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9 Die Entdeckung unseres mentalen Hauptprinzips

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Wir essen also nicht nur, um Nahrung zu uns zu nehmen, sondern weil es uns »schmeckt«. Wir gehen ins Theater, weil wir ein Stück »unterhaltsam« finden. Wir vermeiden es, uns mit hässlichen Dingen zu umgeben. Wir fliehen die Langeweile. Wir scheuen den Ärger, die Anstrengung, die Sorge. Eine Beleidigung ist für uns vor allem deswegen ein Problem, weil wir durch sie negative Gefühle erfahren.

Der gemeinsame Nenner aller Gefühle, so verschieden sie ansonsten auch sein mögen, ist offensichtlich ihr Angenehm- oder Unangenehmsein.

Dieser gemeinsame Nenner ist das in der Regel kaum oder gar nicht bewusste »mentale Hauptprinzip des Bewusstseins«. Wirksame psychische Therapien wie etwa das Desensibilisierungstraining gegen Ängste in der Verhaltenstherapie nutzen daher den Faktor Gefühl, um zum Beispiel Ängste »zu verlernen«. Diese Einsicht ist auch von großer Tragweite für die Möglichkeit der positiven Veränderung des Bewusstseins im EQ-Training, wie sich noch zeigen wird.

Gefühle motivieren und bewegen uns mehr oder weniger bewusst oder auch unbewusst durch ihr Moment des Positiv- und Negativseins.

Der Versuch, Ihr Bewusstsein in Richtung auf mehr Positivität und weniger Leiden zu entwickeln, wird um so erfolgreicher sein, je klarer Sie diesen Sachverhalt in seinem ganzen Umfang erkannt haben. Das ist keine ganz leichte Aufgabe, weil viele – auch kulturelle und gesellschaftliche – Gründe und Gewohnheiten gegen diese Auffassung zu sprechen scheinen.

Die folgenden Listen sollen Ihnen einen ersten Eindruck von dem Umfang vermitteln, in dem das Prinzip des Angenehm- und Unangenehmseins der Gefühle gilt. Erst wenn Sie erfassen, dass es sich tatsächlich um den mit Abstand wichtigsten Faktor Ihres Lebens handelt und wenn Sie nach und nach dieses Prinzip auch in Ihren ganz persönlichen Erfahrungen als mentales Hauptprinzip verifizieren können, kann EQ-Training seine volle Wirksamkeit entfalten.

In den folgenden beiden Gruppen von Gefühlen lässt sich jeweils ein gemeinsamer Nenner finden, so verschieden die Gefühle im einzelnen auch sein mögen, und dieser gemeinsame Nenner ist der eigentliche und letzte Grund, der uns bewegt, d.h., der uns zustimmen oder ablehnen lässt, der uns zur Aktivität »Hin zu…« oder »Weg von …« veranlasst, der mithin als unser mentales Hauptprinzip angesehen werden muss:

1. Freude, Behagen, Lust, Dankbarkeit, Liebe, Verliebtheit, Genugtuung, Glück, Zufriedenheit, Optimismus, Orgasmus, Selbstachtung, Genuss, Euphorie, Begeisterung, Triumph, Vergnügen, Jubel, Entzücken, Fröhlichkeit, Befriedigung, Wonne, Wohlbefinden, Zuversicht, Vertrauen.

2. Ärger, Unbehagen, Nervosität, Beklemmung, Wut, Zorn, Trauer, Angst, Furcht, Schmerz, Kummer, Eifersucht, Neid, Abscheu, Ekel, Panik, Unruhe, Sorge, Gereiztheit, Aggression, Ungeduld, Frustration, Ungerechtigkeit, Langeweile, Überdruss, Resignation, Verzweiflung, Unruhe, Widerwillen, Misstrauen, Selbstverachtung.

Unabhängig vom jeweiligen besonderen Sachverhalt – Eifersucht etwa ist rein sachlich oder der Bedeutung nach betrachtet eine andere menschliche »Konstellation« als »Verzweiflung« – lässt sich in der Gruppe 2 immer ein negatives Gefühlsmoment ausmachen.

