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„Danke“, sagte Linda, als sie wieder im Landrover saßen.

„Danke wofür?“

„Dass du’s ihnen nicht gleich auf die Nase gebunden hast …“

„Ich glaube, das war eher Selbstschutz. Die halten mich doch für verrückt, wenn ich ihnen noch mal dieselbe Geschichte auftische.“

„Nicht mehr lange. Gerichtsmediziner können sehr gut einschätzen, wie Wunden entstanden sind. Sie werden schnell herausfinden, dass es kein gewöhnlicher Mord war.“

Born nickte und beugte sich suchend vor, um in der einbrechenden Dunkelheit die Fahrrinne zu finden. Der Weg schnitt tief in den Hügel ein und war von hohen Tannen gesäumt. Man sah kaum noch die Hand vor Augen, weil die Scheinwerfer durch Spritzwasser verschmutzt waren.

„Was hältst du davon, meine Tochter kennen zu lernen?“

„Du meinst, jetzt gleich?“

„Wir könnten auf dem Dachgarten zu Abend essen. Karen ist eine ausgezeichnete Köchin.“

„Hm, gute Idee.“

„Da oben“, sagte er und streckte die Hand aus. „Wir wohnen in der Dachwohnung über dem Naturkundemuseum.“

Vor dem Gebäude gab es sonst immer freie Parkplätze, aber heute war im Cabaret Filou gegenüber Premiere. Ein gleißender Laserstrahl projizierte die Namen der Stars in den Nachthimmel.

Da hatte vor nicht allzu langer Zeit auch Glorias Name gestanden, dachte er wehmütig. Gloria hatte konsequent zwei Wege verfolgt. Sie fand, dass sich Film und Kabarett ergänzten. Wenn man mit dem einen nicht erfolgreich war, stellte das andere immer noch so etwas wie ein Sicherheitsnetz dar. Sie wollte von niemandem abhängig sein.

Born öffnete mit der Fernbedienung das Garagentor und nahm sein Gewehr aus dem Kofferraum.

„Durchs Museum … und wundere dich nicht über unsere Mitbewohner!“ Er zeigte auf die präparierten Tiere in der Halle. „Das Gebäude wird ans Institut angegliedert, deshalb gibt es momentan nur diesen provisorischen Treppenaufgang.“

Linda trippelte eilig hinter ihm her. Sie hängte sich vorsichtshalber bei ihm ein. Am Ende der halbdunklen Halle stand ein ausgestopfter Karpatenbär.

„Hab’ die Luft angehalten, als du Mahler den Wagenschlüssel geben wolltest.“

„Wegen des Gewehrs? Ja, das hätte uns in ziemliche Erklärungsnot gebracht.“

Karen hatte es sich mit einer Zeitschrift auf der großen Couch im Salon bequem gemacht. Sie stand überrascht auf, als sie Linda sah.

„Hallo, Kleines, hier bringe ich dir deine Ersatzmutter. Kein Umtauschrecht“, fügte Born lächelnd hinzu.

„Oh, wir kennen uns schon aus dem Kindergarten, nicht wahr? Sind Sie nicht die Mutter von Jens?“ Karen jobbte dort neben dem Studium.

„Jens ist der Sohn meiner älteren Schwester.“ Linda gab ihr die Hand.

„Wir waren zusammen auf dieser verrückten Kifferparty, erinnern Sie sich? Wo die Mädchen gleich reihenweise durchdrehten?“

„Weil uns jemand was in die Kekse gemischt hatte.“

„Na, das ist ja eine Überraschung … ich meine, eine so junge Stiefmutter zu bekommen!“

Anscheinend gefiel Karen der Gedanke. Linda war höchstens fünf Jahre älter als sie. Sie hätten auf jeder Party als Freundinnen durchgehen können.

Born deutete auf die eiserne Wendeltreppe. „Hier hinauf.“

Sie trugen den großen Esszimmertisch aus dem überdachten Vorraum auf die Dachterrasse.

„Fantastische Aussicht“, sagte Linda und musterte hingerissen das Häusermeer. Weit hinten am Kanal war der beleuchtete Gasometer zu erkennen. Nur wenige Hochhäuser in diesem Bezirk überragten das Naturkundemuseum.

