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Cilli hielt einen großen Karton in der Hand, um den eine rosafarbige Schleife gebunden war.

„Ist das eine Entschädigung für den Ärger, den du mir mit deiner Psychologen-Party gemacht hast?“, erkundigte er sich.

„Nein, Harald hat bald Geburtstag.“

„Harald hat ...? Na sieh mal einer an, dann könnt’s ja doch noch etwas mit euch beiden werden? Was ist denn plötzlich in euch gefahren? Seid ihr bei der Eheberatung gewesen?“

„Mach keine dummen Witze, Harris“, sagte Cilli. „Hilf mir lieber, das verdammte Ding in mein Zimmer zu bringen. Ich muss es erst mal auspacken und sehen, ob noch etwas im Taxi davon übriggeblieben ist ...“

Cilli fuhr mit dem Bus zur Universität, seitdem ihre Ente unsanfte Bekanntschaft mit einer herunterfallenden Schranke gemacht hatte, aber ihr Karton war wohl etwas zu sperrig für den Bus gewesen.

„Darf man fragen, was das ist?“

„Nein, hilf mir erst, den Karton nach oben zu bringen.“

„Zu Befehl, Frau Oberleutnant“, sagte Harris.

„Hast du schon gehört, dass Harald die beiden Killerschwestern gefasst hat?“, erkundigte sich Cilli, während sie den Karton in ihr Zimmer wuchteten.

Cilli stand mit dem Rücken zum Schreibtisch, als sie ihn absetzten, deshalb konnte sie die Schrift auf dem Spiegel nicht sehen.

„So? Wo denn?“

„Die beiden hatten sich auf Madeira verkrochen, in einer winzigen Frühstückspension.“

„Unter echten Namen?“

„Nein, mit falschen Pässen.“

Die sogenannten „Killerschwestern“ waren Harris’ letzter offizieller Fall gewesen. Sie hatten als Krankenschwestern auf der Intensivstation Patienten mit Luftspritzen ins Jenseits befördert. Nicht etwa aus Mitleid, als Sterbehilfe, sondern aus Habsucht, um an ihre Wohnungsschlüssel und ihr Geld zu kommen, ehe die rechtmäßigen Erben zur Stelle waren.

„Ich erinnere mich noch gut, wie viele Nächte du dir wegen dieser beiden Hexen um die Ohren geschlagen hast“, sagte Cilli. „Und jetzt sind sie doch noch von Interpol gefasst worden – durch deine Vorarbeit, meint Harald.“

„Will ich auch hoffen, dass er das meint.“

„Aber Harald hat Interpol den entscheidenden Tipp gegeben. Er fand eine Notiz mit der Anschrift des Vermieters unter ihren Papieren.“

„Sehr leichtsinnig von den beiden. Ändert aber wenig daran, dass der ausschlaggebende Hinweis von mir stammt.“

„Das bestreitet auch niemand. Die eine behauptet sogar, du hättest ein paar Indizien gefälscht, um sie zu Strecke zu bringen. Sie wünscht dich zur Hölle und hat bei ihrer Verhaftung geschworen, sie würde sich an dir rächen.“

„Da ist sie nicht die einzige“, sagte Harris, während Cilli den Karton öffnete. „Indizien gefälscht, dass ich nicht lache. Hab’ in meinem ganzen Leben noch nicht nötig gehabt, irgendwelche Indizien zu fälschen. Wozu auch? Etwa, um befördert zu werden? Dazu hätte es auch ohne solche Spielchen gereicht. Wundert mich, dass sie es überhaupt wagt, Drohungen gegen einen Polizeibeamten auszustoßen.“

Cilli zog die langgestreckte verschweißte Styroporhülle aus dem Karton und begann sie vorsichtig aufzureißen.

„Was ist das? Ein Modellflugzeug?“, fragte er.

„Für Haralds Sammlung. Er soll dieses Jahr Deutscher Meister damit werden. Ich hab’s beim besten Modellflugzeugbauer des Landes bestellt. Es besteht aus superleichtem Sperrholz, bis auf den Motor und die Technik natürlich.“

„Und das ist die Fernsteuerung?“ Harris bewegte probeweise den Steuerknüppel in der Aussparung hin und her.

