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Harris ging hinunter in den Garten und versuchte sich darüber klar zu werden, was das Ende seiner Arbeit wirklich für ihn bedeutete. Er rauchte drei Zigaretten, obwohl er das Rauchen längst aufgeben hatte, während er den abgestorbenen schwarzen Baum umrundete.

In diesem Haus hatte einmal ein verrückter junger Kerl namens Robert Quant gelebt, der Mädchen so lange im Keller des Anbaus gefangenhielt, bis er ihr „hässliches Inneres“ zum Vorschein gebracht hatte, um von ihrer äußeren Schönheit loszukommen.

Er hatte sie weder gefoltert noch vergewaltigt, sondern sie einfach einer wochenlangen Gehirnwäsche unterzogen, bis sie zusammenbrachen. Cilli war von ihrem „Mädchenfänger“, wie sie ihn immer nannte, fasziniert und machte sogar Führungen mit ihren Kommilitonen durchs Haus.

Hier hatte er Franziska gefangengehalten … Dort war das Badezimmer, wo sie die Überschwemmungen und den Brand verursacht hatte …

Da hatte sie gegen die Wasserleitungen geschlagen, um sich bemerkbar zu machen …

Cilli glaubte, Quant gebe den passenden Fall für eine psychologische Studie erster Klasse ab, vielleicht sogar für ihre Magisterarbeit.

Harris dachte missmutig, dass die meistens Menschen sich mehr für die dunklen Seiten der Menschen interessierten als für die positiven. Die Faszination des Bösen mochte ja durchaus eine soziale Rolle spielen. Auf diese Weise konnte man sich selbst davon distanzieren.

Vielleicht war es wie das Spiel der Kinder, man lernte den Umgang mit den Schattenseiten des Lebens, wenn man sich nicht erst als persönlich Betroffener damit befasste. Man war besser gewappnet für den Ernstfall. Allerdings durfte diese Faszination nicht zur Besessenheit werden.

Er versuchte für sich selbst immer eine saubere Grenze zu ziehen zwischen dem, was für seine Arbeit und für die eigene seelische Hygiene unbedingt nötig war, und dem menschlichen Hang zur Übertreibung.

Wie fast jeder Stoff und jedes Nahrungsmittel konnte auch jede Tätigkeit im Übermaß zum Gift werden. Man musste den zerstörerischen Kräften des Innern widerstehen, indem man sich niemals auf eine zu gefährliche Gratwanderung einließ ...

Drei Tage später lieferte er seine Marke und den Inhalt seines Blechspinds ab, seinen Schreibtisch hatte er schon am Vortag ausgeräumt. Das Büro hinter der Glasscheibe, in dem er als Chef der Abteilung gesessen hatte, sah kahl und unpersönlich aus ohne seine Fotos und die beiden stimmungsvollen Landschaftsgemälde. Er hatte seinen Mitarbeitern immer verschwiegen, dass er der Maler war. Das hätte leicht zum Autoritätsverlust geführt.

Kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hatte, beschäftigte sich in einer Welt des Verbrechens und der Gewalt mit etwas so Beschaulichem wie Landschaftsmalerei, auch noch englischer Landschaftsmalerei im Stil des neunzehnten Jahrhunderts.

Für ihn war die Malerei nach John Constable stehen geblieben. Malvern Hall, Das Kornfeld, Die Kathedrale von Salisbury oder Weymouth Bay in der National Gallery in London bildeten den absoluten Höhepunkt der Kunst.

Harris zog noch einmal prüfend die Schubladen seines Schreibtischs auf und während er die leeren Fächer studierte, hob er unvermittelt den Blick und betrachtete das Treiben in der Abteilung. Remmer saß am Computer und gab Daten ein. Lara hielt einen Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt, während sie in einen zweiten Hörer sprach und mit dem Teelöffel in der Kaffeetasse rührte. Und durch die offene Tür am Ende des Gangs konnte er in Bertrams Büro sehen …

Er hatte Bertram als seinen nächsten Vorgesetzten gebeten, um Gottes willen keine große Abschiedsfeier für ihn zu veranstalten. Harris hasste diese Art von falschem Getue. Er wusste, dass ein paar Leute in der Abteilung schon lange scharf auf seinen Posten waren und eine Feier würde sie nur dazu bringen, ein heuchlerisches Gesicht aufzusetzen.

Er wollte einen stillen Abgang, so unauffällig, wie damals, als er zum ersten Mal dieses Büro betreten hatte.

Ein Glas Sekt zum Abschied? Einverstanden.

