Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 65

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„Na ja, wie war das 1973 ... aus Anlass der Weltfestspiele wurde eine Zentrale Fahrbereitschaft gebildet. 120 Fahrer. Ich war damals beim Handelsministerium funktionsgebundener Kraftfahrer und wurde da eben abgestellt.“

Ullrich Theuerkorn fällt das Reden sichtlich schwer. Sicher nicht, weil es um seine Zeit mit Dean Sanger geht, sondern wohl hauptsächlich deshalb, weil Eloquenz nicht zu den Qualifizierungsvorgaben seines bisherigen Berufswegs gehörte. Aber auch Benedict rutscht unbehaglich in dem tiefen Sitzmöbel der Marianne Theuerkorn hin und her. Schon bereut er, dass er sich nachmittags von ihr zu diesem Besuch hat breitschlagen lassen.

„Mein Mann“, hatte sie mit fast verschwörerischer Miene gesagt, „hat Dean Sanger während der Weltfestspiele als persönlicher Fahrer zur Verfügung gestanden! Der kann Ihnen bestimmt noch interessante Sachen erzählen!“

Obwohl er sich nichts von irgendwelchen persönlichen Anekdötchen des Kraftfahrers versprach, hatte er ihrem drängenden Blick nicht widerstehen können und sich im abendlichen Halbdunkel zu dieser Altbauwohnung an der Greifswalder Straße durchgefragt.

„Und ...?“, ermuntert er schließlich den kleinen Mann mit dem schütteren Blondhaar und nimmt einen höflichen Schluck aus dem Glas mit dem zu süßen Rotwein.

„War ja ’ne ganz große Sache damals. Vorher große Belehrung in der Fahrbereitschaft des Ministerrates, in der Klosterstraße. Hauptsächlich von der VP-Verkehr und dann ... die wohnten ja alle im Hotel Stadt Berlin, und da gab’s dann jeden Tag um 8Uhr nochmal Belehrung. Da waren dann auch die Leute vom MfS und welche vom ZK dabei. Wie gesagt, war ’ne ganz große Sache für die Republik!“

„Erzähl doch mal von Dean, wie er so war! Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Ulli!“, drängelt die Theuerkom ungeduldig.

„Wir waren also immer zu viert. Dean Sanger, sein Dolmetscher, der offizielle Betreuer, aber der hat jeden Tag gewechselt, und ich als Fahrer ... hatte übrigens damals einen schwarzen Wolga!“

„Also Ullrich, das interessiert doch den Herrn Benedict nicht!“

„Wieso denn nicht, war doch eine richtige Staatslimousine, mit Vorhängen und so!“

Bevor er in eine Tucholskysche Posse geraten kann, greift Benedict doch wieder in das Gespräch ein. „Der Dolmetscher, war der denn auch von der Regierung gestellt?“

„Natürlich, was denken denn Sie! Aber der war auch ein persönlicher Freund von Dean Sanger. Hieß Victor ... Victor Grollmann oder so ähnlich. Die kannten sich wohl schon ziemlich lange, also jedenfalls ..."

„Victor? Sind Sie da ganz sicher, Herr Theuerkorn?“

„Ja, ja. Victor. Das weiß ich ganz bestimmt!“ Victor. Das könnte sogar passen.

„Und das war einer aus der DDR?“

„Mit Sicherheit! Aber kein Deutscher. Ein Ami!“ Noch so einer. Ob der noch ... Schien eine merkwürdige Freundschaft gewesen zu sein, wenn Sanger sich hinter dessen Namen „Victor“ konspirativ versteckt hatte. Victor.

