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Meine Zeit bis zum Abitur

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Die beginnende sozialistische Umerziehung tangierte meine Schulzeit bis zum Abschluss der Grundschule in kaum merkbaren Ansätzen. Ich empfand das als sehr vorteilhaft. 1957 wurde ich vierzehn und stellte erfreut fest, dass ich das Gehirn nicht nur zum erlernten Nachplappern, sondern auch zum eigenen Denken nutzen kann.

Wie die meisten wurde ich „Junger Pionier“. Mit dieser Voraussetzung wurden wir in den Sommerferien auch außerhalb der Schule betreut und bekamen kostenloses Essen. Das reizte uns, weil es dem häuslichen Essen gegenüber den Vorteil hatte, mehr und abwechslungsreicher zu sein. Mancher von uns kam überhaupt nur deswegen. Viele Eltern waren knapp bei Kasse und freuten sich über die zusätzliche staatliche Versorgung der Kinder.

Äußerlich bemerkte ein Beobachter den Pionierstatus nur an unserem blauen Pionierhalstuch und dem verordneten weißen Hemd zu staatlichen Feierlichkeiten. Mit richtigen Pfadfindern konnten wir uns nicht vergleichen. Der vom Staat eingesetzte Pionierleiter organisierte für uns sportliche Wettkämpfe. Andere Helfer erteilten Schwimmunterricht und Blauhemdträger der FDF [Freie Deutsche Jugend] lockten uns hin und wieder zu einer reizvollen Schnitzeljagd. Luftgewehrschießen und Wandern rundeten die Palette ab. Natürlich zogen wir Jungs auch außerhalb der staatlichen Betreuung durch den Wald. Er grenzte direkt an die Hinterhöfe der Häuser. Diese Streifzüge hatten schon deshalb einen spannenden Aspekt, weil es sowohl aufregend als auch verboten war, wenn wir Flugblätter sammelten. Die von amerikanischen Flugzeugen abgeworfenen, meist signalrot reflektierenden Flyer fanden wir beim Pilzesuchen und lasen sie mit großer Spannung. Es war verboten, deren Inhalt offen zu verbreiten. Also taten wir es heimlich, das war viel spannender. Die Amis wollten uns Mitteldeutsche darüber aufklären, dass der Kommunismus eine Diktatur ist und die Bewohner der SBZ [Sowjetische Besatzungszone] besser von dort flüchten sollten. Das war für uns ein ständiger Nervenkitzel. Trotzdem war es für unser Alltagsleben nicht besonders relevant. Schließlich konnten wir mit unserem jungen Alter für unser späteres Leben noch keine eigenen Entscheidungen treffen. Heute muss ich mir aber eingestehen, dass bereits das frühe Wissen über den Inhalt dieser Flugblätter ansatzweise mein späteres Leben beeinflusste.

Zum Abschluss der Grundschule wartete die Jugendweihe auf uns. Institutionalisiert war sie bereits seit 1852 und in der „DDR“ bis 1954 verboten [vermutlich weil der Begriff Jugendweihe bereits von den Nazis verwendet worden war]. Das Politbüro der KPdSU fasste 1953 den Beschluss über „Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR“. Darin war auch eine sozialistische Alternative zur Konfirmation vorgesehen. Gegen die Einwände der Kirchen wurden diese Feiern mit entsprechendem Druck als ein Pendant zu Firmung und Konfirmation etabliert. Trotzdem wurden parallel dazu fast alle meine Mitschüler auch konfirmiert. Allerdings mussten Verweigerer der Jugendweihe damit rechnen, dass sie nicht zum Abitur zugelassen wurden und ihre Chancen bei der Studienbewerbung gegen Null tendierten. Uns Vierzehnjährigen sagte damals beides nicht viel. An die Jugendweihe erinnerte später nur noch das Nachschlagewerk „Weltall-Erde-Mensch“. Jeder, der an der Jugendweihe teilnahm, bekam während der Feier dieses illustre Buch ausgehändigt. Das erfolgte im gewünschten Einklang mit feierlichem, sozialistischem Brimborium. Schulleiter, Pionierleiter, FDJ-Leiter und Klassenlehrer „fütterten“ uns danach mit verbalen, kämpferisch interpretierten Phrasen über den siegreichen Sozialismus und dessen glorifizierte Zukunft. Weil wir uns zunehmend dieser weltfremden Propaganda nur noch schwer entziehen konnten, hinterfragten sie viele von uns anfangs unbewusst, aber später tendenziell immer kritischer. Im wissenschaftlich orientierten Lexikon „Weltall-Erde-Mensch“ war die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung - mehr oder weniger geschickt verpackt – überall dominant. Mit über vier Millionen Exemplaren wurde es das meist verbreitetste Nachschlagewerk der „DDR“. Am Folgetag der Jugendweihe verschwand der sehenswerte Wälzer mit seinem optisch einprägsamen, farbigen Glanz-Cover im Bücherregal und fristete dort für Jahre ein oft bedauernswertes Dasein. Weil der Mensch geneigt ist ein praktisches Gewohnheitstier zu sein, hat sich die Jugend- weihe sogar über die „Wende“ gerettet. Das ursprünglich beabsichtigte Ziel ist dabei allerdings im nachsozialistischen Nirwana verschwunden. Die Weiterführung der Jugendweihe wurde in der Form erschwert, dass 1993 den Lehrern staatlicher Schulen per Kultusministerdekret untersagt wurde, organisatorisch und vorbereitend direkt in den Schulen die Jugendweihe zu unterstützen. Geblieben sind in den neuen Bundesländern Mitteldeutschlands Feiern, an denen sich noch etwa 40% der Schulabgänger beteiligen. Die Festlichkeiten erinnern heute eher an üppige Fressorgien, erstaunlich ist allerdings die hohe Zahl der Teilnehmer.

