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6 Glück
ОглавлениеJonas ist bereits um vier Uhr morgens auf den Beinen. Heute hat der Meister Geburtstag.
Aber nicht nur der Anlass hat ihn mitten in der Nacht aufschrecken lassen. Er hat denkbar schlecht geschlafen, von zuhause geträumt, von der traurigen Mutter und den rehbraunen Augen des zarten Mädchens, das er bis heute nicht wiedergefunden hat. Er ist jetzt dreißig Jahre alt und noch immer unverheiratet, während andere Männer in seinem Alter bereits die ersten Mäntelchen für ihre Kinder schneidern lassen. Das gibt ihm zu denken. Und sein Körper gibt es ihm zu fühlen, nicht nur nachts, nicht nur wenn er unbeobachtet ist.
Aber Schluss mit dem Sinnieren, er muss sich beeilen, das Abendessen vorbereiten und dann die Tagesarbeit erledigen.
Der Fleischtopf ist schnell zubereitet und auf den Herd gestellt, in dem er für genügend Glut gesorgt hat, damit der Eintopf vor sich hin köcheln kann. Den Hefeteig für die Zimtschnecken hat er lange geschlagen und lässt ihn nun bis abends an einem warmen Ort in der Nähe des Ofens gehen. Die Zimtmasse ist ebenso schnell angerichtet, sie wird an einem kalten Ort ziehen und ihren Geschmack verstärken. Gleich nach Geschäftsschluss wird er die Schnecken dann zubereiten und in den Ofen schieben, damit sie nach dem Hauptgang noch lauwarm auf den Tisch kommen.
Das Geschenk für den Meister hat er bereits am Vortag von der Puppe genommen - wo es die ganze Nacht über gehangen hatte, während er schlief - es in Seidenpapier eingepackt und versteckt.
Kurz bevor das Geschäft öffnet, hat alle Vorbereitungen für den Abend abgeschlossen.
Sie arbeiten seit Tagen ohne Pause bis abends die offenen Aufträge ab und schließen auch an diesem Tag wieder eine Stunde zu spät. Beide sind zu Tode erschöpft.
Der Meister will sich schon zurückziehen, da sagt Jonas:
»Wartet Meister! Herzlichen Glückwunsch zum siebzigsten Geburtstag«.
Der Meister bleibt wie vom Blitz getroffen stehen. So kennt er das nicht, es fühlt sich an wie Familie. Nicht wie die Gratulationen der Kunden oder des Stadtrates. Er bedankt sich gerührt und hält den Blick gesenkt. Jonas soll nicht sehen, dass ihm die Geste nahegeht.
Dann aber sagt der: «Ich habe ein Geschenk für sie genäht, ja und dann darf ich heute Abend noch für sie kochen.«
Jonas überreicht ihm das Päckchen aus Seidenpapier. Der Meister wickelt den Inhalt behutsam aus und kann es kaum glauben, Walkstoff, der schönste und modernste den er bis jetzt gesehen hat, in der Farbe wie sie nur noble Herren tragen. Er hebt das Kleidungsstück an den Schultern aus der Verpackung, betrachtet die edlen Silberknöpfe und lässt den Stoff zu Boden fallen. Was war das für ein Schnitt, wie sind die Ärmel angesetzt? Er dreht das Kleidungsstück in alle Richtungen, öffnet die Knöpfe und wirft sich den Umhang über die Schultern.
Im Spiegel sieht er einen Hofrat, in mahagonibraunem Gewand, zugegeben mit etwas schäbigen Schuhen.
Er ist begeistert, ringt nach Worten, ja und diesmal nützt auch das den Blick gesenkt halten wenig, denn eine Träne rinnt über seine Wange auf den Walkstoff und direkt auf den Boden. Denn Walkstoff ist wie eine zweite Haut, er schützt vor Nässe und Kälte.
»Wo um alles in der Welt hast du diesen Stoff bekommen und wieviel hat er gekostet? Und was ist das für ein Schnitt? Den gibt es so nirgendwo in Schlesien!«, fragt er aufgeregt.
