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Vorwort

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– Petra Hinterthür –

Als ich im Herbst 1983 in Hongkong mit der chinesisch-daoistischen Atem- und Bewegungsübung Qi Gong zum ersten Mal in Berührung kam, fühlte ich mich gesundheitlich und seelisch sehr labil. Die chinesischen Schulmediziner hatten mir alle nur erdenklichen Normalwerte attestiert – und dennoch spürte ich einen tiefen Urschmerz in mir. Ich wusste keine Antwort.

Der damals in Hongkong lebende deutsche Arzt Dr. Roland Heber nahm mich mit zu Wu I-San, einem chinesischen Kräuterarzt der Traditionellen Chinesischen Medizin, der durch Auflegen von drei Fingern am Puls beider Arme die Diagnose stellte. Demzufolge hatte ich Hitze und einen Qi- und Blutstau in der Leber, Milz-Yang-Schwäche, einen durch die ’hitzige‘ Leber angegriffenen Magen und Nieren-Qi-Schwäche. Inzwischen weiß ich, dass ein lang andauernder Zustand wie »aufsteigendes Leber-Yang und Leber-Feuer« zu einer langsamen inneren Verbrennung des Organismus und schweren Krankheiten führen kann. Es war sehr interessant für mich festzustellen, dass ich in den Augen westlich geschulter Ärzte gesund war, während ich für traditionelle, chinesische »Heiler« bereits bedenkliche körperliche Mängel aufwies.

Roland Heber stellte mich ebenfalls dem chinesischen Qi-Gong-Lehrer Cheung Chun Wah vor, der das Hè Xian Zhuang, das Fliegende Kranich Qi Gong, unterrichtete. Diese Qi-Gong-Form basiert auf einer festgelegten Übungsfolge, die die Bewegungen des Kranichs imitiert. Wir trafen uns jeden Dienstagabend in seinem etwa zehn Quadratmeter großen Übungsraum, der auch gleichzeitig als Gesangsstudio von seiner Frau genutzt wurde. Ich war die einzige Ausländerin und Anfängerin, während zur gleichen Zeit noch etwa sechs weitere, fortgeschrittene Schüler von Cheungs Frau im selben Raum unterrichtet wurden. Die Atmosphäre war locker und doch konzentriert. Es war kein geselliges, sozial-kommunikatives Treffen. Nach etwa fünf Minuten entspannenden, vorbereitenden Gesprächs gingen wir zum Unterricht über, der eine Stunde dauerte. Die Anwesenheit der Fortgeschrittenen war für mich vorteilhaft, denn so konnte ich nicht nur von meinem Lehrer, sondern auch von ihnen lernen. Besonders faszinierend fand ich die Bewegungen der letzten, der 6. Form, die vom Qi geführt wird und als »formlose Form« bezeichnet werden kann. Nach etwa acht Wochen hatte ich die fünf Übungs-Formen des Fliegenden Kranichs soweit erlernt, dass ich zur 6. Form übergehen konnte. Ich war verkrampft und beeinflusste die Selbstbewegung willentlich und zu zielstrebig. Nach vier weiteren Wochen spürte ich die negativen Auswirkungen meiner unnatürlichen Willensanstrengung: Ich bekam Kopfschmerzen, schlief sehr unruhig, hatte verrückte, unangenehme Träume, fühlte Beklemmungen im Brustkorb, hatte leichte Schwindelgefühle und meinte, mich ständig übergeben zu müssen. Zweifelnd und aus Angst, mein Zustand könnte sich verschlechtern, hörte ich eine Weile auf, den Kranich weiter zu üben. Danach praktizierte ich unregelmäßig und folglich besserte sich meine körperlich-seelische Verfassung auch nur sehr langsam.