„Und wie war die Zeit mit Dean Sanger sonst so? Wie lange dauerte das denn?“

„Insgesamt acht Tage. Um 8 Uhr war also immer Belehrung im 1. Stock, anschließend haben wir zusammen mit Dean Sanger gefrühstückt, und dann ging es nach Arbeitsplan. Also ganz wichtig war dem Dean immer die Gitarre, die hat der nie aus den Augen gelassen. Muss wohl ein ganz wertvolles Stück gewesen sein. Dann habe ich ihn immer zu den Veranstaltungen gefahren. Wenn er auftrat. Kessel Buntes oder nach Weißensee dann. Da war ja die Hölle los. Alles voll FDJler. Hätte fast eine Panik gegeben, weil die sogar auf den Lichtmasten saßen, und die sind dann zusammengebrochen.“

„Und die ganze Zeit waren Sie immer zusammen, Sie vier?“

„Na, nicht die ganze Zeit. Nicht, wenn er auf seinem Hotelzimmer war. Da hat ihn ja dann auch immer seine erste Frau besucht, das war ’ne ganz schön arrogante Ziege!“

„Seine erste Frau?“

„Also, wohl nicht seine erste, aber die erste, die er in der DDR geheiratet hat. Hatte wohl auch in Amerika eine sitzen. Mit der Tochter aus der Ehe hat er sich ja dann auch nach vier Tagen getroffen. Mit der Ramona.“

„Was? Ich denke, Sie waren die ganze Zeit zu viert!“

„Na ja, wir haben uns dann schon ganz gut gekannt. Und er war so nett und freundlich, und da haben wir dann so’n bisschen Räuber und Gendarm gespielt. Jedenfalls konnten wir das so einrichten, dass wir die immer mal ’n Stündchen los waren.“

„Und wo hat er sich dann mit seiner Tochter getroffen? Doch nicht im Westen?“

„Nee, nee ... aber ganz dicht dran. In der Fritz-Heckert-Straße, direkt beim Grenzübergang Heine-Straße. Er hat mit ihr da rumgetollt. Richtig ausgelassen war der. Muss sie unheimlich geliebt haben, die Kleine. Durfte ich auch seiner Frau nie was von erzählen, die wäre sicher fuchsteufelswild geworden!“

„Haben Sie dieses .Räuber und Gendarm'-Spiel noch öfter getrieben, hat er sich noch mit anderen Leuten getroffen?“

„Noch ein, zwei Mal, aber da weiß ich nicht, was er da gemacht hat. Die Mädels waren ja ganz verrückt nach ihm!“

„Hab ich auch schon gehört. War zu beneiden, der Dean Sanger.“

„Na, wie man’s nimmt. Dann hat er sich wohl noch mit seinem Regisseur getroffen, auf der Fischer-Insel, und auch mit Karel Gott. Da war auch immer ganz schön viel Schnaps mit im Spiel. Und nach der Abschlussveranstaltung unterm Fernsehturm hat er mir ein Gasfeuerzeug mit Marmorbeschichtung geschenkt. Auch eine Platte mit persönlicher Widmung und einen 10-Dollarschein. Ich weiß noch, dass er an dem Tag eine Stinkewut auf seine Frau hatte, aber warum, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, weil sie sich zu den kleinen Leuten so arrogant aufgeführt hat. Das konnte er überhaupt nicht leiden, der Dean.“

„Und das war’s dann?“

„Ja, das war’s eigentlich. Wurde dann ziemlich hektisch. Hab ihn zum Flughafen Schönefeld gefahren. Da hat er sich noch mal so herzlich bei mir bedankt. Das kannten wir sonst gar nicht. ,Wir bleiben für immer Freunde', und dann war er weg.“

Als Benedict mit schweren Beinen zum S-Bahnhof Greifswalder Straße geht, findet er doch, dass der Abend sich gelohnt hat.

*


Morgens ertappt er sich plötzlich dabei, dass er die Suche nach Opfern der Tätigkeit des MfS-Majors in der Zentral-Kartei ganz bewusst verzögert. Während er bisher die jeweiligen Namen immer zügig und sofort in seinen Block übertragen hatte, liest er die entsprechenden Vorgänge jetzt mehrmals durch und sinnt immer länger über die Lebenswege der Betroffenen nach.

