Читать книгу Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper - Страница 8

Familiendramen und frühe Verzweiflung

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Pat hielt es nur zwei Jahre bei ihrem Sohn in Ripley aus. Die Leute ließen sie spüren, dass sie eine ›Gefallene‹ war. An der Methodistenkirche des Ortes prangte schon bald die Aufforderung »Hau ab, PC, du Hure!«. Doch so schnell ließ sich Pat nicht einschüchtern, und erst nachdem sie sich 1947 mit dem ebenfalls aus Kanada stammenden Soldaten Frank McDonald verlobt hatte, kehrte sie ihrem inzwischen ungeliebten Heimatort den Rücken.

Als sie 1954 nach England zurückkehrte, brachte sie natürlich Geschenke für ihren Eric mit. Der war zunächst auch ganz begeistert von der knallig bunten Seidenjacke mit dem aufgestickten Drachen sowie den wundervoll verzierten Holzschachteln, die Frank seiner Frau aus dem Koreakrieg mitgebracht hatte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Schon seit Längerem, nicht erst seitdem auf dem Schulhof darüber geredet wurde, dass er irgendwie ›anders‹ sei, hegte Eric einen Verdacht. Immer wieder hatte er bei Familienfeiern und Verwandtenbesuchen Gesprächsfetzen aufgeschnappt, die ihn daran zweifeln ließen, dass er wirklich der leibliche Sohn von Rose und Jack war. Warum hätte seine Tante Audrey auch mit schöner Regelmäßigkeit bei Rose im Flüsterton nachfragen sollen: »Gibt’s was Neues von seiner Mutter?« Und warum nannte sein großer Bruder Adrian, der in Wahrheit sein Onkel war, ihn am liebsten »Little Bastard«?

Nachdem Pat mit ihren beiden Kindern für die nächsten zwölf Monate in das Landhäuschen von Rose und ihrem Mann eingezogen war, sollte Eric schnell spüren, welch leeren Kulissenzauber man all die Jahre für ihn aufgeführt hatte: Pat musste seine leibliche Mutter sein, und sie war ja – wenn auch spät – zu ihm zurückgekehrt. Für ein paar Wochen stand die Wahrheit unausgesprochen im Raum. Rose und Jack hegten schon die Hoffnung, Eric hätte sich inzwischen mit den Umständen arrangiert und würde seiner Mutter keine Szene mehr machen. Doch eines Abends platzte es aus ihm heraus: »Pat, darf ich dich jetzt Mama nennen?« Der Augenblick betretenen Schweigens, der sich immer mehr in die Länge zog, dürfte auf Eric wie eine qualvolle Ewigkeit gewirkt haben. Schließlich überwand Pat die Verlegenheit und erklärte ihrem Sohn, den sie nur Rick nannte, in freundlich-sachlichem Ton: »Ich glaube, es ist am besten, wenn du deine Großeltern – nach allem, was sie für dich getan haben – weiterhin Mama und Papa nennst.« Beinahe über Nacht wurde aus dem aufgeweckten Jungen ein mürrischer, verbitterter Mensch: »Ich hatte erwartet, sie würde mich freudig in ihre Arme schließen und dass sie von jetzt an bei mir bleiben würde.« Doch seine Mutter dachte nicht daran, ihn nach Kanada mitzunehmen. Fortan sollte Eric seiner gesamten Umgebung misstrauen – seine Großeltern eingeschlossen. Und es begann für ihn der lange Weg der Selbsterforschung, der schmerzlichen Suche nach einer eigenen, unverbrüchlichen Identität.

Jene »emotionale Verarmung«, die er später für seine Liebe zum Blues, insbesondere für seine unbedingte Identifikation mit Robert Johnson verantwortlich machen sollte, nahm hier ihren Anfang. Erst durch sein Trauma des frühen Verlassenwordenseins sah er sich zeitlebens nicht nur autorisiert, den Schmerz des Blues zu verstehen, sondern auch dazu legitimiert, seiner Verzweiflung öffentlichen Ausdruck zu verleihen. Musik wurde für ihn zu einer Art Selbsttherapie: »Jetzt fühlte ich mich nicht mehr, als besäße ich keine Identität, und als ich das erste Mal Blues hörte, kam es mir so vor, als würde meine Seele weinen. Ich identifizierte mich unmittelbar damit.« Erst der Blues habe ihm erlaubt, mit seinen widerstreitenden Gefühlen Frieden zu schließen und ihm eine Art »einsamen Mut und Stolz« vermittelt, die Unbeugsamkeit »eines Mannes mit seiner Gitarre, vollkommen allein, ohne andere Möglichkeiten, seinen Schmerz zu lindern als durch Spielen und Singen.«