„Sogar mit dem letzten technischen Schnickschnack. Sieh mal, auf dem LCD-Bildschirm kann man die Flugbewegungen programmieren. Die Maschine lässt sich sogar so einstellen, dass sie bei Treibstoffmangel oder technischen Defekten automatisch zum Standort zurückfliegt.“

„Interessant. Aber wie findet sie den Piloten, wenn mehrere Wettkämpfer auf dem Feld stehen?“

„Durch den Code des Steuerimpulses.“

„Das ist jedenfalls mehr Technik als bei unserer Toilettenspülung“, sagte Harris amüsiert, während er den silberfarbenen Rumpf des Doppeldeckers begutachtete. „Und wie kommst du dazu, Remmer ein so teures Geschenk zu machen?“

Cilli hielt ihm lächelnd die Hand mit ihrem neuen goldenen Ring hin. „Weil wir uns gestern verlobt haben …“

„Schön, dass ich bei dieser Gelegenheit auch davon erfahre.“

„Nicht eifersüchtig sein, Harris.“

„Von mir aus kannst du auch den Chef des kolumbianischen Drogenkartells heiraten.“

„Den hat man kürzlich beim Fluchtversuch erschossen.“

„Remmer ist eigentlich schon ein bisschen alt für dich, oder?“

„Zehn Jahre sind heutzutage kein Altersunterschied mehr. Es gibt Achtzigjährige, die Zwanzigjährige heiraten. Ein trainierter Sechzigjähriger kann fitter sein als ein lahmer Dreißigjähriger.“

„Musst du mir nicht erzählen“, sagte Harris. „Und wie kommt ihr plötzlich dazu? Ich meine, ihr habt euch doch immer umschlichen wie zwei unglücklich Liebende, die wegen irgendwelcher neurotischer Defekte nicht zueinander kommen können?“

„Neurotisch würde ich nicht sagen. Harald hatte ein Verhältnis mit einer verheirateten Vierzigjährigen, und ich wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen, als sie waren.“

„Ein Verhältnis? Davon hör’ ich heute zum ersten Mal. Ich dachte, er stände in seiner Freizeit eher auf geleimtem Sperrholz und miniaturisierten Flugzeugmotoren?“

„Manchmal bist du doch ein Ekel“, sagte Cilli. „Aber ich weiß ja, dass hinter deinen rauen Manieren ein ganz lieber Kerl steckt …“

„Sonst hättest du dich längst in die böse weite Welt davongemacht?“

„Ehrlich gesagt bin ich gern hier. Das Haus hat so eine schauerliche Atmosphäre! Es eignet sich hervorragend, um psychologische Studien zu treiben. Manchmal wache ich nachts auf und frage mich, ob es nicht vielleicht noch mehr Eingemauerte in dem alten Gemäuer gibt. Der Keller des Anbaus ist so unübersichtlich, kein Mensch hat mehr einen Bauplan davon.“

„Und wenn Harald plötzlich auf die Idee kommt, einen eigenen Hausstand zu gründen?“

„Dann werde ich sicher nicht ablehnen.“

„Hab’ mir schon gedacht, dass du mir dann untreu wirst.“

„Wir werden dir einen Haufen Nachkommen zum Babysitten bringen – die kannst du dann genauso bemuttern wie mich.“

„Bevatern. Ich würde niemals auf die Idee kommen, deiner Mutter Konkurrenz zu machen.“

Cilli warf ihm einen missbilligenden Blick zu, weil das ein Thema war, über das sie ungern redete. Aber Harris hatte schon lange das Gefühl, die Art und Weise, wie Cilli als Kind von Katrin links liegengelassen worden war, setze ihr mehr zu, als sie zugab. Schweigen und Lächeln waren eben doch keine Waffen, um fehlende Mutterliebe zu ersetzen. Vielleicht, so dachte er manchmal, war ja auch Cillis fast schon besessen zu nennendes Psychologiestudium nur der Versuch, mit dieser Kränkung fertig zu werden.

„Was ist das ...?“, fragte Cilli.