Anders erging es uns mit der langwierigen und zugleich für uns langweiligen Vorbereitung zur religiösen Konfirmation. Was in meiner Erinnerung verblieb, sind die vielen sehr langen Lieder und Verse aus den Gesangbüchern der evangelischen Kirche. Es schien, dass der von uns als sehr streng empfundene Religionslehrer daraus von Mal zu Mal immer umfangreichere Textpassagen zum Auswendiglernen verteilte. Sie ergaben für mich und mein künftiges Leben keinen bemerkenswerten Sinn. Sie raubten uns Jungs während unendlicher Wochentage und schöner Wochenenden große Zeitfenster unserer schnell vergehenden Kindheit. Trotzdem wollte keiner von Konfirmation oder Kommunion ausgeschlossen werden. Also büffelten wir - häufig in kleinen Gruppen – oftmals unverständliche und ellenlange Texte und Verse. Die anderen Jahrgänge und die Atheisten gingen währenddessen bei schönem Wetter ins malerische Waldbad. Mein Frust über die Evangelische Kirche, der nur noch durch den zur sozialistischen Erziehung übertroffen wurde, gipfelte Jahrzehnte später aus einem anderen Grunde im Austritt aus der Evangelischen Kirche Baden-Württembergs (auf den Grund komme ich am Ende noch einmal zurück). In den Jahren des unsinnigen Büffelns von Versen und Strophen - es kam mir vor, als hätten wir bereits mehrere Gesangbücher auswendig gelernt - legte man mir den Grundstein für meine wachsende Abneigung gegen alle Ideologien oder Glaubensrichtungen. Beim Erlernen religiöser Texte blieb nicht aus, dass wir nur selten „im Inneren“ lernten, was wir auswendig aufsagten. Die Engländer lernen „learning by heart“ so, dass etwas im Herzen zu haben mehr als reines Faktenwissen ist. Rückblickend kann ich sagen, das Auswendiglernen hat mir und uns aber nicht wirklich geschadet, es förderte das Gefühl für die Sprache und stärkte unsere urteilsfähigere Haltung. Wenn wir diese inneren Werte nicht gebildet hätten, wären wir geistig ärmer ins Leben der Erwachsenen gestartet.

Sehen wir von den wertvollen kirchlichen zehn Geboten und den tiefsinnigen Texten religiöser Lieder ab, haben Religionen oder Ideologien die Menschen oft zu bedauernswerten Fehlentwicklungen und zu geistiger Verkrüpplung verleitet. Ideologisierter Nonsens, wie wir ihn in der „DDR“ lernen mussten, bot die besten Voraussetzungen für wachsende Volksver- dummung. Diktatoren nutzen das gern, besonders dann, wenn sie uns wie in der „DDR“ weismachen wollten, dort sei das Proletariat der Diktator. Daraus entstand der bis zur Lächerlichkeit verkommene Slogan „plane mit, arbeite mit, regiere mit!“, den das schwer arbeitende Volk am Biertisch zum Besten gab. Dabei legte es Zeigefinger, Ringfinger und kleinen Finger der rechten Hand auf die Tischplatte und drückte kräftig zum Tisch, so dass der Mittelfinger nicht mehr zu sehen war. Dabei symbolisierte der nach oben bewegbare Zeigefinger das „plane mit“, der kleine Finger das „arbeite mit“ und der Ringfinger das „regiere mit“. Die Natur hat es aber nun einmal so eingerichtet, dass sich der Ringfinger in dieser Stellung um keinen Millimeter nach oben bewegen lässt. Damit wurde das Mitregieren zu einer lustigen Farce am Biertisch und verkam im Bewusstsein.

