Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 49
ОглавлениеProlog
Der Knüppel sauste im Halbdunkel auf ihn herunter.
Instinktiv duckte er sich und knallte die Hoteltür von innen wieder zu. Den Angreifer hatte er im matten Licht der Nachtbeleuchtung nur schemenhaft wahrgenommen, aber die antrainierten Reflexe funktionierten. Trotz des langen Urlaubs. Jetzt erwartete er leise keuchend den nächsten Versuch.
„Mr. Benedict? Mr. Benedict!!! Ich will doch nur mit Ihnen reden!“
Die Stimme, die zu ihm ins Zimmer drang, war erschrocken und weiblich und klang nicht unbedingt nach Mord und Totschlag. Dennoch öffnete er die Tür nur einen Spalt breit, um vorsichtig nach draußen zu blinzeln. Auf dem schwach erleuchteten Gang des Downtown Holiday Inn nahm er nun deutlich die Gestalt einer Frau wahr, deren linke Hand mit einem länglichen Gegenstand in der Luft herumwedelte. Mühsam versuchte er die nachtverklebten Augen noch weiter auseinanderzubringen. Was er im diffusen Licht des Hotelflurs eben noch für ein Schlaginstrument gehalten hatte, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als zusammengerollte Zeitung, mit der die weibliche Schattengestalt aufgeregt durch die Luft fuchtelte. Erleichterung oder sogar Heiterkeit wollten sich bei ihm trotzdem nicht einstellen. Dafür war es einfach zu lausig früh am Morgen. Dem immer noch bedrohlich vor seinem Kopf herum wirbelnden Presseorgan ausweichend, quetschte er schließlich einen unwirschen Laut durch die spröden Lippen.
„Yeah?“
„You must help me, Mr. Benedict, please!“
Während er sich noch im Halbschlaf in der Situation zurechtzufinden versuchte, wurde hinten auf dem Gang eine Tür aufgerissen. Ein Schwall amerikanischer Flüche dröhnte über den endlos langen Hotelflur. Da fühlte sich offensichtlich noch jemand gestört. Bevor es richtig peinlich werden konnte, zog Benedict die ungebetene Dame hastig zu sich ins Hotelzimmer hinein. Nicht, dass er prinzipiell etwas gegen den Besuch von Damen einzuwenden hätte, aber nach dieser Nacht...
„Sorry!“, krächzte er rau und verabschiedete sich fluchtartig Richtung Bad, die Frauengestalt mit ihrer Zeitungswurst im halbdunklen Zimmer zurücklassend.
Eilig setzte er die Zahnbürste an, um die Reste einer überlangen TV- und Minibar-Nacht weg zu schrubben. Vergebliches Bemühen. Auch nach fünf Minuten war dieser faulpelzige Geschmack an seinem Gaumen immer noch da. Amerikanisches Mundwasser taugt eben nicht für guten deutschen Zahnbelag. Ein kleiner, aber gewichtiger Grund zur Vorfreude auf die gewohnten Verhältnisse. Zum Abschluss seiner wenig erfrischenden Morgenhygiene versuchte er dann noch mit einer kombinierten Alka-Seltzer/Aspirin-Therapie, den Kampf gegen die sonstigen Nachwirkungen der vergangenen Nacht aufzunehmen.
Zwei, allerhöchstem drei Stunden hatte er sich wohl anschließend noch unruhig in den verschwitzten Laken herumgewälzt. Auf den zuckenden Augäpfeln die eingebrannten Fernsehbilder trunkener Mauertänzer. Süchtig war er bis zum frühen Morgen zwischen den großen Networks hin und her geirrt, um ja keinen der Berichte aus diesem fernen Land zu verpassen.
Als das englische Rasierwasser scharf auf seiner Haut Wirkung zeigte, war Benedict dann doch wieder halbwegs auf dem Weg in diese Welt. Es war Mitte November und der letzte Tag seines langen USA-Urlaubs, der hier in Los Angeles sein Ende gefunden hatte. Gestern noch der abschließende Besuch im FBI-Büro am Wilshire Boulevard. Ein halb freudiges, halb bedrückendes Wiedersehen mit Linda Washoe, deren indianischer Bruder in England so bestialisch ermordet worden war. Wenn die FBI-Agentin ihm damals nicht geholfen hätte, säße er wahrscheinlich heute noch in einem Knast Ihrer Britischen Majestät.
Bei einem der unzähligen Mexikaner hatten sie abends ein scharfes Chili gegessen, aber das Thema Sakamoto tunlichst vermieden, und als er ins Hotel zurückkam, waren dann auf einmal die Glückwünsche über den Deutschen hereingebrochen.
„The wall in Berlin is open! Congratulations!“
Ungläubig zuerst, denn man weiß ja, was heutzutage alles im Fernsehen gemacht werden kann, hatte er diese verrückten Bilder in sich hinein gesogen, und wahrscheinlich verhinderte nur die große räumliche Distanz zum wirklichen Ereignis eine allzu tränende Sentimentalität.
Als er nach zehn Minuten leidlich frisch wieder aus dem Bad zurückkam, hatte seine Besucherin die Vorhänge geöffnet.
Sie war irgend was zwischen zwanzig und dreißig. Nein, nicht sein Typ. Gemischt blond und kleenex-frisch sauber.
„Ihr Foto ist hier in der Los Angeles Times!“
Damit war zumindest geklärt, woher sie seinen Namen wusste. Als der Pressesprecher des FBI-Büros ihn durch die Arbeitsräume geführt hatte, war ein Fotograf aufgetaucht, der ihn und Linda dann dekorativ vor dem Eingang aufgenommen hatte. Jetzt prangte das Ergebnis seiner Bemühungen mit der Bildunterschrift German Police Officer visits L.A. Field Office im Lokalteil der Zeitung.
„Und wer sind Sie?“, fragte er mehr höflich als interessiert.
„Ich heiße Sanger. Ramona Sanger. Mein Vater war Dean Sanger ...“
Der Name stand im Raum. Von ihrem erwartungsvollen Blick eskortiert.
„Sanger?“ Nein. Er konnte nicht dienen. Der Name sagte ihm nichts.
„Dean Sanger war ein bekannter Sänger und Filmschauspieler ... im Ostblock! Mein Vater lebte in der DDR!“ Hilflos schien sie sich an ihrer Zeitungsrolle festzuklammern. „Er hat auch schon mit Yul Brunner in einem Western gespielt ...“, schob sie enttäuscht noch einen Satz nach.
Aber Benedict fuhr die sture Masche.
Er wollte nicht. Sie hatte ihn gestört. Wahrscheinlich hätte er nicht mal gewollt, wenn ihm der Name etwas gesagt hätte. Und sie war ihm zu frisch gewaschen und amerikanisch. Dieser angebliche Sänger-Star, von dem er noch nie gehört hatte, und dieses Mädchen, in engen Jeans und blanken Cowboystiefeln, sie interessierten ihn einfach nicht.
Auf den Wangen der brünetten Amerikanerin begannen sich rote Flecken auszubreiten.
„Mein Vater wurde ermordet“, stieß sie hastig heraus, „von der Stasi. In einem See bei Ost-Berlin!“
„Ach“, meinte er mit zunehmendem Unbehagen. Ging ihn das irgend was an? Ihn, den Leiter des Düsseldorfer K1, einen westdeutschen Kriminalpolizisten? An seinem letzten Urlaubstag. Hier in Los Angeles, Kalifornien, USA?
„Jetzt, wo die Mauer doch offen ist!“
Verdutzt blickte er sie an. Sollte das was ändern?