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The Yardbirds – Vom Hobby zum Beruf

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Richtig in Schwung kam die Band, als im September 1963 der umtriebige Impresario Giorgio Gomelsky auf sie aufmerksam wurde. Der 29-jährige Georgier mit Schweizer Pass war eigentlich als Experimentalfilmer nach London gekommen. Doch seine Leidenschaft für Blues und Jazz hatte ihn schließlich dazu verleitet, ganz in der Nähe der Kingston High School den Crawdaddy Club zu eröffnen. Benannt hatte Gomelsky ihn nach dem Bo-Diddley-Song »Doing The Craw-Daddy«, den die frühen Rolling Stones in ihr Repertoire aufgenommen hatten. Die Stones waren seine erste Hausband in dem angesagten Blues-Treffpunkt. Doch als ihm diese Entdeckung durch eine Intrige des noch unerfahrenen, aber nicht minder skrupellosen Jung-Managers Andrew Loog Oldham durch die Lappen ging – als Gomelsky zur Beerdigung seines Vaters in die Schweiz gereist war, zog Oldham die Stones mit neuem, attraktiveren Vertrag auf seine Seite –, musste Gomelsky sich unverzüglich auf die Suche nach Ersatz machen. Er fand ihn im erweiterten Metropolitan Blues Quintet von Relf & Co.


Wanderarbeiter (Hobos) während der Great Depression auf dem Weg nach Kalifornien

Öffentlichkeitswirksam ersetzte man zunächst den biederen Bandnamen durch den exotischeren Ausdruck The Yardbirds. Der Schriftsteller Jack Kerouac aus der Beat-Generation hatte den Ausdruck für jene Hobos geprägt, die in den USA ihre kostenlosen Mitfahrgelegenheiten auf Güterzügen häufig von ›rail yards‹ aus organisierten. Daneben steht das Wort auch für jene »Knastbrüder«, die am liebsten auf dem Gefängnishof herumhängen. Gute Gründe also für eine von Sehnsucht nach Ursprünglichkeit getriebene britische Band, sich umzutaufen. Doch je mehr sich die anfängliche Hobby-Truppe professionalisierte, umso schwieriger wurde es für ihr erst 15 Jahre altes Gründungsmitglied ›Top‹ Topham. Seine Eltern machten ihm gewaltig Druck, die Band zu verlassen. Als Sohn des renommierten Malers John Topham solle er sich lieber auf seine Ausbildung am Epsom Art College konzentrieren, anstatt sich mit Möchtegern-Blues-Musikern die Nächte um die Ohren zu schlagen.

Als die Band von Tophams Problemen Wind bekam und Relf auf einer Party Eric Clapton über den Weg lief, änderten sich die Dinge schlagartig. Obwohl Clapton nach seinen ernüchternden Erfahrungen mit Casey Jones zunächst zögerte, sich wieder einer Gruppe anzuschließen, nahm er schließlich Relfs Einladung an, bei den Yardbirds einzusteigen. Da er mit seinen 18 Jahren noch nicht volljährig war, benötigte Gomelsky die Unterschrift seiner Großeltern, um den »Anstellungsvertrag« ausfertigen zu können. Der Manager hatte aus der Pleite bei der Stones-Verpflichtung gelernt und wollte seine Neuentdeckung mit einer wasserdichten Abmachung an sich binden. Die sollte Eric ein wöchentliches Einkommen von 20 Pfund garantieren. Im Oktober 1963 gab Rose ihrem Enkel schriftlich ihren Segen und machte ihn damit zum »professionellen Musiker«. Weniger begeistert war ›Top‹ Topham, der sich nach der Rückkehr aus dem Urlaub mit seinen Eltern plötzlich von seiner Herzens-Band vor die Tür gesetzt sah. Hatte sein Vater sich nicht erst kürzlich in Unkosten gestürzt, um die Gruppe seines Sohnes mit einem Gibson-Röhrenverstärker für fast 100 Britische Pfund – damals ein kleines Vermögen – auszurüsten? Der war mittlerweile schon in Claptons Hände übergegangen und erst mit Hilfe eines Rechtsanwalts gelang es den Tophams schließlich, das wertvolle Stück zurückzubekommen.

Eric kannte die Yardbirds bereits seit drei Monaten, hatte bisher aber an den instrumentalen Fähigkeiten der Band gezweifelt. Doch bei aller Skepsis witterte Clapton in den Bandmitgliedern Seelenverwandte in Sachen Blues. Zumal Gomelsky ihm kurz nach seinem Einstieg bei den Yardbirds eine 1963er Fender-Telecaster in Dakota Red besorgte. Endlich hielt Eric damit ein hochwertiges Instrument in Händen

Dann überschlugen sich die Dinge: Am 18. und 20. Oktober 1963 ging in der Fairfield Hall in Croyden, Süd-London, das zweite, von den deutschen Promotern Lippmann & Rau veranstaltete American Folk Blues Festival über die Bühne, das Fans in Deutschland und England mit originalen Vertretern des Genres aus den USA vertraut machte. Entscheidender aber sollte der 19. Oktober werden: An diesem Samstag eröffnete Gomelsky seinen zweiten Crawdaddy Club im Star Hotel, Broad Green, ein paar Meilen außerhalb von Fairfield. Und dies war Claptons erstes Konzert als vollwertiges Bandmitglied (entgegen der vielfach vertretenen Meinung, er sei einen Tag später im Studio 51 in London erstmals als Yardbird aufgetreten).