Glücklicherweise bieten heutige Demokratien andere brauchbare Ansätze für das zwischenmenschliche Dasein. Aber auch nur, wenn sich das Volk darüber im Klaren ist, dass es der Souverän ist und nicht die von ihm gewählten Volksvertreter. Was nützt dem deutschen Volk eine gewählte Volksvertretung, die nach Lust und Laune das Grundgesetz ändert, ohne den Willen des Volkes zu befragen? Würde unser Parlament seine Aufgaben ernst nehmen, dann müsste es die im Grundgesetz postulierte deutsche Verfassung umsetzen und durch ein Plebiszit bestätigen lassen. Der Nachteil wäre dann, dass die parlamentarischen Volksvertreter keine Änderungen mehr nach ihren Bedürfnissen beschließen könnten, weil immer ein Volksentscheid zwingend erforderlich sein würde. Wie dann Volkes Entscheidung zur EU-Verfassung und zur Einführung der Euro-Währung und zum gigantischen „Milliarden-Schutzschirm“ für die EU-Staaten ausgefallen wäre, diese Beurteilung überlasse ich dem geschätzten Leser. Vielleicht orientieren sich deshalb so viele Menschen an Meditationen und fernöstlichen Lehren und Kursen. Für mich sind das keine Alternativen, sondern nur eine nützliche Krücke, um den Istzustand schadensfrei zu überleben. Bedauerlicherweise ist in unserer schnelllebigen und auf Gewinnmaximierung orientierten kapitalistischen Gesellschaft, in der die meisten Menschen im Modell „Hamsterrad“ leben, das Interesse an den Erkenntnissen der großen Philosophen, die das eigene Denken inspirieren könnten, fast verloren gegangen. Wo sollte es auch herkommen, werden doch Teile der „zivilisierten Welt“ nur mit dem „Tittytainment“ [eine Wortbildung aus „titty“, dem englischen Slang für Busen, Brust: vergleichbar als milchgebende Brust und „entertainment“ als Unterhaltung verstanden] versorgt. Ausreichend Essen und Trinken, gepaart mit einer Fülle medialer Verblödungsinstrumentarien ab Kindesalter, damit die heranwachsenden Fettwänste der Kevin- und „Schantall“-Generation von ihrer unerfreulichen Umwelt abgelenkt werden, ist doch auch ein Ziel. Wir sollten nur die Medien kritischer betrachten, ihre Computerspiele, die Star Wars, den Big Brother und die Talk-Shows verschiedenster Genres, eben das instrumentalisierte Prekariatsfernsehen zur systematischen Verblödung einer ganzen nachwachsenden Generation.

Woher sollten auch Schüler mit dem IQ einer Preiselbeere wissen, wer Kant und Hegel waren. Ohne aber die Wurzeln unserer unterdrückten Vergangenheit richtig zu kennen, wird es wohl kaum möglich sein, die Gegenwart besser zu verstehen und die Zukunft in den Griff zu bekommen. Es genügt auch nicht, wenn sich unsere „Parteiendiktatur“ unserer großen Dichter und Denker nur an deren Gedenktagen erinnert. Ebenso ist es mit der Philosophie, die für viele keine oder keine große Bedeutung mehr hat. Die Theorien der Erkenntnis, der Logik und Ethik spielen aber heute eine ebenso große Rolle wie zu Lebzeiten der großen Philosophen Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Wilhelm Leibnitz. Wenn wir die Geisteswissenschaften nicht pflegen, verflacht unsere Kultur und führt zu einem ordinären Materialismus, den wir eben dort vermeiden wollen. Unsere materielle Produktion ist naturwissenschaftlich fundamentiert und stellt die Grundlage unseres modernen Lebens dar. Wir sollten uns immer erinnern, dass nur das Zusammenspiel von Natur- und Geisteswissenschaften die Voraussetzung für die Annäherung an das erstrebte - nie erreichbare, aber vollkommenere menschliche Leben - bringen kann.

