Читать книгу Tarris - Peter Padberg - Страница 7
Das Turnier
Оглавление„Fanir – beeile Dich!“ Der alte Freund und Kampfgefährte seines Vaters, Lortir, mahnte ihn zur rechtzeitigen Vorbereitung auf den anstehenden Kampf. Fanir hatte im bisherigen Verlauf des Turnieres sein Glück bereits stark beansprucht. Mit diesem Glück hatte er bereits sieben der maximal zehn Kämpfe für sich entscheiden können. Nun standen nur noch drei Gefechte bis zur Meisterschaft aus. Der Herbst des Jahres 3216 n.d.A. war angebrochen und Fanir hatte sein dreizehntes Lebensjahr erreicht. Erst einmal zuvor war eine Dreizehnjährige soweit im Turnier vorgedrungen – und dies war seine Urgroßmutter gewesen, die sein großes Vorbild war. Fast alle anderen Teilnehmer des Turniers waren fünfzehn Jahre alt. Bis zu diesem Alter konnten die Kinder von Hornstadt an dem Turnier teilnehmen. Nach diesem Alter mussten die Kinder Aufgaben erfüllen, nach deren Bestehen sie in den Kreis der Erwachsenen – oder sogar der Krieger – aufgenommen wurden. Jungen und Mädchen kämpften bis zum Vorschlusskampf nur untereinander. Dann jedoch wurden die Paarungen gemischt.
Sein nächster Gegner war Karor, der sehr ungehalten war, als er erfahren hatte, dass Fanir für das Turnier zugelassen worden war. Karor war schon immer neidisch auf Fanir gewesen. Zum einen, weil er so schnell lernte, zum anderen, weil Fanirs Familie immer noch sehr angesehen war, obwohl sie seit langer Zeit keine wichtigen Positionen in der Dorfgemeinschaft oder im Rat der Bergstämme innehatte. Angesehener sogar als sein Vater, der Statthalter im Dorf war. Und dies missfiel ihm sehr.
„Fanir, komm schon, wir müssen über das Duell mit Karor sprechen!“ Fanir trat in das Zelt, in dem Lortir ihn erwartete. Die möglichen Waffen standen in einem eigens für das Turnier gefertigten Gestell, das – dem Anlass entsprechend – mit großer Handwerkskunst gefertigt worden war und entsprechend kunstvoll aussah. Es wies viele Rundungen an den Kanten auf, die ebenmäßig nur mit sehr viel Geschick hergestellt werden konnten. Gekämpft wurde mit einer leichten Rüstung und mit echten Waffen, jedoch ohne Schild. Die Duellanten mussten vor dem Kampf – ohne, dass es der Gegner erfahren würde – wählen, ob sie ein leichtes Zweihandschwert oder ein Einhandschwert zusammen mit einem Fangdolch verwenden wollten. Mit dem Fangdolch konnte die Klinge des Gegners kurzzeitig eingeklemmt werden und diesen behindern. Verwendete der Gegner jedoch ein Zweihandschwert, erforderte das Fixieren der Klinge mit dem Fangdolch viel Geschick und Schnelligkeit. Die Klinge eines Zweihänders traf mit größerer Wucht und Geschwindigkeit auf den Fangdolch und machte so dessen Einsatz schwierig. Auch wenn es sich um echte Waffen handelte, waren sie doch so präpariert worden, dass sie keine schwerwiegenden Verletzungen verursachen konnten: Die Schneiden waren allesamt stumpf. Nichts desto trotz konnte ein platzierter, heftiger Schlag Blutergüsse, Prellungen, Quetschungen oder auch Knochenbrüche verursachen.
„Welche Waffen möchtest Du heute verwenden? Ich weiß, dass Du schnelle Waffen bevorzugst, aber Du musst damit rechnen, dass Karor auf seine Kraft setzten und ein Zweihandschwert wählen wird. Beim letzten Training, als er Dein Kampfpartner war, hat er Dir eine Rippe gebrochen – vergiss dies nicht bei der Waffenwahl.“ Fanir dachte nach. Er war in dem besagten Training nicht schnell genug mit dem Fangdolch gewesen, weil er mit den Gedanken bei seiner besten Freundin Maurah gewesen war. Sie war kurz zuvor im Training auf unfaire Weise von Karor verprügelt und verletzt worden. Karor hatte ihr mit dem Fuß Sand in die Augen gestreut und ihr dann mit voller Wucht mit dem Zweihandschwert auf den Oberschenkel geschlagen. Daher hatte er nicht aufgepasst – er war einfach zu wütend und zu abgelenkt gewesen. Das würde ihm heute mit Sicherheit nicht noch einmal passieren. „Was denkt Ihr, Meister Lortir? Bin ich schnell genug, um sein zweihändig geführtes Schwert zu klemmen?“ „Ich denke, dass es immer sehr knapp sein wird. Karor hat die Kraft, um einem Zweihänder die nötige Geschwindigkeit zu verleihen. Wenn Du nicht müde und erschöpft bist, sollte es Dir durchaus gelingen. Aber wie wird es ausgehen, wenn der Kampf länger dauert? Vergiss nicht, dass Du keine Magie einsetzen kannst. Dies wird bemerkt werden – und dann hast Du den Kampf verloren!“ „Ich werde Karor mit Einfallsreichtum und Geschicklichkeit und nicht mit Muskeln bekämpfen. Er ist älter, größer und stärker. Daher muss ich Einhandschwert und Fangdolch verwenden. Ansonsten bin ich einfach zu unbeweglich. Im Vergleich Kraft gegen Kraft habe ich gegen ihn noch keine Chance. Seid Ihr mit dieser Strategie einverstanden?“ „Selbstverständlich bin ich einverstanden, Deine Erklärung ist ja schließlich sinnvoll. Und allein der Kämpfer entscheidet, welche Waffen er einsetzt. Ich selbst würde das Zweihandschwert wählen. Aber ich war auch niemals so schnell wie Du - nur trickreicher.“ Immer wieder machte ihn Lortir darauf aufmerksam, die Tricks und Kniffe, die er perfekt beherrschte, auch anzuwenden. Er tat es nicht, weil er dann häufig unbewusst Magie einsetzte, um trickreiche Schlagkombinationen mit unglaublicher Geschwindigkeit durchzuführen. Die Magie kam von ganz alleine dazu, da sie ein Teil von ihm war. Er konnte und wollte jedoch niemandem – selbst Lortir – nicht verraten, wie eng die Magie mit ihm verbunden war. Da nahm er eher einen verlorenen Kampf, selbst wenn er so wichtig wie der heutige war, oder Kritik in Kauf. Dies tat er, obwohl er eigentlich nicht der Meinung war, dass die Magae-Überwacher überhaupt in der Lage waren, solch tiefgehende Strömungen der Magie zu erfassen.
Seine Magie basierte nicht auf dem Metall, das aus der Sonne auf die Erde geschleudert wurde, sondern nur auf seinen eigenen Fähigkeiten. Er war anders – so wie Maurah, wie er glaubte, aber nicht wusste. Auch magisch modifizierte Waffen unterlagen nicht der weit verbreiteten Magie, sondern bezogen die Kraft, die ihnen vor langer Zeit gewährt worden war, andauernd aus sich selbst.
