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4 Andreas

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Jonas kennt keinen Wein, nur den bitteren Tee, den sie in der Schneiderei und zuhause trinken. Nach der magischen Begegnung mit den großen braunen Augen der Arzttochter war der Winter ereignislos verlaufen. Jeden Tag mehr Schnee und ein noch beschwerlicherer Weg zur Arbeit. Aber etwas hat sich verändert, Jonas hat sich verändert. Plötzlich hat er einen Plan. Von seinem mageren Lohn liefert er nur das mindeste Zuhause für Kost und Logie ab, der Rest wird zur Seite gelegt.

Natürlich darf niemand von seinem Vorhaben wissen, also versteckt er das Geld in einem seiner Kreidebeutel, den er auf dem Strohboden unter einem Brett lagert. Er hat ausgerechnet, dass sechs Monate sparen ausreichen müssten, um die Kutsche bis Stockholm und eine Fähre nach Danzig zu bezahlen. Einfach, denn eine Rückkehr an den elterlichen Hof schließt er aus. Sein Reiseziel soll Schlesien sein, den Landweg von Danzig bis Schlesien werde er zu Fuß zurücklegen müssen. Alles andere hieße, noch einen weiteren Winter in Schweden vergeuden und das will er auf keinen Fall.

Ihm ist klar, dass dieser Plan noch eine andere Komplikation mit sich bringt.

Er spricht kein Deutsch und für Unterricht hatte er weder die Mittel noch die Zeit. Deutsch ist aber die vorherrschende Sprache in allen Teilen Schlesiens.

Er muss einen anderen Weg finden. Zwei Höfe weiter hat der Bauer und Rentierjäger Lasse vor fünf Jahren ein deutsches Mädchen zur Frau genommen. Das Paar hat zwei Söhne mit denen die Mutter nur Deutsch spricht, sehr zum Leidwesen des Bauern, denn ohne Schwedisch werden seine Erben in der Dorfgemeinschaft keinen Platz finden.

Jonas geht zum Bauer und bietet ihm an, mit den Kindern immer sonntags nach dem Kirchgang ein wenig Schwedisch zu lernen. Dass dies auch seine Chance ist, Deutsch zu lernen, auf die Idee kommt niemand. Und so soll es sein, Jonas lernt Deutsch, zumindest so viel, dass er sich in Schlesien zurechtfinden wird.

Schwer fällt ihm die Heimlichtuerei zuhause, vor allem vor der Mutter. Er weiß, sie würde ihn verstehen, ihr Geist ist grösser als der des Vaters. Aber er muss schweigen.

Die Monate verstreichen, der Sommer zieht ins Land und Jonas beginnt am Scheunenboden seinen Reisesack aus Jute vorzubereiten, ebenso gut versteckt unter den Scheunenbrettern.

An einem Montag beginnt er den Tag wie jeden anderen auch, mit seiner Familie, am kargen Frühstückstisch. Er isst fertig, stellte seine Tasse auf die

Anrichte neben der Holzspüle, wünscht den Schwestern einen schönen Tag und nimmt die Mutter in die Arme. Das tut er sonst nie und es verrät ihn. Er sieht die Tränen in ihren Augen, aber keiner sagt ein Wort. Sie drückt ihm einen halben Laib Brot in die Hand, streicht ihm mit der Hand über die Wange und geht zur Tür hinaus, dem Vater nach, denn da ist ihr Platz. Sie kennt keinen anderen.

Jonas nimmt den Jutesack, den er am Abend davor unter sein Bett gelegt hat, und verlässt fluchtartig den Hof.

Die Kutsche nach Stockholm hat schon vorgespannt, er bezahlt die Fahrt, steigt ein und spürt, wie sie die Räder zu drehen beginnen. Noch ein Blick zur Schneiderei, die er nie wieder sehen will. Er wird es besser machen, alles, das weiß er.

Die Fahrt dauert sieben Stunden und er will unbedingt die Fähre am frühen Abend nehmen, denn eine Übernachtung würde sein Reisebudget zu sehr strapazieren. Er rennt von Kutschenplatz zum Hafen, so schnell er kann, und geht im letzten Moment an Bord. Der Mann auf der Brücke erklärte ihm, dass das Schiff voll besetzt sei und er an Deck schlafen müsse, dafür sei die Fahrkarte billiger. Welch ein Glücksfall, denkt Jonas.

