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Cross Road Blues – Ein Mann mit Gitarre gegen den Rest der Welt

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»Wenn du mir versprichst, mich mit Eric Clapton bekannt zu machen, komme ich mit nach England.« Chas Chandler gab Jimi Hendrix sein Wort, und die beiden betraten am 24. September 1966 um neun Uhr morgens auf dem Londoner Flughafen Heathrow britischen Boden. Schlagartig machte Hendrix, der von dem Album John Mayall & The Blues Breakers With Eric Clapton zutiefst beindruckt war, als neue ›Gitarren-Sensation‹ in der damaligen Musikmetropole von sich reden. Clapton erlebte gerade mit der Supergroup Cream einen ungeahnten Höhenflug und war ganz begierig darauf, seinen amerikanischen Herausforderer persönlich kennenzulernen. Als es dann am 1. Oktober im Polytechnic in der Londoner Regent Street zur Begegnung der beiden Ausnahmegitarristen kam, fand Eric seinen Meister. Zwar hatte Ginger Baker schon vor dem gemeinsamen Auftritt Bedenken geäußert, doch Eric wollte unbedingt wissen, was dran war an diesem Hype um den Mann mit der futuristischen Afro-Frisur. Mit seinem Griffbrett-Feuerwerk, dem Spiel mit den Zähnen und hinter dem Rücken, fegte Jimi an diesem Abend in der Howlin’-Wolf-Nummer »Killin’ Floor« Clapton regelrecht von der Bühne. Der verschwand anschließend wortlos in der Garderobe. Sofort aber manifestierte sich seine Bewunderung und freundschaftliche Rivalität darin, dass er Hendrix’ Afro-Frisur übernahm und sich wie der Kollege aus Seattle um ein knallbuntes Outfit bemühte.

Doch Hendrix besaß hinsichtlich musikalischer Originalität zwei entscheidende Vorteile: Er war schwarz, und er war Amerikaner. Deshalb sah Clapton in ihm auch sofort ›the real thing‹: »Und ich dachte mir, wenn ich schwarz wäre, möchte ich er sein.« Eric blieb auch Hendrix’ »erstaunlich großes Talent« hinter der ganzen Bühnen-Exzentrik nicht verborgen, wo doch gerade dieses Showgebaren ihn für viele unecht wirken ließ. Hendrix jonglierte offenkundig mit rassischen Klischees, was vielleicht befreiend auf einen Musiker wirkt, der sich nicht in Kategorien wie ›schwarz‹ oder ›weiß‹, ›amerikanisch‹ oder ›britisch‹ zwängen lässt. Doch genau das brachte Clapton mit seinem eigenen puristischen Blues-Verständnis aus dem Konzept. Musikalisch hatte er mit Cream damit begonnen, sich von den üblichen Kategorien wegzuentwickeln. Es war weiße Musik mit schwarzen Elementen, von Weißen gespielt. Doch in seinem Denken blieb Eric der Unterscheidung weiße/schwarze Sounds weiterhin verhaftet. Deshalb glaubte er später auch, so Dave Thompson in seiner Cream-Biografie von 2005, er habe mit Cream seine Blues-Identität verleugnet und sich selbst betrogen:

Wir haben es versucht und auch geschafft, Pop-Songs zu schreiben und für uns ein Pop-Image zu kreieren. Ich habe da mitgemacht und es war eine Schande, weil ich mir gegenüber nicht ehrlich war. Ich bin nun mal ein Bluesgitarrist und werde immer einer sein.

Welche Konsequenzen hatte diese strenggläubige Auffassung von ›schwarzer Musik‹ für sein Weltbild?

Bis heute ist Clapton weit mehr als ein Blues-Musiker unter vielen: In ihm bündelt sich wie in einem Brennspiegel die Geschichte des britischen White-Boy-Blues, einer Bewegung, die noch immer als produktive Unterströmung in der aktuellen Rockmusik fortwirkt. Und nicht allein John Mayall zeigt sich überzeugt: »Eric ist der größte Blues-Gitarrist, der je auf Erden wandelte.« Warum aber haben sich ausgerechnet in England Anfang der 1960er Jahre weiße Jugendliche aus der Arbeiter- und Mittelschicht mit Haut und Haaren einer Musikform verschrieben, die in ihrem Heimatland, den USA, fast vergessen schien? Was waren die innersten Motive von Clapton & Co., den Blues zum Soundtrack ihres Lebens zu wählen? Und warum suchte sich Clapton als Leitfigur ausgerechnet einen damals fast vergessenen, obskuren Delta-Blues-Pionier wie Robert Johnson aus?