Aber keine Reden, keine falschen Verbrüderungen, keine Lachsschnittchen vom Geld aus der Gemeinschaftskasse.

In diesem Moment setzte Bertram seine kreisrunde schwarze Metallbrille auf und bedeutete ihm, in sein Büro zu kommen.

Harris winkte zurück und schob die Schubladen zu. Dann legte er seine Beine auf die Schreibtischplatte und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück. Das also war es!

So fühlte man sich, wenn man frei war und keine Rücksichten mehr auf seine Vorgesetzten nehmen musste. Er fragte sich, um wie viel besser dieses Gefühl erst gewesen wäre, wenn der Polizeipräsident oder der Justizminister höchstpersönlich ihm durch die Scheiben zugewinkt hätten.

„Sehen Sie mal, Peter“, sagte Bertram. „Ich greife meinen Verdacht ja nicht aus der Luft. Wir schätzen Sie als erfolgreichen Mitarbeiter. Sie gehören sicher zu jenen, an die man sich hier immer voller Respekt erinnern wird.

Von Ihrem kleinen Disput mit dieser Prostituierten …Tea – so war doch ihr Name? – reden wir hier nicht, weil es Ihre Privatsache ist.

Ich will Ihnen auch gar nicht unterstellen, dass Sie bewusst gegen meine Anweisungen gehandelt haben. Ich kann Ihre Betroffenheit über das spurlose Verschwinden Ihrer Schwester natürlich verstehen ...“

„Aber das ist noch nicht alles?“, fragte Harris.

„Jemand hat Katrins Büro durchsucht.“

„Was denn, jemand …?“

„Es war versiegelt“, sagte Bertram. „Das Siegel wurde geöffnet und nach der Durchsuchung sehr professionell wieder instandgesetzt.“

„Und jetzt wollen Sie mir unterstellen, ich sei dafür verantwortlich?“, erkundigte sich Harris ungläubig.

„Ich möchte nur vermeiden, dass Sie nach Ihrer Pensionierung auf die Idee kommen, Remmer bei seinen Ermittlungen ins Handwerk zu pfuschen.“

„Was, zum Teufel, bringt Sie denn auf die Idee, ich könnte Katrins Büro durchsucht haben, Bertram? Ich denke nur noch an meinen Abgang. Ich packe meine Persilkartons und verschwinde. Warum sollte ich Polizeisiegel aufbrechen? Ich bringe selber welche an – oder habe welche angebracht. Es wäre überhaupt kein Problem für mich gewesen, mir im Depot ein frisches Siegel zu besorgen.“

„Was allerdings den Verdacht auf jemanden aus der Abteilung gelenkt hätte“, gab Bertram zu bedenken. „Also, um mit offenen Karten zu spielen, Peter – der Grund, weshalb ich Sie verdächtige, ist eine Beobachtung, die wir bei der Durchsicht von Katrins Akten gemacht haben. Sie hatten doch die Angewohnheit, die Blätter nach einer bestimmten Methode zu ordnen?“

„Sie spielen auf meinen Tick mit den Büroklammern an?“ Harris saß vorgebeugt auf Bertrams Besucherstuhl und griff sich unbehaglich an die rechte Wade, weil sich durch den Hosenstoff eine runde Erhebung wie von einer beginnenden Krampfader abzeichnete.

Er hatte nie an Krampfadern gelitten, das widersprach seinem Selbstbild – und bisher hatte sein Körper auch immer eingelenkt und es vorgezogen, diesem Selbstbild zu entsprechen.

„Das ist ganz typisch für Sie. Das macht sonst niemand, den ich kenne.“

„Und die Akten meiner Schwester waren mit Büroklammern markiert?“

„Nein, soviel Leichtsinn traut Ihnen keiner zu. Aber Remmer fiel auf, dass an den Rändern Markierungen von querstehenden Klammern zu erkennen sind, abgestuft nach der Reihenfolge, in der man die Daten verglichen hatte. Das ist doch Ihre Methode, oder?“

Harris schüttelte betroffen den Kopf. „Meine Methode schon. Aber ich bin etwas entsetzt darüber, dass Sie mir nach all den Jahren der Zusammenarbeit zutrauen, ich sei in Katrins Büro eingebrochen. Nein, ich war’s nicht, Frank. Da muss jemand mein System angewendet haben, aus welchen Gründen auch immer. Zufall oder Absicht ... obwohl ich mir nur schwer vorstellen kann, welchen Sinn das hätte.“

„Aber Sie haben doch schon zweimal vergeblich versucht, an den vorläufigen Abschlußbericht über Katrins Verschwinden zu gelangen?“

