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2 WAS IST EIN RIFF? – RIFFDEFINITIONEN

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Ein Riffhai patrouilliert entlang der Steilwand des Riffhanges auf der Suche nach Beute. Im Vordergrund rote Weichkorallen der Gattung Dendronephtya.

„… und dann liefen wir auf ein Riff“

So heißt es in einem bekannten Seemannslied, denn die Riffe in den alten Schilderungen der Seeleute waren der Inbegriff von Gefahr. Riffe standen synonym für Untiefen jedweder Art, die als mehr oder minder versteckte, tückische Hindernisse unter Wasser eine akute Gefahr für Schiff und Mannschaft bedeuteten. Aus der pragmatischen Perspektive eines Steuermannes war die Art oder Entstehung des „Hindernisses“ von untergeordneter Bedeutung, sei es nun eine Sandbank oder ein bis zur Oberfläche aufragender Felsen. Aber was ist eigentlich ein Riff?

Biologen und Geologen definieren ein Riff als

• eine maßgeblich von Organismen gebaute (biogene) Struktur,

• die vom Meeresboden bis zur Wasseroberfläche aufragt.

• Diese Struktur muss groß genug sein, um die physikalischen und damit auch ökologischen Bedingungen in und an der Struktur selbst und der unmittelbaren Umgebung deutlich zu beeinflussen.

• Die Struktur ist stabil genug, um den hydraulischen Kräften der Wasserbewegung zu widerstehen

• und bildet einen facettenreichen, kleinräumig strukturierten Lebensraum, der von speziell angepassten Bewohnern besiedelt ist.

Dies bedeutet, dass ein Felsen allein noch kein Riff ausmacht und dass auch viele von Organismen gebaute Strukturen, wie z.B. Muschelbänke, manche Kriterien für echte Riffe nicht erfüllen und daher als Bioherme von echten Riffen abgegrenzt werden.

Die Definition verweist bereits auf wichtige Funktionen eines echten Riffs. Riffe bieten Struktur und Vielfalt in einem sonst oft wenig strukturierten Lebensraum des Meeresbodens (oder sogar des freien Wasserkörpers). Ihre Struktur verändert und differenziert die unterschiedlichen physikalischen Parameter wie Wasserbewegung und Belichtung. Sie wirken als Wellenbrecher, die ein Mosaik aus brandungsexponierten und -geschützten Stillwasserbereichen schaffen. In enger Nachbarschaft entstehen Kleinlebensräume, die ganz unterschiedliche Angebote in Bezug auf Licht und Schatten, Temperatur, Strömung sowie mit dieser Strömung transportierte Stoffe für etwaige Bewohner bereithalten. Dieser Nischenreichtum ist eine Voraussetzung für den Artenreichtum der Riffe, denn das vielfältige Angebot des Lebensraumes lockt die unterschiedlichsten Bewohner an. Diese siedeln sich, entsprechend den Bedürfnissen der jeweiligen Art, in den unterschiedlichen Bereichen eines Riffes an und formen hierdurch typische Lebensgemeinschaften entlang einer charakteristischen Zonierung.

Schon an dieser Stelle wird klar, dass es zwischen der Struktur des Riffes und seinen Erbauern und Bewohnern auf vielen Ebenen zu gegenseitigen Beeinflussungen kommt. Ein Korallenriff bildet eine belebte, dynamische Struktur mit einem komplexen Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten und Regeln, wie es für artenreiche Ökosysteme typisch ist. Damit wird deutlich, dass gerade die ökologischen Aspekte wesentlich sind, wenn man ein Riff als biologisches System verstehen will. In diesem Buch geht es daher nicht nur um die Struktur, sondern auch um die Ökologie der Riffe.

Die meisten der heute existierenden Riffe werden von Steinkorallen aufgebaut, und dieses Buch legt seinen Fokus eindeutig auf die „echten“ Korallenriffe.