Die Nacht ist stürmig, klirrend kalt und zuletzt setzt auch noch Schneefall ein. Bei Ankunft in Danzig ist Jonas halb erfroren. Er muss sich aufwärmen. Also sucht er eine Gaststube, nicht um vornehm zu speisen und am Kamin zu sitzen, auch dafür ist das Geld zu knapp, sondern um sich am Küchenschacht in der warmen Abluft zu trocknen, nur so viel, dass er seinen Fußmarsch nach Schlesien antreten kann. Nach ein paar Stunden ist er soweit und macht sich auf die letzte Etappe seiner Reise, eine ernüchternde Etappe, wie er sie nicht erwartet hat.

Karges, trockenes Land, arme Dörfer, verhärmte Menschen, hungrige Kinder. Wenig Arbeit in den ländlichen Gegenden, die von patriarchalischen Großgrundbesitzern beherrscht werden. Sind sie da in Schweden nicht freier, geht es ihnen dort nicht besser?

Dann die ersten Städte, hier ist das Bild ein ganz anderes. Überall sprießen Fabriken, die Menschen eilen von und zur Arbeit, die Kinder in Schulen. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Und umso südlicher er kommt, umso stärker ist diese Stimmung zu spüren.

Nach zwei Wochen erreicht er Breslau, eine der deutschesten Städte Schlesiens, mit Ringstraßen wie im prachtvollen Wien, Universitäten, technischen Hochschulen, Theatern und Cafés wie er sie noch nie in seinem Leben gesehen hat. Die Menschen sind fröhlich, die Liebe zu ihrer Stadt steht ihnen ins Gesicht geschrieben, und ohne zu wissen, ob Breslau auch das Ziel der schwedischen Arztfamilie und der braunäugigen Tochter gewesen ist, beschließt er, sich hier niederzulassen.

Er findet ein kleines Zimmer in einem Gasthof am Stadtrand. das heißt eine Stunde Gehzeit bis ins Stadtzentrum, mehr kann er sich nicht leisten und das auch nur noch für ein paar Wochen. Er muss Arbeit finden und verbringt Tage damit, von Schneiderei zu Schneiderei zu ziehen. Er betritt sie aber nicht, lässt nur das Schaufenster, Schnittmuster und Probekleider auf den Puppen auf sich wirken. Abends notiert er dann jeweils die beiden Läden, deren Schaufenster am meisten Eindruck auf ihn gemacht haben.

Schnell sind auf seiner Liste zwanzig Schneidereien vorgemerkt, bei denen er zügig vorsprechen will. Die ersten zehn Gespräche sind ernüchternd.

Woher, aus Schweden? Schlechtes Deutsch? Keine Zeugnisse? Kein Meisterabschluss? Andere Stichtechniken, andere Mode - wenn man von Letzterem im hohen Norden überhaupt sprechen kann. Wie er sich denn das alles vorstelle.

Soviel Gegenwind deprimiert ihn. Aber abends im Bett erinnert er sich an die Worte seiner Mutter, die immer gesagt hat, wenn man es träumen kann, dann kann man es auch erreichen. Sagt gerade sie, aber daran will er jetzt nicht denken.

Jonas beschließt, weiter an seinem Traum zu arbeiten.

Am nächsten Tag beginnt er seine Vorstellungsrunde bei einem kleinen Betrieb gleich hinter dem Breslauer Rathaus. Klein aber fein, wie man an der Kundschaft sehen kann, die das Geschäft verlässt.

Ihm fällt sofort auf, wie ordentlich alles ist, mit welcher Hingabe die Stoffballen geschlichtet wurden, in ihrer Reihenfolge farblich aufeinander abgestimmt.

Als er eintritt, klingelt die Türglocke und aus einem hinteren Zimmer kommt ein schon älterer Herr den Gang entlang. Leicht gebückt, die Brille hochgesteckt im Haar, die Schneiderschürze voller Kreide, das Metermaß um den Hals und ein freundliches, warmes Lächeln auf den Lippen.

Was er denn für den jungen Herrn tun könne, fragt der Meister. So wie der Mann aussieht, kann er nur der Meister sein, denkt Jonas.

Und es sprudelt nur so aus Jonas heraus. Er erzählt was er kann, wie weit er gereist sei, wie sehr er arbeiten und wie sehr er seinen Traum verwirklichen wolle. Denn wenn man es träumen kann, dann könne man es auch erreichen.