Plattencover American Folk Blues Festival, 1963

Als einer der Stars des American Folk Blues Festivals war der Sänger und Mundharmonika-Virtuose Sonny Boy Williamson II. nach England gekommen. Gomelsky überredete ihn, noch ein paar Wochen länger zu bleiben, um eine Club-Tour zu absolvieren. Als Backing-Band vermittelte er ihm die Yardbirds. Für Clapton, in jenen Tagen als beinharter Blues-Purist gefürchtet, stellte Williamson eine wandelnde Provokation dar: Er verkörperte das glatte Gegenteil seiner Fantasiefigur eines introvertierten, depressiven Blues-Sängers. In seinem schicken schwarzen Nadelstreifenanzug, einem Bowler-Hut und mit Glacéhandschuhen irritierte er die meisten britischen Fans. Dazu kam noch eine Leder-Aktentasche, in der er seine Mundharmonikas aufbewahrte. Befremdlich wirkten auch seine Ansagen mit übertriebenem britischem Akzent.

Der 66-jährige Williamson hieß in Wirklichkeit Aleck ›Rice‹ Miller, war auf einer Plantage im Mississippi Delta geboren und hatte sich seinen Künstlernamen von John Lee ›Sonny Boy‹ Williamson entlehnt, einem in Tennessee geborenen Sänger und legendären Harmonika-Spieler, der bei einem Raubüberfall in Chicago ums Leben gekommen war. Trotzdem kannte Miller keine Skrupel, sich als »The One And Only Sonny Boy Williamson« zu vermarkten. Als Clapton mit seinem enzyklopädischen Blues-Wissen – sein Freund Ben Palmer bezeichnete ihn als »eine Art wandelndes Musiklexikon« – bei Williamson punkten wollte und ihn gleich bei ihrer ersten Begegnung mit Unschuldsmine fragte, ob sein richtiger Name nicht ›Rice‹ Miller sei, reagierte der, indem er ein kleines Messer zog und dem jungen Blues-Adepten mit hinterhältigem Lächeln die Klinge unter die Nase hielt.


Blues-Professor mit Studenten: Sonny Boy Williamson II.

Die Spannungen sollten sich auf der gemeinsamen England-Tour fortsetzen. Nach einem ersten Solo-Set der Band mit Coverversionen von Blues-Klassikern kam Williamson im zweiten Teil dazu, Eigenkompositionen wie »Bye Bye Bird« oder »Mister Downchild« zu präsentieren. Clapton erinnert sich mit gemischten Gefühlen:

Wir hatten uns alle seine Stücke draufgeschafft, aber auf der Bühne spielte er sie dann jedes Mal anders und änderte die Tonart. Obwohl wir ihn alle ein bisschen anhimmelten, wussten wir nie, was er als Nächstes machen würde.

Diese Unsicherheit ist auch dem Album The Yardbirds & Sonny Boy Williamson anzumerken, das die Band auf Initiative von Gomelsky am 8. und 9. Dezember 1963 im Crawdaddy aufnahm – in einem ungeheizten Saal, während draußen ein Schneesturm tobte. Gomelsky erinnert sich:

Die ersten Stücke mit Williamson klappten noch ganz gut, vor allem weil Clapton in »23 Hours Too Long« eins seiner prototypischen Soli hinlegte. Doch dann begann Williamson die nächste Nummer allein, und ich sah, wie die Jungs fast in Panik verfielen. Etwas Seltsames ging da vor sich, weil Williamson die Reihenfolge der Stücke oder die Stücke selbst veränderte. Es war schade, aber von dem Moment an geriet der ganze Auftritt ins Stolpern.