Echte Riffbildner erbauen riesige Strukturen, d.h. sie müssen in der Lage sein, große Mengen an Kalk abzuscheiden. Dies geht in der Regel nur im Team, was bedeutet, dass die Riffbildner in großer Individuendichte auf engem Raum (hoher Abundanz) vorkommen müssen. Neben den Steinkorallen haben nur wenige Organismen diese Qualitäten. In vielen Fällen scheitert die Bildung eines echten Riffes daran, dass die gebildeten Strukturen entweder nicht bis zur Wasseroberfläche reichen (z.B. Muschelbänke) oder aufgrund ihrer bescheidenen Größe kaum die Umgebung beeinflussen bzw. typische Riffbewohner beherbergen können. In diesen Fällen spricht man eher von Bänken oder Biohermen.


Prächtig gefärbte Kalkrotalge (Hier rote Variante). Die weißlich rosa bis purpur farbenen Skelette der Algen bilden harte Krusten und Strukturen, ihr korallenartiges Aussehen trug der Familie (Corallinaceae ≈ „Korallenalgen“) ihren Namen ein.

Auch wenn die Bauleistungen dieser „Riffbildner 2. Klasse“ die der Korallen nicht erreichen, so ergänzen sie doch in einigen Fällen die Gesamtleistung der Kalkproduktion einer Riffgemeinschaft.

Unter den Pflanzen gibt es ebenfalls Organismen, die harte Strukturen aufbauen können wie zum Beispiel die Kalkalgen (hier insbesondere die Kalkrotalgen aus der Familie der Corallinaceae). Diese tragen mit ihren Krusten auch in vielen Korallenriffen erheblich zur Kalkbildung und Konsolidierung von Korallenschutt bei. Die Kalkrotalgen können die Kalkproduktion dieser Gemeinschaften sogar dominieren, wenn die Bedingungen für Korallen nicht günstig sind. In diesen Fällen spricht man von Algenriffen. Es existieren gleitende Übergänge zwischen beiden Riffformen, je nachdem wer der jeweilige Hauptkalkbildner ist.

Miniaturausgaben von Kalkalgenriffen existieren im Mittelmeer. An felsigen Steilküsten bilden sich im Bereich der Wasserlinie simsartige Sockel (französisch: „Trottoire“) von bis zu einem Meter Breite, die jedoch aufgrund ihrer Dimension kaum geeignet sind, die Bedingungen der Umgebung wesentlich zu verändern. Daher entsprechen sie nicht der oben gegebenen Riffdefinition.

Unter den Schnecken gibt es die festsitzende (sessile) Gattung der Wurmschnecken (Vermetus), die kein schraubenförmiges Gehäuse besitzt, sondern mit ihren gestreckten (nicht gewundenen) Wohnröhren an ihrem Untergrund festgebacken ist. Kommen diese Tiere in hohen Dichten vor, so verzementieren die Wohnröhren miteinander, und eine feste Struktur entsteht. Die Schnecken ernähren sich filtrierend, indem sie Schleimfäden aus ihrer Gehäuseöffnung heraus in die Wassersäule spinnen und die anhaftenden Partikel fressen. Milliarden dieser Tiere bilden als sogenannte Vermetidenriffe, z.B. im östlichen Mittelmeer oder an der Südwestküste Floridas (Ten Thousend Islands), Konsolen im Bereich der Wasserlinie.


Kalktrottoire an einer Felsküste im Mittelmeer. Bei Niedrigwasser zeigt sich die konsolenartige Kalkstruktur, die wie ein Sims entlang der Mittewasserlinie läuft und wie ein Miniaturmodell eines Saumriffes aussieht.

Auch einige Borstenwürmer (Serpulidae) sind in der Lage, mit ihren Kalkröhren eine bankartige Struktur zu erzeugen. Eine weitere Familie der Borstenwürmer (Sabellariidae) baut keine feste Kalkröhre, sondern verwebt Sandkörner zu einer Wohnröhre. Der durch die nur etwa 4 cm langen Tiere eingebaute Sand verbackt zu einer bankartigen Struktur von bis zu einem Meter, die in ihrem Inneren sekundär verkalkt und so fest genug ist, den Wellen zu widerstehen. Solche Sabellariariffe finden sich vor der Ostküste Floridas, wo sie lokal eine gewisse Bedeutung für die Küstenmorphologie der Region besitzen, allerdings sind sie nur etwa 1 m hoch und ihnen fehlt der typische Artenreichtum der Sekundärbesiedler. Küstenfischern des Nordatlantiks sind Sabellariabänke, die hier kaum verkalken und daher von geringer Festigkeit und Dauerhaftigkeit sind, als Anzeiger guter Fischgründe bekannt (unter dem Begriff „Salpeter“), da Fische diese Würmer als Nahrung schätzen.


