Читать книгу Erinnerungen eines Nautikers an seine Seefahrt in den 1950-70er Jahren und sein Wirken als maritimer Beamter - Peter Sternke - Страница 7
Motorschiff WILHELM BORNHOFEN
Оглавление(ex „MARIE HORN”, ex „BOCA RATON”, 1935 ex „RIO BRAVO” Norwegen, 1936 „AMIN”, 1959 in den Libanon, 1960 Abbruch
Reederei Bornhofen, Hamburg
Werft: Friedrich Krupp AG, Kiel, Baujahr 1925,
3.132 BRT, 4.578 tdw, Länge ü. a: 93,2 m, Breite: 14,5 m, Tiefgang: 7 m, Geschwindigkeit: 10 kn, Fahrtgebiet: Große Trampfahrt sowie Nord- und Ostsee
MS WILHELM BORNHOFEN
Das Schiff war ein alter Vorkriegsbau aus dem Jahr 1925, eines der ersten Motorschiffe Deutschlands. Es war mit seinen 3.000 BRT und 90 m Länge viel größer als das Kümo. Da mehr Personal an Bord war, fiel mir die Arbeit leicht. Ich kannte mich ja auch schon aus. Auf dem Kümo war ich als Moses schon mit allen Bordarbeiten in Berührung gekommen, nur mit weißer Farbe durfte ich noch nicht malen, das war nur den Matrosen vorbehalten. Mit dem alten Aussehen des Schiffes und seinem vergammelten Zustand fand ich mich schnell ab. Die Ladearbeiten in Kemi dauerten über zwei Wochen. Es wurden 4.500 Tonnen Schnittholz geladen, auch als Decksladung. Als wir beim Auslaufen vom Pier ablegten, blieb das Schiff mitten im Hafenbecken in einer Neueisdecke stecken. Es wurde bitterkalt. Die Heizung meiner Kammer schaffte es nicht, die Eisschicht an der Innenwand des Schiffes abzuschmelzen, an der meine Koje lag, und die Toiletten froren ein. Man verrichtete sein Geschäft auf eine Schaufel und warf den Segen über Bord. Bald war das Eis rings um das Schiff mit braunen Häufchen bepflastert. Das Schlimmste war, dass ich meine Ausrüstung für die Tropenfahrt zusammengestellt hatte und mir warme Sachen fehlten. Um wenigstens etwas Wärme zu finden, gingen wir abends über das Eis an Land und hielten uns in Kaffees auf, bis sie schlossen. Alkoholausschank war in Finnland verboten. Ab und zu schmuggelten wir eine Flasche Schnaps mit an Land. Dann waren wir bei den Finnen sehr beliebt.
Nach etwa einer Woche kam ein Eisbrecher und brach für uns eine Rinne frei, damit wir in offenes Wasser gelangen konnten. Die Fahrt ging nach Hull an der englischen Ostküste. Dort kamen wir kurz vor Weihnachten an und hatten wieder eine lange Liegezeit, weil die Entladearbeiten oft durch Streiks der Hafenarbeiter unterbrochen wurden. Heiligabend verbrachten wir bei Musik und Tanz im Flying Angel Seemannsklub (kirchlich). An einen Mistelzweig kann ich mich nicht erinnern. Andere Länder – andere Sitten. Auf dem Nachhauseweg kehrten wir noch in ein Pub ein und nahmen beim Rausgehen ein paar Biergläser mit. Unterwegs wurden wir von Polizisten angehalten und auf die Wache mitgenommen, wo wir den Rest des heiligen Abends in einer Zelle verbringen mussten.
Silvester hatte ich Bordwache. Zum Jahreswechsel wollte ich auf dem Brückendeck alte Seenotraketen abschießen. Sie wurden mit einem Holzstiel in eine Halterung gesteckt und an einer langen Zündschnur gezündet. In der Dunkelheit übersah ich, dass die Zündschnur noch mit Ölpapier eingewickelt war. Ich hielt die Zündflamme so lange an die Schnur, bis das Ölpapier durchgebrannt war und ein Feuerstrahl aus der Rakete schoss und mir die rechte Hand verbrannte. Die Haut war auf der Handoberfläche bis auf das rohe Fleisch abgeschmort. Ich hatte große Schmerzen, und es dauerte einige Wochen, bis ich die Hand wieder richtig gebrauchen konnte.