Lortir reichte ihm die Rüstung. Sie war alt, aber in einem tadellosen Zustand. Darüber hinaus war sie kostbar. Die Rüstung stammte der Legende nach aus der Zeit, als das alte Wissen um die Schmiedekunst noch nicht verloren war, jedoch das neue Wissen um die Magie und die dauerhafte magische Verstärkung von Rüstungen bereits in die Schmiedekunst Einzug gehalten hatte. Allerdings war die Rüstung immer noch deutlich zu groß für Fanir. Sie wurde für einen ausgewachsen Krieger gefertigt. Fanir sah ein wenig verloren in ihr aus. Behindert in seinen Bewegungen wurde er jedoch nicht, da sich die Rüstung wie ein lebendiges Wesen seinem Körper anzupassen versuchte. Die ganze Rüstung – jeder einzelne Ring des Kettenhemdes – war mit schwarzer Farbe bemalt, um zu verbergen, dass sie aus Metallen des vorhergehenden Zeitalters bestand. Er durfte die Rüstung im Turnier nur verwenden, weil sie leichter als Leder war. Das Gewicht war der Maßstab, wann eine Rüstung als leichte, für das Turnier zugelassene Rüstung zählte. Auf seiner Brust prangte das alte Wappen seiner Familie. Im Zentrum des Wappens war Sol als goldener Stern abgebildet. Von Sol gingen feine goldene Strahlen in Richtung eines ebenfalls goldenen Schwertes auf der einen Seite und in Richtung eines silbern strahlenden, stilisierten Homuae als Zeichen für Magie auf der anderen Seite. Fanir nahm das Schwert entgegen. Es war eine Nachbildung des Schwertes, das er von seinem Vater geerbt hatte und das seit langer Zeit in seiner Familie von Vater zu Sohn weitergegeben wurde. Niemand wusste, dass es in seinem Besitz war und er hatte es nach der Herstellung der Kopien niemals wieder aus seinem Versteck hervorgeholt. Die Kopie, die er nun nahm, war in Hinblick auf Gewicht und Ausgewogenheit mit seinem eigenen Schwert identisch. Auch wenn Fanir noch nicht seine Ausbildung als Schwertkämpfer abgeschlossen hatte, nahm er bereits sehr genau Gewicht, Balance und Eigenschaften eines jeden Schwertes wahr. Daher war es ihm sehr wichtig, dass die Schwertkopien seinem Schwert in dieser Hinsicht entsprachen. Zuletzt nahm er den Fangdolch. Dann war es an der Zeit, sich zum Kampfplatz zu begeben. Lortir begleitete ihn.
Der Kampfplatz lag im Zentrum der vielen Stände des Erntefestes. Gerüche strömten von den Gewürzständen der Händler und den Ständen der Köche in die Arena. Die Stimmung war hervorragend und überall wurde über die vergangenen Kämpfe geredet. Getränke wurden gereicht und Wetten wurden abgeschlossen, wer im heutigen Kampf wohl erfolgreich sein würde. Die kleine Arena wurde von hohen, aus Holz gebauten Tribünen umrahmt. Fast fünftausend Zuschauer fanden auf den Tribünen Platz und konnten so die Kämpfe gut beobachten.
Der Kampfplatz selbst bestand aus einer dünnen Sandschicht, die kreisrund mit einem Durchmesser von zwanzig Schritt zwischen den Tribünen angeschüttet war. Da die Teilnehmer des Wettkampfs aus allen Stämmen der Bergvölker ausgewählt worden waren, waren sehr viele Gäste und Zuschauer in der kleinen Stadt. Die Regeln für den Kampf waren sehr einfach: Alles war erlaubt. Gewonnen hatte derjenige, der seinen Gegner zuerst dreimal in die Knie gezwungen oder ihn über die Begrenzungslinie der Arena getrieben hatte. Aufgeben war ebenfalls möglich. Um aufzugeben, musste die eigene Waffe über die Begrenzungslinie der Arena geworfen werden. Selbstverständlich durfte ein am Boden liegender Kämpfer nicht mehr attackiert werden. Geschah dies, wurde der Angreifer mit hohen Strafen belegt und zum Verlierer erklärt. Der Kampf wurde von drei Schiedsrichtern und dem Magae überwacht. Sollte ein Kämpfer verletzt sein und sich nicht mehr erheben können, würden sie den Kampf zugunsten des Gegners abbrechen.
„Kämpfe weise und mit Glück“, wünschte Lortir, als Fanir in die Arena ging. Karor hingegen hatte die Arena noch nicht betreten, so dass Fanir Gelegenheit hatte, einen Blick auf die Tribünen zu werfen. Die Zuschauer wirkten überaus interessiert und ein lauter Jubel brandete auf, als er den Kampfplatz betrat. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ihm noch einmal bewusst wurde, wie weit er im Turnier bereits gekommen war und dass viele der Homuae auf den Tribünen ihm zujubelten. „Ich darf nicht verlieren!“, dachte er. „Karor hat es einfach nicht verdient, zu gewinnen. Er kämpft unfair.“ Aus der Gänsehaut auf seinem Rücken wurde eine wohlige Wärme, die durch seinen Körper strömte. Ein erstes Zeichen der Magie, die sich seinen Körperkräften hinzugesellte. Sofort versuchte er, die Kräfte zu unterdrücken und blickt zum Magae, der ihm im Moment seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Er vermittelte nicht den Eindruck, als wenn er die Veränderung bemerkt hätte. Fanir überlegte, wie er mit dieser „Nichtreaktion“ umgehen sollte und ließ die Magie vorsichtig in seinen rechten Arm strömen und schlug mit dem Schwert drei komplizierte Kombinationen gegen einen nicht vorhandenen Widersacher. Der Magae zuckte mit keiner Wimper und sein Gesichtsausdruck blieb aufmerksam – aber unverändert.
Karor trat aus seinem Zelt. Er blickte siegesgewiss zum Kampfkreis. Als seine Augen in dem runden Gesicht, das unter einem kahl rasierten Schädel lag, sich auf Fanir richteten, verzogen sich seine Mundwinkel herablassend nach unten. Er wandte sich zum Publikum, hob die Arme in Richtung Himmel – in seiner Linken der außergewöhnlich lange Zweihänder – und rief laut: „Ist es wirklich nötig, dieses Kind zu verprügeln? Was denkt Ihr?“. Von den Tribünen war vereinzelt, dafür aber umso lauter Gelächter zu hören. Auch Karor hatte Freunde und Anhänger im Publikum, die ihn unterstützten. Er näherte sich langsam und grinsend dem Kreis und übertrat die Linie. „Welchen Knochen soll ich Dir heute brechen?“, wandte er sich an Fanir, nahm dabei seinen Zweihänder in beide Hände und führte das Schwert in eine Angriffshaltung über die rechte Schulter. „Einen Moment – erst eine standesgemäße Begrüßung, bitte!“ rief einer der Kampfrichter. Karor baute sich daraufhin vor Fanir auf und stütze beide Arme auf den mächtigen Zweihänder, den er vor sich in den Sand bohrte. „Willkommen Karor – ich wünsche Dir einen guten Kampf ohne Verletzungen“, begrüßte ihn Fanir mit einer Verbeugung. „Selbstverständlich werde ich keine Verletzungen erleiden. Wie auch? Dafür fehlt Dir einfach die nötige Stärke, Kind. Jedoch solltest DU damit rechnen, verletzt zu werden. Ich werde keine Rücksicht auf Dein Alter nehmen – und nun lass uns endlich beginnen!“. Einer der Kampfrichter stellte sich – mit einem missbilligenden Stirnrunzeln seitlich neben Karor und Fanir und hob eine Hand in die Höhe. Bevor er die Hand als Zeichen für die Kampferöffnung senken konnte, trat Karor gegen Fanirs rechtes Knie.
