Читать книгу Erinnerungen eines Nautikers an seine Seefahrt in den 1950-70er Jahren und sein Wirken als maritimer Beamter - Peter Sternke - Страница 5

Zur Schiffsjungenschule Blankenese

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Im September war das Segelschulschiff PAMIR mit 80 Mann im Atlantik im Sturm gesunken. Meine Mutter hätte mich sehr gerne von meinem Vorhaben, zur See zu fahren abgebracht, aber am 1. Oktober 1957 fuhr ich nach Hamburg, bestaunte wieder die riesige Bahnhofshalle und meldete mich bei der Seemannsschule Hamburg-Blankenese am Falkensteiner Ufer zum Lehrgangsbeginn.

Seemannsschule Hamburg-Blankenese


Schulgebäude mit Kapitän Wagners Auto davor

Die Schule befand sich in einer großen roten Backsteinvilla auf halber Höhe des Elbufers in einem Buchenwald am Falkensteiner Ufer. Der Kursus bestand aus 30 Teilnehmern, die erst einmal einheitlich mit Latzhose, blauem Seemannspullover, Khakihemd, Pudelmütze und Segelschuhen ausstaffiert wurden. Mein Problem war der Pullover. Wir mussten ihn auf bloßer Haut tragen, und er kratzte noch schlimmer als mein Konfirmationsanzug. Es gab keinen Pardon. Am Lehrgangsende merkte ich nichts mehr vom Kratzen.

Der Schulbetrieb war wie auf einem Schulschiff organisiert. Wir wurden in eine Steuerbord- und eine Backbordwache eingeteilt. Wenn wir nicht Unterricht hatten, mussten wir an verschiedenen Posten Wache schieben. Es gab einen Posten Eingangstor, der dafür sorgen musste, dass niemand unangemeldet auf das Schulgelände kam. Wehe, das Tor war nicht offen, wenn der Schulleiter, Kapitän Wagner mit seinem kleinen Auto hupend angefahren kam. Ein beliebter Posten war der am Fahnenmast im Bootshafen an der Elbe. Man war dort nicht so unter Aufsicht. Aufgabe war es, die ein- oder ausfahrenden Schiffe durch Dippen der Flagge zu grüßen.


Gartenhaustür

Das Lehrpersonal bestand aus erfahrenen Schiffsoffizieren. Kapitän Wagner war vor und im Krieg Kapitän des Segelschulschiffes „GROSSHERZOGIN ELISABETH” gewesen. Nach seinem Lehrbuch „Decksarbeit” lernten wir Knoten und Spleißen, die Magnetkompasseinteilung in Strichen und vieles mehr. Herr Richter war 1. Offizier bei der Reederei Hapag gewesen und kannte schon mehr von der modernen Seefahrt. Praktisches Knoten und Spleißen lernten wir bei einem alten Segelschiffsoffizier. Einige Lehrinhalte stammten noch aus der Vorkriegszeit. Trotzdem wurden uns ein grundlegendes Wissen und damit auch ein gutes Selbstbewusstsein beigebracht. Dazu trug auch das Kutterpullen (rudern) bei. Im Bootshafen lagen drei Boote, die mehrmals in der Woche mit je 10 Ruderern und einem Steuermann besetzt wurden. Anfangs spürte man seine Arme schon nach ein paar Ruderschlägen nicht mehr, so schwer und lang waren die Riemen. Zum Lehrgangsende pullten wir in einem Zug bis an die Landungsbrücken in Hamburg.

Als besondere Mutprobe mussten wir einen etwa 20 m hohen Segelschiffsmast im Bootshafen rauf und runter klettern. Manche weigerten sich aus Angst und wurden mit Gebrüll und Gefluche von den Ausbildern hochgescheucht.

Nach einem Monat bekamen wir das erste Mal „Landgang”. Zuvor mussten wir erst einmal zum soundsovielten Male „Rein Schiff“ mit viel Wasser und Scheuerpulver machen. Danach wurde angetreten, Sauberkeit und Kleidung kontrolliert und mit der Ermahnung, uns ordentlich zu benehmen, zum Stadtgang entlassen. Es gab unter den Älteren von uns einige, die gegen das strenge Regiment zu meutern versuchten. Es nutzte ihnen nichts. Heute würde so ein Ausbildungsbetrieb wegen Verletzung der Menschenrechte geschlossen. Uns hat es nichts geschadet.

