Читать книгу Die STASI nannte ihn "Betrüger" - Peter Schräpler - Страница 11

Der „Schwarze Kanal“ und Prager Frühling

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Die Lügen W. Ulbrichts wurden später nur noch von Carl-Eduard von Schnitzler, Sohn eines königlich-preußischen Legationsrates, übertroffen. Er wurde nicht erst von der späteren „Wir-sind-das-Volk–Gemeinde“ als „Sudel-Ede“ bezeichnet, weil er der „DDR“-Bevölkerung im „Schwarzen Kanal“ des ostdeutschen Fernsehens die ausgesuchten Teilwahrheiten über den „Klassenfeind“ der „BRD“, argumentativ als geschickte Hirnwäsche verpackt, in die Wohnzimmer brachte. Diesen Titel soll er bereits in den sechziger Jahren bekommen haben. Wenn die martialische Begleitmusik des „Schwarzen Kanals“ in UFA-Manier der Wehrmachtsberichterstattung in die Stuben dröhnte, wurde oft genau das Gegenteil erreicht. Das perfide seiner Fernsehargumentationen bestand darin, dass er Informationen aus den Medien der Bundesrepublik Deutschland nutzte, die der mitteldeutsche Fernsehzuschauer vielfach nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen konnte, weil er die bundesdeutschen Programme, sendetechnisch bedingt, nicht sehen konnte oder aus sozialistischer Überzeugung gar nicht sehen wollte und schlussendlich auch keinen Zugang zu den gedruckten Medien hatte. Der Verantwortliche des Politbüros, der sein O. K. zu diesem Fernsehprogramm erteilt hatte, war einer intellektuellen Illusion aufgesessen. So begannen – vom Staat ungewollt - die ersten Zeiten „geistiger Republikflucht“. Möglich, dass Napoleon Bonaparte mit seiner Bemerkung recht hatte: „Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden, die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgen sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wirklichen Feinde“.

Die Bevölkerung der „DDR“ verdankt „Sudel-Ede“ sogar eine neue Zeiteinheit: Die „Schnitz“. Wenn die maskenhaft hübschen Fernsehsprecherinnen begannen: „Sehr verehrte Fernsehzuschauer, sehen Sie jetzt den Schwarzen Kanal mit Carl-Eduard von Schnitz…..“, begann das Zeitfenster, also die Zeiteinheit „Schnitz“, das der Zuschauer benötigte, um in Ermanglung einer Fernbedienung [mitteldeutsche TV-Geräte mit 2 Programmen hatten und brauchten keine Fernbedienung] vom Sessel oder der Couch hochzuspringen und sein Gerät auf ein Westprogramm umzuschalten, so er eines empfangen konnte.

Die Gefahr, sich in den Betriebsversammlungen zu verplappern, weil Inhalte westlicher Informationen hängen blieben, war relativ hoch. So war es üblich, dass viele, die westliches Fernsehen empfangen konnten, zur Karnevalszeit die Sendung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ sahen. Am folgenden Tage konnte es der eine oder andere nicht lassen und rief aus Spaß: „Wolle mer se reilasse?“ Lachte oder schmunzelte dann jemand, konnte man sicher sein, dass derjenige am Abend vorher geistige Republikflucht begangen hatte. Man musste sich nur mit politischen Äußerungen vor denen in Acht nehmen, die keinerlei Reaktion zeigten. Hatten sie es gesehen, wussten sie sich geschickt zu verstellen, hatten sie es nicht gesehen, schauten sie genauso dämlich wie immer.