Der Kampf hatte begonnen. Fanir sah den Tritt kommen. Er hatte mit unfairem Kampfverhalten gerechnet. Jedoch überstieg diese Aktion seine Ahnungen deutlich und Wut – und Wärme – breitete sich in ihm aus. Unbewusst zog er seine Beine in fast unglaublicher Geschwindigkeit vor seine Brust, so dass der Tritt unter ihm nur Luft traf. Er sah den Tritt wie in langsam ablaufender Zeit unter sich hindurch gleiten. Als Karors Bein gestreckt war, streckte Fanir seine eigenen Beine schnell in Richtung Boden und trat so seinerseits gegen Karors Oberschenkel, nutze diesen als Sprungbrett, um sich rückwärts in der Luft zu drehen und so Abstand zwischen sich und Karor zu bringen. In diesem Moment wurde ihm bereits bewusst, dass er ohne Absicht auf seine magischen Kräfte zugegriffen hatte. Auch wenn es niemand im Publikum bemerkt hatte, war aus seiner Erfahrung eine solch schnelle Bewegung, wie er sie soeben vollführt hatte, eigentlich nicht möglich. Sofort blickte er zum Magae, der aber durch nichts erkennen ließ, dass er den Einsatz magischer Kräfte bemerkt hätte. Fanir war verwundert. Seine Magie war stark gewesen und der Magae hätte etwas merken müssen! In diesem Moment traf ihn der Zweihänder seitlich gegen die Brust. Er hatte sich zu sehr auf den Magae konzentriert. Der Schlag war außerordentlich hart und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Gleichzeitig breitet sich ein starker Schmerz in seiner Brust aus, der seinen Ursprung in den oberen linken Rippen hatte – mindestens eine war gebrochen. Auf Karors Gesicht breitete sich ein brutales Grinsen aus. Er setzte sofort einen zweiten Schlag an, wobei er den Schwung des ersten nutzte, um sein Schwert zu beschleunigen. Fanir ließ sich fallen, rollte über die Schulter an Karor vorbei und kam hinter ihm schnell wieder auf die Beine. Seine Rippen schmerzten stark und er war bereits leicht benommen. Karor drehte sich auf der Stelle und schlug Fanir seinen gerüsteten Ellbogen gegen den Kopf. Fanir wurde es schwarz vor Augen und er fiel auf den Boden der Arena. Karor stellte sich breitbeinig vor Fanir auf, nahm in aller Ruhe seinen Zweihänder über den Kopf und schlug mit aller Kraft zu.
Der Kampfrichter konnte gerade rechtzeitig den Schlag ablenken, so dass er knapp neben Fanirs Kopf in den Staub der Arena ging. Die beiden anderen Kampfrichter drängten Karor zu Seite, um den Kampf im Rahmen der Regeln ablaufen zu lassen. „Du weißt, dass gefallene Kämpfer nicht angegriffen werden dürfen!“, ermahnte einer der beiden Karor. Gleichzeitig gab er das Zeichen für die erste Punktwertung zu Gunsten von Karor.
Fanir fühlte sich schwach und chancenlos, als er sich langsam und beschwerlich wieder aufrichtete. „Reiß Dich zusammen! – Du darfst nicht verlieren!“, sprach er langsam zu sich selbst. Plötzlich spürte er, wie die magische Kraft in seinen Brustkorb strömte und ihm die Schmerzen nahm. Gleichzeitig fühlte er sich kräftiger und sein Blick wurde klarer. Die Kampfrichter gaben das Gefecht wieder frei.
Mit einem wilden Schrei und über dem Kopf erhobenen Zweihänder rannte Karor auf Fanir zu. Der Schlag kam hart von oben nach unten und zielte auf Fanirs Kopf. Fanir versucht erst gar nicht, den mit brutaler Gewalt geschlagenen Zweihänder abzuwehren, sondern wich mit einer schnellen Bewegung nach rechts aus, so dass der strahlende Sol in seinem Rücken stand. Staubschwaden stiegen aus dem Sand der Arena auf. Durch den Schwung des ins Leere treffenden Schlages katapultierte sich Karor ungewollt nach vorne. Sofort rannte Fanir die wenigen Schritte hinter ihm her und sprang aus voller Beschleunigung, sich um die eigene Achse drehend und dann seine beiden Beine gestreckt nach vorne gerichtet, gegen Karors Rücken. Da sich Karor ebenfalls bewegte, war der Tritt nicht schmerzhaft. Er reichte jedoch vollkommen aus, um Karo über die Begrenzung des Kampfkreises zu drücken. Sofort brandete tosender Applaus und Geschrei in der Arena auf. Die Zuschauer jubelten Fanir zu, der nicht mit Gewalt, sondern einem geschickten Manöver seinen ersten Punkt ergattert hatte.
Karor erhob sich aus dem Dreck und starrte Fanir an – sein Blick starrte vor Wut und Kälte, als er in den Kreis zurückkehrte. Fanir war sich bewusst, dass er Karor ein zweites Mal nicht so einfach hereinlegen würde. Er ging in Verteidigungsstellung und wartete auf Karor. Dieser näherte sich dieses Mal deutlich langsamer und überlegter. Den Zweihänder hielt er schräg vor seinem Körper. Sein Schlag kam plötzlich, jedoch nicht so wuchtvoll wie beim ersten Angriff. Fanir parierte mit dem Klemmdolch. Sofort konterte er mit einem geschickten Kreisschlag. Karor riss den Zweihänder aus dem Klemmdolch und wehrte Fanirs Seitenhieb ab. Schlag folgte auf Schlag und keiner der beiden konnte einen entscheidenden Vorteil erringen. Jedoch trieben die wuchtigen Schläge des Zweihänders Fanir immer weiter auf den Rand des Kreises zu. Würde dies so weitergehen, würde Fanir in wenigen Augenblicken der Kreis verlassen und den Punkt verlieren. Er überlegte fieberhaft, was zu tun sei. Kurzentschlossen rannte er plötzlich, sein Schwert in Abwehrhaltung, aber schlagbereit, auf Karor zu. Dieser sprang einen Schritt zurück, um nicht den Vorteil seines längeren Schwertes aufzugeben, verlor dadurch aber seinen sicheren Stand. Im letzten Moment, bevor Fanir seinen Schlag führen konnte, nutzte Karor – wie schon so oft zuvor in seinen Kämpfen – den Sand der Arena als Verbündeten und schleuderte ihn mit seinem Fuß in Fanirs Augen. „Ich kann nichts mehr sehen“, schrie Fanir verzweifelt. Er hätte mit einer solch gemeinen Attacke rechnen müssen! Um aus der Reichweite von Karors Schwert zu kommen, machte er, ohne etwas zu sehen, einen weiten Satz und rollte sich über die Schulter ab. Sofort stand er wieder auf den Beinen, konnte aber immer noch nichts sehen. Unendliche Wut breitete sich in ihm aus. Zum einen über sich