Sie folgte dem weißen Laserstrahl des Kabaretts Filou über den Himmel. Er malte die Initialen „G.V.“ an die Wolkendecke. G.V. stand für Georg Vann, einen jungen Sänger, der unlängst an der Metropolitan Opera in New York Karriere gemacht hatte und jetzt in seine Heimatstadt zurückgekehrt war.

Karen hatte Lammrücken mit Rosinen und Mandeln zum Abendessen vorbereitet. Genug, um damit noch zwei weitere Gäste zu beköstigen.

„Wie läuft’s mit Thomas von Aquin?“, erkundigte sich Born.

Karen schüttelte bekümmert den Kopf. „Wenn ich Aquin lese, weiß ich, dass nie eine gute Lehrerin aus mir wird … Ein Dreifaches ist dem Menschen notwendig zum Heile“, zitierte sie halblaut: „zu wissen, was er glauben, zu wissen, wonach er verlangen, und zu wissen, was er tun soll. Ich glaube, ich weiß nichts von alledem.“

„Das ist ganz natürlich“, sagte Linda lachend. „Mir ging’s genauso, als ich mit dem Studium anfing.“

„Vielleicht sollte ich doch lieber von den Geisteswissenschaften zu den Naturwissenschaften überwechseln? Da bewegt man sich in sicherem Fahrwasser.“

„Weil man die Dinge anfassen kann?“, fragte Born. „Niemand hat jemals die DNS angefasst. Vitamine, Atome, Quanten könnten prinzipiell genauso gut Mythen sein wie die Theoreme der Philosophie.“

„Ja, Ihr Vater ist ein großer Skeptiker, was den wissenschaftlichen Fortschritt anbelangt“, lachte Linda. „Ich glaube, er sympathisiert heimlich mit dem Buddhismus.“

„Alex und Buddhist? Nein, dann schon eher Epikureer, nicht wahr, Paps?“

„Kommt drauf an, was darunter zu verstehen ist.“

„Jemand, der nach einem bequemen und genussreichen Leben strebt …“

„Dann wäre ich wohl kaum Wissenschaftler geworden. In die Geheimnisse der DNS einzudringen, ist ein eher mühseliges Geschäft.“

Als Karen den Nachtisch vorbereitet hatte und mit dem Tablett die Wendeltreppe zur Dachterrasse heraufkam, war ein eigentümlicher, lang gezogener Laut zu hören – wie der Schrei eines großen Raben.

Born setzte sein Weinglas ab und blickte besorgt zu den Bergen hinüber.

„Du meine Güte, was war das denn?“, fragte Karen.

Born stand auf und trat ans Geländer. Der Laserstrahl des Kabaretts hatte für einen Augenblick ausgesetzt. Am Horizont bewegten sich wie in Zeitlupe die Lichter eines großen Verkehrsflugzeugs.

„Sollten wir deiner Tochter nicht besser sagen, was passiert ist, Alex?“, fragte Linda.

„Ja, vielleicht. Wir waren heute draußen in den Wäldern, Karen. Dort sind wir auf die Leiche einer Frau gestoßen. Ich möchte, dass du weißt, in welcher Gefahr wir uns befinden.“

„In Gefahr? Ist irgendein verrückter Killer unterwegs?“

„Du erinnerst dich an den Schatten, den du zwischen den Wolkendecken gesehen hast?“

„Irgendwo da draußen im Wald ist ein riesiges Tier – ein Flugsaurier“, sagte Linda. „Alex’ Beschreibung trifft bis ins Detail auf die Bilder zu, die Wissenschaftler aus Knochenfunden rekonstruiert haben.“

„Du hast ihn mit eigenen Augen gesehen, Paps?“

„Beim zweiten Mal bin ich ihm nur wegen meines morschen grünen Pullovers entkommen.“

„Alex …!“ Linda streckte die Hand aus.

Das dunkle Etwas kam fast lautlos über die Dächer herangeschwebt. Mit seiner gewaltigen Flügelspannweite erinnerte es unter dem klaren Sternenhimmel an ein überdimensionales Segelflugzeug. Nur viel unwirklicher und gefährlicher – aus einem Alptraum oder wie ein Schreckensbild, das sich ein verwirrter Geist ausgedacht hatte.

Einen Augenblick lang schien es über ihnen in der Luft stillzustehen.