Was ist los? An dem schweren Kopf, den ihm das sirupartige Gesöff der Theuerkorn verursacht hatte, kann es nicht liegen. Er ist schon mit ganz anderen Katern fertig geworden. Nein, er will ganz eindeutig einen möglichen Erfolg der Düsseldorfer Kollegen so lange wie möglich hinauszögern. Denn sollten die bei einem seiner übermittelten Namen fündig werden, gäbe es keinen Grund mehr für seine längere Anwesenheit in Berlin. Und auch keine Möglichkeit mehr, sich mit dem Ableben dieses Amerikaners zu befassen.

„Telefon für Sie!“

Der Mann vom Bürgerkomitee ruft ihn zu einem Telefonapparat. Stirnrunzelnd greift Benedict zum Hörer. Die vom Präsidium haben doch noch nie hier angerufen.

„Benedict!“

„Was machen Sie denn da für ’n Mist?“

Die Stimme des „Leitenden“ aus dem Düsseldorfer Präsidium klingt überraschend nah, und sie klingt bedrohlich ungemütlich.

„Mist?“

„Ja, Mist! Oder wie würden Sie das sonst nennen? Wir haben Sie da rüber geschickt, damit Sie Licht in die Sache Fuchs bringen, und nicht, damit Sie irgendwelchen Hirngespinsten nachrennen!“

„Hirngespinsten?“, versucht sich Benedict von dem überraschenden Einbruch Düsseldorfer Hierarchie-Realität in seinen Ost-Berliner Alltag zu erholen.

„Ja, Hirngespinste! Was geht Sie der Tod eines Amerikaners von anno dazumal in der DDR an? Mensch, Benedict, wir haben sowieso genug Schwierigkeiten Sie da zu halten, und Sie fabrizieren auch noch einen Mist, der bis ins Düsseldorfer Innenministerium stinkt. Es steht zur Debatte, Sie sofort abzulösen und durch jemand Anderen zu ersetzen!“

„Der müsste sich auch erst wieder einarbeiten. Ob das sinnvoll ist...?“

„Mensch, begreifen Sie doch, dass es hier nicht um sinnvoll oder nicht geht. Wie lange brauchen Sie denn da noch? Kommen Sie denn trotzdem in der Fuchs-Sache voran?“

„Vielleicht noch ’ne Woche, Chef. Vielleicht auch eher, wäre wirklich nicht sinnvoll jetzt...“

„Also, klare Order de Mufti: Sie kümmern sich nur noch um die Angelegenheit Fuchs, und wir versuchen, Sie noch eine Woche aus der Schusslinie zu nehmen, verstanden. Eine Woche!“

Fast entgleitet der Hörer Benedicts zitternden Fingern, als er ihn auf die Gabel zurücklegen will. So hatte er den „Leitenden“ lange nicht erlebt. Was war das jetzt wieder gewesen? Wie konnten die in Düsseldorf von seinen Sanger-Nachforschungen wissen? Zu Ganser hat er kein Wort gesagt. Das Innenministerium, so, so. Wen hat er denn da nervös gemacht? Warum will da jemand offenbar seine Sanger-Ermittlungen verhindern? Nachdenklich kritzelt er kleine Männchen auf die leere Seite seines Schreibblockes. Wenn nicht von Ganser, was existieren denn da für merkwürdige Informationsströme? Sein Freund vom LKA West-Berlin vielleicht,: der Beyer? Oder...

*


„Wir haben hier doch keine öffentliche Telefonzelle, Meister!“

Schon das zweite Mal ruft ihn der Bürgerkomiteeler an diesem Vormittag zum Telefon, und mit Unbehagen hört Benedict in die Muschel. Aber diesmal ist es nicht die barsche Stimme des „Leitenden“.

„Hallo?“

„Hallo! Na, das ist ja eine Überraschung!“

Das ist weiß Gott keine Untertreibung, denn er hat nicht mehr damit gerechnet, wieder von Annkatrin zu hören. Nach dieser Begegnung.

„Ich finde, wir sollten so nicht auseinandergehen. Ich war wohl auch etwas ... immerhin ist ja viel passiert inzwischen. Ich würde Dich gern nochmal sehen, Benny!“

„Jaaa ... selbstverständlich ...“, versucht der Hauptkommissar seine Fassung wiederzugewinnen.