Robert Johnson: Abbildungstradition in Covern und Plakaten


1961


1970


1990


2004


2004

Ende 1961 war Eric zum ersten Mal mit der Musik von Johnson in Berührung gekommen. Sein Schul- und Blues-Freund Clive Blewchamp hatte ein Exemplar des gerade erschienenen Johnson-Albums King Of The Delta Blues Singers aufgetrieben. Clapton war schockiert und fasziniert von den 16 Songs, die gleichzeitig als Drohung und mysteriöse Verheißung wirkten: Ein verletzlicher Gesang, der von weit her zu kommen schien, aus einer anderen, längst versunkenen Welt. Johnsons Stimme trägt anscheinend so viel existenzielles Erschrecken in sich, dass sie einen jugendlichen Blues-Aficionado wie Eric Clapton ins Mark getroffen haben muss: »Als ich ihn zum ersten Mal hörte, sprach er mich in meiner Verwirrung unmittelbar an, und es kam mir so vor, als würde in seiner Musik etwas widerhallen, was ich schon immer gefühlt hatte.«


Can’t You Hear The Wind Howl? Erst im Jahr 1972 tauchte das erste Foto von Robert Johnson auf.

In der Tat kann man Claptons Karriere als lebenslange Suche nach dem ›spirit‹ von Robert Johnson verstehen. Und selbst die Jahre seiner Heroin- und Alkoholsucht in den 1970er Jahren vermitteln noch eine Parallele zu Johnsons frühem Tod mit 27 Jahren. Clapton war in seiner dunkelsten Phase genauso alt, und in dieser Zeit schien er von Johnsons faustischem Pakt (er soll seine Seele an einer Straßenkreuzung dem Teufel verkauft haben, um ein besserer Gitarrist zu werden) geradezu besessen gewesen zu sein: Er bezog den Mythos auf sein eigenes Leben und war davon überzeugt, dass auch in seinem Fall eine übernatürliche Macht über ihn wache. Denn warum hatte er überlebt, während viele Freunde an ihrer Sucht gestorben waren? Clapton war sich nur nicht sicher, ob es sich dabei um eine gute oder eine teuflische Macht handelte. Jedenfalls sollten sich bald verblüffende Entsprechungen zwischen seinem Lebensweg und dem seines Blues-Idols ergeben. Ursprünglich mag er vor allem vom Mythos ›Robert Johnson‹, von jener Dunkelheit und Gefahr, die seine Legende ausstrahlte, fasziniert gewesen sein. Doch schon bald reagierte er in einem viel tieferen Sinne auf die Art und Weise, wie Johnson mit Angst, Einsamkeit und Trauer umging. Musik und Legende versteht Clapton – wie er Andrew Franklin in der Zeitschrift Musician im Januar 1991 erzählt – inzwischen als zwei verschiedene Dinge:

Seine Musik besitzt ein eigenes Leben und wenn Johnson heute noch leben würde, und – sagen wir mal: ein etablierter Banker wäre, würde meine Wertschätzung seines Werks davon nicht im Mindesten betroffen sein. Die Aufnahmen sind aufregend und wahr – und alles andere ist nebensächlich.

Fast wäre Claptons lebenslanger Leitstern verschwunden, bevor er vollends aufgehen konnte. Claptons Klassenkamerad Anthony ›Top‹ Topham erinnert sich 2015 im Gespräch mit Tony Scott:

Samstagvormittags trafen sich alle Blues-Enthusiasten von der Art School in unserem Haus in der Clifton Road. Eines Morgens kam Eric völlig deprimiert bei uns an. Er hatte sich gerade sein erstes Robert-Johnson-Album gekauft und an der Haltestelle auf den Bus zu uns nach Kingston gewartet. Weil er noch ein paar Minuten Zeit hatte, lehnte er sich an das Bus-Stoppschild und stellte das Album neben sich auf den Boden. Als der Bus dann kam, sprang er gleich rein und merkte sofort, dass er die Platte vergessen hatte. An der nächsten Haltestelle stieg er gleich wieder aus und lief zurück, musste aber feststellen, dass das Album weg war. Er war fürchterlich aufgebracht, denn die Platte hatte ihn 30 Schilling gekostet, was damals viel Geld war.

Clapton war nicht der einzige Blues-begeisterte Jugendliche, der sich von Robert Johnson angezogen fühlte. »Wo zum Teufel hast du diese Platte her«, wollte der 18-jährige Keith Richards von Brian Jones wissen, als dieser ihm das Album vorspielte. In Los Angeles bemühte sich zur selben Zeit der erst 14-jährige Ry Cooder mit einem Bottleneck und einer Gitarre vergeblich, etwas vom Zauber von Johnsons verrücktem Zeug einzufangen. Doch keiner dieser Blues-Jünger hat sich ihm so bedingunslos ergeben wie Eric Clapton. Noch 2004 bekräftigte er in den Liner Notes seines Tribute-Albums Me And Mr. Johnson, dass Johnson »der Grundpfeiler meines musikalischen Fundaments ist, ein Meilenstein, an dem ich mich immer wieder orientiert habe, wenn ich Gefahr lief, abzudriften.«

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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