Im Dezember 1985 lernte ich im Zen-Kloster Hosshin-ji an der Westküste Japans Astrid Schillings kennen. Eines Abends schob sie die Papierschiebetür zu meinem Tatami-Gästezimmer zur Seite, um mir mitzuteilen, dass das O-Furo, das heiße Bad, frei wäre, und überraschte mich bei der Himmels-Erdsäulen-Position der 2. Übungs-Form. Diese Übung sprach sie sofort an und sie war so begeistert von Qi Gong, dass sie mich und meine Familie drei Monate lang in Hongkong besuchte, um das Hè Xian Zhuang von Cheung Chun Wah zu lernen. Ich bin ihr dankbar, dass sie kam und mich mit ihrer Begeisterung dieser Übungsform des Qi Gong wieder näher gebracht hat. Erst seit dieser Zeit praktiziere ich den Fliegenden Kranich regelmäßig und mit Erfolg. Dank der Übungen und der Meditation geht es mir heute körperlich gut. Meine seelische Verfassung hat sich ebenfalls stabilisiert. Ich fühle mich gelassener, positiver und weniger aggressiv. Meine Beziehungen zu Menschen sind ehrlicher, bejahender und weniger fordernd geworden. Ich bin heute dankbar für das, was ich bin, und akzeptiere mich so, wie ich bin.

Vor kurzem habe ich für ein paar Wochen die Qi-Gong-Übungen ausgesetzt, weil ich sehr intensiv, zum Teil auch nachts, gearbeitet habe. Ich stellte fest, dass Symptome wie z. B. Aggressivität wieder ein wenig spürbar wurden und ich in einige alte Verhaltensmuster zurückzufallen drohte. Durch die Qi-Gong-Übungen ist nicht nur mein Körperbewusstsein gewachsen, sondern auch meine Wachheit gegenüber »Verhaltens-Spielen« wurde stärker. Mir ist klar geworden, dass nur die Kontinuität des Übens für einen dauerhaften Erfolg sorgen kann. So wie der Fluss nur ein Fluss ist, solange sein Wasser fließt, so würde auch der Gong-Übende versanden, wenn der Fluss des Übens einmal unterbrochen wird.

Über das Qi wird hier im Westen immer noch gerätselt und es gibt diverse Definitionen, wie in Kapitel 1 beschrieben. Ich halte es für wichtig, das Qi in sich selbst zu spüren, um es zu verstehen. Ich las vor acht Jahren zum ersten Mal etwas über das Qi in Büchern über chinesische Kunstgeschichte. Xie Hè verfasste 490 n. Chr. einen Aufsatz über die Sechs Prinzipien (Gesetze) in der chinesischen Malerei. Das wichtigste Prinzip ist seiner Meinung nach die Manifestation des Qi, der Seele, des Lebens-Rhythmus oder des Pulses des Lebens. Ohne Qi ist, nach chinesischer Auffassung auch heute noch, ein Bild leblos und langweilig. Es strahlt nichts aus, außer technischer Virtuosität. So wie der spirituelle, kosmische Rhythmus in einer chinesischen Landschaft die höchste Kunst der Malerei bedeutet, so wurde dieses Lebens-Prinzip im klassischen China auf alle Bereiche der Kunst, Kultur und sogar Politik übertragen.

Doch über das Qi zu reden, zu schreiben, es in etwas Anderem zu erkennen oder es tatsächlich in sich selber zu spüren, ist ein großer Unterschied. Das eine ist die äußere Annäherung an das Qi das andere ein Wagnis zu sich selbst. Bei den Qi-Gong-Übungen spürt man das Qi sehr schnell in Form von Wärme, Kribbeln oder Vibrieren. Dies ist das eigene, innere Qi, das im Organismus fließt und wirkt. Es gibt auch ein äußeres Qi, das von außen her dem Körper zugeführt wird. Ich hatte einmal ein sehr interessantes Erlebnis während eines Abendessens in einem chinesischen Club in Hongkong, als ich einen Qi-Gong-Meister aus Beijing traf. Er wurde mir als »Master Qi« vorgestellt und schickte sein Qi über eine Entfernung von etwa vier Metern durch eine Papierwand und durch andere Gegenstände zu mir. Ich musste meine geöffneten Hände vor und seitlich meines Kopfes halten. Ohne, dass ich es wollte, fingen meine Finger an sich zu bewegen. Tief versteckte Emotionen kamen hoch und zum Vorschein, und ich spürte das Qi in mir fast ruckartig, gewaltig. Es überwältigte mich wie eine Flutwelle. Er schaffte es, die Fülle und Schwere in meinem Kopf und meinem Herzen spürbar in mein unteres Dantian (mehr dazu im 5. Kapitel) zu leiten, was ich wie ein Glucksen oder Gießen empfand. Danach fühlte ich eine unglaubliche Erleichterung und fing an zu lachen. Die Freunde und Familie meiner chinesischen Freundin Hai Tien lachten überraschend befreit mit. Nur meine geliebte Künstler-Freundin Irene Chou fing an zu weinen. Sie spürte genau, dass meine Freude aus einer tiefen Trauer heraus entstanden war, die »Master Qi« ein wenig gelöst hatte. Die Stimmung war danach fast ekstatisch frei und gelockert.