Der Meister lässt seine Brille vom Haar auf die Nase fallen, mustert ihn von Kopf bis Fuß, greift nach seinen Händen, sieht sich die Handflächen und Finger an, dreht ihn einmal um die eigene Achse und sagt: »Gut junger Mann, dann morgen um sieben Uhr. Und seien sie pünktlich.«

Jonas verschlägt es die Sprache. Er will noch große Dankesworte auf den Weg bringen, aber der Meister lässt ihm dafür keine Zeit und geht zurück in sein Arbeitszimmer, noch schneller als er von dort gekommen war.

Am nächsten Morgen steht Jonas bereits eine halbe Stunde früher in Sichtweite der Schneiderei. Er ist so aufgeregt, dass er auf keinen Fall zu spät kommen will. Um Punkt sieben steht er dann auf den Stufen zur Schneiderei und da ist es wieder, dieses warme, freundlich Lächeln, und es sperrt ihm die Tür auf.

Meister und Geselle werden schnell vertraut, als hätten sie schon ewig miteinander gearbeitet. Der Meister zeigt Jonas, was in Breslau gerade Mode und gewünscht ist. Jonas zeigt dem Meister ein paar Kunststiche, die in Schweden Tradition sind. Und bald entsteht aus diesem Austausch ein unverkennbarer Stil, den es in ganz Breslau nur bei ihnen gibt.

Der Kundenkreis wird grösser, bunter und vornehmer. Selbst aus dem fernen Wien reisen Damen an, um sich etwas Besonderes nähen zu lassen.

Jonas liebt seine Arbeit, jeder Tag ist Glück, und der Meister ist ein wahrer Meister, das ganze Gegenteil vom Meister in Schweden.

Im November zieht ein strenger, viel zu früher Winter in die Stadt und der Arbeitsweg wird für Jonas immer beschwerlicher und länger.

Das entgeht dem Meister nicht. Er lebt alleine, war nie verheiratet und hat keine Kinder. Das Haus ist eigentlich viel zu groß für ihn, aber es gab kein kleineres als er seine Schneiderei gründete. Eines Morgens als Jonas schnee- und eisbedeckt den Laden betritt, fasst er sich ein Herz und bietet ihm an, das Zimmer im zweiten Stock zu beziehen.

Und wieder ist Jonas sprachlos.

Noch am selben Abend packt er seine Habseligkeiten in den Jutesack, es sind immer noch gleich wenige wie damals, als er von zuhause fortging.

Am nächsten Morgen ist er früher im Geschäft, geht durch den Laden schnurstracks in den zweiten Stock und legte seine Jutesack auf das Strohbett, über das der Schneider eine dunkelbraunes Tuch geworfen hatte, fortan sein Laken und das edelste Stück das er bis auf weiteres besitzen wird.

Danach macht er sich an die Arbeit, der Meister lächelte und er auch.

Zeit der Arbeit, Zeit der Dankbarkeit.

Es folgen Jahre beharrlicher, harter aber gern getaner Arbeit. Jonas perfektioniert sein Deutsch, lernt neue Stiche und Schnitte und sitzt oft nächtelang über Entwürfen von neuen, zeitgemäßen Modellen, die er dem Meister am nächsten Tag vorstellen will.

Alles geht ihm leicht von der Hand, denn im Gegensatz zu seiner Lehrzeit in Schweden werden sein Einsatz, seine Kreativität und seine Phantasie hier geschätzt.

So kommt es, das nach und nach immer mehr seiner Ideen ihren Weg in die Stoffe und auf die Schaufensterpuppe finden. Und das ist eine Ehre, denn sie haben nur eine solche Puppe, deren Anschaffungswert viele Monate Nähen bedeutet.

Die Schneiderei Beil, das ist der Nachname des Meisters, wird schnell stadtbekannt. Sie steht für Qualität, Extravaganz und besten Kundenservice.

Der Meister ist überglücklich, das Leben hat ihm eine Familie verwehrt, aber nun ist Jonas da und manchmal, wenn er ihn so aus den Augenwinkeln heraus beobachtet, dann sieht er in ihm fast einen Sohn. Der Gedanke macht ihn froh, nimmt ihm die Schwermut der letzten Jahre. Ja, und im Haus ist nun auch mehr Leben. Jonas kocht oft für den Meister, danach sitzen sie noch beisammen und reden über dies und jenes und über den nächsten Arbeitstag.

Nach wenigen Monaten sind sie ein eingespieltes Team, so als hätte es den einen nie ohne den anderen gegeben.