„Wir könnten uns vielleicht zum Mittagessen treffen, im ,Rosengarten', am Thälmann-Park, wenn du magst. Bitte!“

„Ja gut. Dann um zwölf im ,Rosengarten'.“ Nachdem er sich mit Annkatrin verabredet hat,

will er sich wieder der Arbeitsroutine zuwenden. Aber es fällt ihm zusehends schwerer, denn immer wieder drängt sich die bohrende Frage in den Vordergrund, woher Annkatrin diese Nummer haben mochte. Eine Telefonnummer, die nur wenigen bekannt war, eine Telefonnummer im MfS.

*


„Jetzt gibt’s nüscht mehr! Wir haben Ablösung!“

Zum Bier hat es gerade noch gereicht. Nach der mürrisch erteilten Abfuhr klumpt sich das Bedienungskollektiv der HOG Rosengarten an der Theke und übt sich im Nichtstun. Jedenfalls wird es für die nächste Stunde nichts mehr geben. Kein Seelachsfilet in Bierteig gebacken für M 16.75. Während das den anderen Gästen auf der Terrasse wenig auszumachen scheint, wirft Benedict immer wieder wütende Blicke abwechselnd in Richtung Theke und auf die nutzlos gewordene Speisekarte, in der geschrieben steht: Wir begrüßen Sie in unserer gastronomischen Einrichtung. Bitte wählen Sie Ihre gewünschte Speisenfolge selbst. Als Service unseres Küchenkollektivs bieten wir Ihnen die Möglichkeit, die Gemüse- und Sättigungsbeilagen nach Ihren Wünschen zusammenzustellen. Mahlzeit!

Alles nur äußerlich. Die bunten Schirme der kapitalistischen Brausefirma und die verlockend eingedeckten Tische. Blümchen und ein blank blauer Himmel. Muffelig dreht Benedict das schon schal werdende Glas mit Pilsator zwischen seinen Händen.

„Ist doch nicht so schlimm“, versucht Annkatrin ihn zu beruhigen, „da haben wir doch schon ganz andere Sachen erlebt!“

„Ja, ja ...“, er möchte auf gemeinsame Erinnerungen nicht unbedingt näher eingehen, „aber ich frage mich, wie die Leute das überleben wollen. Ob denen wohl klar ist, was passiert, wenn die heiß ersehnte D-Mark erst mal hier ist? Dann wollen die Leute für das richtige Geld auch richtige Leistung haben, und da werden die sich hier ganz schön umstellen müssen!“

„Ach, weißt du, sich auf das jeweils Erforderliche einstellen, da bin ich unbesorgt, das können die Leute hier. Aber müssen wir das jetzt besprechen?“

Da hat sie natürlich recht. Im Grunde genommen versucht er mit seiner künstlichen Aufregung ja nur die Frage platt zu reden, die er ihr stellen will. Also ...

„Erinnerst du dich eigentlich noch an 1980? Das war kurz bevor du nach Düsseldorf gegangen bist und dich dann ... erst mal abgemeldet hast. Für längere Zeit.“

„1980. Mein Gott, das ist zehn Jahre her. Was soll da gewesen sein ?“, fühlt Benedict sich schon wieder von ihr in die Enge getrieben.

„Na, ich erinnere mich noch genau. Du warst wieder mal zu einem deiner überfallartigen Blitzbesuche bei mir aufgetaucht. Ich habe mich ja immer darüber gefreut, aber gerade an diesem Tag ... es war etwas dumm damals, weil ich ausgerechnet an diesem Tag jemanden in unserer Einrichtung zu Gast hatte, über dessen Auftritt ich sehr glücklich war. Und du warst ziemlich sauer, weil... na, du bist dann ziemlich abrupt wieder Richtung West-Berlin gedüst.“

„Ja, und?“

„Du hast unseren Gast damals auch persönlich kennen gelernt, und er schien ziemlich froh zu sein, dass er mit jemandem in seiner Muttersprache reden konnte ... der Mann hieß Dean Sanger!“

