Читать книгу Erinnerungen eines Nautikers an seine Seefahrt in den 1950-70er Jahren und sein Wirken als maritimer Beamter - Peter Sternke - Страница 6
Seefahrtzeit von 1958 bis 1969
ОглавлениеKüstenmotorschiff JONNY JONAS
Reederei: J. Jonas, Hamburg - Neuenfelde
Werft: Sietas, Hamburg-Cranz, Baujahr 1957, 499 BRT, 900 tdw, Länge ü. a: 52,4 m, Breite: 9,6 m, Tiefgang: 3,1 m,
Geschwindigkeit: 10 kn
Fahrtgebiet: Nord- und Ostsee
Dezember 1973 Totalverlust nach Kollision und Kenterung auf der Schelde
Wir sollten in Kiel-Holtenau an Bord gehen und warteten die halbe Nacht vergeblich auf der Schleuse auf unser Schiff. Es hatte Verspätung. Erst gegen drei Uhr morgens am 16. Januar 1958 konnten wir durchgefroren, müde und hungrig am Tage meines 18. Geburtstages, von dem keiner Notiz nahm, an Bord gehen.
Nach der Übernahme von Proviant und Ausrüstung am Thiessenkai in Kiel-Holtenau, bei der wir gleich mit anfassen mussten, lief das Schiff nach Dänemark aus.
MS JONNY JONAS im Nord-Ostsee-Kanal
Mein Kamerad von der Schiffsjungenschule wurde für die Kombüse eingeteilt, und ich musste gleich nach dem Auslaufen meine erste Seewache bis 6 Uhr morgens antreten.
Die Besatzung bestand aus Kapitän mit A6-Patent, Steuermann, Maschinist, Matrose, Leichtmatrose und uns beiden Neulingen. Kapitän, Steuermann und Matrose stammten von der Unterelbe und sprachen nur Platt, was ich anfangs nicht verstand. Auf See wurden zwei Wachen von sechs Stunden gegangen. Als Neuling bekam ich die so genannte Hundewache von 12:00 bis 18:00 Uhr und von 24:00 bis 06:00 Uhr zusammen mit dem Steuermann und dem Leichtmatrosen. Während der Wache ging man abwechselnd bei jedem Wetter eine Stunde Ausguck in der Brückennock außerhalb des Ruderhauses und eine Stunde Ruderturn. An schönen Tagen musste der Leichtmatrose tagsüber an Deck arbeiten, und ich stand die ganzen 6 Stunden am Ruder. Das Steuerrad hatte etwa 1,20 m Durchmesser und arbeitete hydraulisch. Trotzdem musste man, besonders bei stärkerem Wind und Seegang, erhebliche Kraft einsetzen, um das Schiff auf Kurs zu halten. Dazu kam bei mir erschwerend hinzu, dass ich ab ca. 6 Windstärken seekrank wurde. Ich stand immer kurz vor dem Erbrechen, hatte Kopfschmerzen und fühlte mich hundeelend und müde. Auf meinen Zustand wurde natürlich keine Rücksicht genommen. Wenn ich endlich in der Koje liegen konnte, wurde mein Zustand schnell wieder normal.
In der darauf folgenden Nacht nach unserem Anbordkommen erreichten wir den Hafen Aarhus in Dänemark. Als die ersten Lichter der Stadt auftauchten, kam ich mir wie Kolumbus vor. Nach dem Festmachen schleppten mich der Matrose und der Leichtmatrose mit an Land in eine menschenleere Hafenkneipe, und ich wurde gedrängt, einige Biere mitzutrinken. Damals mochte ich noch kein Bier. Das änderte sich im Laufe der Zeit an Bord. Ich will jetzt nicht in allen Einzelheiten das Bordleben schildern. Wir mussten für die 65 DM monatliche Heuer schwer schuften und Überstunden machen, die nur zum Teil und schlecht bezahlt wurden. Für 60 Überstunden gab es 50 DM. In den meisten Monaten fiel die doppelte Stundenzahl an.
Das Schiff gehörte zu einem modernen Typ, der von der Sietas-Werft in Hamburg-Cranz in großer Stückzahl gebaut wurde. Wir waren alle achtern untergebracht, während die Mannschaft auf vielen älteren Schiffen noch primitiv ohne Wasser und Zentralheizung vorne unter der Back wohnte. Meine Kammer teilte ich mit dem Leichtmatrosen. Als Neuling bekam ich natürlich die obere Koje zugeteilt. Leider befand sich auch die Maschine achtern. Sie war nicht besonders stark, heute auf den Containerschiffen sind die Hilfsdiesel stärker, aber dafür laut und polterig. Die Vibrationen waren so stark, dass einem die Tassen und Teller von der Back (Tisch) in der Messe (Aufenthalts- und Essraum) runterfielen und man nirgends mal den Kopf anlehnen konnte.