Nachdem ich die Grundschule in der „DDR“ mit „sehr gut“ abgeschlossen hatte, wurde ich für den Besuch einer sogenannten „Erweiterten Oberschule“, bzw. EOS vorgeschlagen. Mir war das eigentlich alles egal. In dieser Zeit hatte ich noch kein langfristig gestecktes Lebensziel und auch keine hilfreiche Orientierung aus dem Elternhaus. Um ganz ehrlich sein: Ich vermochte mich gar nicht aus meiner Froschperspektive zu orientieren oder mich am Schopf aus diesem Desaster der Orientierungslosigkeit herauszuziehen. Das Elternhaus ließ mir eine ganz lange Leine mit all ihren Vorzügen und Nachteilen. Die Pubertät setzte ganz andere Prioritäten, an die ich mich noch heute mit einem Wechselbad meiner Gefühle erinnere. Im Gedächtnis sind in erster Linie nur manche skurrile Ereignisse hängen geblieben. In den fünfziger Jahren hatten die meisten mittelalterlichen Fachwerkhäuser meiner Geburtsstadt Stolberg/Harz zwar Wasserleitungen und Kanalisation, aber nur selten WCs. In einem solchen Haus ohne WC wohnten wir. Wenn jemand ein menschliches Bedürfnis verspürte, musste er die Wohnung verlassen und das kleine Domizil aufsuchen. Im hinteren Bereich unseres Hofes befand sich ein Holzhäuschen, das ein „Doppelsitzer-Klo“ in sich barg. In unserem Falle war es ein Doppelhäuschen, das in beiden Türen ein fast unscheinbares, ausgesägtes „Entlüftungsherzchen“ trug. Im Inneren waren beide Abteilungen nur durch eine einfache Bretterwand getrennt. „Donnerbalken“ hatten wir also nicht mehr, sondern mit Holzdeckeln getarnte „Freifallmischer“. Jeder Gang zur „Bedürfnisanstalt“ entwickelte sich deshalb für mich als Fünfzehnjährigen zu einem wachsenden pubertären Albtraum. Das zweite „Klo“ neben unserem gehörte nämlich unseren Vermietern. Ich wollte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn die Vermieterin auftauchte und ich schon dort säße. Trotzdem stellte ich es mir jedes Mal vor und reduzierte meine dortige Verweildauer auf wenige Sekunden.

Eines Tages passierte das Unvermeidbare doch – und zwar mit dem schrecklichsten Superlativ aller adjektiven Steigerungsformen. Ich hatte nämlich - medizinisch ausgedrückt – eine bemerkenswerte Diarrhö, deren Dramatik noch über der Steigerungsform Superlativ lag.

Also, nichts wie hinunter auf den Hof. Unten angekommen, rätselte ich, wie ich den Weg bis zum Häuschen überwinden sollte. Mein Schließmuskel leistete Großartiges und versuchte, krampfhaft zu verhindern, was verhindert werden musste. Rennen bis zur Hoftoilette war nicht mehr machbar. Es entwickelte sich ein Albtraum. Ich vermochte nur noch ganz vorsichtig, wie auf Eiern balancierend und alles Zusammenpressbare zusammenpressend, ganz langsam über den Hof zu schleichen – immer in der Hoffnung, niemand würde das sehen. Mein Anus durfte keinesfalls irgendetwas falsch interpretieren.

Am Häuschen angekommen, galt nur: Tür auf und hinein. Ich saß geschätzte zwei Sekunden überglücklich in meinem Abteil. Mein Zwischenziel vor dem fäkalen Super-Gau hätte ich erreicht, wenn nicht in diesem Moment - für mich deutlich hörbar - die Vermieterin die Holztür des Tandemklos geöffnet und gewissermaßen „neben mir“ Platz genommen hätte. Ich hatte sie auf dem Wege dorthin nicht wahrgenommen, weil sie aus ihrem Holzschuppen kam. Schweiß brach aus allen meinen Poren.