Beim ersten Landgang zog es uns in den Hafen, wo wir die großen Pötte und die Umschlagarbeiten aus der Nähe beobachten konnten.

Wir hatten unter der Leitung des alten Segelschiffsoffiziers einen Shantychor gegründet, mit dem wir sogar einmal in der Stadthalle in Neumünster aufgetreten sind.

Kurz vor Weihnachten wurde der Lehrgang mit einer Abschlussprüfung beendet. Wir brannten nun darauf, auf ein Schiff zu kommen. Die meisten hatten auch schon eine Anstellung in Aussicht. Am besten waren die dran, die bei einer der großen Reedereien untergekommen waren. Ich gehörte nicht zu den Glücklichen und musste nach Weihnachten noch einmal für zwei Wochen zur Seemannsschule zurück. Dort fühlte ich mich den Neuanfängern gegenüber wie ein altgedienter Seemann.


Am 15. Januar 1958 war es dann so weit. Zusammen mit einem Lehrgangskameraden sollten wir in der Schleuse Kiel-Holtenau auf dem Küstenmotorschiff „JONNY JONAS” als Schiffsjungen anmustern.

Auszüge aus der Seemannsordnung von 1902, die bei meiner Erstanmusterung noch Gültigkeit hatte:

§ 3

Der Kapitän ist der Dienstvorgesetzte der Schiffsoffiziere und Schiffsleute. Seine Stellvertretung liegt, soweit nicht vom Reeder oder vom Kapitän hinsichtlich der Vertretung in einzelnen Dienstzweigen anderweitige Anordnung getroffen ist, dem Steuermann, in Ermangelung eines solchen, dem Bestmann ob.

§ 85

Der Schiffsmann ist verpflichtet, sich stets nüchtern zu halten und gegen jedermann ein angemessenes und friedfertiges Betragen zu beobachten…

Dem Kapitän, den Schiffsoffizieren und seinen sonstigen Vorgesetzten hat er mit Achtung zu begegnen und ihren dienstlichen Befehlen unweigerlich Folge zu leisten.

§ 34

Der Schiffsmann ist verpflichtet, in Ansehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Kapitäns, der Schiffsoffiziere und seiner sonstigen Dienstvorgesetzten unweigerlich Gehorsam zu leisten und zu jeder Zeit alle für Schiff und Ladung ihm übertragenen Arbeiten zu verrichten.

Er hat diese Verpflichtung zu erfüllen sowohl an Bord des Schiffes und in dessen Booten als auch in den Leichterfahrzeugen und auf dem Lande, sowohl unter gewöhnlichen Umständen als auch unter Havarie.

§ 41

Bei Seegefahr, besonders bei drohendem Schiffbruche, sowie bei Gewalt und Angriff gegen Schiff und Ladung hat der Schiffsmann alle befohlene Hilfe zur Erhaltung von Schiff und Ladung unweigerlich zu leisten und darf ohne Einwilligung des Kapitäns, solange dieser selbst an Bord bleibt, das Schiff nicht verlassen.

§ 91

Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Sicherung der Regelmäßigkeit des Dienstes ist der Kapitän befugt, die geeigneten Maßregeln zu ergreifen. Geldbußen, Kostschmälerung von mehr als dreitägiger Dauer, Einsperrung und körperliche Züchtigung darf er jedoch zu diesem Zwecke weder als Strafe verhängen, noch als Zwangsmittel verwenden.

Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Ungehorsam ist der Kapitän zur Anwendung aller Mittel befugt, welche erforderlich sind, um seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen. Zu diesem Zwecke ist ihm auch die Anwendung von körperlicher Gewalt in dem durch die Umstände gebotenen Maße gestattet. Er darf ferner gegen die Beteiligten die geeigneten Sicherungsmaßregeln ergreifen und sie nötigenfalls während der Reise fesseln.


Erinnerungen eines Nautikers an seine Seefahrt in den 1950-70er Jahren und sein Wirken als maritimer Beamter

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