Beim ersten Anlaufen eines deutschen Hafens musterte mein Kamerad von der Seemannsschule mit der Begründung ab, die Seeleute seien so grob und unanständig. Damit hatte er wohl Recht. Er soll in Lüneburg Verkäufer in einem Kleidungsgeschäft geworden sein. Sein Weggang hatte zur Folge, dass ich leider in die Kombüse musste und für die Verpflegung der Mannschaft zuständig wurde. Damit war ich ziemlich überfordert. Kochen hatten wir auf der Seemannsschule nicht gelernt. Wenn mir nicht der Maschinist, der die meiste Zeit an Bord hatte, in der Küche geholfen hätte, wäre es mir wohl schlecht ergangen. Mein Arbeitstag dauerte von 5 Uhr morgens bis abends 20:00 Uhr. Wenn an Deck Hilfe gebraucht wurde, musste ich da auch noch einspringen. Danach musste ich mit den schmierigen und verdreckten Händen wieder in die Kombüse. Ich bekam meine Hände gar nicht mehr richtig sauber.
Eine Besonderheit aus alten Zeiten bestand darin, dass jeder in unserer Messe (Aufenthalts- und Essraum) ein Schränkchen (Schapp) für seine Verpflegungsrationen hatte. Anfang der Woche erhielten wir jeder ein Stück Butter, eine Dose Kondensmilch, ein Stück Käse und eine Dauerwurst. Das sollte eine Woche langen. Bei der schweren Arbeit reichten die Rationen natürlich nicht, und wir schoben oft Hunger. Als Koch hatte ich da so meine Vorteile, weil ich den Schlüssel für den Proviantraum hatte.
In meiner Funktion als Koch traf mich einmal mein Cousin Hartmuth vor einem großen Topf Erbsensuppe auf dem Herd an, als er mich mit seiner Zollbarkasse in Finkenwerder an Bord besuchte. Er war ziemlich beeindruckt.
Nach ein paar Wochen hatte die Schiffsführung wohl meine Kocherei satt. Es wurde, auch zu meiner Freude, ein Kochsmaat angemuster, und ich kam wieder an Deck. Die Verpflegungslage änderte sich schlagartig zum Guten, und die Rationierung wurde aufgehoben.
Gute und teure Ladung, wie Stückgut, war in der Zeit damals knapp. Meistens fuhren wir Schüttgut als Ladung. Am schlimmsten war Koks, den wir wegen seines leichten Gewichtes auch als Decksladung fuhren. Nach dem Laden und Löschen war das Schiff immer total verdreckt, und wir hatten stundenlang mit dem Reinschiffmachen zu tun.
MS JONNY JONAS
Am besten war die Schnittholzfahrt. Holz wurde zwar auch als Decksladung gefahren, aber es war eine saubere Fracht. Wir hatten in den kleinen finnischen und schwedischen Häfen immer lange Liegezeiten, weil jedes Brett einzeln per Hand gestaut wurde. Der nördlichste Hafen war Kemi, den wir zweimal im Laufe des Sommers anliefen. Das Holz ging meistens in englische Häfen an der Ostküste. Ich erinnere mich an Hull und Edinburg in Schottland.
Die Nord- und Ostseefahrt war in den Wintermonaten nicht angenehm. Es gab oft Sturm und Nebel, und das Arbeiten an Deck wurde durch Eis und Schnee erschwert. Wir sind im Februar bis Bergen und Molde in Norwegen gekommen und haben dort in eisiger Kälte frische Heringe in offenen Kisten für Boulogne in Frankreich geladen. Die Laderäume stanken noch wochenlang nach Fisch. Die Reisen im Sommer waren viel besser. Besonders schön war es in Finnland und Schweden, weil dort die Sonne so spät unterging und es angenehm warm war. Nur die vielen Mücken störten im Norden.
Am eindrucksvollsten waren die Schärenfahrten durch die vielen kleinen Felseninselchen der Stockholmer Schären, die navigatorisch hohe Anforderungen an Kapitän und Steuermann stellten.
Schärenfahrt – nicht schiffbrüchig, sondern mit dem Rettungsboot auf Erkundungsfahrt
Leider habe ich über die Reisen mit der JONNY JONAS kein Tagebuch geführt, und ich kann die damaligen Reisen und Häfen nur aus den lückenhaft vorhandenen Briefen an meine Eltern rekonstruieren. Dass ich mich nicht mehr an alle Häfen erinnere, liegt auch daran, dass sie sich mit ihren Schuppen und Anlagen sehr ähnlich sahen und die Liegezeiten oft sehr kurz waren, so dass man von Land und Leuten wenig zu sehen bekam.
Manchmal mussten wir auch beim Laden oder Löschen mitarbeiten. Das wurde extra bezahlt, war aber eine schwere Schinderei. Einmal haben wir an einem Tag mit vier Mann in der Luke 3.000 Säcke mit Salpeter zu Hieven gepackt. Meine Hände waren nachher trotz Handschuhen total zerfressen und wund.
Ich stelle die Reisen mal in einer Tabelle zusammen so gut es geht.