Er will noch weitere Fragen stellen, aber sein Bild im Spiegel zieht in wieder in den Bann.
Jonas sagt, er werde ihm alles beim Abendessen erzählen, und dass es ihn freue, dass ihm das Geschenk gefalle.
Freuen? Ob er denn scherze? Es sei das wundervollste Geschenk, das er je erhalten habe. Viel mehr als er verdiene.
Die Dankbarkeit eines alten Mannes, der zeitlebens ohne menschliche Zuwendung gelebt hat, denkt Jonas. Und da sind sie wieder die Gedanken an seine eigene Lebenssituation. Ist er nicht auf demselben Weg wie der Meister?
Sie gehen nach oben, der Geruch des Fleischtopfes mischt sich mit den süßen Duftschwaden der Zimtschnecken. Der Meister sieht Jonas fragend an. Ja, sagt Jonas, es gebe schwedischen Fleischtopf mit Schmorgemüse und danach Zimtschnecken. Er möge ihm doch bitte verzeihen, wenn nicht alles perfekt sei, aber er habe sich bemüht.
Der Meister nimmt Platz am hölzernen Tisch, der schon viele Kerben hat. Jonas hat aus alten Leinenresten Servietten gezaubert, das abgegriffene Metallbesteck aufpoliert als sei es Silber und beim Wirt neben dem Rathaus zwei Weingläser aus böhmischem Kristall geliehen, damit sie den Wein nicht aus den Kaffeebechern trinken müssen, denn andere Trinkgefäße besitzen sie nicht.
In der Mitte des Tisches leuchten zwei kleine Kerzen, draußen setzt wieder Schneefall ein, und ihr Abendessen beginnt.
Der Meister lässt sich jeden Bissen auf der Zunge zergehen. Alles frisch, so geschmackvoll und würzig, und dann auch noch das Krustenbrot.
Der Junge muss den ganzen Markt abgerannt sein, bis er all die Zutaten zusammen hatte.
Ja und der Wein, was soll man sagen? Am besten nichts, einen Schluck nehmen und spüren wie die Wärme in einem ab und dann wieder aufsteigt.
Beide essen, bis der Topf leer ist. Vom Brot bleibt ein halber Laib, den sie für morgen zurücklegen.
Jonas räumt die Teller ab, holt kleinere aus dem Schrank und serviert die noch lauwarmen Zimtschnecken.
Des Meisters Erinnerung wandert zu den Eltern, die längst nicht mehr sind, und zum Bruder, der noch ist, aber nicht für ihn.
Er verbietet sich weitere Gedanken. Nur an den lauwarmen Mohnstrudel der Mutter denkt er noch kurz und die herrlich knusprigen Randstücke, die stets für ihn reserviert gewesen waren.
Die Nachspeise ist noch viel köstlicher als der Eintopf findet der Meister, und er hofft, dass noch genug für den morgigen Arbeitstag übrigbleibt.
Das tut es, Jonas hat die doppelte Menge Teig verarbeitet.
Nach dem Essen sitzen sie noch eine Weile zusammen und bereden das und jenes, Dinge, die sich heute zugetragen haben und was wohl morgen zu erwarten sei.
Und dann sagt der Meister:
«Es gibt zwei wichtige Themen, die ich mit dir heute besprechen will, Jonas. Das eine, etwas Banalere, ist das Du-Wort. Ich möchte nicht mehr Meister genannt werden, ich heiße Andreas und wünsche, dass du mich ab sofort auch so ansprichst.
Das andere Thema ist ernster, nicht so sehr für mich, in dem Fall ist es eine Erleichterung - vorausgesetzt du sagst ja - aber für dich wird es eine tiefgreifende Veränderung sein.«
Jonas wird bange, er rechnet mit dem Schlimmsten, will der Meister, will Andreas ihn etwa entlassen? Schon oft hat er sich gefragt, ob seine Arbeit für den Betrieb denn gut genug sei. Es gibt viele exzellente Schneidergesellen in Schlesien.
