Читать книгу Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper - Страница 9

Rock ’n’ Roll als Rettungsanker

Оглавление

Den stärksten Rückhalt aber bot dem Heranwachsenden die Musik, zumal sie Clapton buchstäblich in die Wiege gelegt schien. Schon sein Urgroßvater mütterlicherseits, Timothy Mitchell, spielte Akkordeon und Violine und hatte dafür gesorgt, dass seine Tochter Rose als Jugendliche regelmäßig Klavierunterricht erhielt. In ihrem Haus 1, The Green, in Ripley, stand im Wohnzimmer ein Harmonium, das später durch ein Piano ersetzt wurde, auf dem Rose mit Vorliebe sentimentale Music-Hall-Hits von Gracie Fields und Josef Locke spielte. Erics Onkel Adrian versuchte sich dagegen mit Erfolg auf der Mundharmonika, profilierte sich aber am liebsten als Tänzer zu Swing-Nummern der Big Bands von Posaunist Glenn Miller, Klarinettist Benny Goodman oder Posaunist Tommy Dorsey. Dies war auch die Musik, die Erics Mutter Pat während ihres Besuchs in Ripley ständig auflegte. Auch er fühlte sich eine Zeit lang vom melancholischen Ton des Trompeters Bunny Berigan in seiner Interpretation von »I Can’t Get Started« angesprochen. Allerdings waren Erics erste musikalische Gehversuche nicht von Erfolg gekrönt: Nachdem er unter lautem Quietschen vergeblich versucht hatte, auf einer alten Violine seiner Großeltern nachzuahmen, was ihm sein Urgroßvater Mitchell so virtuos vorgespielt hatte, gab er sein erstes Saiteninstrument bald wieder auf.

Als 1955 der Film Blackboard Jungle (Saat der Gewalt) in die englischen Kinos kam, war der Begriff ›Rock ’n’ Roll‹ in aller Munde. Bill Haley, Elvis Presley, Little Richard und Jerry Lee Lewis lieferten jetzt auch im Vereinigten Königreich den Soundtrack einer jugendlichen Revolte. Eric war wie elektrisiert und fest davon überzeugt, dass diese rohe, mitreißende Musik – entgegen den Prognosen englischer Zeitungen – keineswegs in sechs Monaten vorbei sein würde. Sein Schulfreund Philip Solly erinnerte sich später: »Für jeden auch nur einigermaßen frustrierten Jugendlichen, also für die meisten von uns, war diese Musik wie ein Geschenk des Himmels. Plötzlich sahen wir einen Ausweg.« Rock ’n’ Roll sollte sich als wichtigster kultureller Export Amerikas entpuppen, das nach dem Niedergang Großbritanniens ab 1945 das ökonomische, politische und kulturelle Leben in Europa dominierte: Coca Cola, Comics, Hamburger, Hollywoodfilme voller Action – all diese Konsumartikel wirkten wie Heilsversprechen eines Reichs der Freiheit, voller Abenteuer und Verlockungen.

Bill Haleys »Shake, Rattle ’n’ Roll« und »Rock Around The Clock« schafften es als erste Rock-’n’-Roll-Songs im Dezember 1954 und November 1955 in die britischen Charts. Das war jedoch nichts im Vergleich zum sensationellen Durchbruch von Elvis Presley im Jahr 1956, der ebenso wie in Amerika zum Liebling der Teenager und zur Hassfigur der Erwachsenen im Vereinigten Königreich avancierte: Man warf ihm idiotische Texte, einen peinlich larmoyanten Gesangsstil und sexuell aufstachelnde Musik vor. Patrick Doncaster beschrieb Elvis’ Gesang im Daily Mirror als »ein Gurgeln atemloser Krämpfe« und verglich ihn mit dem »Durchspülen eines Abwasserrohrs«. Mit rassistischem Unterton diskreditierte man seine Songs als »schwarze Musik« und die Daily Mail war sich nicht zu schade, den Rock ’n’ Roll als die »Rache des Negers« zu werten. Beiderseits des Atlantiks verfielen die Feuilletonisten in apokalyptische Schnappatmung.

Doch davon ließen sich weder Clapton noch Tausende andere Jugendliche auf der Insel beeindrucken. Schon während seiner Zeit auf der St. Bede School hatte Eric sich mit John Constantine angefreundet. Der Junge aus gut situiertem Hause teilte seine Rock-’n’-Roll-Faszination, zumal seine Eltern eine Musiktruhe besaßen, einen klobigen Holzschrank mit eingebautem Radio und Plattenspieler, damals eine Rarität. Hier hörte Eric 1956 zum ersten Mal den Elvis-Presley-Kracher »Hound Dog« und war vor allem von Scotty Moores Gitarrensolo mit seiner Weniger-ist-Mehr-Phrasierung völlig begeistert.