Den Kurzbegriff „BRD“, den es offiziell nicht gab, hatte die Parteiführung eingeführt. Zum einen verbannte sie damit das Wort „Deutschland“ im Zusammenhang mit der Erwähnung der Bundesrepublik Deutschland aus dem Sprachgebrauch, zum anderen legte sie – allen voran „Sudel-Ede“ – in die Aussprache des Kürzels eine bewusst ekelerregende Abfälligkeit und Gehässigkeit. Das renitente Volk sollte nicht mehr an Deutschland erinnert werden. Nicht viel später verschwand der Begriff Deutschland auch aus dem Währungsnamen. Auf Veranlassung der Partei wandelte man ihn in „Mark der DDR“ um. Noch später ließ das Politbüro auch das Nationalitätenkennzeichen „D“ verschwinden und ersetzte es durch „DDR“.

Während der bewaffneten Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch sowjetische Panzereinheiten, als tausende von „DDR“-Touristen, die in Zügen aus Ungarn nach Hause fuhren, über die Sowjetunion und Polen umgeleitet wurden, mussten auch zehntausende „DDR“-Urlauber mit ihren Fahrzeugen zurück durch die ČSSR fahren. Das waren nicht die Deutschen, die Wochen vorher den militärischen Einsatz gegen die ČSSR mit vorbereiteten, als es galt, die Reformversuche der Tschechen und Slowaken unter der Führung Alexander Dubčeks militärisch niederzuschlagen. Mancher der PKW-Fahrer, der keinen Trabi oder Wartburg fuhr, hatte das erste „D“ und das „R“ auf seinem Nationalitätenkennzeichen mit weißer Farbe übermalt oder überklebt. Sie hofften, damit von den Einwohnern der Tschechoslowakei nicht als „DDR“-Touristen erkannt zu werden. Es blieb nur das „D“ für Deutschland, das die verständliche Wut der Bevölkerung ablenken sollte. Truppenteile der NVA [Nationale Volksarmee] hatten einmarschbereit an den Grenzen zur ČSSR gestanden. W. Ulbricht und die Führung der „DDR“ hatten sich in Moskau schon Monate vorher als die Scharfmacher zu erkennen gegeben und gefordert, Alexander Dubček, der sich für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz einsetzte, abzusetzen. Das sowjetische Oberkommando verhinderte schlussendlich die Beteiligung der 11. Motorisierten Schützendivision der NVA, die im Osten Plauens in den Wäldern zur Grenze der ČSSR auf den Angriffsbefehl wartete. So blieb es sowjetischen, polnischen, bulgarischen und ungarischen Truppen vorbehalten, am 21. August 1968 in die Tschechoslowakei einzumarschieren. Nicht auszumalen, was sich hätte entwickeln können, wären auch NVA-Truppen mitschuldig an den ca. 100 Toten in der ČSSR geworden. Die NVA-Truppen, die an der tschechischen Grenze zum Einmarsch bereit standen und als Teilnehmer des zeitlich weit überzogenen Manövers der Warschauer-Pakt-Staaten bereits in der ČSSR waren, mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Möglicherweise war das der erfreulichste Einsatz gesamtdeutschen Militärs überhaupt.

Bei den meisten Bürgern der „DDR“ war die ideologische Propaganda abgeprallt. Ausnahmen gab es besonders in den sozialistischen Plattenbauten in Berlin-Marzahn, Halle/Neustadt, Jena-Lobeda und anderswo. Dort wurde vielen Privilegierten bewusst Vorrang bei der Zuteilung einer Neubauwohnung eingeräumt. Bei ihnen hatte die Gehirnwäsche Wirkung gezeigt – sie wurden sogenannte „Überzeugte“. Manche so sehr, dass noch 20 Jahre nach dem Mauerfall ostdeutsche „Geistesgrößen“ der EX-SED an der Richtigkeit des Mauerbaus festhalten und meinen, die über zweihundertdreißig Toten an der innerdeutschen Grenze mit ihren menschenfeindlichen Selbstschussanlagen seien doch selbst schuld gewesen. Schließlich hätte das verantwortungsvolle Politbüro an der Grenze Tafeln aufstellen lassen, die vor dem unerlaubten Übertritt der Grenzanlagen gewarnt hätten.