Zu vieles wirbelt Benedict durch den Kopf, als dass er in der Lage wäre, dazu etwas zu sagen. Ihre Wege hatten sich also irgendwann einmal gekreuzt. Und richtig, jetzt, wo er den ernsthaften Versuch unternimmt, die Situation im Sommer 1980 zu rekapitulieren, da kommt auch diese schemenhafte Erinnerung an ein kurzes Gespräch in diesem Jugendclub am Prenzlauer Berg. Sehr vage, sehr schemenhaft. Im Grunde genommen nicht viel mehr als die freudige Überraschung eines Menschen, der sich plötzlich frei und locker in der Sprache seiner Heimat verständigen kann.

„Warum ... erzählst du mir das? Gerade jetzt?“, wehrt er sich dagegen, dem lange zurückliegenden Treffen mit Dean Sanger irgendeine Bedeutung beizumessen.

„Berlin ist ein Dorf. Wenigstens Ost-Berlin. Man spricht so dieses und jenes. Und im Moment ist die Rede davon, dass ein Polizist aus dem Westen Erkundigungen über Dean Sangers Tod einholt. Das hat damals viele Leute hier sehr betroffen, musst du wissen. Das Interesse an ihm ist bei vielen noch groß. Er war ein wunderbarer Mensch, ein guter Freund! Ich nehme an, dass du dieser Polizist bist. Ist es das, weshalb du hier in der Hauptstadt bist?“

Benedict nimmt noch einen Schluck warme Bierbrühe und überlegt sich sorgfältig die Antwort, die er Annkatrin geben wird. Geben kann.

„Und wenn das so wäre?“

„Na ja, wenn du mir sagst, was du eigentlich genau wissen willst, könnte ich dir vielleicht weiterhelfen?“

Seine Finger umkrampfen knöchelweiß das fast geleerte Bierglas. Er starrt, ihrem so verdammt direkten Blick ausweichend, vorbei an seiner früheren Liebe, auf das Grün zwischen den Hochhäusern, wo sich ein Rudel von Hasen tummelt.

„Eigentlich möchte ich dazu nicht viel sagen. Weißt du, das hat an sich einen ganz anderen Hintergrund...“

Annkatrins Gesicht spiegelt für einen kurzen Moment Anzeichen von Enttäuschung wider. Hat sie mehr erwartet? Warum?

„Viel hätte ich dir sowieso nicht sagen können...“, fängt sie sich aber schnell wieder, „das war ja damals alles ziemlich von Gerüchten umwoben. Aber im Zentralarchiv der SED gibt es vielleicht noch Dinge, die dir bei deiner Suche weiterhelfen könnten. Die sitzen in der Wilhelm-Pieck-Straße. Ich habe da eine Freundin, ihre Telefonnummer ist...“

*


„Please, Mr. Benedict!“

Sollte er im ersten Moment den Impuls verspürt haben, der Einladung der beiden Männer nicht Folge zu leisten, so unterdrückt er ihn angesichts des Tonfalls sofort. Keine Drohung, nein, aber die Bestimmtheit von Leuten, die genau wissen, wie man eventuellen Unbotmäßigkeiten mit geeigneten Mitteln begegnet.

Er hatte sich gerade von Annkatrin verabschiedet und strich, nach einem Taxi suchend, am Straßenrand entlang, als der Amischlitten mit den getönten Scheiben wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war. Die Situation scheint nicht wirklich bedrohlich zu sein. Der Typ neben ihm im Fonds kaut grinsend auf seinem Kaugummi, und die Klimaanlage ist sogar ganz angenehm, während der Wagen in ruhiger Fahrt Richtung Stadtmitte fährt. Auch der Eisklumpen im Rücken, der ihm sonst mit schöner Regelmäßigkeit Gefahrensituationen vermeldet, lässt nichts von sich spüren. Dennoch findet er langsam, dass der Tag mit Überraschungen knausriger umgehen könnte.

