Читать книгу Qi Gong – Der fliegende Kranich - Petra Hinterthür - Страница 11

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Der Geist des Tales stirbt nicht,

denn er ist die Kraft des Weiblichen

und die Wurzel von Himmel und Erde.

– Laozi – Daodejing – 6. Vers –

Qi Gong ist eine Kunst, die jeder erlernen kann, völlig unabhängig von Herkunft, Wissen und Alter. Sie kann im Stehen, Sitzen oder Liegen ausgeführt werden. Gesunden dient sie zur Vorbeugung von Krankheiten und als Möglichkeit, das Qi durch Meditation in eine höhere Energie zu verwandeln, den »Geist zu leeren« und zu den eigenen Wurzeln zurückzufinden. Bei Kranken wird sie als Heilmethode angewandt. Systematische, regelmäßige Qi-Gong-Übungen stärken das Qi, fördern die Gesundwerdung, schaffen allgemeines Wohlbefinden, Leichtigkeit, Heiterkeit, Weite, Entspannung, Jugend, Schönheit und wirken sich positiv auf Geist, Nervensystem und den gesamten Organismus aus.

Fast jede Krankheit kann durch Qi Gong geheilt oder zumindest gelindert werden. Wichtig ist jedoch, dass der Mensch erst einmal eine Eigenverantwortung für seine Krankheit übernimmt und sie als Chance für eine Verbesserung seiner Lebenshaltung und -umstände ansieht. Neuere Erfahrungen in China haben gezeigt, dass sogar viele Krebskranke geheilt werden konnten.

Stellen wir uns die Frage nach der Bedeutung des Qi, so können wir die Interpretation des 6. Verses von Laozi’s Daodejing anführen: »Das »Tal« bedeutet der leere Raum zwischen den Bergwänden. »Tal« heißt es, weil es kein Dasein hat, »Geist« heißt es, weil es darum doch »nicht nicht« ist. Man könnte beinahe übersetzen: Geist und Materie in ihrer Einheit sind ewig.«1

Die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Qi könnte ähnlich ausfallen: Es ist nicht sichtbar und doch ist es »nicht nicht«, d. h. es ist vorhanden und wohnt in jedem lebenden Wesen, sei es Mensch, Tier oder Pflanze, in der Natur oder im Kosmos. Alle Dinge sind beseelt von Qi. Es strömt durch den Körper und ist lebensnotwendig für den ganzen Organismus. Es ist nicht greifbar, und doch ist seine Auswirkung in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht spürbar. Eine der Übersetzungen des chinesischen Wortes Qi ist Luft, Dampf oder Atem. Es entspricht dem griechischen Pneuma oder dem Sanskrit-Wort Prana. Qi kann aber auch mit Lebens-Energie, Lebens-, Ursprungs- oder Vital-Kraft, Lebens-Essenz, feinstofflicher Fluss, Körper-Elektrizität, Wolken, Dampf oder rhythmischer Vitalität übersetzt werden.

Die chinesischen Weisen glaubten, dass Qi die Grundlage allen Wachstums und aller Entwicklung sei. Im Buch der Leiden aus der Zhou Dynastie (1122 – 255 v. Chr.) wird gesagt, dass »Leben entsteht, wenn Qi vorhanden ist, sich Formen bilden, wenn Qi sich entfaltet, und Wachstum beginnt, wenn sich Qi bewegt.« Im chinesischen Volksmund sagt man, dass ein Mensch gesund ist, wenn er ausreichend mit Qi versorgt ist. Mangelt es ihm an Qi, wird er kränkelnd und negativ in seiner Ausstrahlung. Wenn kein Qi, keine Lebens-Kraft, mehr vorhanden ist, stirbt er.

In China sind über 30 Arten von Qi definiert worden. Wir erwähnen hier nur einige: Das Xiantianzhi Qi stellt die vorgeburtliche, vorembryonale Energie dar und wird in den Nieren gelagert. Das vorembryonale Qi, das das Baby von seinen Eltern erhält, wird im Laufe des Lebens langsam verbraucht und wird ergänzt vom Houtianzhi Qi, dem nachembryonalen oder erworbenen Qi. Dieses erworbene Qi setzt sich zusammen aus dem Nahrungs-Qi (Zufuhr von Energie durch Nahrung und Getränke) und dem Atmungs- bzw. Luft-Qi. Sauerstoff wird dabei dem Körper zugeführt und verwandelt die Nährstoffe in Energie. Atmung stärkt die Kraft des Qi. So wie der Atem natürlich kommt und geht, so gleicht das Qi dem unaufhörlichen, großen Strom, der umso schneller und kraftvoller fließt, je mehr Wasser er führt. Dieser große Energie-Strom durchdringt und durchströmt den Körper. Er ergießt sich über ein dichtes Netz von Energie-Bahnen, Meridiane genannt (siehe 5. Kapitel), versorgt die Organe, das Gewebe, die Muskeln, das Blut, die Nerven und alle Zellen mit warmer, vitaler Lebenskraft. Das Qi fließt immer dorthin, wo es gebraucht wird – bei Blockaden in den Meridianen oder Gefäßen, bei kranken Organen oder Störungen im Organismus. Es bewegt sich selbst. Das Charakteristische am Qi ist, dass es fließt. Die Verbindung aus vorembryonalem und erworbenem, nachembryonalem Qi bezeichnet man als Zhen Qi, Ursprungs-Qi oder Wahres Qi. Es bildet die Grundlage für die Funktionsfähigkeit des gesamten Organismus. Das Element Qi wird durch zwei weitere Energie-Elemente ergänzt, welche die chinesischen Weisen Jing und Shen bezeichnet haben. Qi, Jing und Shen werden die drei »Schätze« des Menschen genannt. Zusammen bilden sie eine energetische und belebende Einheit.