Home Is Where My Record Player Is: Claptons erster Plattenspieler

Zu seinem 13. Geburtstag im März 1958 bekam Clapton von Rose und Jack seinen ersten eigenen Plattenspieler geschenkt. Es war ein portabler Dansette Club, auf dem er wieder und wieder sein erstes Album von Buddy Holly And The Crickets abspielte. Als Holly im selben Jahr in der TV-Reihe Sunday Night at the London Palladium auftrat, saß Clapton natürlich bei der Constantine-Familie vor dem Fernseher und konnte sich an den aufstörenden Live-Versionen von »That’ll Be The Day«, »Oh Boy« und »Peggy Sue« nicht satthören. Den größten Eindruck auf den jungen Rock-Adepten aber machte Hollys futuristische Gitarre: eine rote Fender-Stratocaster, die mit ihrer Stromlinienform und dem fremdartigen Vibratohebel wie ein Objekt aus einer anderen Galaxie wirkte. Kein Wunder, handelte es sich doch um die erste Stratocaster, die man in Großbritannien zu Gesicht bekam. »Als ich sie sah, wusste ich: Das ist die Zukunft!«

Am Radio im Wohnzimmer von Rose und Jack verfolgte Eric auch begeistert die Kindermusiksendung Uncle Mac’s Hour. Sie lief samstagvormittags und hier konnte man neben gängigen Rock-’n’-Roll-Nummern auch schon mal einen Folk-Blues-Song von Sonny Terry und Browny McGhee oder einen Memphis-Slim-Boogie hören. Als Clapton dann »My Life Is Ruined« von Muddy Waters bei Uncle Mac hörte, war es um ihn geschehen: »Ich dachte sofort: Das ist mein Ding. Und so wuchs in mir der Wunsch, genauso zu sein.« Plötzlich galt Blues als ultimative Verheißung – Elvis Presley war 1958 in die Armee eingezogen worden, Buddy Holly kam im Februar 1959 bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben und Chuck Berry saß im Gefängnis. Nicht nur Keith Richards hatte damals den Eindruck, aus dem Rock ’n’ Roll sei schon wieder »die Luft raus«. Umso spannender war die Frage, wo die Wurzeln dieser Musik lagen. Als Eric zum ersten Mal einen Blues-Song hörte, wirkte diese Musik auf ihn in primitiver Art und Weise schmerzlindernd: »Sie rauschte umweglos durch mein Nervensystem, und ich fühlte mich gleich unbesiegbar.«

Die Blues-Texte mit ihren Bildern von Qual, Angst und Gefühllosigkeit, von Sinnlichkeit und Sex in Verbindung mit bodenständig-einfachen Rhythmen und gleichzeitig raffinierter Gitarrenbegleitung: Diese archaische Mischung hatte es dem pubertären Eric angetan. Sein Biograf Christopher Sandford zitiert ihn:

Während meiner Jugend hatte ich fast immer das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Den einzigen Ausweg sah ich darin, diese Zeit mit Würde, Stolz und Mut durchzustehen. Und die Möglichkeit dazu gab mir eine bestimmte Art von Musik, der Blues.

Clapton fühlte sich unmittelbar aus der kalten, grauen Welt im Nachkriegsengland auf die sonnendurchglühten Baumwollfelder im Mississippi-Delta versetzt, in die verruchten Blues-Kneipen der Gegend – ohne die geringste Ahnung von der Armut schwarzer Blues-Musiker und der Diskriminierung ihrer ›race music‹ im Heimatland des Blues zu haben.

Um die Geheimnisse dieser verlockenden Musik zu enträtseln, musste eine Gitarre her. Jeden Morgen, auf dem Weg von der Hollyfield School zu den Gebäuden der Kunstabteilung, kam Eric an Bell’s Music Shop vorbei. Der Laden, ursprünglich auf Klaviere und Akkordeons spezialisiert, stellte jetzt im Schaufenster die jüngsten Sehnsuchtsobjekte aller musikbegeisterten Jugendlichen aus: Gitarren, Akustikmodelle, vor allem aber Solidbody-Instrumente mit elektrischen Pickups. Nicht nur Eric drückte sich jeden Morgen seine Nase an der Scheibe platt. Sein Auge fiel bald auf ein erschwingliches Exemplar, wie er in seiner Autobiografie schreibt:

Es war eine in Deutschland gebaute Hoyer, die ungefähr zwei Pfund kostete. Es war ein seltsames Instrument, das aussah wie eine klassische Gitarre, jedoch keine Nylon-, sondern Stahlsaiten hatte, eine eigentümliche Kombination, die einem Anfänger das Spielen ziemlich schwer machte.