selbst, weil er hätte wissen müssen, wie Karor kämpfte, zum anderen weil er unfaires Kämpfen hasste. Mit der Wut kam die Wärme, die er dieses Mal nicht unterdrückte. Sie stieg in seinen Kopf und er konnte plötzlich seine Umgebung in bunten, wallenden Nebelschwaden wahrnehmen. Dies hatte er schon einige Male in dunkler Nacht ausprobiert; jedoch hatte er seine Umgebung noch nie so detailliert wahrnehmen können wie heute in der Arena. Karor nahm er – ohne sehen zu können, da seine Augen schmerzten und tränten – als schwarzen, sich überaus langsam bewegenden Schatten inmitten der bunten Nebel war. Wie in einem langsamen Tanz führte der schwarze Schatten das lange Schwert mit beiden Händen über seine linke Schulter, um einen kraftvollen Schlag vorzubereiten. Nach kurzem Zögern bewegte sich Karors Schwert von über der Schulter nach schräg unten gegen Fanirs Hüfte, um ihm keine Möglichkeit zu geben, unter dem Schlag hinweg zu tauchen. Dies war jedoch für Fanir auch nicht nötig. Er schloss die Augen ganz und wartete bis zum letzten Moment. Kurz bevor der Zweihänder ihn erreichen konnte, sprang Fanir wie von einer Feder in die Luft geschleudert, sich schnell um die eigene Achse drehend, in die Luft. In der Drehung traf er Karor mit voller Wucht mit seinem Schwert gegen dessen Kopf, seitlich am Helm und kurz über dem Ohr. Der Helm hatte eine tiefe Delle und Karor brach auf der Stelle zusammen und rührte sich nicht mehr. Diesmal gab es keinen Jubel. Das Publikum war stumm vor Entsetzen, da Fanir seinen Treffer mit unglaublicher Wucht und Geschwindigkeit vollzogen hatte. Fanir beugte sich über Karor und versuchte, an dessen Hals den Puls zu fühlen. Da war nichts! Fanir hatte schrecklich Angst und fühlte sich überaus schlecht. Er blickte zum Magae. Dieser hatte offensichtlich nicht gemerkt, dass Fanir Magie angewendet hatte, kam nun aber schnell näher, um zu helfen. Er legte seine Hand auf Karors Stirn, schloss die Augen und konzentrierte sich. Nach – wie es Fanir vorkam – unglaublich langer Zeit begann sich Karors Brust erst unregelmäßig, dann immer regelmäßiger zu heben und zu senken. Er atmete wieder! Fanir fiel ein Stein vom Herzen. Der Magae öffnete die Augen und sah Fanir lange und genau an. Dann sagte er laut in der immer noch währenden Stille der Arena: „Ein hervorragender Schlag, Fanir! Ich breche den Kampf hiermit ab und erkläre Dich zum verdienten Sieger!“
Nun setzte der Jubel ein. In unheimlicher Lautstärke nach der ängstlichen Stille zuvor. Auch die anderen drei Kampfrichter spendeten Applaus. Freunde und Bekannte von Fanir, der immer noch nicht wieder sehen konnte, strömten in die Arena, um ihn zu beglückwünschen und – wie üblich – auf Händen aus der Arena zu tragen. „Komm‘ nach der Siegesfeier in mein Zelt – ich muss mit Dir reden!“, sagte der Magae zu Fanir mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, bevor seine Freunde ihn erreichen konnten.
Am nächsten Morgen betrat Fanir das Zelt des Magae in aller Frühe. Auch wenn er erst am Nachmittag mit der Vorbereitung des nächsten Kampfes beginnen wollte, hatte er bis dorthin noch einiges zu erledigen. Der Magae saß an einem breiten Tisch aus einem sehr dunklen Holz, der einen guten Teil des großen Zeltes in Anspruch nahm. Er frühstückte gerade, wobei die Speisen, die auf dem Tisch standen, für ein Frühstück in den Bergen sehr ungewöhnlich waren. Fanir konnte nur Brot, Käse und buntes Obst entdecken. Das übliche Fleisch und Bier gab es nicht. Dafür stand eine große gläserne Karaffe mit einer schwarzen, dampfenden Flüssigkeit auf dem Tisch. „Herzlich Willkommen, Fanir. Ich freue mich, dass Du so schnell zu mir kommen konntest. Setz Dich doch bitte!“, sagte der Magae. Fanir trat langsam an den Tisch und setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber dem Magae. Er hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl, weil er während des Kampfes am Vortag – wenn auch nicht mit Absicht – Magie eingesetzt hatte. Er betrachtete den Magae zum ersten Mal genauer. Er war mit dem für Magae üblichen grauen Mantel bekleidet, der jedoch fast neu aussah und außergewöhnlich sauber war. Die Kapuze hatte er nicht über den Kopf gestülpt, so dass Fanir sein Gesicht unter den pechschwarzen Locken betrachten konnte. Es war von langen Aufenthalten im Freien dunkel gebräunt und dieses Braun stand in einem starken Kontrast zu den hellblauen, klaren, aber auch kalten Augen, deren Farbe an einen Bergsee in hellem Sonnenlicht erinnerte. Seine Züge waren trotz der vielen Falten sehr fein geschnitten und vermittelten einen intelligenten und äußerst wachen Eindruck. Wegen der Falten, die sich durch häufiges Lachen in sein Gesicht gegraben hatten, wirkte er trotz der eher kalten Augen überaus freundlich auf Fanir. Um seinen Hals trug er über dem Mantel eine einfache, aber fein gearbeitete Halskette, an deren Ende ein blauer Kristall angebracht war, der hervorragend zu der Farbe seiner Augen passte. Fanir wusste nicht, wer dieser Magae war und wo er her kam. „Guten Morgen“, eröffnete Fanir das Gespräch. „Ich bin Euch äußerst verbunden, wenn Ihr mir Euren Namen nennt! Ich möchte gerne erfahren, mit wem ich mich nun unterhalten werde.“ Der Magae lächelte freundlich. „Du bist forsch für einen dreizehnjährigen Jungen. Nicht viele Deines Alters haben den Mut, einen Magae anzusprechen und darüber hinaus auch nach seinem Namen zu fragen. Um Deine Frage zu beantworten: Mein Name ist Gandaros. Und ich werde Dir nun einiges mehr über mich, aber auch einiges über Dich selbst erzählen.“ Fanirs Gedanken rasten. Der Name Gandaros war auf ganz Tarris bekannt. Er galt als einer der ältesten Homuae, die noch lebten, und vereinte angeblich das Wissen der alten mit dem der neuen Zeit. Er war derjenige, der den Geschichten nach zu Zeiten seines bekannten Vorfahren Farnos den Bund der Magier von Tarris ins Leben gerufen haben soll.