Die klassische Psychoanalyse kennt den Begriff der ›Verlassenheitsneurose‹, der die seelischen Leiden von Menschen umschreibt, die durch eine frühe Erfahrung des Verlassenwerdens verletzt worden sind. Der Schweizer Trauma-Forscher Daniel Dufour erklärt, welche Reaktionen diese »Verlassenheit« bei den Betroffenen auslösen kann: »Tatsache ist, dass es einem Menschen sehr schwerfällt, sich einzugestehen, dass er verlassen wurde. Er schämt sich sehr dafür, so etwas erlebt zu haben und fühlt sich obendrein selbst dafür verantwortlich.« Mangelndes Selbstwertgefühl und eine nicht eingestandene Bindungsunfähigkeit sind oft die Folgen.

Gleichwohl hat Clapton später wiederholt betont, seine Kindheit sei nicht vollkommen unglücklich verlaufen. Seine Großeltern hätten immer versucht, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen und ihm eine solide Erziehung geboten. Was Kleidung und Spielzeug anging, habe er sich auch nie hinter seinen Altersgenossen verstecken müssen. Seine Oma Rose wurde von allen als kleine, quicklebendige Person geschildert, mit einem pragmatischen Zug, die sich mit ihren 39 Jahren hingebungsvoll der Versorgung ihres Enkels widmete. Auch ihr warmherziger Ehemann, der mit seinen vielen Talenten als Zimmermann, Maurer und Stuckateur selbst in der harten Nachkriegszeit für ein regelmäßiges Einkommen sorgen konnte, war ganz vernarrt in den kleinen Eric. Mit seinem schnörkellosen Realitätssinn verkörperte Jack den Prototypen des ›ehrlichen englischen Arbeiters‹. Und die beiden verwöhnten ihren Enkel nach Strich und Faden. Während Rose ihm wöchentlich seine Lieblings-Comics kaufte und sicherstellte, dass es ihm nie an Süßigkeiten fehlte, bastelte Jack jede Menge Holzspielzeug für den kleinen Eric.

Sie kauften ihm auch einen schwarzen Labrador, den der Junge »Prince« nannte. Am liebsten tollte Eric mit ihm auf den Fuzzies herum. Hier graste auch ein Pony, und Eric entwickelte ein besonders enges Verhältnis zu Tieren. Im Januar 1950 war er in die Church of England First School aufgenommen worden: ein im Innern düsterer Ort, an dem sich die etwa 60 Kinder in ihren Schuluniformen, also in kurzen grauen Hosen, grauen Socken, einem blauen Hemd und Pullover, in ungeheizten Räumen versammeln mussten. Erics zunächst passable Leistungen in Englisch, Religion, Geografie (Mathe war nie seine Sache) und vor allem in Kunst ließen schlagartig nach, als er das Geheimnis um seine Mutter gelüftet hatte. Seine ohnehin vorhandene Schüchternheit wurde jetzt noch schlimmer. Da es in Großbritannien damals noch keine Sexualerziehung in der Schule gab, und die Geheimnisse der Pubertät auch im Elternhaus nur selten gelüftet wurden, waren Eric und seine Freunde darauf angewiesen, sich allein durch Hinweise und Bilder in Zeitschriften sowie durch zufällig aufgeschnappte Bemerkungen von Älteren einen Reim auf das menschliche Sexualverhalten zu machen. Umso größer war ihre Begeisterung, als sie im Park von Ripley eines Tages eine Art selbstgezeichnetes Penthouse-Magazin fanden. Die etwas unbeholfenen Skizzen der männlichen und weiblichen Genitalien ließen gleichwohl kaum noch Fragen offen.