Und entsprechend finden wir in der Gruppe 1 immer ein positives Gefühlsmoment.

Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir leiden nicht einfach nur wegen des sachlichen Zusammenhangs oder der gedanklich erfassten Bedeutung, die sich in der Situation der Eifersucht zeigt.

Dies wäre nur kognitiv erfasste Negativität.

Sondern wir leiden, indem Eifersucht uns ein negatives Gefühlsmoment erleben lässt. »Leiden« und »negatives Gefühlsmoment« sind demnach Synonyme, insofern sie ein negatives Moment enthalten, wobei Leiden allerdings dem Sprachgebrauch nach eher den sehr starken negativen Gefühlen vorbehalten ist.

Und umgekehrt streben wir meist nur deswegen nach Liebe, nach Freude, Wohlbehagen, Zufriedenheit usw., weil sich darin bei aller Verschiedenheit des Erlebens ein Gemeinsames zeigt: das positive Gefühl.

Wäre es uns möglich, aus den beiden Gruppen einzig und allein das positive und negative Gefühlsmoment zu entfernen, während alle anderen Bestimmungen gleich blieben, dann wären diese Gefühle so wenig in der Lage, unserer Erfahrung ein Wertprofil aufzuprägen (abgesehen von Werten als Mittel) wie beliebige andere Qualitäten.

An folgenden Wertbegriffen und Werterfahrungen lässt sich diese Auffassung noch weiter verdeutlichen:

Übelkeit, Gestank, Lärm, Sodbrennen, Ruhestörung, Qual, Strapaze, Mühsal, Argwohn, Schüchternheit, Arroganz, Verbitterung.

Auch hier finden wir neben der bloß inhaltlichen Bestimmung oder Bedeutung – z.B. »Argwohn« als jemandem nicht trauen – normalerweise immer ein negatives Gefühlsmoment. Und solche negativen »Gefühlsauszeichnungen« umfassen alle Arten von Sinneserfahrungen und Bewusstseinsobjekten: Gestank – Geruch; Lärm – Gehör; Sodbrennen – Körperempfindung; Missverständnis – Gedanke.

Betrachten wir jetzt eine positive Entsprechung:

Wohlklang, Schönheit, Wohlgefallen, Entzücken, Wohlgeschmack, Augenweide, Erleichterung, Ohrenschmaus.

Wir sehen hier wieder, dass sich alle diese Begriffe – neben ihrer jeweils unterschiedlichen Bedeutung – auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen: die positive Gefühlsauszeichnung. Eine einfache Gegenprobe wird uns vollends davon überzeugen, dass dieses Wertmoment tatsächlich der allgemeine Nenner aller (emotionalen, d.h., nicht nur kognitiv erfassten) Werterfahrungen ist. Versuchen Sie sich vorzustellen, dass dieselben Begriffe angenehm sind:

Ärger, Unbehagen, Nervosität, Beklemmung, Wut, Zorn, Trauer, Angst, Furcht, Schmerz, Entsetzen, Kummer, Eifersucht, Abscheu, Ekel, Panik, Unruhe, Sorge, Gereiztheit, Ungeduld, Frustration, Langeweile, Resignation, Verzweiflung, Unruhe, Monotonie.

Dass tatsächlich das Wertmoment dieser Begriffe nicht allein in ihrem sachlichen Gehalt, ihrer bloßen Bedeutung liegt, lässt sich auch an folgenden Beispielen zeigen:

Monotonie etwa ist nur dann Monotonie, also ein negativer Wertbegriff, wenn wir in der Aufeinanderfolge ein negatives Gefühlsmoment erleben. Völlig gleichförmige Wiederholung kann auch angenehm sein, wie zum Beispiel Wiederholungen in der Musik oder das Behagen des Säuglings zeigen, wenn er in der Wiege geschaukelt wird. Und Schüchternheit, die von einem selbst nicht als unangenehm erlebt wird, wäre lediglich Zurückhaltung oder Desinteresse.