Das Jahre verfliegen und es sind die besten, die die Schneiderei je gesehen hat. Andreas und Jonas fehlt es an nichts, sie haben sich einen kleinen Wohlstand erarbeitet.

Sie schreiben das Jahr 1878. Der Winter zieht mit Eiseskälte und klirrenden Schrittes durch die Stadt. Ihre Auftragsbücher sind so voll, dass sie neue Kundschaft auf nach Weihnachten vertrösten müssen.

Und als Jonas mit ebenso einem Neukunden den Kalender nach einem möglichen Termin durchforstet, sieht er neben den Büchern einen Brief der Stadt offen liegen, in dem der Bürgermeister dem Meister

zu seinem bevorstehenden siebzigsten Geburtstag am achten des Monats gratuliert.

Jonas tut so, als hätte er das Schreiben nicht gesehen, notiert einen Termin für die neue Kundschaft, schließt das Pult, der auch als Kasse dient, wieder ab und kehrt zu seiner Arbeit zurück.

Bis zum Jubiläum des Meisters bleiben ihm noch vier Tage und neben der Arbeit springen seine Gedanken von einer Idee zur anderen, wie er dem Meister wohl eine Geburtstagsfreude bereiten kann.

Von einem gemeinsamen Essen im noblen Gasthof gleich neben dem Rathaus - das ein Viertel seines Monatslohnes verschlingen würde - zu einer Kutschenfahrt durchs winterliche Breslau - bei der sie sich beide eine deftige Grippe holen könnten - bis zu einem Eintagesausflug in die Hofreitschule des kaiserlich schönen Wiens - von dem sie möglicherweise erst am nächsten Tag zurückkehren würden.

Alle Ideen scheinen ihm zu riskant, denn sie können sich keinen Geschäftsausfall leisten, schon gar nicht vor Weihnachten.

Letztendlich entscheidet er sich für ein Abendessen, das er kochen würde, ein ganz besonderes, und einen Umhang aus Walkstoff, den er nach einem Muster schneidern würde, das er in einer französischen Zeitschrift gesehen hat.

Der Speiseplan ist schnell zusammengestellt. Es wird ein schwedischer Abend, mit einer Art Fleischeintopf, dazu soll es geschmortes Gemüse geben, als Nachspeise wird er Zimtschnecken aufwarten, so wie sie die Mutter gemacht hat, der er oft beim Kochen geholfen hat. Zu oft für den Geschmack des Vaters, der immer sagte, er hätte besser ein Mädchen werden sollen, wenn er ihn in der Küche am Werken sah.

Morgen wird er ausziehen, um alle Zutaten zu kaufen. Der Meister darf davon nichts bemerken, also wird er vor der Arbeit auf den Frühmarkt laufen und die erstandenen Zutaten dann unter seinem Bett oder auf dem Dachboden in der Kälte lagern.

Den Walkstoff wird er in Bielitz oder Biala besorgen, das ist eine kleine Reise, die er daher für Samstag einplanen muss. Damit bleibt eine Nacht für die Näharbeiten, aber das trifft sich gut, denn der Meister wird übers Wochenende aufs Land zu einer Hochzeit fahren.

Der Frühmarkt ist eine chaotische Sache, noch ist nichts an seinem Platz, einige Händler kommen überhaupt erst an oder sind verspätet. Es bedarf also einer gewissen Geschicktheit in dem Durcheinander fündig zu werden.

Hefe, Mehl, Zucker - viel Zucker - Eier und Zimt für die Nachspeise sind kein Problem.

Aber beim Fleisch wird es schwierig. Die Metzger bieten großteils Schwein an, eine Fleischart, die zuhause nie verwendet wurde und die ihn anekelt. Er zieht die Marktreihen auf und ab. Die Mutter hatte

immer Rentierfleisch verwendet, das musste er nun irgendwie ersetzen, denn in Schlesien gibt es keine Rentiere. Außer Schwein wird nur Hase, Geflügel und Rind angeboten, und obwohl letzteres sehr teuer ist, entschließt er sich dafür, da es am ehesten wie das Fleisch in Mutters Eintopf aussieht.

Nun noch etwas Gemüse, dann hat er alles zusammen. Das Brot will er dann am Geburtstag morgens frisch besorgen und vielleicht auch noch ein kleine Flasche Wein. Den soll es ja nun auch hierzulande geben, hat er gehört.