Andreas sieht seinen zweifelnden Blick und fährt zügig fort:
«Ich habe keine Kinder und wie du weißt auch sonst keine Familie, die mir nahesteht oder an meinem Leben teilnimmt. Ich bin alt, ja noch zu gebrauchen und gesund, aber alt, und man weiß nie, was kommt. Ich will Vorkehrungen treffen, jetzt solange ich noch bei Verstand bin. Daher frage ich dich, ob du gegen eine Leibrente, lebenslange Kost und Logis den Betrieb übernehmen willst. Ich werde mitarbeiten, bis es nicht mehr geht. Ich werde hier bei dir sterben. Du übernimmst die gesamte Verantwortung für die Geschäfte, das Haus, alle Kosten, auch die meiner Beerdigung, wenn es soweit ist.
Das sind meine Bedingungen. Du brauchst nicht gleich zu antworten, überlege es dir in Ruhe, denn es ist eine Entscheidung fürs Leben, für meines aber viel mehr noch für deines.«
Jonas sieht den Meister mit großen Augen an und stammelt ein verklemmtes Dankeschön, er werde darüber nachdenken.
Aber um Himmels Willen, was gibt es denn da nachzudenken. Jonas kann sich nur über sich selbst und seine unangebrachte Reaktion wundern.
Er dreht sich um und sagt: »Vielen Dank und ja natürlich nehme ich dein mehr als großzügiges Angebot gerne an. Ich akzeptiere alle Bedingungen und werde mein Bestes geben, dein Lebenswerk so fortzusetzen, dass es dich mit Stolz erfüllt. Ich werde für dich sorgen, bis ein anderer dich meiner Fürsorge entzieht. Ich weiß nicht wie ich dir noch danken kann. Ich bin beschämt.«
Vom nächsten Tag an übernimmt Jonas die Geschäfte. Die Woche darauf suchen sie einen Notar auf, Andreas will das alles seine Richtigkeit hat und Jonas aktenkundig der neue Meister und Eigentümer ist.
Jonas hält Wort, er führt die Geschäfte mit größter Sorgfalt und stellt sicher, dass es Andreas an nichts fehlt.
Es ist ein gutes Gefühl, die Dinge geregelt zu haben, denkt Andreas und die nächsten Monate werden ihn darin bestärken.
Eine Woche vor Weihnachten betritt ein vornehm gekleideter Herr den Laden. Der Knopf seines Gehstocks ist aus glänzendem Silber, seine Handschuhe aus hochwertigem Leder, der Hut vom kaiserlichen Hutmacher aus Wien, das sieht man sofort.
Er habe unlängst nachts ein neues Mantelmodell im Schaufenster gesehen, das er so nirgendwo finden könne. Nicht einmal bei der kaiserlichen Hofschneiderei in Wien habe man ihm weiterhelfen können.
Jonas fragt vorsichtig, welche Farbe das Modell denn gehabt habe, und erhält wie erwartet die Antwort, mahagonibraun sei das Kleidungsstück gewesen, irgendwie ohne richtige Ärmel, aber mit Bündchen, und aus weich fließendem Stoff.
Er spricht offensichtlich vom Andreas Geburtstagsgeschenk.
Jonas sagt, das sei ein Einzelstück gewesen.
Wie ein Einzelstück? Ob er denn nicht wisse, wen er vor sich habe? Und ob er denn der Feind seines eigenen Geschäftes sei?
Die Entrüstung des Herrn erstaunt Jonas und er will lieber vorsichtig einlenken. Er bittet um einen kleinen Augenblick Geduld und eilt zum Schneider in den ersten Stock, der um diese Zeit sein Mittagsschläfchen hält.
Andreas willigt sofort ein, selbstverständlich dürfe er sein Cape als Anschauungsmodell verwenden, noch dazu, wenn ein potenzieller Kunde selbst danach frage.