Vermetidenriffe vor Sizilien. Die festgewachsenen Gehäuse der Wurmschnecken (Vermetus) bilden feste Strukturen. Die Tiere können ihre Gehäuse mit Deckeln (Opercula) verschließen, um nicht auszutrocknen.

Darüber hinaus sind auch Miesmuscheln oder Austern in der Lage, Bänke zu bilden, die eine beträchtliche Ausdehnung entwickeln können. Allerdings fehlt auch diesen Biohermen die typische Gliederung in charakteristische Zonen sowie die hierdurch bedingte Gruppierung ihrer spezifischen Besiedler. Auch in Korallenriffen leisten Muscheln einen erheblichen Beitrag zur Kalkbildung.


Sabellariariff in der Bucht von Mont Saint Michel in der Normandie. Der Borstenwurm Sabellaria alveolata verklebt Sandkörnchen zu Wohnröhren in denen er dauerhaft lebt: Die Röhren verbacken miteinander und bilden bankartige Strukturen.


Fossiler Riffkalk aus dem Silur mit Korallenästen und Muschelschalen.

Im Laufe der Erdgeschichte gab es noch eine ganze Reihe weiterer Riffbildner, die Strukturen von erheblichen Ausmaßen gebildet haben, heute aber ausgestorben sind. Ein Beispiel sind die Stromatoporen. Ihre fossil überlieferten Skelette zeigen große Übereinstimmungen mit noch heute lebenden (rezenten), massiven Kalkschwämmen. Darauf stützt sich die Annahme, dass es sich bei den Stromatoporen um eine Gruppe ausgestorbener, kalkbildender Schwämme gehandelt hat.

Die wohl älteste Form der Riffbildung (Bildung eines Biohermes) kann man noch heute anhand der Stromatolithen in der australischen Shark Bay beobachten. Stromatolithen existieren seit über 3 Mrd. Jahren und sind damit die ältesten fossilen Strukturen, die bislang gefunden wurden. Stromatolithen entstehen durch Biofilme, die von Mikroorganismen gebildet werden. Bei den heute noch vorkommenden (rezenten) Stromatolithen bestehen die 1–10 mm dicken Biofilme aus zwei Schichten: Die untere bilden heterotrophe Bakterien, die in eine Matrix aus Schleim eingebettet sind, die obere überwiegend benthische Cyanobakterien (Blaualgen). In dem Mikromilieu dieser Mikrobenmatte wird Kalk aus dem Meerwasser gefällt, zusätzlich bindet der Schleim Sedimentpartikel. Die Basis der Biofilme stirbt bei diesem Prozess ab, der Rest der Struktur wächst jedoch um etwa 0,3 mm pro Jahr in die Höhe.


Fossile Stomatoporenkolonie.


Raukar auf Gotland. Die bizarren figurenartigen Felsformationen sind frei gespülte fossile Stromatoporenriffe.


Stromatolithen in der australischen Shark Bay. Diese Kalkpoller werden von Mikrobenmatten erzeugt.

Fossilien als Zeugen längst vergangener Phasen der Evolution belegen, dass die Riffbildung in vielen erdgeschichtlichen Zeiten auch durch andere Organismen geleistet wurde. Im Hinblick auf die Biodiversität können es die heutigen (rezenten) Riffe jedoch mit allen bislang bekannten fossilen Vorfahren aufnehmen. In den heutigen Korallenriffen zeigt sich, wie die Evolution den Anforderungen des Lebens in diesem komplexesten marinen Ökosystem mit fast unendlicher Vielfalt begegnet.

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