Am Samstag reist der Meister früh ab. Jonas bedient noch drei Kunden und macht sich dann nach der Mittagssuppe auf den Weg nach Bielitz. Er ergattert einen billigen Kutschenplatz.

Sie fahren übers Land, weiter ein armes sobald man die Stadt verlässt. Die Industrialisierung und der Wohlstand konzentrieren sich noch immer auf die Städte, der kleine Mann auf dem Land fristet ein tristes Leben. Meist reicht es nicht für das Nötigste.

Mit jedem Meter, den sie Bielitz näher kommen, wandelt sich das Bild. Die Häuser werden bürgerlich bis nobel, es gibt schöne Alleen und das Zentrum ist prachtvoll. Manchen nennen die Stadt ,kleines Paris’. Die Textilfabriken liegen am anderen Ende der Stadt, an der Grenze zu Biala, ursprünglich ein Bauerndorf, das kontinuierlich gewachsen ist und nun fast nahtlos an Bielitz anschließt. Zwischen den beiden Städten liegt nur noch der Fluss.

Die Fabriken sind beeindruckend, so etwas hat Jonas noch nie gesehen. Hinter den Fabriken in den Straßen Bialas findet man viele Geschäfte und auch Schneidereien mit den schönsten Waren und unzählig vielen Stoffsorten.

Angekommen schlendert Jonas durch die Gassen und wählt dann am Ende einen Laden, dessen Auslage ihn farblich am meisten anspricht. Sie ist schlicht in Weiß, Schwarz und Erdtönen gehalten, sehr edel. Auf den Stoffen sind Silberknöpfe arrangiert und ein kleines, handgeschriebenes Schild mit dem Warenangebot und einigen Preisen gibt ihm das Gefühl, hier ist man in guten Händen.

Er tritt in das sehr geräumige Geschäft ein - es gibt sogar eine Stoffsitzbank mit Kaffeetisch - und eine Dame mittleren Alters begrüßt ihn und fragt, was sie für ihn tun könne. Ja, Walkstoffe habe man ganz neu im Angebot und noch im Lager, da sie erst heute eingetroffen seien. Sie werde einige Ballen holen und gleich wieder da sein. Alleine im Geschäft sieht Jonas die Eigentümerurkunde an der Wand hängen und liest den Namen Beil, Ewald und Johanna Beil, Schneidermeistereiurkunde aus dem Jahr 1838.

In dem Moment hört er wie Stoffballen auf den Ladentisch fallen, er geht zum Tisch und begutachtet die Ware. Wie edel und schön, denkt er, und wagt es kaum, nach dem Preis zu fragen.

Doch heute ist sein Glückstag, die Dame sagt, er bekomme den Stoff zum halben Preis, da er der erste Kunde sei, der nach Walkstoff frage.

Jonas berechnet schnell überschlagsmäßig, wieviel Meter er für den Umhang benötigen würde. Als Farbe wählt er ein helles Mahagonibraun, dazu kauft er drei altsilberne, schlichte Knöpfe und das passende Garn.

Er bezahlt, verabschiedet sich, tritt auf die Straße und als er nochmals zurückblickt, sieht er einen Mann aus einem hinteren Zimmer zur Frau in den Laden treten. Es ist ein älterer Herr, der ihn an seinen Meister erinnert.

Einbildung denkt er - Schneider sehen eben oft gleich aus - und geht zur Kutschenstation, wo er einige Stunden auf einen freien Platz in der letzten Kutsche warten muss.

Er kommt weit nach Mitternacht zuhause an und macht sich auch gleich ans Nähen.

Der Walkstoff ist anders, weicher, wärmer, in der Verarbeitung fast schon entgegenkommend. Er zeichnet, schneidet, zeichnet nochmals nach und wählt eine extravagante Position für die Knöpfe. Nach wenigen Stunden ist der Umhang fertig, in der Zeitung hat er gelesen, diese Art von modernem Umhang heiße Cape.

Zum Abschluss hängt er das Cape auf die Puppe, um zu sehen, wie der Stoff fällt.

Schön ist es geworden, wirklich gut gelungen.

Und wie er es so betrachtet, übermannt ihn die Müdigkeit und er schläft am Tisch im Laden ein.

Die Puppe in ihrem neuen Gewand bleibt im Schaufenster stehen und blickt in eine Winternacht, die der Schnee weiß eingefärbt hat.

Weißer Schnee

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