„Was ist was?“, sagte Harris und drehte sich langsam nach Cillis ausgestreckter Hand um. Er hätte ihr nicht gut gestehen können, dass er die Schmiererei auf dem Spiegel schon beim Durchsuchen des Zimmers entdeckt hatte. „Keine Ahnung ... mach Dich nicht lächerlich, Harris ...“, murmelte er nachdenklich. „Stammt das vielleicht von einem deiner Kommilitonen?“

„Nein, dann hätte ich’s schon früher bemerkt.“

„Hm, merkwürdig. Was kann das zu bedeuten haben?“

„Keine Ahnung. Das ist doch keine dumme kleine Retourkutsche von dir wegen der Puppe im Lichtschacht?“, fragte Cilli argwöhnisch. „Sieht ein bisschen nach deiner Handschrift aus.“

„Nein, ich schreibe flacher. Mein großes M hat nicht diesen komischen Schnörkel am Ende. Und das C von Cilli ist viel zu stark gewölbt. Warum sollte ich auch versuchen, dich mit so einem dummen Spruch auf den Arm zu nehmen, Kleines?“, sagte Harris kopfschüttelnd und legte seinen Arm um ihre Hüfte.

„Ja, du hast recht, bitte entschuldige.“ Cilli ging zum Spiegel und wischte mit dem Finger über die Buchstaben. „Glaubst du, dass es wieder abgeht?“

„Mit Spiritus sicher.“

„Und was unternehmen wir jetzt? Was heißt ‘mach Dich nicht lächerlich’?“

„Keine Ahnung. Da scheint sich jemand einen schlechten Scherz mit uns zu machen.“

„Wie ist er denn überhaupt ins Haus gelangt?“

„Wenn ich das wüsste …“, meinte er gedankenverloren. „Sieht so aus, als wenn jemand Nachschlüssel besäße.“

Auf die Idee, es könnte dieser verrückte junge Bursche namens Robert Quant sein, schien sie glücklicherweise nicht zu kommen. Dann hätte sie sicher auf der Stelle das ganze Psychologische Seminar alarmiert.

Harris hatte beschlossen, sich den Rest des Tages seiner Malerei zu widmen. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Bei nichts anderem konnte man so gut seine Probleme vergessen wie bei der Landschaftsmalerei. Ein expressionistisches oder gegenstandsloses Bild war dazu viel weniger geeignet. Bei Landschaften versuchte man immer bestimmte Stimmungen einzufangen, und das brachte einen leicht in dieselbe Gemütslage, die auch das Bild ausdrückte.

Harris hatte sich sein Atelier im Dachgeschoss eingerichtet und einen Teil des Schrägdachs wegen der Lichtverhältnisse durch Dachpfannen aus Glas ersetzen lassen.

Meist arbeitete er an mehreren Landschaftsgemälden gleichzeitig. Jede Staffelei stand so, dass sie durch das Glasdach die gleiche Menge Licht bekam, es sei denn, direktes Sonnenlicht fiel in einem ungünstigen Winkel auf die Bilder. Er wechselte zur nächsten Staffelei, sobald er bei einem Detail nicht weiterkam oder glaubte, an einem anderen Motiv erfolgreicher zu sein.

Es war eine Technik, die er sich angewöhnt hatte, weil das Arbeiten an nur einem Bild leicht dazu führte, bestimmte Details oder Malweisen überzubewerten. Vielleicht bestand der wichtigste Trick in der Kunst sogar darin, eine Art mittlere Gefühlsebene zu erreichen.

Jeder extreme Gefühlsausschlag bei der Bewertung nach unten oder oben war gefährlich. Man hatte erst dann die richtige Einstellung zu seinem Bild gefunden, wenn das Urteil über seine Qualität sich als beständig erwies, soweit das in Fragen der Kunst überhaupt möglich war.

Harris setzte sich auf seinen Drehhocker und betrachtete das Gemälde mit den Feldern und dem Dorf, über dessen Dächern sich die Silhouette eines Kirchturms abzeichnete.

Die Grundstimmung war ein warmes, differenziertes Braun. Licht und Schatten wurden zwar nicht so stark gegeneinandergesetzt wie in den Arbeiten Rembrandts, die Kontraste waren schwächer, aber wenn man das Motiv und die Malweise ins gegenwärtige Jahrhundert übertrug, konnte man durchaus von einer gewissen Verwandtschaft des Stils reden. Links im Vordergrund befand sich ein Gehöft mit Baumgruppe.

Er dachte noch darüber nach, ob das Laub der Bäume in der Färbung eher an den Sommer oder Spätherbst erinnern sollte.

Nun gut, Cilli ging also aus dem Haus. Früher oder später kam das auf ihn zu. Und er hatte nicht die Absicht, sich dabei so närrisch wie ein anhänglicher Vater zu benehmen. Er war ihr Onkel, und Cilli war nicht die Frau, die in seinem Leben irgendeine Rolle spielen durfte.