Ausgerechnet das Exemplar, das Rose 1958 nach langem Bitten und Betteln schließlich bei Bell’s für ihren Enkel Eric erstand, hatte seine Tücken. Das Griffbrett war zu breit, die Saitenlage zu hoch und außerdem schnitten die Stahlsaiten schmerzhaft in Erics weiche Fingerkuppen. Im Stehen kam ihm der Gitarrenkorpus viel zu groß vor. Er konnte das Instrument nicht richtig stimmen – und dann riss ihm auch noch eine Saite. Doch nachdem er die ersten Frustrationserfahrungen überwunden hatte, machte Eric mit fünf Saiten unverdrossen weiter. Er verbrachte Stunden damit, sich die rudimentären Akkorde von Harry Belafontes Folk-Song »Scarlet Ribbons« anzueignen und überprüfte seine technischen Fortschritte auf einem portablen Grundig-Tonbandgerät, das ihm Rose und Jack zu seinem 14. Geburtstag geschenkt hatten.

Obwohl er anfangs große technische Schwierigkeiten hatte, das Instrument zu beherrschen, sah er in der Gitarre ein willkommenes Accessoire, um Distinktionsgewinne gegenüber seinen Mitschülern zu verbuchen. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass er jetzt ständig mit der Gitarre unterm Arm herumlief, nachdem er die Vorderseite des Instruments mit dem selbstbewussten Schriftzug »Lord Eric« verziert hatte. Die Wirkung auf Mädchen blieb nicht lange aus, und bald begann Eric, sich mit einer Mitschülerin namens Diane Coleman zu verabreden. Mit ihr im Schlepptau plante Clapton auch seinen ersten öffentlichen Auftritt als Gitarrist in der Coffee Bar L’Auberge in Richmond. Zwar besuchten er und Diane zusammen dreimal diesen beliebten Schüler- und Studententreff, doch immer dann, wenn es drauf ankam, versagten Erics Nerven und seine angeborene Schüchternheit setzte sich durch.

Neben der Leidenschaft für Blues und Rock ’n’ Roll entwickelte Clapton in seiner Pubertät eine Vorliebe für Radrennen. So gehörte er den Kingston Wheelers an und nahm an mehreren Wettkämpfen mit anderen Rad-Clubs aus Malden, Morden oder Feltham teil. Am liebsten aber streifte er allein mit seinem Fahrrad durch die Gegend und verlor sich dabei in Traumwelten. Zur selben Zeit entwickelte Eric sein Stilempfinden in Bezug auf Kleidung. Viele Schülerinnen und Schüler der Hollyfield-Schule favorisierten damals ein eher ›existenzialistisches‹ Aussehen mit schwarzen Hemden und Hosen, langen Haaren und spitzen Schuhen. Auch Eric war es jetzt nicht mehr egal, welche Jeans er trug und wie sein T-Shirt aussah. Nein, es mussten schwarze Jeans sein, mit drei grünen Steppnähten an der Seite, und auf dem T-Shirt musste »Ban The Bomb« stehen.

Claptons bewusster Nonkonformismus artikulierte sich ebenfalls in seiner Vorliebe für fast vergessene, oftmals erblindete schwarze Blues-Musiker wie Blind Lemon Jefferson, Blind Blake oder Blind Willie Johnson – meilenweit entfernt vom damals angesagten Stromlinienpop eines Cliff Richard And The Shadows. Der erste authentische schwarze Blues-Sänger, der das Vereinigte Königreich besuchte, war ›Big Bill‹ Broonzy. Geboren am 26. Juni 1903 in Jefferson County, Arkansas, wurde er in seiner Jugend von Musikern wie Blind Lemon Jefferson und Lonnie Johnson dauerhaft beeinflusst. Bald verfügte er über ein breites Blues-Vokabular und beherrschte Country- und Work-Songs ebenso perfekt wie den härteren Chicago-Stil. Als Broonzy im September 1951 nach England kam und seinen Folk-Blues mit großem Erfolg in der Kingsway Hall in London zelebrierte, hatte er zu Hause in Amerika schon ein wenig von seiner Popularität eingebüßt. Sechs Jahre später kam er zurück auf die Insel, und auch Clapton zeigte sich von seinen rasanten Fingerpicking-Finessen fasziniert. In dem eingängigen Gitarreninstrumental »Hey Hey« spielt Broonzy ohne das übliche Plektrum nur mit den Fingern: Während sein Daumen für eine durchlaufende Bassfigur sorgt, zupfen Zeige- und Mittelfinger eine korrespondierende Melodielinie im oberen Register. Schon nach wenigen Minuten hatte Clapton sich diese anspruchsvolle Technik anverwandelt.