Jonas nimmt das Cape, geht zurück in den Laden und breitet es auf dem Ansichtstisch aus. Der Anblick macht ihn immer wieder ein klein wenig stolz, es ist wirklich ein besonders schöner Umhang geworden.
Der feine Herr nimmt seinen Hut ab, streicht mit der Hand über den Stoff, reicht Jonas seinen Stock, legt seinen Gehrock ab und schwingt das Cape ohne zu fragen über seine Schulter.
Er dreht sich vor dem Spiegel in alle Richtungen, schließt die Knöpfe und bittet Jonas um ein Glas Wasser.
Was für eine seltsame Bitte zum diesem Zeitpunkt, denkt sich Jonas, und reicht ihm das Glas wie gewünscht.
Aber anstatt es an den Mund zu führen, kippt der feine Herr den Inhalt über das Cape. Jonas unterdrückt einen Schrei und ist entsetzt, das schöne Cape, wie ungehobelt.
Jonas steht wie angewurzelt da und wartet, was als nächstes kommt.
Der feine Herr streift das Cape ab, legt es zurück auf den Tisch, setzt seinen Hut auf, schlüpft wieder in seinen Gehrock, nimmt Jonas dankend den Stock ab und geht zum Kassenpult.
Jonas findet das seltsam, folgt ihm jedoch dorthin. Was er denn nun für ihn tun könne, fragt Jonas.
Der feine Herr sagt, er wolle, dass Jonas das Cape für ihn zum Weiterverkauf in größeren Mengen nähe. Er sei der Eigentümer des Bekleidungshauses Kutscherer - eines der renommiertesten Warenhäuser der Stadt - auf der anderen Seite des Rathauses.
Jonas blickt ihm in die Augen und sagt kurz und bündig: »Nein danke, wir sind an ihrem Auftrag nicht interessiert.«
Der feine Herr ist augenscheinlich geschockt, sein Gesicht färbt sich hochrot. Unerhört, das Angebot sei eine Ehre, einem Kutscherer die Zusammenarbeit zu verwehren, das habe noch niemand gewagt. Er werde dafür sorgen, dass dies ein Nachspiel habe. Er werde ihn ruinieren.
Dann dreht er auf dem Absatz um und verlässt tobend das Geschäft.
Andreas hat das Gespräch vom Gang aus mitgehört, eilt zu Jonas, blickt ihn erstaunt an und fragt verwundert, was er sich denn dabei gedacht habe, so einen Auftrag auszuschlagen.
Er selbst habe all die Jahre sehnlichst gehofft, dass der Herr Kutscherer eine Zusammenarbeit anregen würde und nun das.
Jonas lässt den Meister seinen Satz beenden und antwortet zu seinem eigenen Erstaunen in aller Ruhe und selbstbewusst:
»Ich kenne den feinen Herrn nicht und mit allem Respekt, ebenso wenig dein jahrelanges Hoffen, ihn als Kunden zu gewinnen. Aber ich kenne die feinen Leute, ihr vermeintliches und ihr unangebrachtes Benehmen, ihre Arroganz und Ignoranz.
So wie wir das gerade gesehen haben, Andreas. Und ich weiß um die Qualität unserer Arbeit, die wir unter ihrem Wert verkaufen würden, wenn wir uns auf so ein Geschäft einlassen. Es gibt nichts, was der feine Herr Kutscherer kann, was wir nicht auch selbst können. Ja, vielleicht muss ein Lehrling eingestellt werden und eine Hilfe im Geschäft, aber die Kosten stehen in keinem Verhältnis zu dem Gewinn, der uns entgeht, wenn wir ermöglichen, dass ein Dritter den Verkauf unserer Qualitätsarbeit und die eigentlichen Gewinne in seine Bücher schreibt.
Mit deiner Erlaubnis möchte ich den Gehrock nochmals für einige Tage im Schaufenster präsentieren. Dann sehen wir, ob es Nachfrage gibt, wie groß sie ist und welche Kundengruppe anfragt.
