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ОглавлениеDank Uschi gehörte ich auf einmal zu den drei angesehensten Schülern der gesamten Unterstufe. Die anderen waren ein Bub in der Parallelklasse, von dem es hieß, er spiele Klavier wie der junge Mozart, und ein dreizehnjähriges Mädchen, das unter dem Einsatz ihres Lebens einen Welpen vor dem Ertrinken gerettet hatte. Plötzlich wollten alle mit mir befreundet sein – außer Hetti, die zu stolz war, um sich bei mir anzubiedern. Doch für Freundschaften blieb mir leider keine Zeit. Uschi hatte große Probleme in der Schule, und ich musste ihr in fast allen Fächern Nachhilfe geben. Außerdem war sie rasend eifersüchtig und drehte durch, wenn ich mich mal zwei Nachmittage hintereinander nicht bei ihr blicken ließ. Dafür kochte sie regelmäßig die wunderbarsten Gerichte für mich, weil sie mich für zu dünn hielt. Ich habe nie mehr so gutes Miracoli mit Streukäse bekommen wie bei den Besuchen bei ihr, über die ich gern ausführlich berichtete. Bald konnte ich jedes Zimmer ihrer Wohnung beschreiben. Bei meinen Klassenkameraden, die jeden Morgen auf die neuesten Uschi-Geschichten warteten, stieß besonders das Badezimmer auf großes Interesse. Das musste Uschi nur mit ihrer Mutter teilen, denn ihr Vater, ein Offizier, war bei einem Manöver betrunken unter einen Panzer geraten (von einem solchen Unglück während seiner Bundeswehrzeit hatte mein Vater mal erzählt).
Das Aufregende an Uschis Badezimmer war, dass nicht nur der Klodeckel, sondern auch die Brille mit rosa Frotteestoff bezogen war.
»Und da pieselst du dann drauf?«, sagte Thomas, der schon wieder nicht mehr mit Gabi ging und sein Interesse an Uschi kaum verhehlte.
»Nein, natürlich nicht.«
»Du pieselst im Sitzen wie eine Frau?«, sagte Hans-Jürgen entsetzt.
»Nein, wie eine Frau doch nicht.«
Ich überspielte mit Mühe meine Überraschung über diese Information. Ich hatte meine Mutter noch nie pieseln sehen, sie mir dabei aber immer wie einen normalen Menschen vorgestellt – also stehend.
»Ich klappe die Brille hoch. Oder glaubt ihr, eine Frau wie Uschi will mit einem Saubär zusammen sein?«
Betretenes Schweigen machte sich breit. Offenbar wollte sich keiner verraten. Auch ich hatte lange gebraucht, um mir das Hochklappen anzugewöhnen. Meine Mutter hatte sich regelmäßig über die Tröpfchen auf der Brille beschwert. Ich verstand sie, weil ich es auch nicht mochte, wenn ich beim großen Geschäft etwas Feuchtes am Hintern spürte, war aber oft sehr in Eile gewesen. Wenn ich schon peinlicherweise wegen einer vollen Blase vom Bolzplatz nach Hause rennen musste, wollte ich meine Mitspieler wenigstens nicht lange warten lassen. Manchmal hatte ich das Hochklappen auch vergessen, weil ich mit meinem Kopf woanders war. Bei meinem Opa Hammerl zum Beispiel und dem Rätsel seines Rauswurfs aus St. Ottilien. Zum konsequenten Hochklapper war ich erst vor einigen Wochen geworden, nachdem mein Vater mich an der Klotür zur Rede gestellt hatte.
»Du weißt, dass der liebe Gott alles sieht?«
Ich nickte.
»Aber du glaubst vielleicht, dass er wegschaut, wenn du aufs Klo gehst.«
Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht.
»Da täuschst du dich, mein Lieber. Er schaut zu! Grade da. Weil er es nicht mag, wenn deine Mutter oder Hertha die Brille putzen muss.«
Ich fragte ihn nicht, wieso eigentlich nur Frauen die Brille putzten, weil es immer schon so gewesen war. Da ich es trotzdem ein bisschen ungerecht fand, verstand ich, dass meine Mutter Unterstützung aus dem Himmel bekam.
Leider führte die Information, dass der liebe Gott mir auf den Zipfel schaute, zu einer Hemmung beim Pieseln. Ich hatte nicht geahnt, um was für einen heiligen Moment es sich handelte, und mich immer mit einem kräftigen, geraden Strahl erleichtert. Jetzt konnte ich nicht mehr richtig entspannen und verlor durch mein endloses Getröpfel wertvolle Minuten beim Fußballspiel. Mein Vater wenigstens hatte sein Ziel erreicht: Ich vergaß die Brille nie mehr – nicht einmal in meinen Erzählungen über Uschi.
Bald musste ich feststellen, dass die Gier meiner Mitschüler nach neuen Sensationen mit jeder Uschi-Geschichte zunahm. Sie kamen mir vor wie unsere Britta, bei der man aufpassen musste, dass sie sich mit dem Würstchen nicht auch noch die Hand schnappte. Thomas zum Beispiel wollte unbedingt hören, ob wir außer Miracoli essen auch noch »andere Sachen« machten. Dabei zwinkerte er, als wollte er sagen, ich wüsste schon, was er damit meinte. Ich wusste es nicht.
»Ich kann euch unmöglich alles erzählen, sie würde mich umbringen.«
»Wir verraten doch keinem was«, sagte Thomas.
Da erzählte ich, dass Uschi und ich gern auf dem Sofa lagen und »Blowin’ in the wind« hörten.
»In der Fassung von Bob Dylan oder Peter, Paul and Mary?«, fragte Hans-Jürgen.
Ich kannte nur die Fassung aus dem neuen Liederbuch für Ministranten, sagte aber, weil es spannender klang: »Peter, Paul and Mary.«
»Echt, auf dem Sofa? Ihr zwei allein?«, vergewisserte sich Thomas.
»Manchmal liegen wir auch auf ihrem Perserteppich.«
»Perverserteppich«, sagte Thomas und verschluckte sich vor Lachen. Ich hatte den Witz schon öfter von meinem Vater gehört und musterte ihn mitleidig.
Ein Siebtklässler, der sich plötzlich auch für mich interessierte, wollte wissen, ob wir auch knutschten.
»Klar, wenn’s sein muss.«
Ich muss sehr überzeugend und sehr lässig gewirkt haben, denn in der nächsten Pause konnte ich aus dem Getuschel der dicht beieinanderstehenden Grüppchen nicht nur das übliche »Uschi, Uschi«, sondern auch »knutschen, knutschen« heraushören.
Danach fiel mir länger keine spannende Geschichte mehr ein. Keiner empfand es als Sensation, dass Uschi und ich uns Robinson Crusoe vorgelesen hatten und ich Robinson und sie Freitag gewesen war. Auch, dass wir trotz des ausdrücklichen Verbots ihrer Mutter auf einen Apfelbaum geklettert waren und die Nachbarskatze mit faulen Äpfeln bombardiert hatten, stieß nur auf mäßiges Interesse.