„Du schaust verblüfft. Daher nehme ich an, dass Du meinen Namen schon einmal gehört hast“, sagte Gandaros. Fanir antwortete nicht, sondern blickte weiterhin erstaunt den Magae an. „Nun, dies wird ein sehr einseitiges Gespräch, wenn Du Dich entschließt, meine Fragen nicht zu beantworten und nichts mehr sagen möchtest. Erzähle mir doch bitte, was Du über Deinen Vorfahren Farnos und über die Geschichte Deiner Familie, das Vandor-Geschlecht, bisher erfahren hast.“ Fanir war verblüfft. Er wusste zwar, dass er aus einer Familie stammte, die vor langer Zeit über viel Einfluss verfügte und dass einer seiner Vorfahren ein König gewesen sein soll, dass er jedoch von Farnos abstammen sollte, hatte er noch nie gehört. Auch sein Vater hatte hierüber kein Wort verloren. „Wie kommt Ihr darauf, dass Farnos ein Vorfahre von mir sei? Selbst mein Vater hat dies nie erwähnt.“ „Nun, dies ist einfach zu erklären. Farnos war ein sehr guter Freund von mir und wir wechselten gemeinsam von der alten in die neue Zeit. Wir verbrachten gemeinsam einen sehr, sehr langen Zeitraum als enge Gefährten und Verbündete. Während er sich um Politik und Krieg bemühte, befasste ich mich mit den neuen Künsten, die es seit dem Übergang vom alten in das neue Zeitalter gibt.“ Gandaros blickt sehr traurig. „Wenn er nicht heimtückisch ermordet worden wäre, wären wir wahrscheinlich heute noch Gefährten.“ „Ihr, Ihr … Ihr müsst unglaublich alt sein – wie ist das möglich?“ Gandaros blickte Fanir lange in die Augen und sagte: „Es liegt an der Magie. Wenn man sich sehr, sehr eng mit ihr einlässt, die nötige Befähigung hat und eine gute magische Ausbildung erhält, altert man kaum noch. Aber man hat einen Preis dafür zu zahlen. Aber darüber berichte ich Dir vielleicht ein andermal.“ „… und wie kommt es, dass Ihr mich kennt? Ich habe Euch gestern beim Wettkampf das erst mal gesehen!“ Gandaros blickte nachdenklich. „Als Farnos in meinen Armen starb, bat er mich, auf seine Nachkommen zu achten, solange ich lebe. Selbstverständlich erfüllte und erfülle ich diesen, seinen letzten Wunsch. Seit fast 2.000 Jahren versuche ich, Deine Familie zu schützen. Leider kann ich nicht immer bei Euch sein, da ich auch viele andere Aufgaben habe. Ich war sehr unglücklich, als ich erfuhr, dass Dein Vater gestorben ist. Ich kannte ihn sehr gut. Was genau ist passiert? Warum starb er?“
Fanir unterdrückte die Tränen, als er an die letzten Momente dachte, die er mit seinem Vater verbringen konnte. Sie waren gemeinsam in den Wäldern unterwegs gewesen; es war früher Morgen. „Wir waren auf der Jagd. Es war erst mein zweiter Jagdausflug und Vater brachte mit das Bogenschießen bei. Wir hatten noch keine Rehe gesehen und ich versuchte, auf einen weit entfernten Strohballen zu schießen, der noch von der letzten Ernte übrig geblieben und vergessen worden war. Obwohl es schon Herbst war und die Bäume bunte Blätter hatten, war es ein warmer Morgen. Vater machte sich über mich lustig, weil ich kaum bis zu dem Strohballen schießen konnte. Er war zu weit entfernt für mich. Da hörten wir auf einmal dieses Schnattern und Klappern.“ Die Augenbrauen von Gandaros zogen sich in die Höhe, als wisse er, was nun passieren würde. „Sie kamen von allen Seiten, es waren mehr als zehn. Vater zog sofort sein Schwert. Sie sahen aus wie riesige Termiten, fast so groß wie ein großer Hund, und griffen meinen Vater von allen Seiten gleichzeitig und ohne zu zögern an. Er kämpfte wie ein Wilder, aber er hatte keine Chance. Auch wenn er sehr stark und ein hervorragender Schwertkämpfer war, konnte er kaum eines dieser Tiere verletzten. Ihre Panzer waren zu hart. Er schrie mir zu, ich solle um mein Leben laufen – so schnell und solange ich nur könne. Ich zögerte erst und sah ihn blutüberströmt zusammenbrechen. Die Tiere hatten sichelförmige Kiefer und bissen immer weiter auf ihn ein. Da rannte ich los. Nach einigen hundert Schritten blieb ich stehen und sah mich um, um zu schauen, ob Vater es doch noch geschafft hätte. Dies war ein Fehler. Zwei Termiten hatten mich verfolgt und waren kurz hinter mir. Sofort rannte ich weiter und spürte kurz darauf einen heftigen Schmerz im Bein. Eines der Tiere hatte mich erwischt und hing an meinem Bein. Da geschah es das erste Mal …...“
Wieder zuckten die Augenbrauen von Gandaros in die Höhe. „Was ist passiert? Wie bist Du entkommen? Fanir zögerte. Er hatte noch nie zu jemandem darüber gesprochen. Und Gandaros war eigentlich ein Fremder, den er erst gestern das erste Mal gesehen hatte. „Was ist passiert?“, wiederholte Gandaros; er klang fast schon ungeduldig. „Auf einmal spürte ich diese Wärme. Sie strömte aus meinem Brustkorb in meinen ganzen Körper. Die Schmerzen, die durch den Biss verursacht worden waren, verschwanden fast augenblicklich und ich fühlte mich so gesund und stark wie nie zuvor in meinem Leben. Ich riss an den Zangen des Tieres, mit denen es mich gepackt hatte und brach sie aus dem Kopf heraus. Sofort rannte ich weiter. Ich rannte so schnell und so lange wie nie zuvor in meinem Leben und hielt erst an, als ich eine Straße erreichte, auf der ein Planwagen fuhr. Sie brachten mich zurück nach Hornstadt. Vater kam nicht mehr.“
Gandaros und Fanir verfielen beide in ein langes Schweigen, bis der Magae das Gespräch wieder aufnahm. „Es waren Karruum. Gefährliche Kreaturen, für die wir Homuae nichts weiter als Nahrung sind. Sie sind schlau und man kann sogar mit ihnen sprechen. Jedoch denken sie ganz anders, als wir es tun. Sie sind nicht böse – nur anders. Vor langer Zeit habe ich mich mit ihrer Königin unterhalten. Es war in einem sehr kalten Winter. Sie vertragen die Kälte nicht und werden dann unbeweglich. Zu diesen Zeiten kann man es wagen, auch ohne Schutz zu ihnen zu gehen. Die Karruum sind während des Wechsels vom alten auf das neue Zeitalter von unserem Nachbarplaneten Neska nach Tarris gekommen. Dort lebten sie, als Sol wuchs und Neska unbewohnbar machte. Sie kommen in den letzten Jahren immer häufiger aus ihren Städten unter der Erde hervor und gehen auf Nahrungssuche.“ Fanir sah ihn an. „Woher wisst Ihr dies alles? Warum hat mein Vater mir nicht über Euch und all diese Dinge erzählt?“ „Er hätte Dir dies alles und noch viel mehr nach Deinem fünfzehnten Geburtstag erzählt. Auch ich würde Dir dies alles nicht erzählen, wenn mich nicht sehr außergewöhnliche Dinge dazu zwingen würden.“ Gandaros dachte wieder einen Moment nach.