Als der Wagen nach kurzer Fahrt vor einem dreistöckigen, mit wilhelminischem Stuck überladenen Protzbau aus der Gründerzeit zum Stehen kommt, weiß er, wohin ihn die freundliche Einladung der Kaugummimänner gebracht hat. Neustädtische Kirchstraße 4-5. Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin, Hauptstadt der DDR. Das hätte er auch ohne das „starspangled banner“ an der Außenfront des dreistöckigen Gebäudes gewusst.

„Ich bin Mike Carrigan, Vizekonsul der Vereinigten Staaten. Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung so schnell gefolgt sind!“

Der scheint das wirklich ernst zu meinen.

„Die Chance, Ihre Einladung auszuschlagen, war mir leider nicht gegeben, Herr Konsul!“

„Vizekonsul. Tasse Kaffee? Sie können übrigens Mike zu mir sagen.“

Den Kaffee nimmt Benedict dankend an, aber ob er den diplomatischen Vertreter der USA in der DDR beim Vornamen nennen wird, behält er sich noch vor. Der Vizekonsul bedient Benedict aus einer schwarzen Thermoskanne und stellt auch ein paar Kekse dazu. Ein Ostküsten-Ami mit blondem Scheitelhaar. Sauber und adrett in einem dieser dunkelblauen Anzüge, die immer ein wenig wie Uniformen aussehen. Nichtraucher. Duscht sicher zweimal. Vor dem Vögeln und danach. Und Mundspülung nicht zu vergessen. Benedict freut sich, dass er endlich mal im Vorteil ist, denn er kennt den Vizekonsul. Nein, nicht persönlich, aber aus Raschkes Akten. Und der hatte Mike Carrigan als CIA-Mitarbeiter identifiziert. War ziemlich einfach gewesen, denn die versammelten sich alljährlich im September zu einem großen Gartenfest in Berlin-Dahlem bei ihren Bossen. Und Mike Carrigan war immer dabei. So jedenfalls hatte es das MfS ausgespäht. Und genau dieser

Mike Carrigan, Vizekonsul der Botschaft USA in der DDR, hatte diverse Einladungen an den US-Bürger Dean Sanger zu Empfängen und Partys ausgesprochen und versucht, den Kontakt zu ihm aufrechtzuerhalten!

„Welcher meiner hervorragenden Eigenschaften verdanke ich nun diese Einladung?“

„Ach, warum so bissig, Herr Benedict? Betrachten Sie es als Einladung unter Freunden, denn Sie sind ja schließlich ein westdeutscher Polizist, nicht wahr? Außerdem waren Sie schon so oft bei uns in den Staaten. Haben doch sogar da studiert. Warum sollen wir uns da nicht mal in aller Ruhe unterhalten!“

Fixe Jungs. Hatten sie aber schnell ihre Unterlagen durchgecheckt. Das wird ziemlich psychologisch. Da heißt es, auf der Hut zu sein.

„Worüber denn? Unterhalten?“

„O.k., o.k.!“ Der Mann mit den rosig schimmernden Wangen wird plötzlich ernst. „Wenn ein westdeutscher Polizist, der in einer ganz bestimmten Sache nach Ost-Berlin geschickt wurde, sich plötzlich auffällig mit einer ganz anderen Sache beschäftigt, und es sich bei dieser Sache um den Tod eines früheren US-Bürgers handelt, dann könnten sich gewisse amerikanische Dienststellen natürlich dafür interessieren. Ganz sicher interessieren sie sich aber dann dafür, wenn es sich bei diesem Bürger um einen gewissen Dean Sanger handelt, der in den Osten überwechselte und hier auf etwas ungeklärte Art und Weise zu Tode gekommen ist. You check that, Mr. Benedict!“

O ja, das begreift der Mr. Benedict. Immerhin ist ihm das heute ja schon mal ziemlich deutlich mitgeteilt worden. Und taub ist der Mr. Benedict aus Düsseldorf ja nicht.

„Kann ich Sie irgendwo hinfahren lassen?“, wahrt der Herr Vizekonsul die Regeln der Höflichkeit bis zur letzten Minute.