Fasziniert und schockiert zugleich nahm Eric am nächsten Tag all seinen Mut zusammen und fragte ein Mädchen, das gerade neu in die Klasse gekommen war, in aller Naivität: »Hast du Lust zu ficken?« Die anschließende Bestrafung mit sechs Rohrstockhieben durch seinen Klassenlehrer Mr. Dickinson führte dazu, die diffuse Ängstlichkeit des unbedarften Schuljungen noch zu verstärken. Eric war gar nicht richtig klar gewesen, was er seine Mitschülerin da gefragt hatte. Später meinte er: »Von da an neigte ich dazu, Sex mit Bestrafung, Schande und Peinlichkeit zu assoziieren – Gefühle, die mein Sexualleben noch auf Jahre prägen sollten.« Neben diesem Hang zum Selbsthass sollte der Vorfall in Verbindung mit der erlittenen Ablehnung durch die eigene Mutter Claptons Neigung verstärken, auf nahezu alle Frauen wütend zu sein. »Damit fing alles an. Bald wurde mir klar, dass ich das mit dem anderen Geschlecht auch machen konnte – dasselbe was meine Mutter mir angetan hatte.«


Der geborene Außenseiter? Eric Clapton als Schüler

Als Pat schließlich Hals über Kopf nach Kanada abreiste, befand sich Clapton in einer desolaten Stimmung und war kaum in der Verfassung, die für seine schulische Weiterbildung wichtige Eleven-Plus-Prüfung zu absolvieren. Dieser Test entschied darüber, welche begabten Schülerinnen und Schüler eine Grammar School – unserem Gymnasium vergleichbar – besuchen durften, und welche auf eine Secondary Modern gehen sollten. Da Eric keinerlei Ehrgeiz an den Tag legte und bei der Eleven-Plus durchfiel, wechselte er am 4. September 1956 in die St. Bede’s Secondary Modern, sozusagen eine Kombination aus Haupt- und Realschule, die in Ripleys Nachbargemeinde Send lag.

Auf dem Schulhof sonderte er sich jetzt immer häufiger von seinen Klassenkameraden ab, galt als verschlossen und eigenbrötlerisch, wie er in der Juli-Ausgabe des Rolling Stone 1974 enthüllte:

Ich war derjenige, nach dem man gern mit Steinen warf, weil ich so dünn und unsportlich war. Ich galt als der ewige 90-Pfund-Schwächling. Meist trieb ich mich mit drei, vier anderen Jungs herum, die sich in einer ähnlich misslichen Lage befanden – Außenseiter eben. Alle nannten uns nur die Bekloppten.

Seit seinen ersten Schuljahren hatte Eric den Eindruck, die anderen würden hinter vorgehaltener Hand über ihn tuscheln und sich über seine uneheliche Herkunft lustig machen: »Oft habe ich mir gewünscht, die Erde würde sich auftun und ich könnte einfach darin verschwinden.« Als er dann noch eines Tages vorm Spiegel festzustellen meinte, ein fliehendes Kinn zu haben, wurden die Komplexe noch stärker. Fortan versuchte er, den anatomischen Makel durch Bärte verschiedenster Form und Länge zu kaschieren.

Allein in seinen Zeichnungen konnte Clapton den Gefühlen freien Lauf lassen, obwohl sie meist nur tote Gegenstände und selten handelnde Menschen zeigten. Umso tollkühner ging es in seinem Kopf zu: In dieser Fantasiewelt herrschte sein furchtloses Alter Ego »Johnny Malingo«, der jedem mit äußerster Brutalität begegnete, sollte ihm der nötige Respekt verweigert werden. Malingo war der geborene Einzelgänger, der keine Freunde brauchte und allein mit seinem treuen Pony »Bushbranch« unterwegs war. Wenn Eric sich gerade nicht in ein neues Cowboy-Abenteuer von Johnny hineinträumte, konnte er stundenlang in der heimischen Küche hocken und Bilder von frisch gebackenen Pasteten anfertigen.

Sein Zeichentalent war auch seinen Lehrern nicht verborgen geblieben. Als Eric dann im Alter von 14 Jahren an der St. Bede die Thirteen-Plus-Prüfung mit tatkräftiger Unterstützung seines Kunstlehrers Mr. Swan bestand, wechselte er auf die Hollyfield Road School in Surbiton, der die Juniorenabteilung des Kingston Art College angeschlossen war. Das bedeutete für den Jungen zwar jeden Morgen eine halbstündige Busfahrt, doch war das die Sache wert. Hier konnte er an einem dreijährigen Kurs für Malerei und Bildhauerei teilnehmen: Als Glasmaler hätte Eric nach Ansicht von Rose und Jack eine sichere Zukunft vor sich gehabt.

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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