Читать книгу Harris - Peter Schmidt - Страница 9
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ОглавлениеHarris folgte dem Mann mit dem Ledermantel langsam durch die nachtdunkle Straße. Er hielt sich dicht an den Hausfassaden, um sofort in einem Eingang verschwinden zu können, falls der andere sich unverhofft umdrehte. Er brauchte nicht mehr darüber nachzudenken.
Wenn man genug Erfahrung hatte, konnte man an der Haltung eines Verfolgten erkennen, wann er sich umdrehen würde.
Er hatte damit gerechnet, dass Walter – oder wie auch immer sein richtiger Name lautete – im Wagen gekommen war. Aber um seinen eigenen Wagen aus der Garage zu fahren, hatte er nicht mehr genug Zeit gehabt. Walter wechselte die Straßenseite und überquerte den Parkplatz. Einen Augenblick später war er zwischen den Fahrzeugen verschwunden.
Auf dem Hochhaus der Versicherung drehte sich ein blauer Neonstern. Sein fahles Licht erinnerte ein wenig an das Licht auf einem Polizeiwagen. Harris wartete geduldig ab, die Händen in den Taschen versenkt.
Er trug immer noch seinen Hausmantel und fröstelte leicht trotz der milden Abendluft, und als der Stern sich drei- oder viermal um seine Achse bewegt hatte, leuchteten Scheinwerfer zwischen den parkenden Wagen auf. Ein schwerer Ford kam durch die Zufahrt, hielt an der Straßeneinmündung und bog dann ohne zu blinken nach Norden ab.
Als er an ihm vorüberkam, trat Harris schnell aus dem Schatten des Vorbaus an den Bordsteinrand, um das Nummernschild zu entziffern.
Er setzte sich auf die Terrasse des Monopoly, wo man das Treiben in den Bars und Cafés beobachten konnte. Der Name des Lokals war Programm, denn hier wurde alles verschoben und verkauft, was irgendeinen Wert hatte, allerdings nicht für Spielgeld wie beim Brettspiel.
Harris kannte den Besitzer seit über zwanzig Jahren. Er hatte Foller schon dreimal hinter Gitter gebracht, und Foller war immer wieder mit der Beharrlichkeit eines Stehaufmännchens sofort nach der Haftentlassung an seinen alten Arbeitsplatz zurückgekehrt, als sei nichts geschehen, als habe Harris ihm sogar einen Gefallen getan in seiner schwierigen persönlichen Entwicklung zu einem ehrlichen Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Seit ein paar Jahren gehörte ihm auch der Monopoly-Jachtklub am See nördlich der Stadt, ein nobler Laden im Stile englischer Klubs mit imitierten Mahagonikassetten – und den Fotos alter deutscher Kanonenboote.
Das Monopoly im Zentrum gab Strichern, Hehlern, Nutten, Transvestiten, entlaufenen Waisenkindern und allen Arten von großen und kleinen Kriminellen einen Platz, wo sie sich zu Hause fühlten. Harris bestellte einen Kaffee, der hier besser als in den meisten Nobelrestaurants war, und lehnte sich gähnend in seinem weinroten Hausmantel zurück, als sei er nur für einen Moment aus einem der Hotelzimmer auf die Terrasse heruntergekommen, um frische Luft zu schöpfen.
Dies war kein Ort, wo man wegen eines unpassenden Kleidungsstücks schief angesehen wurde. Die meisten Zuhälter und Prostituierten respektierten Harris.
Er hatte sie durch die Hinterzimmer und Höfe gejagt, um ihnen ihr Päckchen Heroin oder einen unrechtmäßigen Gewinn abzunehmen.
Er hatte mit einigen der Nutten geschlafen, dienstlich und privat, weil sie dann gesprächig wurden. Und seitdem er zwei dreist gewordene Vertreter des organisierten Verbrechens persönlich vom Dach des gegenüberliegenden Hotels geholt hatte, versuchte ihm niemand mehr ein X für ein U vorzumachen.
„Noch ein kleiner Schmaus um Mitternacht gefällig, Harris?“ rief Foller durch das Lokal. Seine vom Alkohol verwüstete Stimme klang so beflissen wie immer, wenn er Harris sah. Nichts erinnerte noch daran, wem er ein paar düstere Jahre seines Lebens in der Zelle verdankte. „Haifischsteaks sind diese Woche ausgezeichnet ...“
„Ja, vielleicht, vielleicht sollte ich noch ein kleines Haifischsteak essen“, murmelte Harris gedankenverloren. „Um den schlechten Geschmack aus dem Mund zu bekommen.“
Er versuchte Bilanz zu ziehen, doch diese Bilanz fiel wenig erfreulich aus. Er hatte eine mysteriöse Bürodurchsuchung, eine ebenso mysteriöse Schmiererei auf Cillis Spiegel und den Besuch eines schon etwas überalterten Burschen in seinem Garten, der jedenfalls nicht nach dem Ball seiner Enkelin suchte.
Noch zu wenig, um daraus irgendwelche plausiblen Schlüsse zu ziehen. Aber sein Instinkt als Polizist sagte ihm, dass diese drei Vorgänge zusammengehörten.
Und das Geschirr ohne Fingerabdrücke? Der Rest des Plastiksacks in Katrins Badezimmer?
Gehörte das auch zum Puzzle? Oder gab es gar kein Puzzle? Manchmal glaubte man, dass irgendwelche zufälligen Dinge einen Sinn ergaben, wie in einem guten Kriminalroman. Aber oft war das Leben nichts weiter als eine Anhäufung unzusammenhängender Einzelheiten.
Während er sein Steak aß, begann Tea vor dem Eingang des Stundenhotels auf und ab zu spazieren. Dafür war der blässliche Jüngling mit der Mädchenfigur und der Stimme eines Kerls, der Harris die ganze Zeit über von der Ecke aus argwöhnische Blicke zugeworfen hatte, in der Kellerbar verschwunden. Die beiden Straßenzüge boten alles, was das Herz eines einsamen Wanderers begehrte.
Harris ging unwillkürlich in Deckung, als Tea in seine Richtung blickte, und machte sich an seinem Tisch klein …
Sie trug wieder ihre enge schwarze Lederhose und eine weiße, mit Rüschen besetzte Bluse, deren Ausschnitt nichts an Offenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Aber ihr Gesicht war das einer Frau, die sich auf dem Wege zur Heiligen Messe befand.
Er musste immer lachen, wenn er Tea sah. Sobald ein Freier auf sie hereinfiel, begann das ewig gleiche Drama. Nach dem zweiten oder dritten Stelldichein hatte sie sich hoffnungslos in ihn verliebt und wollte, dass er sie aus dem Milieu herausholte und möglichst weit wegging mit ihr.
In die Karibik oder nach Neuseeland.
Sie hielt jeden Freier, der Jacke und Krawatte und Schuhe ohne abgelaufene Absätze trug, für „gutsituiert“.