„O nein, bitte nicht!“, beeilt sich Benedict schnell abzulehnen, „ich nehme die S-Bahn!“ Kurz vor Verlassen des Büros dreht er sich nochmal um und hat für einen winzigen Augenblick das Gefühl, als hätte ihm der Steinadler im Wappen an der Wand über Carrigans Schreibtisch mit einem Auge zugezwinkert. Aber es war wohl ein Reflex der einfallenden Sonne.

*


Die Namensdurchgabe nach Düsseldorf hatte er dann ausfallen lassen. Waren eh nur zwei gewesen. Dafür würde er morgen richtig ran klotzen. Noch in der S-Bahn raus nach Marzahn klingen ihm Mike Carrigans Worte in den Ohren nach: „Herr Benedict, verstehen Sie mich bitte ganz richtig! Wir können einem westdeutschen Kriminalpolizisten natürlich keine Weisungen erteilen. Dazu sind wir nicht befugt. Andererseits, wenn Sie weiter da rumstochern, kann ich Ihnen nicht versprechen, dass andere Leute das nicht vielleicht aus einem anderen Blickwinkel sehen und dann...“

Der Vizekonsul hatte den Rest des Satzes unausgesprochen gelassen, aber die Drohung, die eben gerade darin lag, war unüberhörbar gewesen.

Ächzend lässt er sich auf sein Bett im VP-Heim fallen und starrt mit offenen Augen an die Zimmerdecke. Ein übler Tag. Erst diese Order des „Leitenden“, sofort die Sanger-Nachforschungen einzustellen, auf wessen Weisung auch immer. Dann Annkatrin, die genau zu wissen schien, wo er sich aufhielt und was er hier machte, und schließlich noch die unverblümte Drohung eines amerikanischen Konsuls, der auch genau wusste, wo er sich aufhielt und was er machte. Jeder in dieser verdammten Hauptstadt schien zu wissen, wo er war und was er machte. Zum Kotzen! Dass er sich aber auch mit niemandem bereden konnte ... Vielleicht sollte er doch mal versuchen mit Meißner ...„Herr Benedict! Herr Benedict! Kommen Sie schnell!“, reißt ihn dann die Stimme des Objektleiters aus seinen Gedanken. „Da ist jemand am Telefon bei mir. Ich glaube, aus dem Ausland!“

In Socken hastet er dem Mann hinterher zum Telefon in der Eingangshalle.

„Ja, Benedict!“

Die Stimme klingt so weit entfernt und leise, dass der Hauptkommissar den Hörer hart ans Ohr pressen muss, um sie überhaupt zu verstehen.

„Ich rufe aus den Staaten an. Mein Name ist Dixie, wahrscheinlich kennen Sie mich nicht...“ Irgendein Akzent aus dem amerikanischen Mittelwesten, den er nur mit Mühe versteht. Dazu der echoartige Verzögerungsnachhall eines Überseegespräches.

„Woher rufen Sie an? Was wollen Sie von mir?“

„Ich kann nicht lange sprechen. Sie versuchen mich aufzuspüren, aber...“

„Wer versucht Sie aufzuspüren?“

„CIA, FBI, Stasi, KGB ... who cares! Listen, Mr. Benedict: ich habe Dean Sangers Rückkehr in die Staaten gemanagt. Er wollte ganz bestimmt zurück, und sie haben ihn vorher umgebracht! Glauben Sie nicht, was man Ihnen sagen wird. Es war Mord, und ich kann Ihnen auch sagen, wer ... die Leute ... oh shit..."

„Ja, Dixie. Ich bin noch am Apparat. Wer? Sprechen Sie!!!“

Aber in dem Hörer ist nur noch ein von Knacklauten unterbrochenes Rauschen zu vernehmen. Er legt auf.

„Alles in Ordnung?“, fragt der Objektleiter mit einem besorgten Blick auf Benedicts schweißnasse Stirn.

„Ja“, antwortet der. „Alles in Ordnung! Wirklich!“

Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek

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