„So? Wer sagt das?“

„Jemand, der es wissen muss.“

„Ich habe Ihre Sekretärin nur gebeten, einen Blick hineinzuwerfen, weil ich als Katrins Bruder von den Ermittlungen ausgeschlossen war. Außerdem fiel damals ein gewisser Anfangsverdacht auf mich.“

„Davon kann überhaupt keine Rede sein ...“

„Routinemäßig. Katrin und ich haben uns nie besonders gut verstanden. Anscheinend vertrug sich meine Vormundschaft nicht mit ihrem ‘männlichen’ Selbstbewusstsein. Sie hatte einen Prozess angestrengt, der ihr nachträglich recht geben und den Entzug der Vormundschaft für ungültig erklären lassen sollte. Sie beschuldigte mich sogar, Cilli hin und wieder belästigt zu haben ...“

„Ein Verdacht, den niemand ernst genommen hat!“

„Katrin und ihre Anwälte schon. Also, wenn das keine Motive waren, um mich von dem Fall fernzuhalten? Und anfangs hatte ich auch ja auch einige Schwierigkeiten damit. Aber Sie müssen mir einfach glauben, dass ich nicht in ihrem Büro war, Frank.“

„Worum es geht, ist gar nicht Ihr illegales Eindringen, Peter. Ich mache mir einfach Sorgen, was nach Ihrem Ausscheiden passiert. Dann kann Ihnen keiner mehr Weisungen geben. Was fangen Sie eigentlich mit all der Freizeit an? Wäre doch gelacht, wenn Sie da nicht auf krumme Gedanken kämen.“

„Also gut – mein Ehrenwort, dass ich den Fall zu den Akten gelegt habe.“

„Ein geborener Spürhund wie Sie?“

„Was wollen Sie denn von mir hören, Frank? Dass ich mich jeden Morgen bei meinem Bewährungshelfer melde und ihm mitteile, wo ich meine Frühstücksbrötchen kaufe? Soll ich mit einem Peilsender durch die Stadt laufen?“

„Ich appelliere nur an Ihren guten Willen, das ist alles.“

„Meine Schwester hat sich einfach irgendwohin abgesetzt – oder Selbstmord begangen. Katrins Humor war schon immer etwas makaber. Sie hat nur etwas sorgfältiger als andere darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. Und das ist ihr offensichtlich auch gelungen.“

„Ihre persönliche Meinung kann natürlich überhaupt nicht maßgebend für uns sein ...“

„Herzlichen Dank für diese angenehme Form der Verabschiedung“, sagte Harris und reichte Bertram mit unbewegtem Gesicht die Hand. „Ich hatte schon befürchtet, man würde vielleicht zuviel Aufhebens davon machen, aber das übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“

Er schob betont ruhig die Tür hinter sich zu und ging – von den neugierigen Blicken der anderen gefolgt – zu seinem Büro hinüber.

Als er seine restlichen Sachen in eine große Ledertasche geworfen hatte, stand plötzlich Remmer mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern in der Tür.

„Du musst mir einfach glauben, dass ich nicht für die Verdächtigungen des Alten verantwortlich bin“, beteuerte er. „Die Sache mit den Büroklammern stammt von meiner Assistentin Lara. Und die hat sich einfach in Bertrams Gegenwart verplappert: ‘Sehen Sie sich das mal an, Harald – es ist genau dieselbe Methode, die Harris anwendet, wenn er Unterlagen nach ihrer Wichtigkeit ordnen will!’ Ich hab’ ihm nichts von unserer Zusammenarbeit verraten.“

„Hätte ich auch nicht von dir erwartet“, sagte Harris. Er nahm das Glas und hielt es gegen das Licht. „Auf die Zukunft, aber diesmal ohne die Abteilung ... prost!“

Harris hatte die Parade der ausgestreckten Hände abgeschritten, zwei Blumensträuße und eine überlagerte Schachtel Pralinen eingesteckt, die von Remmers schuldbeladen dreinblickender Assistentin Lara stammte, und Bertram hatte ihm zu seiner Überraschung in der Tür versichert, dass ihre Unterredung eben nichts weiter als die lästige Pflichtübung eines Beamten gewesen sei, der nun mal wie jeder andere seine Vorschriften habe.

„Vergessen Sie einfach, was ich gesagt habe, Peter! Ist wohl wirklich nicht viel dran. Sie sind schließlich nicht der einzige, der bei der Arbeit Büroklammern verwendet.“

Harris

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