Sein größtes Problem war inzwischen die Hoyer-Gitarre geworden. Mit ihr waren größere Fortschritte einfach nicht möglich. Auf dem Flohmarkt in Kingston wurde Eric 1960 endlich fündig:

Es war eine akustische Gitarre, jedoch mit einem sehr schlanken Korpus, beinahe wie eine mittelalterliche englische Laute, auf deren Rücken das Bild einer nackten Frau klebte. Ich ahnte intuitiv, dass es eine gute Gitarre war. Ich kaufte sie gleich an Ort und Stelle für zwei Pfund und zehn Schilling.

Ohne es zu wissen, hatte er ein relativ hochwertiges Parlor-Instrument der Chicagoer Marke Washburn von 1920 erworben, mit breitem, flachem Griffbrett und einer viel niedrigeren Saitenlage als auf seiner Hoyer, was komplizierte Akkordwechsel einfacher machte und auch schnelles Solospiel begünstigte. Hatte Clapton sich bisher auf notengetreue Nachahmungen von Folk-Blues-Nummern im Stile von Big Bill Broonzy konzentriert, so wechselten mit der neuen, besser bespielbaren Gitarre auch seine Vorlieben: Der elektrifizierte Chicago-Blues von Muddy Waters, Buddy Guy und Jimmy Reed ließ ihn jetzt nicht mehr los, und als es ihm gelang, die schrill jaulenden Anfangsnoten von Waters »Honey Bee« mit den erforderlichen Bendings (Dehnungen der Saiten mit der Greifhand, um so einen Ton stufenlos immer höher zu ziehen) auf den drei hohen Saiten perfekt zu reproduzieren, fühlte sich das für ihn wie ein Durchbruch an: »Mir kam es so vor, als würde ich damit das gesamte Vokabular der Gitarre beherrschen.«

Die Hollyfield Road School bot einen idealen Nährboden für Blues-Begeisterte: Neben Clapton waren noch die beiden Gitarristen Chris Dreja (dem späteren Gründungsmitglied der Yardbirds) und Anthony ›Top‹ Topham auf der ständigen Suche nach Spiel- und Auftrittsmöglichkeiten. Anthonys Vater, der Maler und passionierte Bohemian John Topham, galt als wandelnde Blues-Enzyklopädie. Während des Krieges hatte er als Angehöriger der Royal Navy New Orleans besucht, war tief in die Jazz- und Blues-Szene eingetaucht und gab seine Musikbegeisterung gleich an seinen Sohn weiter. Weil der 15-jährige ›Top‹ sich außerdem zu einem talentierten Gitarristen entwickelt hatte, wurde sein Elternhaus bald zu einem beliebten Treffpunkt für Clapton & Co. Hinzu kam, dass Tophams Mutter die Blues-Jünger regelmäßig bekochte. Dennoch erinnert sich Anthony mit gemischten Gefühlen an die gemeinsamen Sitzungen:

Eric war kein einfacher Mensch. An manchen Tagen konnte er absolut charmant sein, an anderen war er unfreundlich und ging einem ganz schön auf den Geist. Es war ganz offenkundig, dass er eine besondere Beziehung zum Blues hatte, weil auch er so viel Schmerz in seinem Innern verspürte.

Nach drei Jahren an der Hollyfield-Schule wurde Clapton im Sommer 1961 mit einjähriger Probezeit am Kingston Art College angenommen. Mit 16 Jahren hatte er das GCE-Examen, eine Art Fachabitur, mit Bestnote bzw. einem A-Level-Abschluss in Kunst und dem O-Level in Englisch absolviert. Doch er interessierte sich kaum noch für die Schönen Künste und sein gewähltes Fach »Werbegrafik« war ihm herzlich egal. Oft fuhr er nach London, um die Blues- und Jazz-Szene in der Hauptstadt zu erforschen. Obwohl ihn die dortige Szene inspirierte, fühlte er sich in erster Linie als ›Country Boy‹ und jammte am liebsten auf sicherem, heimatlichem Boden in Kingston oder Richmond. Das lockere Künstlerleben an der Art School gefiel ihm dagegen sehr und bald zählten so völlig unterschiedliche Autoren wie Baudelaire, Kerouac, Ginsberg und Steinbeck zu seinen Lieblingen.