Ich bin noch einige Male der Versuchung erlegen, mir von außen her Energie zuführen zu lassen. Aber das »Pflücken der Blumen aus Nachbars Garten« brachte immer nur vorübergehende Freude oder kurze Besserung. Blumen verblühten – und so verging die Wirkung. Ich sah ein, dass es besser ist, die Samen selbst zu säen und die Wurzel im eigenen Boden zu nähren.

Auf einer Reise durch China hatte ich das Glück, einen der Gründer des Fliegenden Kranich Qi Gong, Zhào Jin Xiang, in Beijing zu treffen. Für mich war es wichtig, diesen bekannten Qi-Gong-Meister, den Lehrer meines Lehrers einmal persönlich kennen zu lernen. Um zu ihm zugelassen zu werden, ließ ich mir extra Visitenkarten in Deutschland drucken, auf denen dann stand: Petra Hinterthür – Mitglied der »Qigong Association in Germany« und noch ein paar weitere Titel. Ich erzählte ihm von unserem Buchprojekt und stellte ihm alle möglichen wichtigen und unwichtigen Fragen. Seine Empfehlung an jeden, der/die das Fliegende Kranich Qi Gong erlernen und ausüben möchte, war: sich entspannen, den Geist, die Seele und den Körper lockern und in Einklang bringen – sonst nichts. Mein Gott, so einfach.

Abschließend möchte ich mich bei folgenden Personen bedanken: bei Dr. Roland Heber, der mich dem Qi-Gong-Lehrer Cheung Chun Wah vorgestellt und mir so den Weg zum Qi Gong geebnet hat; bei Cheung Chun Wah (Mr. Qi Gong), meinem geduldigen, bemühten, aufrichtigen, kompetenten und immer gut gelaunten Qi-Gong-Lehrer, der gerne über meinen Namen »Mrs. Backdoor« (Hinterthür) lachte, worauf Astrid einmal meinte, ich würde wohl lieber »Mrs. Frontdoor« (Vorderthür) heißen, worauf wir uns herzerfrischend vor Lachen kringelten; bei Astrid Schillings, die mich dem Qi Gong nach meiner Erfahrung mit der 6. Form wieder näher brachte und meine Texte konstruktiv gegenlas; bei Astrids Mutter, die uns bei unseren Arbeitstreffen in Dortmund immer liebevoll bekochte; bei Wong Kee-Chee in Hongkong und Hua Hengbo in Hamburg, die mir bei den Übersetzungen bereits vorhandener chinesischer Texte über das Kranich Qi Gong halfen; bei Wu I-San und Dr. Dông Jîn in Hongkong, die mir den Puls fühlten, meine Zunge betrachteten, mir ins Gesicht schauten und die Wahrheit sagten und mir so die Tür zum Geheimnis chinesischer Medizin und Lehre öffneten; und bei meiner Familie Paul und Peer, die mich in meiner Arbeit geduldig unterstützten.

Petra Hinterthür, 1989

Qi Gong – Der fliegende Kranich

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