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2. Vorwort

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– Petra Hinterthür –

„Was spricht der Kranich zum Frosch?

Krrrrrrrr, krrrrrrrrrr, krrrrrrr,

Worte, die die Welt bewegen“

Petra Hinterthür

17 Jahre sind seit dem Schreiben meines 1. Vorworts vergangen. Der Kranich ist immer noch bei mir. Er hat sich bei mir „eingenistet“. So wie im 3. Kapitel beschrieben, steht er für ein gutes Omen für eheliche Treue, tiefe Liebe und lang andauerndes Glück. Ich bin zwar nicht ehelich mit ihm verbandelt, aber energetisch und im Herzen. Wir sind uns treu, lieben uns und sind eng miteinander verbunden. Häufig wurde und wird in China mit dem Kranich der Wunsch nach Erfolg, beruflichem Aufstieg und Stabilität ausgedrückt. Das hat sich bei mir tatsächlich bewahrheitet. Ich hatte zwar nie den Wunsch oder auch nur die Idee, Qi Gong zu unterrichten und brauchte auch acht Jahre „Selbstkultivierung“, bis ich 1991 mit dem Unterricht begann. Unterstützend dabei waren Übungen aus dem Stillen Qi Gong/Jing Gong, die ich 1990 bei dem Qi-Gong-Meister Li Zhi Chang in einer Qi-Gong-Ausbildung in Reutlingen/Tübingen gelernt hatte und bis heute bei ihm lerne. Der Kranich trug mich, auf seinen Jadeflügeln sitzend, dem Licht und der Himmelsröte entgegen in einen neuen, stabilen und selbstbestimmten Abschnitt meines Lebens. Das war der Beginn einer wundervollen persönlich, spirituell und beruflich erfolgreichen Geschichte – bis zum heutigen Tag. Dafür danke ich dem Kranich, meinen Lehrern Cheung Chun Wah und Li Zhi Chang, der Guanyin, Göttin der Barmherzigkeit und Schutzpatronin für alle, die Hilfe brauchen, und meinen anderen geistigen FührerInnen aus der dies- und jenseitigen Welt.

Es gibt ein schönes Haiku-Gedicht von dem berühmten japanischen Dichter Basho:

„Ja, liebe Schnecke, besteig den Fuji … aber langsam …“ Nach acht Jahren intensiven bis mangelhaften Selbstübens und langsamen inneren Wachstums begann ich, Qi Gong zu unterrichten. Ich hatte es immer wieder vor mir hergeschoben und dachte, ich würde erst unterrichten, wenn ich in einem körperlich, geistig und emotional „perfekten“ Zustand wäre. Diese Vorstellung erwies sich als absolute Illusion. Als es mir nach meiner Trennung und Scheidung von meinem Mann und auch meinem Sohn emotional, finanziell und beruflich besonders schlecht ging, besann ich mich auf Qi Gong. Der Kranich pickte mir mit seinem Schnabel ständig auf den Kopf und die Schultern, um mich aufzumuntern. Innerhalb einer Woche hatten sich auf eine Kleinanzeige hin 35 SchülerInnen zu meinen beiden angebotenen Kursen angemeldet. Vor meiner ersten Unterrichtsstunde übte ich tagelang auf den Wiesen an der Alster in Hamburg, um mir viel Qi vom Himmel und aus der Erde zu holen. Ich wünschte mir nur eins, dass mir keine Frage über das Qi Gong gestellt würde, die ich nicht beantworten könnte. Auch das erwies sich als Illusion. Mir war nach der ersten Unterrichtsstunde so wie der kleinen Schnecke, die zwar auf den 3700 m hohen heiligsten Berg Japans hochsteigen wollte, sich dann aber doch erst mal wieder am liebsten verkrochen hätte. „… ja, lieber Fuji … ich komme, aber langsam …“