Nach dem Krieg war im Zuge einer Bildungsreform in ganz England ein System von ›Oberschulen‹ (Grammar School, Secondary Modern) eingerichtet worden, die von allen Staatsbürgern kostenlos besucht werden konnten. Im Zuge dieser allgemeinen Demokratisierung entstanden auch die Art Schools. Jetzt konnten Arbeiter- und Mittelschichtskinder plötzlich eine Weiterbildungsform wählen, die mit ihren Privilegien bis dato nur Kindern aus reichen Familien vorbehalten waren. Das Hauptprivileg bestand in der Freiheit, seinen Lehrplan und damit seinen Tagesablauf selbst zu gestalten. In diesem Sinne funktionierten die britischen Art Schools wie eine Art ›bildungspolitisches Sicherheitsventil‹, das auch weniger erfolgreichen Schulabgängern immer noch die Chance bot, ihr Außenseitertum und ihr Unverstandensein in Kreativität umzumünzen. Schnell avancierten diese Schulen zu Brutstätten der britischen Blues- und Rock-Bewegung. Denn neben der Beschäftigung mit Kunsttechniken und Kunstgeschichte blieb genügend Zeit für alle möglichen musikalischen Vorlieben. David Bowie, unter seinem Namen David Jones zunächst ein passabler Blues-Musiker, erinnerte sich später: »In Großbritannien gab es damals diesen Witz: ›Du besuchst eine Art School, um Blues-Gitarrist zu werden.‹« Deshalb wussten die meisten ihrer Absolventen auch mehr über Rockmusik als über Kunst. Allein aus dem Kingston Art College im Großraum London gingen spätere Rockstars wie Eric Clapton, Paul Jones, Tom McGuiness, vier der fünf Yardbirds, Pete Townshend und Ron Wood hervor.

Kurz bevor er sich seinen künstlerischen Talenten auf der Kunsthochschule widmen konnte, fand Clapton 1961 mit Robert Johnson seinen musikalischen Mentor. Das Album King Of The Delta Blues Singers brachte ihn beim ersten Hören fast um den Verstand: »Anfangs war es zu viel für mich, ich hielt diese Musik zunächst nicht aus. Es war ein Schock, dass es so etwas Kraftvolles überhaupt gab. Johnson wirkte auf mich zu intensiv, zu eindringlich.« Sechs Monate lang traute sich Clapton nicht mehr an Johnsons Musik heran, doch dann startete er einen neuen Versuch: »Johnson fing mich jetzt wie ein Insekt ein. Ich wurde regelrecht fanatisch und war von seiner Musik besessen. Dabei fielen mir jede Menge Parallelen zu meinem eigenen Leben auf.«

Vielleicht half Clapton bei dieser Stilisierung seiner Kultfigur auch, dass Johnson damals schon ein Vierteljahrhundert tot war und noch kein Bild von ihm existierte. Das Cover des ersten Johnson-Albums King Of The Delta Blues Singers zierte deshalb auch kein Foto, sondern ein geheimnisvolles Gemälde von Burt Goldblatt. In den Augen von Clapton muss dieses Bild das Image des mysteriösen Einzelgängers noch verstärkt haben: Goldblatt, bekannt für seine abstrakten Karikaturen, hatte einen schwarzhäutigen Gitarristen gezeichnet, auf den der Betrachter von oben herabblickt. Der Mann ist gesichtslos und wirft einen langen Schatten auf eine leere Fläche. Zunächst ist diese Perspektive irritierend, der Betrachter muss sich erst im Bild zurechtfinden, um die Bezüge zwischen Mensch, Schatten und Instrument zu entwirren. Hat er das geschafft, präsentiert ihm die grafische Covergestaltung einen geheimnisvollen Fremden, nicht klar erkennbar und unergründlich, allein auf seine Musik konzentriert – ein Mann, hin und hergerissen zwischen seiner physischen und seiner schattenhaften Existenz. Bald begriff Eric das Johnson-Album als heiligen Text. »Ich habe bis heute nichts Seelenvolleres und Ausdrucksstärkeres gehört als Robert Johnson auf dem Album, das ich besitze. Er verkörpert noch immer den kraftvollsten Schrei, zu dem die menschliche Stimme fähig ist.«

Doch wer war dieser Robert Johnson wirklich? Wie konnte aus einem rastlosen, bitterarmen Delta-Phantom der ›James Dean des Blues‹ werden? Und warum wurde er für Eric Clapton zum alles entscheidenden Wegweiser?

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

Подняться наверх