Seine wachsamen dunklen Augen musterten die Umgebung, als halte es nach Opfern Ausschau.

Dann setzte der Laserstrahl der Lichtkanone auf dem Dach des Kabaretts ein und tauchte das Tier in gleißend helles Licht. Diesmal wanderte die Lichtsäule nicht wie üblich über den Himmel, sondern verharrte senkrecht in der Luft.

„Himmel – und ich hab’ meine Kamera in der Wohnung vergessen!“, sagte Linda.

Born betrachtete fasziniert im Laserlicht die lederartige, dunkelbraune Struktur der Flügel. Wäre da nicht sein merkwürdig geformter Kopf gewesen, der an ein Krokodil erinnerte, man hätte ihm durchaus so etwas wie majestätische Schönheit bescheinigen können.

Plötzlich stieß das Tier einen markerschütternden Schrei aus. Er klang noch um einiges lauter als beim ersten Mal. Dann stürzte es in halsbrecherischem Flug auf die Lichtanlage des Kabaretts hinab.

„Mein Gott, was hat er vor?“, rief Karen.

„Er attackiert den Laserstrahl“, sagte Born. „Anscheinend macht das Licht ihn aggressiv.“

Der harte Schnabel des Flugsauriers zerschmetterte mit einem einzigen Schlag die Scheibe der Laserkanone … und das Licht erlosch. Es gab einen Knall und eine weiße Wolke stieg auf, als das Kühlmittel aus dem Aggregat entwich.

Auf der Straße hatten sich Passanten versammelt, die ungläubig das Schauspiel über ihren Köpfen beobachteten. Der Saurier saß auf der Dachkante und beäugte die Menschen unter sich. Einen Augenblick später stieß er sich ab, beschleunigte mit kraftvollem Flügelschlag und zog steil nach oben.

Wieder verharrte er fast regungslos über ihnen in der Luft – als warte er ab, ob sein „Licht schleudernder Gegner“ tatsächlich vernichtet sei.

Dann wandte er den Kopf in Richtung Dachterrasse und stieß einen krächzenden Laut aus – viel leiser als die vorausgegangenen Schreie.

„Schnell in Deckung“, warnte Born. „Jetzt sind wir an der Reihe.“

Sie liefen in den Schutz des Vorraums zurück.

Einen Augenblick später landete das Untier krachend auf dem Esstisch.

Porzellan splitterte unter seinen krallenbewehrten Füßen. Sein schnaubendes Lungengeräusch erinnerte an einen Drachen. Der Flugsaurier war zwar ein eleganter Flieger, aber sein Atem roch nach verfaultem Aas.

Die schwarzen Augen forschten ärgerlich in der Dunkelheit des Vorraums. Born war froh, dass er wegen der abendlichen „Romantik“ kein Licht eingeschaltet hatte.

„Nicht bewegen“, flüsterte er. „Es hat uns im Visier.“

Gleich darauf schoss der schnabelartig verlängerte Schädel des Flugsauriers mit einer blitzschnellen Bewegung unter das Dach des Vorraums … und sie wichen entsetzt zur Treppe zurück.

Seine scharfen, verschränkten Zähne waren nur noch einen knappen Meter von ihnen entfernt.

Diesmal zerriss sein wütender Schrei ihnen fast das Trommelfell.

„Nach unten …!“, rief Born.

Karen und Linda liefen die eiserne Wendeltreppe zum Salon hinunter.

Während er die Polizei anrief, schoss Linda vom Fenster aus so viele Fotos wie sie konnte. Das Tier glitt suchend durch die Straßenschlucht.

Am Ende der Straße wendete es noch einmal in weitem Bogen, beschleunigte mit wenigen Flügelschlägen über dem Telefonmast der Hauptpost und glitt langsam an ihrem Fenster vorüber.

Seine stechenden kleinen Augen im bräunlich-grauen Fell waren in ein rotes Vorfeld eingebettet. Der Motor von Lindas Spiegelreflexkamera surrte. Wahrscheinlich würden die meisten Aufnahmen zu dunkel sein.

Aber dann erwischte sie den Flugsaurier doch noch genau in dem Moment, als er auf die hell strahlende Leuchtreklame des Filou zuflog …

Endzeit

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