Читать книгу Harris - Peter Schmidt - Страница 7

3

Оглавление

Harris hätte schwören können, dass er nicht in Katrins Büro eingebrochen war, es sei denn als Schlafwandler oder in einer Phase geistiger Umnachtung. Also musste jemand anders, absichtlich oder unabsichtlich, diese Spuren hinterlassen haben.

Er fragte sich, wer der geheimnisvolle Einbrecher wohl war. Seine Nichte vielleicht? Benutzte sie das gleiche System mit den Büroklammern wie er? Um das herauszufinden, brauchte er sich nur ihre Studienunterlagen anzusehen ...

Cilli hielt sich den ganzen Vormittag an der Universität auf, aber sie würde zum Mittagessen wieder zu Hause sein. Dass sie immer noch bei ihm lebte, lag wohl auch an seiner ausgezeichneten Küche. Aber seine Kochkünste waren sicher nicht der einzige Grund.

Cilli genoss alle Freiheiten bei ihm, Narrenfreiheit, genau besehen. Er hatte Cilli gerne um sich. Sie konnte zuhören, und wenn sie etwas sagte, klang es weniger dumm oder borniert als bei den meisten anderen Frauen – wie es sich für eine Psychologiestudentin im fünften Semester gehörte, die nicht auf den Kopf gefallen war …

Harris fragte sich manchmal, ob sie ihm auch als Frau gefiel. Den meisten Männern würde das bei ihrem Aussehen und ihrem erfrischend gradlinigen Charakter kaum schwerfallen. Aber er hütete sich immer, ihr auch nur mit der geringsten Andeutung zu zeigen, dass er sie attraktiv fand. Sie war die Tochter seiner verschwundenen Schwester. Er hatte nicht die Absicht, ein junges Mädchen ins Unglück zu stürzen.

Harris ging die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, und als er unter der Dachschräge angekommen war, blickte er prüfend über das Geländer nach unten. Er würde hören, wenn die Haustür ging. Außerdem konnte man in der Dämmerung wegen der kleinen Flurfenster unmöglich nach oben gelangen, ohne das Licht einzuschalten, es sei denn, man benutzte eine Taschenlampe.

„Dieser Entführer ist nichts weiter als ein Hirngespinst“, murmelte er ärgerlich. „Also hat auch niemand ihr Büro durchsucht. Aber es gibt wieder mal ein paar Verrückte, die überall Verbrechen wittern.“

Katrin hatte sich immer vor ihrer Verantwortung als Mutter gedrückt. Jetzt waren die Gläubiger hinter ihr her, und was lag da näher, als sich nach Australien oder Kanada abzusetzen?

Seine Schwester war an einem freundlichen Sonntagmorgen im Frühsommer verschwunden. Nach zehn Uhr vormittags, denn zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch ein Nachbar im Garten ihres Hauses gesehen, und vor dreizehn Uhr, weil Cilli um diese Zeit vergeblich versucht hatte, mit ihr zu telefonieren.

Sie war untergetaucht wie jemand, der nicht gefunden werden wollte, ohne Gepäck, ohne Geld von ihren Konten abzuheben, ohne irgendeine Spur am Flughafen oder im Reisebüro zu hinterlassen. Am Bahnhof erinnerte sich niemand daran, ihr eine Fahrkarte verkauft zu haben, und ihr schwarzer Rover stand immer noch gewachst und poliert in der Garage.

Trotzdem machte er sich keine Sorgen um sie. Katrin war ein kampferprobtes Mädchen, das jeden Morgen fünf Kilometer durch den Stadtpark joggte, schwere Hanteln stemmte und einem zudringlichen Kerl so blitzschnell in die Eier trat, dass er nicht einmal an den Schutz seiner Weichteile denken konnte. Katrin war einfach untergetaucht.

Dafür gab es jetzt ein paar Geschäftsleute und Aktionäre, die nach ihrer Pleite das Nachsehen hatten. Sie hatte ihr Geld widerrechtlich aus Beteiligungen an ihrer Immobilienfirma für Ferienwohnungen abgezweigt, um damit Spekulationsgewinne zu machen. Leider waren schrottreif gefahrene Öltanker auf dem Weltmarkt momentan weniger gefragt, als die Experten noch vor einiger Zeit wegen fehlender Transportkapazitäten vorausgesagt hatten.

Natürlich konnte auch einer von Katrins Gläubigern in ihr Büro eingebrochen sein. Dann hatte er zufällig Harris’ Methode mit den Büroklammern angewendet.

Oder Cilli wollte wissen, ob in Katrins Büroschreibtisch ein Testament existierte. Sie war scharf auf den schwarzen Rover ihrer Mutter, keine Frage. Wenn auch kaum um den Preis ihrer Entführung. Katrin war nie eine Rabenmutter für sie gewesen, sondern nur ein Frau, die Karriere machen wollte und der ein Kind dabei nicht mehr im Wege stand als jeder anderen. Cilli hatte es schon vor sehr langer Zeit auf unnachahmliche Weise verstanden, ihr zu verzeihen – durch Lächeln und Schweigen.

Harris schob Cillis Tür auf, warf einen schnellen Rundumblick durch das Arbeitszimmer und erstarrte ...

Auf den Spiegel über der Kommode hatte jemand mit dickem, rotem Filzstift geschmiert:

Mach Dich nicht lächerlich, Harris! Doch nicht Deine Nichte Cilli …

Er betrachtete nachdenklich die Druckbuchstaben. Das war nicht Cillis Handschrift. Um so zu schreiben, hätte sie sich stark verstellen müssen. Es ergab auch keinen Sinn. Woher hätte Cilli wissen sollen, was er dachte?

Im Grunde traute er Cilli eine solche Geschichte gar nicht zu. Falls es doch einen Kidnapper gab und wenn er das geschrieben hatte, dann spielte er ganz offensichtlich mit ihm. Dann hatte er auch seinen Trick mit den Büroklammern benutzt, um ihn in Verdacht zu bringen. Dann musste er ihn sehr genau kennen und sich sehr sicher fühlen …

Harris versuchte nicht, die Schrift vom Spiegel zu wischen. Er hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Er ging an Cillis Schreibtisch, blätterte ein wenig in ihren Unterlagen, und als er ihre Notizen durchgesehen hatte – nirgends eine Spur von Büroklammern oder Abdrücken –, fiel plötzlich ein Foto von Robert Quant aus der Vorstudie, die Cilli über seinen Fall angefertigt hatte.

Es war nur ein Ausschnitt aus einem grobgerasterten Zeitungsfoto, das man nach seiner Flucht und der Entdeckung im Keller des Hauses veröffentlicht hatte.

Sollte dieser Robert Quant vielleicht …?

Nein, unwahrscheinlich. Harris hatte nach ihrem Einzug alle Schlösser austauschen lassen. Der junge Quant war seit Monaten flüchtig, warum hätte er hierher zurückkehren sollen? Oder war er Katrins Entführer?

Ein makabrer Gedanke, denn er hatte seine Opfer später im Keller des Hauses eingemauert.

Harris hörte unten die Haustür schlagen und verließ eilig Cillis Zimmer. Er ging in den ersten Stock hinunter und schloss die Bibliothek auf. Als Cilli auf dem Treppenabsatz war, räusperte er sich vernehmlich und trat wie zufällig aus der Tür.

Harris

Подняться наверх