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Die Mutter meiner Mutter hieß Gymnastik-Oma, weil sie uns Kinder bei jedem Besuch mit der Frage empfing, ob wir auch brav unsere Leibesübungen machten. Sie selbst sei nur deswegen noch so beweglich, weil sie den Tag immer mit Gymnastik beginne. Allerdings hatten wir sie nie turnen sehen, und auch unsere Mutter war sich nicht sicher, ob sie je Sport gemacht hatte.

»Freilich, Oma, kein Tag ohne Gymnastik«, sagten Berti und ich und bekamen jeder eine Tafel harte Vollmilchschokolade.

»Ich auch«, sagte Sigi. Sie gab ihm einen Lutscher, weil seine Zähne noch wackelig waren.

Mein Vater mochte seine Schwiegermutter nicht, und sie war froh, dass er sich nach dem Sonntagsbraten bei ihr schnell in einen Lehnstuhl zurückzog und einschlief.

»Das Problem mit den beiden hat schon angefangen, als dein Vater um meine Hand angehalten hat«, verriet meine Mutter mir einmal.

»Da hat der Beppo gedacht, er muss besonders lustig sein, und deine Oma hat ja leider keinen besonders ausgeprägten Humor.«

Dafür konnte sie spannende Geschichten über ihre Familie erzählen.

An diesem Sonntag schlief mein Vater nicht und fragte die Gymnastik-Oma über St. Ottilien aus. Dort nämlich war ihr vor drei Jahren verstorbener Mann, mein Opa Hammerl, einst Internatsschüler gewesen.

»Eine ganz fabelhafte Schule«, sagte sie. »Und die Rettung für meinen Josef. Er ist ja aus so einfachen Verhältnissen gekommen. Seine Leute haben nur eine Kuh, eine Ziege und drei Hühner besessen. Im Winter hat die ganze Familie in den Stall umziehen müssen, weil es der einzige warme Ort in ihrer Bruchbude war.«

»Mama, jetzt übertreibst du aber!«, griff meine Mutter ein.

»Wenn ich’s dir sage: der Josef wäre garantiert verhungert, weil das Essen für den Jüngsten von zwölf Kindern nicht gereicht hätte.«

»Von acht«, sagte meine Mutter.

»Wäre da nicht der Pfarrer von Engelschalling gewesen. Der hat gemerkt, wie blitzgescheit der kleine Seppi war.«

»Er hätte Pfarrer werden sollen, hast du mal erzählt«, sagte mein Vater.

»Missionar. Aber das war nicht seine Bestimmung. Weil er der geborene Lehrer war.«

Meine Oma betonte noch einmal, wie arm die Hammerls gewesen waren, wie sie überhaupt gern etwas zweimal sagte. Das war ihr deswegen so wichtig, weil sie selbst aus »besserem Hause« stammte. Ihr Vater hatte eine Gerberei besessen, und Gerber waren, auch wenn es bei ihnen schlimmer als im schmutzigsten Stall roch, angesehene Leute. Die Bayern mussten schließlich mit Lederhosen versorgt werden.

»Ohne Schuhe, den ganzen Weg von Engelschalling aus! Hundertfünfzig Kilometer! Mutterseelenallein!«, rief meine Oma und schlug die Hand vor den Mund, als wäre mein Opa gerade erst barfuß in St. Ottilien angekommen.

»Weißt du, ob die Pädagogik dort noch die alte ist?«, erkundigte sich mein Vater.

»Ganz bestimmt«, sagte meine Oma. »Die Mönche legen ja großen Wert auf die Tradition.«

Als er ihr verriet, dass er darüber nachdächte, mich ebenfalls nach St. Ottilien zu schicken, erklärte sie, sie habe immer schon davon geträumt, dass einer ihrer Enkel Missionar würde.

»Dann bin ich ja ganz allein«, protestierte Berti.

Ich wartete darauf, dass Sigi »ich auch« sagte, aber der hatte sich mit einem geklauten Lutscher unter den Tisch verzogen.

»Aber«, sagte meine Mutter, »so jung darf man doch kein Kind aus dem Nest stoßen.«

»Alt wird er von selber«, sagte mein Vater.

Ich war mir sicher, dass er nur Theater spielte, damit ich vom Rauschgift abließ. Seine Sparsamkeit würde mich auf jeden Fall vor dem Internat beschützen.

Doch dann erwähnte er den Bundesbruder. So hießen die Mitglieder seiner Studentenverbindung Unitas, die, wie er stets versicherte, »nichtschlagend, nicht farbentragend und selbstverständlich katholisch« war.

»Ich habe einen in St. Ottilien.«

Das änderte alles. Die Bundesbrüder machten Dinge möglich, die eigentlich unmöglich waren. Wahrscheinlich konnten sie sogar dafür sorgen, dass er einen teuren Internatsplatz zum Schnäppchenpreis bekam.

Ich war verloren.

Wie ich den Sex erfand

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