„Lass uns einen Spaziergang zum Horn machen. Ich habe Dir noch einiges mehr zu erzählen“. Sie machten sich auf den Weg und gingen schweigsam nebeneinander her. Gandaros brach schließlich das Schweigen. „Du hast Dich gestern während des Kampfes außergewöhnlich schnell bewegt. Ich habe bereits gestern vermutet, dass Du Magie eingesetzt hast. Allerdings konnte ich die typischen Veränderungen in Deiner Umgebung nicht spüren. Dies ist ebenso außergewöhnlich wie der frühe Zeitpunkt, zu dem sich die Magie in Deinem Leben bemerkbar gemacht hat. Du musst sehr vorsichtig damit umgehen. Magie ist wie ein Lebewesen, das sein Leben beginnt, wenn es ein geeignetes Behältnis findet – zum Beispiel einen Homuae wie Dich. Je länger die Magie Partner eines Homuae ist und je häufiger sie eingesetzt wird, desto heftiger versucht sie, die Kontrolle über das Lebewesen zu erlangen, in dem sie wohnt. Es wird im Laufe der Zeit immer schwieriger, sie zu kontrollieren. Dies endet in einem Machtkampf, der mehrere Tage dauern kann. Dabei kann die Magie verlöschen oder das Lebewesen sterben. Für das Lebewesen ist der Kampf in jedem Fall überaus schmerzhaft und es braucht Wochen oder Monate, um sich davon zu erholen. Siegt jedoch der Homuae und bezwingt die Magie, wird er sie lange Zeit in seinem Sinne einsetzen können – sozusagen als treuen und verlässlichen Gefährten. So erging es mir vor vielen, vielen Jahren. Es geschieht jedoch nur sehr selten. Dein Vorfahre Farnos und ich waren die einzigen in den ersten 50 Sonnenumläufen des neuen Zeitalters, die die Magie in diesem Kampf überwanden! Der weitaus größte Teil der magisch begabten Lebewesen, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt habe, musste jedoch den Preis zahlen. Dieser ist hoch und schrecklich. Bemächtigt sich die Magie des Lebewesens, hört dieses nahezu auf zu denken und verwandelt sich in ein Monster. Es lebt davon, andere Lebewesen zu jagen und zu fressen. Dafür setzt es die wenigen ihm noch gebliebenen magischen Fähigkeiten ein. Es verwandelt sich im Laufe der Zeit auch körperlich. Einem Homuae wachsen Klauen und der Kopf wird deutlich kantiger und größer; er wird zu einem sogenannten Wrokork. Die Kraft eines solchen Lebewesens nimmt erheblich zu, da alle seine Muskeln stark wachsen. Für einen veränderten Homuae stellt es keine Schwierigkeit dar, einen großen Baum auszureißen! Im Gegenzug nehmen Reaktionen und Schnelligkeit ab. Zusammenfassend können solche Wesen nur bedauert werden. Nach einiger Zeit verschwinden sie in einer Art Zwischenwelt, aus der sie mit Magie zurückgeholt werden können. Passiert dies, werden sie deutlich gefährlicher, da sie dann ihre ursprüngliche Beweglichkeit und Schnelligkeit zurückerlangen.
Jedoch gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Ich habe bereits drei Lebewesen kennen gelernt, zwei Homuae und eine Jorka, deren Verstand sich nach der Niederlage gegen die Magie nach einiger Zeit noch einmal gewehrt und die Magie in einem zweiten Versuch besiegt hat. Auch wenn bei allen dreien nur wenig Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Kampf lag, hatte sich ihr Geist in schrecklicher Weise verändert. Sie waren in jeder Hinsicht böse geworden und strebten unaufhaltsam nach Macht. Die enorme Verknüpfung mit der Magie führt bei solchen Wesen zu außergewöhnlichen und mächtigen magischen Fähigkeiten. Aber auch ihre körperlichen Fähigkeiten sind denen normaler Lebewesen deutlich überlegen. Besonders gefährlich ist ihr Wunsch, Wege zu anderen Welten zu öffnen, um dunkler Magie Zugang zu unserer Welt zu verschaffen. Bisher ist es mir gelungen, zwei der drei in die Abgründe zu verbannen. Einer der beiden veränderten Homuae lebt jedoch im Nordosten und hat dort bereits ein gewaltiges Imperium geschaffen.“
Fanir und Gandaros hatten bereits das Dorf hinter sich gelassen und befanden sich auf dem Weg zur Plattform unterhalb des Gipfels des Horns. Gandaros blickte hinunter auf Hornstadt und erinnerte sich an die Pracht und Größe, die diesen Ort vor vielen, vielen Jahren ausgezeichnet hatte. Bevor Gandaros das Gespräch fortsetzte, überlegte er, wie er Fanir erklären konnte, was dieser tun müsse, ohne ihn zu verängstigen. Schließlich beschloss er, heute nur das Nötigste zu erklären – auch dies würde Fanir sehr beunruhigen.
„In Deiner Familie gab es einst ein Schwert, das von Vater zu Sohn oder Tochter weitergeben wurde. Es wurde in früheren Zeiten Sternenstaub genannt. Seine Bezeichnung beruht darauf, dass die zerstörerische Kraft der Schmiedekunst des alten Zeitalters mit der Magie des Steinbrockens, der unsere Sonne zwar nicht zerstörte, aber veränderte, kombiniert wurde. Dieses Schwert ist einzigartig und eines der kostbarsten Artefakte, die es heute gibt. Hat Dein Vater es Dir gegeben? Sein Träger kann seine eigene Magie mit der des Schwertes verbinden und es so zu einer wirklichen Macht werden lassen!“ Fanir zögerte mit seiner Antwort und überlegte, ob er auch dieses Geheimnis preisgeben solle. Außer seiner Mutter wusste kein lebendes Wesen, dass er dieses Schwert besaß und es gut versteckt hatte. Es sah anders aus als andere Schwerter und es war deutlich ausgewogener als die in Hornstadt üblichen Waffen. Daher hatte er die Kopien gefertigt. Sternenstaub konnte im Vergleich zu anderen Schwertern nicht mit brutaler Gewalt, dafür aber mit hervorragender Präzision und unglaublicher Geschwindigkeit geführt werden. Es war in einem sehr guten Zustand und hatte keine Gebrauchsspuren. Die Klinge war vom Heft bis zur Spitze leicht gebogen, war an nur einer Seite geschliffen und schien von innen heraus rot zu leuchten. Oberhalb des Griffes, der mit einem Fanir unbekannten, fast weichen Metall überzogen war, das sich der Hand anpasste, befand sich ein roter Edelstein, der in die Klinge eingelassen worden war. Er erweckte den Eindruck, mit der Klinge verwachsen zu sein. Wie Wurzeln einer Pflanze zogen sich von dem Edelstein rote Fäden durch die Klinge. Die Klinge selbst bestand aus einem ungewöhnlichen Metall. Es sah aus, als wenn tausende von Schichten dünner, verschiedener Metallsorten gefaltet und anschließend geschliffen worden wären. Fanir zögerte weiter mit seiner Antwort.