Gegen Abend nahm er sich noch einmal seine Unterlagen über Katrins Verschwinden vor.

In ihrem Haus waren keinerlei Spuren einer Gewalttat entdeckt worden. Aber es gab ein paar Merkwürdigkeiten, die sich schwer erklären ließen. Zum Beispiel das Essgeschirr im Salon. Es sah ganz so aus, als wenn Katrin beabsichtigt hatte, eine opulentes Mahl zu sich zu nehmen. Allerdings schien sie noch nicht mit dem Kochen angefangen zu haben. Es war nur für eine Person eingedeckt gewesen, nichts deutete auf einen Gast hin.

Seltsamerweise war auf den Tellern und dem Besteck kein einziger Fingerabdruck zu finden. Normalerweise gab es nach dem Spülen immer Fingerabdrücke, wenn man das Geschirr in die Hand nahm, um es einzuräumen.

Und auch auf den Töpfen und Pfannen in der Küche fehlten Fingerabdrücke. Dagegen ließen sich am übrigen Geschirr in den Schränken überall Katrins Abdrücke nachweisen. Hatte sie für dieses Gedeck ausnahmsweise Gummihandschuhe benutzt?

Außerdem hatten Remmers Leute im Badezimmer einen Streifen starker durchsichtiger Folie gefunden, der offenbar vom oberen Rand eines großen Plastiksacks abgeschnitten worden war.

Solche Säcke eigneten sich gut zum Abtransport einer Leiche, besonders, wenn Blut geflossen war und der Täter weder im Haus noch im Wagen Spuren hinterlassen wollte.

Man hatte jeden Millimeter des Badezimmers abgesucht, vor allem die Fugen zwischen den Fliesen, in der Hoffnung, dort Spuren ihres Blutes zu finden – überall vergeblich. Katrins Blut hätte sich leicht genetisch identifizieren lassen, weil sie vor Cillis Geburt in der Universitätsklinik eine Analyse auf Erbkrankheiten gemacht hatte.

Allerdings war der Plastikstreifen nach Harris’ Überzeugung wenig beweiskräftig. Auch in Wohnungen, in denen niemand entführt oder umgebracht worden war, konnten solche Reste herumliegen.

Dann gab es noch ein seltsames Indiz – falls man es überhaupt als Indiz bezeichnen wollte –, das ein wenig Licht auf ihren Lebenswandel warf. Offenbar hatte Katrin regelmäßig Kokain geschnupft. Auf dem Teppich, besonders an der Stelle, wo der runde Glastisch stand, fanden sich Spuren davon, und die Laboranalyse zeigte, dass es sich um keinen einmaligen Versuch, sondern um Stoff aus verschiedenen Zeiten handelte. In Katrins Kreisen war man kaum auf neuartige Modedrogen aus den Chemielabors aus, man blieb lieber beim Altbewährten.

Aber am aufschlussreichsten war wohl ihre Männersammlung. Das Album zeigte etwa fünfunddreißig Kerle – alle mittleren Alters –, die so dummdreist in die Kamera lächelten, wie nur irgendein austauschbarer Liebhaber lächeln kann, der noch glaubt, er sei der einzige Mann in ihrem Leben.

Katrin schien sie wirklich gesammelt zu haben. Unter jedes Foto war eine kleine Bewertung notiert: Flach, schwache Kondition, einfallslos. Eleganter Plauderer mit schlechten Tischmanieren. Kalter Fisch, aber Vorsicht beim Geld, Katrin! Oder: Taugt höchstens als Wärmflasche ...

Harris sah sich noch einmal die Kopie des Polizeiberichts an, doch während er ihn unter der Stehlampe studierte, wurden seine Augen immer müder, und er erwachte erst wieder, als er im Garten ein lautes Geräusch hörte.

Seit kurzem schlief er öfter ein, wenn er sich tagsüber in den Sessel setzte, genaugenommen, seitdem Bertram ihm mitgeteilt hatte, dass sein Antrag, noch einige Zeit länger in der Abteilung zu arbeiten, von den zuständigen Stellen abgelehnt worden war. Von den zuständigen Stellen! – das war Bertrams Formulierung gewesen.

Als wenn er nicht selbst ein gewichtiges Wort dabei mitzureden hatte.

Es war, als versuche sein Körper all den entgangenen Schlaf der letzten Jahre nachzuholen. Er hatte sich viele Nächte um die Ohren geschlagen und wenig Rücksichten auf seine Gesundheit genommen, sah man einmal von seinem regelmäßigen Fitnesstraining ab.