Reisen mit MS JONNY JONAS:
17. – 18. Januar 1958 Aarhus, Dänemark (DK) mit Koks aus England (GB) 28. in Ballast nach Kiel
02. – 10. Februar warten in Hamburg-Finkenwerder auf Ladung
16. – 21.Bergen, Norwegen (NO)
22. – 25. Molde (NO), laden Heringe für Boulogne, Frankreich (FR)
28. – 01. März Boulogne (FR)
02. – 04. Antwerpen, Belgien (BE), Kalischüttgutladung für Aalborg
07. – 08. Aalborg
10. Bremen, Kohleladung für Sarpsborg im Oslofjord (NO)
17. – 19. Stralsund, Zuckerladung für Hafen in Norwegen
21. – 24. Bergen (NO)
25. – 26. Drontheim (NO), Zucker gelöscht
26. – 28. Hommelsvik im Drontheimfjord (NO), Zelluloseladung
04. – 08. April Rouen (FR)
10. Amsterdam (NE), Koksladung für
25. Helsingborg, Schweden (SW)
27. Danzig, Polen (PO), Kohle für Cork in Irland (IR)
01. – 05. Mai Cork (IR)
06. – 08. Paddington bei Liverpool (GB), Koksladung für Larvik
12. – 15. Larvik im Oslofjord
16. – 21. Porsgrund (NO), Salpeter in Säcken für
22. – 23. Söderhamn (SW)
24. Köbmansholm (SW), Zellulose in Ballen für Rotterdam
03. Juni Rotterdam (NL)
05. – 08. Antwerpen (B), Kupfer und Blei in Barren für Kopenhagen und Helsingborg – danach in Ballast nach Stettin (PL), Kohle für Cuxhaven
16. – 18. Cuxhaven
23. – 30. Yxpilanti, (FI), Schnittholz für Kingston upon Hull, (GB)
Aus der Aufstellung kann man gut erkennen, dass wir ziemlich herumgescheucht wurden.
Obwohl wir an Bord auf engem Raum zusammenlebten, gab es kaum Kontakt zum Kapitän. Der Steuermann stammte aus Balje an der Unterelbe und sprach nur Platt mit uns. Das konnte ich anfangs nicht verstehen, was er mir als Aufsässigkeit anrechnete. Ich war froh, als er von einem anderen Steuermann abgelöst wurde.
Bei Gesprächen über unsere Zukunftspläne drehte sich immer alles um die große Fahrt nach Übersee. Auf den großen Schiffen sollte dem Vernehmen nach alles viel besser und leichter sein. Ziele wie die Karibik oder Südamerika lockten besonders. Keiner von uns war bisher auf großer Fahrt gewesen.
Als ich meine neunmonatige Fahrzeit als Schiffsjunge voll hatte, musterte ich am 20. Oktober 1958 ab und fuhr zu meinen Eltern nach Wevelinghoven in Urlaub. Ich besuchte auch meine Schulfreunde im Heim in Neuß. Dabei merkte ich, dass man in der abgeschlossenen Welt an Bord schnell den Anschluss an das normale Landleben verlieren kann und etwas unbeholfen wird. Andererseits wunderte ich mich manchmal über das kindliche Gehabe der Freunde.
Nach einem Monat fuhr ich wieder nach Hamburg, um mir ein Schiff zu suchen. Ich wohnte im Seemannsheim und ging jeden Tag zum Heuerstall (Arbeitsamt für Seeleute) wo ich auf ein Angebot wartete. Die Zeiten waren für Seeleute nicht günstig. Die deutsche Handelsflotte war nach den Kriegsverlusten erst wieder im Aufbau begriffen.
Der Heuerstall befand sich praktischerweise im Erdgeschoß des Seemannshauses gegenüber dem Stintfang an der Geestrückenkante über den Landungsbrücken. Jetzt befindet sich in dem Gebäude das Hotel „Hafen Hamburg”. In dem großen Raum im Erdgeschoß saßen viele Arbeit suchende Seeleute jeden Alters und warteten, bis sich eine kleine Fensterluke öffnete und eine Stimme ein Angebot ausrief. Daraufhin meldeten sich die Interessenten am Schalter. In der Wartezeit unterhielten sich die Leute und erzählten von ihrem letzten Schiff und ihren Erfahrungen mit den verschiedenen Reedereien, von denen es gute und schlechte gab. Für mich war das sehr spannend und lehrreich. Natürlich wurde auch Seemannsgarn gesponnen.
Im Hamburger Seemannshaus an der Seewartenstraße – heute ‚Hotel Hafen Hamburg’ befand sich der „Heuerstall“
Nach einigen Tagen, ich hatte vorher schon mehrfach am Schalter meinen Wunsch nach einem Schiff in die Karibik geäußert, wurde ich aufgerufen. Ich sollte als Jungmann mit 110 DM Heuer auf der „WILHELM BORNHOFEN” anmustern. Der Mann hinter der Luke versicherte mir ausdrücklich, dass das Schiff nach einer Zwischenreise in die Ostsee tatsächlich in die Karibik fahren würde. Am 20. November 1958 musterte ich in Kiel-Holtenau auf der Schleuse an. Die Reise ging zum Holzladen nach Kemi in Finnland, das ich ja schon von meiner Kümozeit her kannte.