Jing ist die Essenz, Jing verkörpert das Blut bei der Frau und den Samen beim Mann, das Wesen des Menschen. Es ist die Wurzel, Mutter oder das Bauelement für Qi, das in diesem Vergleich den Stamm oder das Kind darstellt. Es wird ebenfalls in den Nieren gelagert. Jing verkörpert das Blut und formt die äußeren Abläufe der Feinstmaterie im Organismus, wie etwa die Fortpflanzung. Daher heißt es auch Samen-Qi oder Sexual-Energie. Ferner sorgt es für die Verteilung der Nährstoffe und alle körperlichen Aktivitäten.2

Shen ist das ergänzende Element zu Qi und Jing. Es wird mit »göttlicher Kraft«, »Geist« oder »belebtem Geist« übersetzt, da es die Funktionen des Bewusstseins und des Unbewussten beeinflussen kann. Shen bezeichnet den »aktiv organisierenden, verwandelnden, eine Individualprägung verleihenden und erhaltenden Einfluss«.3 Es repräsentiert das undefinierbare Geheimnis der Spiritualität. Das Schatzkästchen Shen vereint Yin und Yang, den Makro- und Mikrokosmos, das Göttliche und Menschliche in einem.

Ein möglicher Weg, das Qi fließen zu lassen oder es zu aktivieren, ist Qi Gong zu praktizieren. »Gong« heißt Übung, Methode, Wirkung, Arbeit, Disziplin, Handlung, Lehre, Wandlung oder das Aktivieren. Qi Gong ist eine chinesische, bewegungs-orientierte, daoistisch-meditative Übung oder Methode, das Qi zu aktivieren, zum Fließen zu bringen und es zu verwandeln. Sie besteht aus weich fließenden, präzisen Bewegungen, die durch Atmung, Körperentspannung, Vorstellung und Meditation unterstützt werden.

Ursprünglich gab es in China fünf unterschiedliche Schulen, in denen Qi Gong gelehrt und praktiziert wurde: die Daoistische, Buddhistische, Konfuzianische, Medizinische und die Schule des Kampfsports.4 Alle verfolgten dasselbe Ziel: die geistige, seelische und körperliche Verfassung gesund zu erhalten oder gesunden zu lassen. Doch während sich die ersten zwei Schulen auf die innere Stärkung von Geist und Seele konzentrierten, legten die Konfuzianer großen Wert auf die Stärkung der Selbstkontrolle, Aufrichtigkeit, kultivierten Charakter, Ethik und Moral. Das Hauptanliegen der Medizinischen Schule war die Heilung von Krankheiten. Die Kampfsport-Schule förderte die Entwicklung von Körper- und Widerstandskraft. Heute sind die Grenzen fließender. Besonders im Westen wird oft mehreren Neigungen mit einer Qi-Gong-Form entsprochen. Die Daoisten unterschieden ursprünglich zwischen dem Wai Dan und dem Nei Dan Qi Gong. Wai Dan kann mit dem »alchimistischen Elixier des Lebens«5 übersetzt werden, das durch Einnahme eines Wundermittels (die »Pille der Unsterblichkeit«) erreicht werden sollte. Viele Sagen, Geschichten und Lebensläufe von Kaisern und anderen Persönlichkeiten drehen sich um die Suche und dem Verlangen nach Unsterblichkeit mit Hilfe dieser Wunderpille. Einige starben jedoch durch ihre Gier auf ewiges Leben nach der Einnahme von giftigem Quecksilber. (Dantian, das Sammelbecken von Qi, heißt übersetzt: Zinnoberfeld, eine Quecksilber-Verbindung, mit der die alten Weisen Unsterblichkeit in Verbindung brachten). Im Wai Dan Qi Gong wurde die Einnahme von äußeren Mitteln (wie Pulver oder Pillen) verbunden mit Atemübungen oder sehr sparsamen Bewegungsübungen.

Nei Dan, auch inneres Elixier genannt, weil die Menschen sich ein langes Leben durch innere Übungen versprachen, ist die Grundlage aller heutigen Qi-Gong-Übungen. Die übende Person richtet ihr Bewusstsein auf die Drei Dantians (siehe 5. Kapitel), den Kleinen und Großen Kreislauf. Dies ist auch im Fliegenden Kranich Qi Gong der Fall. Dabei wird durch bestimmte Übungen das Qi gestärkt, ergänzt und, mit Hilfe der Vorstellungskraft, durch den Körper geleitet.

Im heutigen China wird Qi Gong vorwiegend als Heilmethode in Krankenhäusern empfohlen und praktiziert oder von Laien privat unterrichtet. Der spirituelle, religiöse Bezug wird offiziell nicht mehr erwähnt.

Qi Gong – Der fliegende Kranich

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