Der Kranich steht für den Mythos der Freiheit. Er kann mit großer Leichtigkeit und auch Schwerelosigkeit davonfliegen. Dies ist ein Zauber, dem die Menschen immer wieder erliegen möchten: sich einfach in die Lüfte zu erheben und wegzufliegen. „Vögel sind vielleicht die letzten ungebundenen Wesen, in der Luft heimische Vermittler zwischen Himmel und Erde, animalische Engel, oft Boten oder Zeichen höherer Mächte. In drei Dimensionen zugleich lebend, verkörpern sie einen alten Traum der am Boden haftenden Menschen, die sich tanzend davon zu lösen suchen.“ (G. Merken, Zeitschrift für Qi Gong Yangsheng, Ausgabe 2001, Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft, S. 98). Dieser Aussage kann ich mich aus tiefem Herzen anschließen. Wenn ich das Kranich Qi Gong, jetzt nach 23 Jahren, praktiziere, übe ich und bewege mich sehr langsam. „In der Stille wird das Qi so groß, dass es grenzenlos ist, und so klein, dass es inhaltslos ist“ (Qi-Gong-Meister Li Zhi Chang). Wer vor der Bewegung im Herzen still wird, bleibt es auch in der Bewegung im Herzen. Aus der Stille heraus den Kranich fliegen zu lassen, ist ein wunderschönes Erlebnis. Jenseits der fünf Formen, dem bewussten Leiten des Qi durch Bahnen und Energie-Zentren, dem Bezug zur westlichen und chinesischen Medizin, Neurologie, Psychologie und jeglichem rationalen Verständnis aus der Stille heraus mühelos, schwerelos durch eine imaginäre äußere oder innere Landschaft zu fliegen, den höchsten Berggipfel zu erreichen, an Sonne, Mond und Sternen vorbeizuziehen, in den silbernen Fluss, die Milchstraße, einzutauchen, sich unter eine Kiefer auf einen Felsvorsprung auf schwindelerregende Höhe zu stellen und das Lied der Unsterblichkeit zu singen, mit den Pilzen und Blumen oder anderen Pflanzen im Wind zu tanzen, mit dem Hirsch über die Leichtigkeit beim Besteigen eines steilen Berges oder mit dem Tiger über den sanften Bergabstieg zu sinnieren, sich frei wie ein Kranich in den Lüften oder wie ein Fisch im Wasser zu fühlen oder sogar plötzlich einen dicken Fisch im Unterbauch zu entdecken, in Regenbogenlicht einzutauchen, ein Gefühl von Unbeschwertheit, Glück und Losgelöstsein zu bekommen, alles – und viel mehr – kann aus der Stille auch in der Bewegung entstehen (Auszug eines Artikels von Petra Hinterthür im Taijiquan & Qigong Journal, 3/2002, S. 18 – 23).

Nach den meditativen fünf Bewegungsformen kommt die Stille in Form der „Stehenden Säule“, aus der heraus sich wieder Bewegung in der 6. Form ergeben kann und damit alle möglichen Phänomene. Die Chinesen sprachen und sprechen immer noch gerne von den 10.000 Dingen, die sich vom Ursprung, dem all-einen DAO, ziemlich weit entfernt haben: den 10.000 Affen, die im Kopf oder Herzen herumtoben und für Unruhe sorgen, oder den 10.000 Elefanten, die einem im Kopf herumtrampeln. Dementsprechend viele Phänomene, innere und äußere Manifestationen gibt es, wenn Qi-Gong-Lernende die 6. Form, die vom Qi geführte Form (Zifagong), praktizieren. Auch wenn wir uns auf die 6. Form einlassen, ist es eine langsame Reise zurück zu uns selbst. Unsere Seele braucht Zeit, um die selbstheilende Wirkung in Form eines inneren und äußeren Wandels zu verstehen und anzunehmen. „Wer mit dem Strom schwimmt, ist klug – wer gegen den Strom schwimmt, ist weise“ (alte daoistische Weisheit). Das ist ein Risiko, denn wir wissen ja nicht, was uns an der Quelle erwartet. Doch um erst einmal zur Quelle zu gelangen, brauchen wir unbegrenzte Zeit, liebevolle Geduld und inneren Raum der Offenheit und Weisheit.