Angeblich soll Williamson während dieser Pleite an heftigen Zahnschmerzen gelitten haben, die ihn vor der Show zu einigen kräftigen Schlucken von seiner Lieblingsmedizin, Johnny-Walker-Red-Label-Whisky, verführt hätten. Weil er zunehmend betrunken wurde, habe er die Band eher ›unabsichtlich‹ vorgeführt. Für die noch unerfahrenen weißen Blues-Jünger verkörperte der Harmonika-Könner dennoch so etwas wie die Blues University, auch wenn der Professor zu seinen Studenten nicht immer freundlich war. Williamsons Verhältnis zu den Yardbirds blieb ambivalent: Auf der einen Seite machte er aus seinem Erstaunen keinen Hehl – »In den Staaten gibt’s keine weißen Jungs, die Blues spielen.« –, auf der anderen Seite ließ er die jungen Briten bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren, wie wenig er von ihren Fähigkeiten beeindruckt war. Er war nun einmal konservativ, brauchte feste Strukturen und eine Band, die ihn blind begleitete und keine Möchtegern-Improvisatoren. Die Yardbirds hatten nämlich inzwischen mit ihren Rave Ups eine Spezialität entwickelt, die sie von allen anderen Blues-Bands jener Tage unterschied: In der Mitte eines Songs reduzierte die Band zunächst Tempo und Lautstärke, um sie dann langsam zu einer orgiastischen Klimax zu steigern.

Die heftigen Rave Ups führten dazu, dass Clapton immer häufiger eine oder zwei der dünnen Saiten, die er am liebsten aufzog, während der Improvisationen rissen. Eine weitere Anfälligkeit ergab sich aus den für den Blues charakteristischen Bendings, die eben auch mit dünnen Saiten am besten funktionieren, weil die sich mit geringem Kraftaufwand um bis zu zwei Ganztönen hochziehen lassen. Die anderen Bandmitglieder mussten dann warten, bis Eric mit größter Sorgfalt eine neue Saite aufgezogen hatte. Diese Unterbrechungen wurden vom Publikum bald mit ungeduldigem, langsamen Klatschen quittiert. Gomelsky nannte ihn daraufhin scherzhaft ›Slow-handclapton‹. Und damit hatte Eric seinen lebenslangen Spitznamen weg, der alsbald zu seinem Markenzeichen werden sollte. Nachdem die beiden letzten Silben verschwunden waren, charakterisierte der Kosename ›Slowhand‹ später jedoch vor allem jene spezifische Lässigkeit und entspannte Spielhaltung, die aus vielen Clapton-Licks herauszuhören ist. Denn Eric war nie ein Schnellspieler nach dem Motto: möglichst viele Noten in möglichst kurzer Zeit. Seine bisweilen fast bedächtig wirkenden Blues-Improvisationen kosten dagegen das Gewicht einzelner Noten bewusst aus.

Obwohl sich die Dinge für ihn optimal zu entwickeln schienen – die Yardbirds waren in der Londoner Club-Szene ständig ausgebucht –, verdunkelten bald düstere Wolken seinen Horizont. Schuld daran war seine Mutter Pat, die sich plötzlich aus Deutschland zurückmeldete, wo ihr Mann Frank jetzt auf einem Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Bremerhaven stationiert war. Als der Clapp/Clapton-Clan schließlich Rose, Jack und Eric über Weihnachten nach Deutschland einlud, sahen Erics Großeltern bereits die Chance für eine versöhnliche Familienzusammenführung.

Clapton blieb jedoch skeptisch. Und er sollte Recht behalten, denn der Trip erwies sich als Reinfall. Zuerst wurde ihm von seinem Stiefvater wegen zu langer Haare untersagt, am gemeinsamen Abendessen in der Offiziersmesse teilzunehmen. Von seiner Mutter bekam er in dieser Frage ebenso wenig Unterstützung wie von seinen Halbgeschwistern oder seinen Großeltern: Er solle keine Szene machen. Ein radikal kurzer Bürstenschnitt, wie man ihn jungen Rekruten verpasste, war die Folge. Ihren Tiefpunkt aber erreichte die gezwungene Zusammenkunft, als sich Erics Halbbruder Brian unabsichtlich auf die geliebte Washburn-Akustikgitarre setzte, die Eric mitgebracht hatte und deren Hals nun brach: »Damals habe ich meine Mutter mit ihrer ganzen Familie zur Hölle gewünscht. Ich kapselte mich vollkommen ein und beschloss, in Zukunft niemandem mehr zu vertrauen«, so zitiert Philip Norman Clapton in seiner Slowhand-Biografie.


Rockstar oder schüchterner Klosterschüler? Die Yardbirds 1964 (v. l.) mit Paul Samwell-Smith, Chris Dreja, Keith Relf und Eric Clapton

Mit beschämendem Kurzhaarschnitt kehrte Eric am 4. Januar 1964 zu den Yardbirds zurück, wo ihn zwischenzeitlich der befreundete Roger Pearce auf seiner alten Kay-Gitarre vertreten hatte. Gomelsky blieb nicht untätig, um seine Jungs zusammenzuschweißen und mietete für die Yardbirds ab Februar eine WG-Wohnung im Londoner Stadtteil Kew. Clapton genoss die neue Freiheit in vollen Zügen, für ihn war es »eine tolle Zeit, weil ich zum ersten Mal von zu Hause weg war«. Ein ganzer Schwarm von Groupies begleitete die Yardbirds inzwischen von Auftritt zu Auftritt.

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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