Man konnte schlecht nach Hause gehen, wenn man wusste, dass sich zwei Killerinnen wie die beiden Schwestern auf freiem Fuß befanden und man nahe daran war, das entscheidende Indiz für ihre Festnahme zu finden. Kein Mensch machte dann einfach ein Nickerchen, es sei den, er hatte jeden Jagdinstinkt verloren, und die innere Flamme, die ihn am Leben erhielt, war längst erloschen.

Er stand auf, um nachzusehen, wer diesen höllischen Lärm veranstaltete.

Im Garten wühlte ein Mann mit langem Ledermantel in den beiden großen Abfalltonnen, die Harris erst kürzlich aufgestellt hatte, um das Laub zu sammeln. Eine dritte, kleinere Tonne, die auf den beiden anderen gestanden hatte, war bei diesem Manöver heruntergefallen.

Harris zog seinen Hausmantel über und ging nach unten. Er steckte eine seiner beiden Dienstwaffen in die Manteltasche, über deren Rückgabe man in der Abteilung noch kein Wort verloren hatte – aber ohne sie zu entsichern. Merkwürdig, dass Cilli nicht auf den Lärm reagierte, dachte er mit einem Blick nach oben zu ihrem Fenster, als er im Garten stand.

Der Bursche an den Tonnen war etwa fünfzig Jahre alt und knapp zwei Meter groß und sah nicht so aus, als wenn er es nötig hatte, nach Abfällen zu suchen. Sein hellgrauer Vollbart war sorgfältig gestutzt, und sein sonnengebräuntes Gesicht war fast so dunkel wie sein langer brauner Ledermantel.

Er bemerkte Harris erst, als er dicht hinter ihm stand.

„Hallo …“, sagte er grinsend und offensichtlich ohne jede Scheu, als treffe er einen alten Kumpel wieder. „Sind Sie der Besitzer des Hauses?“

„Bin ich“, bestätigte Harris. „Geht Sie das etwas an?“

„Ah, Sie denken wohl, ich wollte ...? Keine Sorge, ich suche nur nach einem Ball, den meine Enkelin gestern über Ihre Gartenmauer geworfen hat.“

„Sie suchen in den Tonnen nach einem Ball?“

„Ja, sonst ist er nirgends zu finden. Vielleicht sollte ich mal mit einer Harke das Laub wenden?“

„Und warum kommen Sie erst jetzt deswegen?“

„Gestern scheint niemand zu Hause gewesen zu sein. Deshalb bin ich heute noch einmal zurückgekommen. Das Gartentor war nur angelehnt.“

„Hätten Sie etwas dagegen, sich auszuweisen?“

„Nein, natürlich nicht. Denken Sie etwa immer noch …?“ Der andere klopfte bereitwillig die Außenseiten seines Ledermantels ab. „Hm, tut mir leid, meinen Ausweis muss ich wohl zu Hause gelassen haben.“

„Sie wohnen also im Nachbarhaus?“, erkundigte sich Harris.

„Nein, ich kam nur zufällig mit meiner Enkelin vorüber.“

„Aber sie hat den Ball doch über die Mauer geworfen, oder hab’ ich das falsch verstanden?“

„Von der Straße aus, ja.“

„Bis hierher?“, fragte Harris skeptisch. „Das sind gut und gern fünfzig Meter. Das wäre selbst für einen Handballspieler eine beachtliche Leistung.“

„Ja, Sie haben natürlich recht, aber wo sollte er sonst liegen …?“

„Würden Sie mir Ihren Namen verraten?“

„Oh, bitte verzeihen Sie, Walter, Paul Walter.

„Also gut, mein lieber Walter, ich werde mich morgen früh bei Tageslicht um Ihren verschwundenen Ball kümmern. Rufen Sie mich an, ob ich ihn gefunden habe?“

„Sehr zuvorkommend von Ihnen “, sagte Walter und reichte Harris dankbar die Hand. Sie war kalt und fest im Griff und bemerkenswert energisch für einen Mann seines Alters. So packten sonst nur sportlich trainierte Jüngere zu.

Harris beobachtete, wie Walter langsam zur Straße zurückkehrte. Als er das Gartentor hinter sich in Schloss geworfen hatte, drehte er sich noch einmal um und winkte Harris durch das schmiedeeiserne Gitter zu.

Harris

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