Unser nächster Hafen war Hamburg. Dort machten wir an Pfählen mitten im Segelschiffshafen fest und wurden aufgelegt. Es hieß, das Schiff werde verschrottet. Die Mannschaft verließ das Schiff. Ich durfte zusammen mit einem Maschinenassistenten und einer Katze als Wache an Bord bleiben. Es begann eine schöne Zeit für mich. Auch wenn ich nicht oft an Land kam, langweilte ich mich nicht. Ich konnte schalten und walten wie ich wollte. Der Assi sorgte dafür, dass die Hilfsmaschine Strom für Heizung und Licht lieferte. Ich hatte den Proviantraumschlüssel und konnte uns von den Proviantresten, die noch da waren, gut ernähren. Da kam mir meine Kocherfahrung vom Kümo zugute. Auch die Katze lebte üppig vom Fleisch. Tagsüber kam manchmal jemand von der Reederei an Bord, um nach dem Rechten zu sehen.
Es war ein sehr kalter Winter, und der Hafen war mit einer dicken Eisschicht bedeckt, so dass manchmal tagelang keine Barkasse zu uns kommen konnte. An Bord war es lausig kalt, weil die Heizung es nicht schaffte, meine Kammer zu erwärmen. Der Assi hatte mir als Zusatzheizung einen elektrischen Widerstand gegeben, der aus einem Keramikkern mit darumgewickelten Kupferdrahtspiralen bestand und wohlige Zusatzwärme spendete, nachdem ich ihn an die Elektroleitung angeschlossen hatte. Das Gebilde hing an einem Draht von der Kabinendecke in der Mitte der Kammer herunter. Als ich eines Tages nach längerer Abwesenheit wieder in die Kammer wollte, drang dichter Rauch aus der Tür. Ich öffnete sie, was man ja nicht tun soll, und da brannten Teppich und Bettvorhänge schon lichterloh. Die Spule war runter gefallen und hatte alles in Brand gesetzt. In meiner Not raffte ich den brennenden Teppich und die Vorhänge mit bloßen Händen zusammen und warf das Bündel über Bord wo es auf dem Eis liegen blieb und noch eine Weile weiter brannte. Beinahe hätte ich das Schiff abgefackelt. Der Schrecken saß mir noch lange in den Knochen.
Eines Tages kam der alte 1. Ingenieur (Chief) an Bord und beauftragte uns, die aus vier abschraubbaren Bronzeflügeln und einer Nabe bestehende Ersatzschraube in eine Schute zu laden, die bei uns längsseit kommen sollte. Wir riggten die Ladebäume auf und mühten uns stundenlang mit der schweren Schraube ab, bis sie in der Schute abgefahren wurde. Der Chief verpflichtete uns zum Schweigen und gab uns jedem 100 DM. Da dämmerte es uns, dass wir etwas Ungesetzliches gemacht hatten und ärgerten uns, dass wir nur so wenig Geld abbekommen hatten, weil Bronze ja sehr teuer war.
Um uns zu entschädigen, sammelten wir tagelang das Stauholz in den Laderäumen zusammen, besorgten uns in einer üblen Hafenkneipe an der U-Bahnstation Baumwall, die „Bum Bum” genannt wurde, eine Schute und verkauften das Stauholz, einige volle Farbeimer und die Ersatzfestmacherleinen. Das dicke Kupferkabel der Entmagnetisieranlage konnten wir nicht abschneiden, weil es noch unter Strom stand und sich als das Kabel des Echolotes herausstellte.
Uns war schon klar, dass unser Geschäft nicht in Ordnung war, aber das Schiff sollte ja sowieso abgewrackt werden, und Geld brauchten wir auch. Kurze Zeit später wurde das Schiff samt Kater, aber ohne Ersatzschraube, Stauholz, Farbe und Festmacherleinen in den Libanon verkauft. 1960 wurde es verschrottet. Ich ging am 27. Februar von Bord. Damit war mein Karibiktraum beendet. Ich habe es während meiner ganzen Seefahrtzeit und auch danach nicht geschafft, dorthin zu kommen.