Während diese Zögerns beobachtete ihn Gandaros sehr genau und je länger Fanirs Zögern dauerte, desto mehr breitete sich ein glückliches Lächeln auf Gandaros‘ Gesicht aus. „Ich sehe, dass sich das Schwert in Deinem Besitz befindet! Dies ist eine überaus glückliche Nachricht! Meine Forschungen haben mir gezeigt, dass dieses Schwert eine der sehr wenigen Möglichkeiten sein wird, den überlebenden der drei dunklen Magier daran zu hindern, unsere Welt den Wesen der dunklen Magie zu öffnen! Aber hab‘ keine Angst! Die Macht Dakarons, dies ist der Name des dunklen Magiers, ist noch nicht stark genug, die Pforten zu öffnen. Er wird ohne diese Schwert noch lange Zeit benötigen, um das Wissen zu erlangen, die Pforten zu öffnen. Jedoch wird es ihm schnell gelingen, falls er in den Besitz des Schwertes kommen sollte. Daher wird es wichtig sein, dass Du es weiterhin versteckt hältst und niemandem – absolut niemandem – von ihm erzählst. Wirst Du dies tun?“ Fanir runzelte die Stirn. Er hatte das Schwert immer versteckt gehalten und es so gut wir noch nie benutzt. „Warum sollte ich? Es ist ein gutes Schwert – wesentlich besser als die beiden Kopien, die ich von ihm gefertigt habe.“ Gandaros dachte darüber nach, welche Folgen ein unbedachter Einsatz des Schwertes für Tarris haben könnte. Auch dachte er noch einmal darüber nach, in wie weit er Fanir heute schon ins Vertrauen ziehen könne. Schweren Herzens fuhr er fort: „Außer Deinem Schwert gibt es drei weitere Artefakte, die in der Lage sind, ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen – oder auch für immer zu verschließen. Dakaron, der selbst in einer bestimmten Art und Weise Teil der dunklen Magie ist, wird versuchen, ein solches Tor zu öffnen. Die dort vorhandenen magischen Geschöpfe werden nach Tarris strömen und ihm helfen, die bekannte Welt in einem gigantischen Krieg zu unterwerfen. Eine dunkle Zeit würde dann anbrechen, in der Dakaron Herrscher über Leben und Tod und seine Verbündeten eine schreckliche Geißel sein werden. Alle Geschöpfe unserer Welt müssten ihm gehorchen und dienen – oder sterben! Um dies zu verhindern, dürfen die vier Artefakte keinesfalls in seine Hände geraten. Es gibt eine Gruppe – ich bin ein Teil davon – die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die vier Artefakte zu finden, zu schützen und vor ihm zu verbergen. Oder auch mit ihnen gegen Dakaron zu kämpfen.“ Fanir und Gandaros hatten die Plattform erreicht, von der aus die Bewohner von Hornstadt Angriffe so oft unterbunden hatten. Beide blickten hinab in die schöne, aber schroffe Wildnis und hingen ihren Gedanken nach, bevor Fanir das Gespräch wieder eröffnete. Sein Blick streifte über die Ruinen, die überall aus dem Wald ragten. „Gut – ich werde das Schwert weiter versteckt halten. Aber wie soll es weitergehen?“. Gandaros zögerte wieder einen Moment. Es war seinem Körper anzusehen, dass er angespannt war und es ihn ein gutes Stück an Überwindung kostete, weiter zu sprechen. Er erweckte den Eindruck, als wenn er ein großes Geheimnis preisgäbe. „Meine Gefährten vom Bündnis der Erfahrenen und ich haben einen Plan. Ich kann Dir nicht alle Einzelheiten erläutern, möchte Dich jedoch so weit einweihen, dass Du verstehst, dass Deine Zurückhaltung bei der Verwendung des Schwertes auch für Dich selbst sinnvoll ist. Das Bündnis der Erfahrenen sind, wie auch ich, alte Leute, die jedoch in der Anwendung der Magie und auch der Schwertkunst umfangreiche Erfahrung gesammelt haben. Wir alle sind nicht zu alt zum Kämpfen, aber – um ehrlich zu sein – wir haben die Zeiten, in denen jeder einzelne von uns als ein unbesiegbarer Meister, sei es in der Schwertkunst oder auch in der Magie, galt, lange hinter uns gelassen. Selbst an Wesen, deren Lebensspanne durch die Magie weit ausgedehnt werden kann, geht das Alter nicht vorüber. Im Gegenteil. Nach vielen Lebensspannen beschleunigt sich der Prozess des Alterns wieder, so dass ein Ende absehbar wird.
Diejenigen, die der dunklen Magie verfallen sind, unterliegen diesem Alterungsprozess nicht. Zumindest so lange nicht, bis die Verbindung zur Magie unterbrochen oder diese aus ihrem Körper verbannt wird. Daher möchten wir eine Gemeinschaft ins Leben rufen, die aus Wesen besteht, die unsere Aufgabe fortführen können, wenn wir schwächer und schwächer werden. Keine Angst – dieser Tag ist noch fern. Jedoch möchten wir unsere Nachfolger so gut ausbilden, wie es nur geht. Sie sollen stärker werden, als wir selbst es zu unseren besten Zeiten waren. Und eine solche Ausbildung dauert lange. Vergiss nicht, dass ich, der ich der Älteste in unserem Bund bin, nun bereits seit zweitausend Sonnenumläufen verhindere, dass das Böse unsere Welt überwältigt! Um es kurz zu machen. Wir beobachten Dich seit langer Zeit. Ich war Magae während des Turniers, um ein letztes Mal zu überprüfen, ob Du über die Fähigkeiten verfügst, Teil dieser Gemeinschaft zu werden. Ich denke, ich werde meinen Bündnisgenossen mitteilen, dass Du über die nötigen Eigenschaften verfügst.“
Fanir sah überaus verblüfft aus. Er starrte Gandaros mit großen Augen aus seinem noch kindlich anmutenden Gesicht an. Es war offensichtlich, dass er diese Offenbarung nicht wirklich verinnerlichen konnte. „Du wirst Dich bis zu Deinem fünfzehnten Lebensjahr weiter intensiv von Lortir im Kampf ausbilden lassen. Ich erwarte, dass Du Dir noch mehr Mühe gibst, als Du es bisher schon getan hast. Sternenstaub – dies ist der Name des Schwertes, das Du versteckt hältst – braucht einen überaus gut ausgebildeten Kämpfer, um richtig geführt zu werden. Außerdem muss der Kämpfer mehr als die Grundlagen der Magie verstanden haben. Das Bündnis wird sicherstellen, dass Deine Fähigkeiten sowohl im Schwertkampf als auch in der Magie entwickelt werden. Aber auch Wissen und Verständnis für Tarris und die auf Tarris lebenden Menschen müssen entwickelt werden. Mit Lortir hast Du einen der besten Lehrer, den es auf dieser Welt gibt, wenn es um das richtige Anwenden von Waffen geht. Jedoch musst Du auch Deinen Bildungsstand verbessern und die Grundlagen der Magie erlernen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass die Magie Deinen Geist zu überwältigen versucht, solange Du nicht vorbereitet bist. Aus diesem Grund wirst Du einen zweiten Ausbilder, besser gesagt eine Ausbilderin erhalten. Sie wird dafür Sorge tragen, dass Dein Wissen, auch das Wissen um die Magie, schnell weiter entwickelt wird. Es wird eine anstrengende Zeit für Dich bis zu Deinem fünfzehnten Lebensjahr werden – aber die Anstrengungen werden sich lohnen. Der Name Deiner Ausbilderin lautet Karameen. Kommt Dir dieser Name bekannt vor?“
