheiratet war. Vielmehr gehörte er zur Infanterie und wurde 1946 wegen »unerlaubten Entfernens von der Truppe« unehrenhaft aus der Armee entlassen, kurz bevor seine Einheit ohnehin in die kanadische Heimat zurückkehrte.

Nach dem Sieg der Alliierten fand England nur langsam den Weg zurück in die Normalität. Ein Schulfreund Eric Claptons resümierte später die ernüchternden Erfahrungen der Nachkriegsgeneration:

Obwohl Eric und ich nur sechs Wochen eigentliche Kriegszeit miterlebt haben, wirkten die Folgen noch zehn Jahre lang nach. In Großbritannien war diese Zeit ganz besonders schlimm: Einsparungen, Kürzungen, Stromausfälle, Streiks. Die ganze Zeit über schien es zu regnen. Kein Wunder, dass wir in den 60er Jahren alle verrücktspielten.


Sieg und Sorgen: Auch nach dem Krieg gab es noch Lebensmittelmangel in Großbritannien.

Noch bis Ende der 1950er Jahre gab es in England Lebensmittelrationierungen für Zucker, Eier, Fleisch, Tee, Käse und Brot. Laut Keith Richards erklärte sich allein durch die langanhaltende Zuckerrationierung, »warum viele von uns so dünn sind«. Die meisten jugendlichen Briten erlebten ihr Heimatland damals als grau und langweilig. Die Düsterkeit in Kombination mit dem sprichwörtlich schlechten Wetter gerann zu einem Stereotyp. Jack Bruce erinnert sich mit Grausen an seine Jugend in Glasgow: »Es gab damals keine Farben in Großbritannien. Alles wirkte grau und verwaschen, um vier Uhr wurde es dunkel.«

Obwohl der stolze Inselstaat Hitler besiegt und die Demokratie verteidigt hatte, galt das Land nach dem Zweiten Weltkrieg als »der kranke Mann Europas«: ein kleines Land mit zerstörten Fabriken, kulturell ausgezehrt, in geistiger Enge gefangen, finanziell impotent und irgendwie zweitklassig. England hatte seinen Platz in der Welt noch nicht wiedergefunden. Zusätzlich nahm jener Entkolonisierungsprozess ab 1947 seinen Anfang, der das britische Empire massiv schrumpfen ließ. Erst diese ökonomische und kulturelle Kraftlosigkeit des Landes führte dazu, dass britische Jugendliche in den Folgejahren auf eine geradezu verzweifelte Suche nach Abenteuer und Exzessen gingen. Nach Ansicht des amerikanischen Folkmusik-Sammlers Alan Lomax war dieser globale Machtverlust Großbritanniens in Verbindung mit dem englischen »Klassen- und Kasten-System«, langweiligen Jobs und fehlendem Geld, im Kern dafür verantwortlich, dass britische Jugendliche sich mit verrufenem Rock ’n’ Roll, oder noch extremer: mit verpönten »Negro-Prison-Songs« so rückhaltlos identifizierten. Weil England sich im europäischen Vergleich als leistungsschwacher Nachzügler entpuppte, konnte Pete Townshend später von einem »besonderen Nachkriegsgefühl des Versagens« als seiner ureigensten Antriebsfeder sprechen.

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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