Umgekehrt gilt dasselbe für die folgende Liste. Wir können keinem der Begriffe das Prädikat unangenehm zuordnen:

Freude, Behagen, Lust, Liebe, Glück, Zufriedenheit, Orgasmus, Genuss, Euphorie, Begeisterung, Vergnügen, Entzücken, Fröhlichkeit, Wohlbefinden, Erleichterung.

Auch hier wird wieder deutlich, dass diese Erfahrungen statt des Negativen ein Gemeinsames haben: ihre Positivität, und diese wird nicht einfach nur gedanklich erfasst. Werterfahrungen werden hier durch Gefühle konstituiert.

Dies gilt auch für jene Werte, die wir als »Sinn des Lebens« bezeichnen.

Sinn ist eine besondere Form des Wertes. Sinn ist ein Wert, der für uns besonders große Bedeutung hat. Was heißt hier letztlich groß und bedeutend?

Versuchen Sie sich vorzustellen, was Sie in Ihrem Leben als sinnvoll ansehen, hätte keinerlei Bezug zu Ihren Gefühlen. Die aufopfernde Arbeit einer Mutter etwa sei einzig und allein darauf ausgerichtet, ihre Kinder zu fördern. Dann würde sie ihr eigenes Glück für das ihrer Kinder opfern.

In einem fairen System, das allen Seiten gerecht wird, sollte vollständiger Verzicht zugunsten anderer aber eher eine Ausnahme sein. Es sei denn, wir erfahren gerade in diesem Verzicht eine emotionale Dimension, die unser Leben bereichert. Auch der Mutter steht ein Recht auf ein erfülltes Leben zu.

Unser Lebenssinn ist hängt also vom Maß der emotionalen Erfüllung ab, die durch die Sinnhaftigkeit des Lebens erfahren wird.

Und opfern wir uns überhaupt wirklich für bloße Ideen? Das mag zwar prinzipiell möglich sein, spielt aber in der Praxis offenbar keine große Rolle. Vor allem erhöht es nicht zwangsläufig den Wert einer Handlung. Es muss eher als fehlender Einklang mit unseren eigenen Interessen angesehen werden. Ideen sind abstrakt, und wenn sie nicht wiederum innerhalb des emotionalen Systems, in dem wir uns alle gemeinsam bewegen, mehr Positivität des Gefühls und weniger Negativität, also Leiden, hervorbringen, dann handelt es sich um bloße Prinzipienreiterei, um fixe Ideen, um »blutleere Ansichten« ohne Rücksicht auf unsere Gefühle.

Das Kriterium eines nützlichen Wertes, also auch einer Idee, für die man stirbt, kann letztlich immer nur die Qualität unserer Gefühle sein.

Dass sich Werte, die für uns einen Sinn repräsentieren, oft in Schwerpunkten zeigen, in bestimmten »großen Aufgaben«, wie ein Kunstwerk zu schaffen oder eine wissenschaftliche Aufgabe zu lösen, und dass sie deswegen »Sinn« genannt werden, ändert nichts an der Begründung solcher Werte durch Gefühle.

Nicht die Größe oder Außerordentlichkeit der Aufgabe, die wir als Lebenssinn empfinden, entscheidet über seine Qualität als Sinn, sondern die positive Gefühlsauszeichnung – also die durchgehende und tiefgreifende emotionale Erfüllung oder Befriedigung, die wir dabei im Leben empfinden. Ein Kind großzuziehen oder als Handwerker ein Meister seines Fachs zu werden, kann durchaus ein vergleichbares Maß an Sinnerfüllung verschaffen, wie Europa als Politiker zur Einheit zu führen, die Relativitätstheorie zu entwickeln oder eine Oper zu komponieren.

Ein Bewusstsein, dem eine Fülle von Werten durch Gefühle zugänglich ist, stellt niemals den Sinn des Lebens in Frage.

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