Mit Hilfe der Vorstellungskraft bekommt jede Bewegung beim Kranich Qi Gong eine Bedeutung, auch einen Bezug zur TCM. Ziel der Kranich-Übung (wie bei jeder anderen Qi-Gong-Übung und auch beim Taijiquan und Yoga) ist jedoch, die Form und die Vorstellung zu transzendieren, um die Nicht-Form, die formlose Form, den Nicht-Zustand zu erreichen. Um alle Elemente, alle Ebenen, alle Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen in uns anzusprechen, schauen wir nach innen und suchen das Paradies in uns, kommen in Einklang mit uns, mit anderen Menschen, der Natur und der geistigen Welt. Menschen, Tiere, Wesen, auch Bäume können wie Heilige, Götter oder SeelengefährtInnen sein: Wenn wir mit ihnen sprechen und sie um Hilfe bitten, werden sie uns antworten, uns helfen und „den Schmerz der Welt in Hoffnung verwandeln“ (Pablo Neruda).

Ich habe in den letzten 17 Jahren viele Variationen des Kranich Qi Gong gesehen. Es ist interessant, wie „individuell“ der Kranich inzwischen geworden ist. Auch ich habe in der Zwischenzeit bei meinem Qi-Gong-Meister für das Stille Qi Gong, Li Zhi Chang, das Kranich Qi Gong weiter vertieft. Einige Elemente gefielen mir sehr gut, so dass ich sie bei der Korrektur der „Beschreibung der fünf Übungsformen“ (9. Kapitel) mit berücksichtigt habe. Das wäre in alten traditionellen Zeiten undenkbar gewesen, da erst dann etwas geändert werden durfte, wenn der Meister oder die Meisterin gestorben waren. Es finden sich also im Text Stellen, in denen sowohl alte als auch veränderte Positionen beschrieben sind. Einige Male habe ich sie mit a) und b) gekennzeichnet.