Karameen war ein ungewöhnlicher Name auf Tarris. Fanir konnte sich an nur eine Homuae erinnern, die einen solchen Namen trug. Er war noch sehr klein gewesen und konnte sich kaum an die Zeiten erinnern, als seine Großmutter häufig Besuch von einer sehr schönen Frau erhalten hatte. Das einzige, was ihre Schönheit störte, war die scharlachrote Augenklappe, die ihr rechtes Auge bedeckte. Sie stand in einem starken Kontrast zu den tiefschwarzen Haaren der Frau, passte jedoch hervorragend zu ihren roten Lippen. Er erinnerte sich insbesondere deswegen an sie, weil sie seine Großmutter, die viel älter aussah als die Frau, immer mit „mein Kind“ anredete. Jedes Mal, wenn sie dies tat, fühlte er sich angesprochen und blickte sie an. Seine Mutter und sein Vater schienen sie nicht besonders zu mögen und verhielten sich in ihrer Gegenwart anders als sonst. Er hatte sie vor einem guten Jahr noch einmal flüchtig gesehen. Eigentlich war er nicht sicher gewesen, dass es Karameen war, aber auch diese Frau trug eine scharlachrote Augenklappe. Fanir war damals verwundert gewesen, da sie aus dem Haus seiner Freundin Maurah kam. Als er Maurah über sie befragen wollte, weigerte sie sich, über die Frau zu sprechen. Dies war mehr als ungewöhnlich. „Eine Freundin meiner Großmutter, die jedoch nicht viel älter als meine Eltern war, trug diesen Namen. Ihr fehlte ein Auge. Ich kenne sie jedoch nicht gut, da ich noch zu klein war, als sie meine Großmutter besuchte.“
„Dies ist die Karameen, die ich meine. Sie ist auch von mir eine gute Freundin. Unsere Freundschaft besteht schon seit langer, langer Zeit. Karameen ist eine erfahrene und noch dazu hervorragende Magierin, die über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt. Sie sieht deutlich jünger aus als sie ist. Auch war sie nicht die Freundin Deiner Großmutter, sondern ihre Lehrerin! Sie wird bald ankommen und Kontakt zu Dir aufnehmen. Du kannst Ihr in jeder Hinsicht vertrauen – auch wenn sie manchmal ein wenig merkwürdig wirkt. Sie wird versuchen, Dir vieles zu erklären, was Dir heute unvorstellbar scheint. Wie schon bei Deiner Großmutter wird sie auch weiterhin sicherstellen, dass das Wissen über Geschichte und Magie in Deiner Familie bestens erhalten wird. Bitte gib Dir Mühe in dieser Ausbildung. Du wirst nicht überleben können, wenn Du nicht alles lernst, was Du wissen musst! Aber sei misstrauisch gegenüber allen anderen Wesen. Dakaron verfügt über unzählige Spione, die durch die Welt reisen und nach den vier Artefakten Ausschau halten, die ihrem Meister eine schnelleren Zugang zur Welt der dunklen Magie eröffnen können. Vergiss nicht, dass eines dieser Artefakte Dein Schwert Sternenstaub ist. Wenn Du Dein fünfzehntes Lebensjahr erreichst, wird dieser Teil Deiner Ausbildung abgeschlossen sein. Ich werde dann mit Dir zum Tarutos reisen, wo Du Deine Ausbildung abschließen wirst. Wenn Du die Prüfung bestehst, wirst Du eines der jüngeren Mitglieder des Bündnisses der Erfahrenen werden.“
Fanir fühlte sich, als wenn ihm im Training ein Schwert mit der flachen Seite gegen seinen Kopf geschlagen worden wäre. Er konnte kaum fassen, dass ihm die Möglichkeit gegeben werden sollte, zum legendären Wüstenvulkan Tarutos zu reisen und dort das nicht weniger legendäre Bündnis der Erfahrenen kennen zu lernen. Die Erfahrenen setzten sich nicht nur aus Homuae zusammen. Viele Wesen anderer Völker lebten dort in Eintracht zusammen und verfolgten gemeinsame Ziele. Er kam sich vor wie in einem Traum. Der Unterschied war: Wenn er erwachte, würde sich nichts ändern! Er blickte Gandaros ungläubig an. „Wenn dies alles wahr ist, was ihr mir berichtet – wie komme ausgerechnet ich zu dieser Ehre?“ Gandaros konnte neben der Verwunderung einen leichten Zweifel in der Stimme von Fanir erkennen, widmete dem aber nur einen kurzen Gedanken. „Dies hat mehrere Gründe. Die beiden wichtigeren sind, dass Du bereits heute über ein außergewöhnliches Talent zum Schwertkampf verfügst – wie viele Deines Volkes gibt es, die bereits im Alter von dreizehn Jahren das Turnier gewonnen haben? – und dass bei Dir die magische Veranlagung für jemanden, der eigentlich ein Schwertkämpfer ist, äußerst stark ausgeprägt ist! Deine Fähigkeiten sind wahrscheinlich, selbst wenn Du ausgebildet sein wirst, nicht mit denen eines Magiers vergleichbar, aber sie werden stark sein. Dadurch, dass Du diese beiden Fähigkeiten vereinst, kann es möglich sein, dass Du – mit Hilfe anderer – dem Feind wiederstehen kannst. Auch wenn Deine Familie nicht mehr über den Einfluss, die Macht und den Glanz vergangener Zeiten verfügt, so fließt doch dieses bemerkenswerte Blut in Deinen Adern. Dies ist ein weiterer Grund. Die Angehörigen des Vandor-Geschlechtes haben sich stets als zuverlässige Verbündete erwiesen. Diese Tradition reicht bis zu Deinem Urahn Farnos zurück, so dass ich die große Hoffnung habe, dass dies auch bei Dir der Fall sein wird.“ Fanir runzelte die Stirn, was seinem jungen Gesicht einen älteren Ausdruck verlieh, sagt aber nichts.
Gandaros reichte ihm eine kleine Metalldose. „Klapp‘ sie auf!“ Fanir tat, wie ihm geheißen und blickte verwundert auf das fein gearbeitete Innere. Unter einem mit großer Handwerkskunst geschliffenen Glas, das in der heutigen Zeit nur selten zu finden war, drehte sich ein Zeiger über einem kunstvoll gemalten, runden Ziffernblatt, der sich zusehends beruhigte. Es erinnerte an einige der wenigen noch vorhanden Chronographen, die angaben, wie weit der Tag oder die Nacht fortgeschritten waren. Solche Dinge hatten einen unermesslichen Wert, da sie noch aus der alten Zeit stammten! „Dies ist ein Kompass. Seine Zeiger zeigen immer in die gleiche Richtung. Sie zeigen zu den Polen von Tarris, nach Norden und nach Süden. Er funktioniert, weil die Zeiger magnetisch sind und die Pole unseres Planeten stark positiv und negativ magnetisch sind. Es ist ein zuverlässiger Wegweiser, solange Du Dich nicht in der Nähe anderer Magnete befindest!
Ich werde in den nächsten zwei Jahren einige anspruchsvolle Aufgaben erfüllen müssen, so dass ich Dich im ersten Teil Deiner Ausbildung nicht begleiten kann. Ich hoffe jedoch zuversichtlich, dass ich rechtzeitig zu Deinem fünfzehnten Geburtstag zurück sein werde, um gemeinsam mit Dir zum Vulkan zu reisen. Sollte ich aufgehalten werden – was ich nicht hoffe – musst Du auf jeden Fall allerspätestens an Deinem fünfzehnten Geburtstag in Richtung Tarutos aufbrechen! Karameen wird Dir Instruktionen geben oder Dir helfen, den Weg zu finden. Im schlimmsten Fall wirst Du auch ohne Karameen auf Dich alleine gestellt aufbrechen müssen. Wenn dies so kommen sollte, kannst Du den Kompass nutzen, um den Weg zu finden. Um den Tarutos zu finden, gehst Du immer in Richtung Süden, bis Du nach ungefähr vierzig Umläufen den Rand der großen Wüste erreichst. Süden wird auf dem Kompass immer durch das dickere Ende der Nadel des Kompasses angezeigt! Wenn Du den Rand der Wüste erreicht hast, gehst Du immer geradeaus nach Südwesten, bis Du einen hohen Berg siehst. Dies ist der Tarutos, Du kannst ihn nicht verfehlen. Aber sei vorsichtig. Der Weg durch die Wüste ist beschwerlich und Du benötigst Wasservorräte für fünf Tage. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass Du verdurstest! Hast Du dies verstanden und wirst Du dies nicht vergessen?“
Gandaros verabschiedete sich, ohne auf eine Antwort zu warten, und verließ die Plattform. Fanir sah lange auf den dunklen Schlund des Tunnels, nachdem Gandaros in ihm verschwunden war. Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Zum einen war er begeistert von der Vorstellung, zum Vulkan aufzubrechen, zum anderen fühlte er sich einsam und verlassen - mit einer Aufgabe vor sich, von der er überhaupt nicht wusste, wie er sie wohl bewältigen könne.