So jedenfalls meinte es auch einer meiner Mitschüler [Ex-Oberst der NVA] während eines Klassentreffens 2007. Ein Mehr an gedanklicher Perversion ist für mich kaum noch nachvollziehbar. Immerhin zeigte er in ersten Ansätzen, dass er seine geistige Umnachtung aufgebrochen hatte. Er äußerte zu einer Mitschülerin, dass er mich aus meiner Sicht der Betrachtung jetzt auch etwas verstehen könne. Gott gebe ihm noch einige Nachhilfestunden!

Wer dieses perfide Monster von Grenzbefestigung sehen möchte, kann den Metallgitterzaun in Helmstedt-Marienborn, dem früher größten Grenzübergang zwischen der Bundesrepublik und der „DDR“ als Freilichtmuseum und auch im Museum in der Helmstedter Innenstadt in einer weißen, klassizistischen Villa betrachten. Der Metallgitterzaun war so konstruiert, dass sich der Flüchtende nicht daran hochziehen konnte, weil die Öffnungen einen messerscharfen Grat hatten. Der Flüchtende hätte vermutlich seine Fingerkuppen durch sein eigenes Körpergewicht abgerissen. Zwischen der eigentlichen Mauer, den Selbstschussanlagen und dem Gitterzaun befanden sich an vielen Stellen aufgesetzte Flächen mit spitzen Stahlstäben, in die der Flüchtende beim schnellen Überlaufen zwingend hineintreten musste. Die ideenreichen Berliner nannten die Nadelmatten „Stalinrasen“. Den pseudohumanen Teil des Zaunes bildeten die im unteren Teil befindlichen runden Öffnungen mit einem geschätzten Durchmesser von zwanzig Zentimetern - „Hasenlöcher“ genannt. Sie sollten den im Grenzstreifen lebenden und die Seiten wechselnden freien Tieren durch einen Durchschlupf das Überleben ermöglichen. Nun werden findige Argumentatoren sagen: „Die spanische Enklave Mellila an der marokkanischen Grenze schützt ja ebenfalls mit einer massiven Grenzsperranlage die EU“. Das ist richtig. Das Ziel dieses Sperrgitterzaunes ist aber nicht, Menschen einzusperren und ihnen eines der wichtigsten Menschenrechte, ihre Freiheit, zu nehmen. Über die Rechtfertigung und den moralischen Aspekt dieses fragwürdigen EU-Schaufensters möchten viele gern das berühmte Mäntelchen des Schweigens legen.

Allerdings war nicht Tierliebe die sozialistische Motivation für diese „Hasen“-Löcher, sondern die damit verhinderte, ungewollte Auslösung eines Grenzalarms durch das Berühren der Stolperdrähte. Wie man im Museum von Helmstedt auch erfährt, wurden die hochwertigen Metallgitterzäune aus der Bundesrepublik Deutschland importiert. Ob sich der Exporteur der Verwendung seiner Erzeugnisse bewusst war, kann nur er beantworten und möge der Leser beurteilen. Dass diese Gitterzäune nur gegen Devisen und damit auch mit den Krediten der Bundesrepublik importiert wurden, ist eine Schizophrenie der Geschichte.

Leider hatten die Sachsen im Elbtal – im bedauernswerten Tal der „Ahnungslosen“ - keine Möglichkeit zur geistigen Republikflucht. Sie konnten aufgrund der geografischen Lage so gut wie keine westliche Fernsehstation empfangen. Das ZdF als stärkster Sender wäre zwar aus Westberlin auf seiner westeuropäischen CCIR-Nutzsenderfrequenz zu empfangen gewesen, wenn nicht zugleich ein auf osteuropäischer OIRT-Frequenz funkender ČSSR-Störsender diese Signale wieder kompensiert hätte. Es blieb nur einigen findigen Technikerköpfen vorbehalten, eine mehr oder weniger befriedigende Lösung zu erzielen.

Die STASI nannte ihn

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