Ich stellte mir vor, wie sie majestätisch mit ihrer gesamten Leibesfülle das Loch ausfüllte. Die trockenen Holzbretter des Häuschens knarrten und bewegten sich spürbar. Jetzt durfte ich mich auf keinen Fall bemerkbar machen, um diese Peinlichkeit für mich – und vielleicht auch für sie - nicht eskalieren zu lassen. Ich zählte die Sekunden und Minuten und hörte in meiner angehenden Männlichkeit wie unsere Nachbarin ihren menschlichen Bedürfnissen freien Lauf ließ. Im Gegensatz zu mir hatte Sie das Gegenteil einer Diarrhö. Der Geräuschpegel ihrer fallenden Verdauungsprodukte war unüberhörbar, wenn sie mit 9,81 m/sm² Fallgeschwindigkeit in der Tiefe der erst kürzlich geleerten Grube aufschlugen und ein Geräusch hinterließen, das nur damit zu vergleichen ist, wenn Zement, Kies und Sand in einem schräg gestellten Betonmischer nach oben gehoben werden, um dann im freien Fall vermengt wieder nach unten zu klatschen. Ich dachte, sie müsse doch meinen dröhnenden Pulsschlag hören! Er schien mir regelrecht aus den Ohren heraus zu klopfen. Ich war dem inneren Wahnsinn nahe und musste doch noch in meinem erzwungenen, möglichst unhörbaren Zustand, verharren. Ich versuchte mich abzulenken und betrachtete mein „Wandgemälde“, einen DIN-A3-großen Donald Duck. Ihn hatte ich originalgetreu von einem Poster der Bravo durchgepaust und dann farbig nachgezeichnet. Weil er mir so gefiel, aber nicht so recht in die Wohnung passte, hatte ich ihn mit Reißzwecken an die Klowand geheftet. Donald hielt in der rechten Hand eine WC-Bürste, und darunter stand der Spruch: „Auch in dieser edlen Kunst gibt es Dilettanten, Künstler treffen in das Loch, Stümper auf die Kanten“! Mit einem verzweifelten Blick auf dieses Bild versuchte ich mich abzulenken. Der Gedankenwechsel reichte für wenige Sekunden, als nebenan das Zeitungspapier der „Freiheit“ raschelte. [Regionalzeitung des Kreises, die sehr viele Leser zweckentfremdet als Klopapierersatz nutzten. Richtige WC-Papierrollen gab es im staatlichen Handel nicht immer, und im Härtegrad wichen Zeitung und Rolle kaum voneinander ab - wenn man einmal von der ungewollten Übertragung der Druckerschwärze absah]. Die „Herzchentür“ neben mir knallte zu, der Riegel fiel ins Schloss, und die Schritte der Vermieterin entfernten sich über den Hof. Ich ließ der Natur freien Lauf. In diesem Moment schnellte mein von der Norm abweichender Ruhepuls noch einmal kurz nach oben, um sich erst allmählich wieder seinem Normalzustand zu nähern. Es war überstanden. Ab diesem Moment fühlte ich mich erwachsen.

Am Abend mit meinen Freunden in der Kneipe war meine pubertäre Scham einer inneren und geäußerten Schadenfreude gewichen, nachdem ich das Erlebte jedem neu Hinzukommenden erzählen musste. Die Jungs johlten und hauten vor Begeisterung auf die Tischplatte, bis die Biergläser tanzten. Ich nahm mir fest vor, während der folgenden Jahre Internatszeit dort nur noch die wassergespülten WCs aufzusuchen. Eine derartige Situation wollte ich nicht noch einmal erleben.

Ich ließ mich fortan einfach in der sozialistischen Bildungssuppe treiben. Langfristig und auf unser sozialistisches Leben bezogen, mussten wir Schüler nicht unbedingt denken. Der Staat, der kein gewählter war, nahm uns das im Interesse seines Machterhalts gerne ab. Das fragend in Zweifel zu stellen wäre unüberlegt gewesen. Die Partei hatte immer unfehlbar Recht und haute jedem diese Maxime oftmals warnend um die Ohren. Zugleich nutzten sie damit jede Chance zur Verfestigung ihrer Macht. Wie realitätsfern die Genossen des Politbüros waren, zeigte nach der Wende die Aussage des Ministers für Staatssicherheit der „DDR“ Erich Mielke. Er war einer der Hauptverantwortlichen für den Ausbau des flächendeckenden Überwachungssystems. Am 13. November 1989 formulierte er vor der Volkskammer seinen Stottersatz: „Ich liebe – ich liebe doch alle – alle Menschen – na ich liebe doch – ich setzte mich doch dafür ein“ und erntete damit brüllendes Gelächter.

Weil die nächste verkehrstechnisch noch gut erreichbare „EOS“ [Erweiterte Oberschule] dreißig Kilometer entfernt lag, verplanten mich meine Eltern in ein Internat. „Goethe-Oberschule Thale“ mit Internat nannte sich mein neues Domizil. Mit dem historisch bewährten Dienst-PKW meines alten Herrn - einem flotten, grauen DKW aus der Kriegsproduktion und mit Flügel-Blinkern - fuhren wir vollgepackt und ausgerüstet mit Federbett, Bettwäsche und den nötigen Schulutensilien nach Thale am Nordharz ins Internat. Dort begann für mich eine vierjährige wechselvolle Zeit, an die ich noch heute mit gemischten Gefühlen zurückdenke. Ich zählte mich manchmal zu den extrem lernfaulen Vertretern meiner Gattung. Trotzdem lebte es sich so auch ganz ordentlich. Mag sein, dass mancher Leser Ähnlichkeiten feststellt, mir jedenfalls hätte mehr schulisches Engagement sehr gut getan.

Die STASI nannte ihn

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