In der Zwischenzeit hat sich das Kranich Qi Gong in China völlig verändert. In den Achtzigerjahren wurde China von einem wahren Qi-Gong-Fieber überschwemmt. Eine laienhafte Massenbewegung brach aus, wie sie vorher noch nie in der Form in China existiert hat, und an der ein Großteil des Volkes teilnahm. Die Menschen brauchten nach dem Ende der Kulturrevolution 1976 Übungen und Methoden, um ihren Herzen Luft zu machen, um ihre angestaute Wut, Aggression, Enttäuschung und Trauer in z. T. eruptiven, kathartischen Bewegungsausbrüchen (besonders durch das Zifagong oder Youfagong) herauszuschleudern. Das „Qi-Gong-Fieber“ wirkte wie ein Flächenbrand, der einigen Menschen durch übertriebenes oder unachtsames Üben, besonders mit der 6. Form im Kranich Qi Gong, durch ungenügende Anweisungen und mangelnde medizinische Kenntnisse der Lehrperson sogar das Leben kostete. Ob Lehrperson oder Übende: sie kannten das Maß der Mitte nicht, dass alles Extreme zu vermeiden ist (TCM). Im Hinblick auf die Kulturrevolution waren viele geschädigten, verletzten und auch gefolterten Seelen auch gar nicht in der Lage, das für sie angemessene Maß einzuhalten. Sie „explodierten“ einfach. Das führte bei einigen zu Kopfschmerzen, Nervosität, Sensibilisierungs-Störungen, Halluzinationen, verwirrten Zuständen, Ohnmachtsanfällen, epileptischen Anfällen, Herzinfarkt bis hin zum Herzstillstand. Plötzlich gab es unzählige Unterrichtende, die ihre Krankheit geheilt oder ihren Seelenzustand beruhigt hatten, die in den Parks Schilder mit der Aufschrift ihrer Heilkünste oder Krankheiten und der Qi-Gong-Form, die sie unterrichteten, aufstellten und sich so überall Gruppen von Qi-Gong-Übenden bildeten. Das Qi-Gong-Fieber griff rasant um sich und uferte in den Augen der Regierung aus. In den Neunzigerjahren begannen die Versuche der Regierung, die Massenbewegung wieder unter Kontrolle zu bringen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Es waren in der Zwischenzeit aufgrund des ideologisch-religiösen Vakuums in der Gesellschaft religiöse Qi-Gong-Schulen entstanden, mit denen die Regierung nicht konform ging. 1997 wurden staatliche Kriterien zur Ausübung von Qi Gong und deren Verbreitung erstellt: Wer heilkundlich tätig sein will (und Qi Gong wurde seit Dr. Liu Guizhens Definition „Medizinisches Qi Gong“ als heilkundliche Therapie in der Medizin eingestuft), muss eine medizinische Ausbildung nachweisen (Gisela Hildenbrand „Zur geschichtlichen Entwicklung des Qi Gong“ in Materialien 41: Qi Gong und China von G. Hildenbrand, J. Kahl, S. Stein, Institut für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbandes e. V.). Es könnte sein, dass diese Kriterien im Laufe der nächsten Jahre auch in Deutschland relevanter werden. Im heutigen China unterrichten an den Krankenhäusern nur Ärzte Qi Gong, die westliche und chinesische Medizin mindestens zehn Jahre studiert haben. Seit 1997 gibt es eine Prüfungskommission, die festlegt, welches Qi Gong weiter praktiziert und welche Qi-Gong-Schule weiter existieren darf. Einige Schulen sind verboten worden. Dazu gehört auch das Kranich Qi Gong in seiner alten Form, in der die 6. Form noch praktiziert wurde. Das Kranich Qi Gong wurde schon in den Neunzigerjahren in „Xing Shen Zhuang Qi Gong“ umbenannt, was „Körper-Geist-Qi-Gong“ bedeutet. Ende des 20. Jahrhunderts wurde es dann in „Zhi Neng Gong“ umgewandelt, was „Intelligenz-Qi-Gong“ bedeutet. Das ist ja auch nicht schlecht … Alle Lehrer und Schulen sind auf ihre „Tauglichkeit“ hinsichtlich des medizinischen Wissens, der medizinischen Anwendbarkeit der Übungen und ihre Integrität geprüft worden. Das Gesundheitsministerium legt viel Wert auf die wissenschaftliche Erforschung des Qi in Verbindung mit krankheitsbezogenen Übungen. Im Gegensatz zum westlichen Verständnis waren TCM und Qi Gong nie etwas Alternativ-Komplementäres, sondern immer eine Wissenschaft. Die „Wissenschaft vom Leben“ hatte bei den Daoisten und Buddhisten nur einen anderen Namen. Letztlich geht es den Chinesen um eine offizielle Anerkennung und Akzeptanz der Wissenschafts-Liga im Westen, um aus der Aura des Mysteriösen, Okkulten und Magischen herauszukommen. Alle Forschungsinstitute und offiziell anerkannten Qi-Gong-Schulen halten jedoch einzelne Lehrer, Meister, Großmeister nicht davon ab, weiterhin im Stillen zu wirken und so zu üben, wie es ihrer Seele, ihrem Geist und ihrem Körper gut tut. (Auszug eines Buchbeitrags von Petra Hinterthür „Angewandte Physiologie – Komplementäre Therapien“, Thieme Verlag, 2005, S. 340 – 342)

„Hey, Kranich, was stehst du da noch auf deinem Bein rum. Komm, lass mich auf deinen Flügeln sitzen und mit dir die weite Welt entdecken“.

Petra Hinterthür, 2005

Qi Gong – Der fliegende Kranich

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