Alles weitere ergibt sich. Und ehrlich, im schlimmsten Fall verkaufen wir nur eine geringe Stückzahl, die aber zu einem hohen Preis.
Wer stets handelt wie ein Knecht und Zuarbeiter, wird zeitlebens einer bleiben.
Eine alte Bauernweisheit aus meiner schwedischen Heimat.«
Andreas lauscht aufmerksam und findet keinen Aspekt, der seiner Logik widersprechen würde. Allein er hat nie den Mut zu so viel Selbstbewusstsein gehabt. So soll es denn so sein, denkt er, Jonas führt die Geschäfte, der Erfolg wird seiner sein, aber auch der Misserfolg. Seine Rolle ist es, ihn zu unterstützen, egal in welche Richtung der Wind dreht.
Er nickt und sagt: »Gut Junge, da wirst du wohl recht haben.
Nimm das Cape und platziere es im Schaufenster. Wir haben keine Zeit zu verlieren, es ist eine Woche vor Weihnachten und viele haben möglicherweise ihre Wintermäntel schon gekauft.«
Bereits am nächsten Tag verbuchen sie zehn Aufträge, am übernächsten das doppelte und am Ende der Woche stehen hundert Kunden auf der Warteliste für Lieferung im neuen Jahr.
Jonas und Andreas sind außer sich vor Freude, erkennen aber auch, dass sie diesen Arbeitsaufwand nicht alleine bewerkstelligen können. Sofort wird an der Eingangstür straßenseitig die Personalsuche ausgeschrieben. Ein Schneidergeselle und eine Bedienerin, die auch teilweise Haushaltsaufgaben übernehmen wird, sollen schnellstmöglich eingestellt werden.
Beide Stellen sind sofort besetzt. Der Schneidergeselle ist ein ehemaliger Mitarbeiter der Nähstube des feinen Herrn Kutscherer, die Bedienerin ein junges Mädchen aus dem Arbeiterviertel, mit guten Zeugnissen und einem ansprechenden Äußeren, findet Jonas. Groß, schlank, lange blonde Haare, braune Augen und eine Hinteransicht, die nicht nur den Kunden gefallen wird.
Aber das darf er nur denken, er ist der Meister, am Arbeitsplatz haben solche Gedanken und Gelüste nichts verloren.
Die Nachfrage nach dem Cape steigt weiter und die Kundengruppe ist so gemischt, dass Jonas sich Gedanken machen muss, wie er auch jenen den Kauf ermöglicht, die den aktuellen Preis nicht berappen können.
Der preußische und habsburgische Adel, das Bürgertum, die Beamten, ja selbst besser bezahlten Arbeiter, alle wollen das Cape. Und Mütter fragen nach einem Kindermodell, denn ein Cape sei so praktisch, kein langwieriges Anziehen, einfach mehrere Pulloverschichten und schnell den Umhang überwerfen. Einfacher ginge es nicht.
Jonas schreibt einen Brief an die Schneiderwerkstatt Beil in Biala. Er wolle fragen, ob es den Walkstoff in unterschiedlichen Qualitäten gebe und ob man ihm bei großer Mengenabnahme einen Rabatt gewähren könne. Die Antwort ist sehr zufriedenstellend. Man könne vier Walkgrade anbieten, die optisch kaum voneinander unterscheidbar seien, lediglich im Gewicht. Anbei sende man ihm eine Rabattstaffel, aus der er die reduzierten Preise ablesen könne. Für Großbestellungen solle er bitte eine Lieferzeit von einer Woche einkalkulieren. Der Einfachheit halber schlage man eine Sammelabrechnung zum Monatsende vor.
Noch am selben Abend kalkuliert Jonas den Bedarf für die aktuellen Aufträge und schreibt eine neue Produkttafel, in die er vier Varianten des Capes zu unterschiedlichen Preisen aufnimmt. Drei Erwachsenenvarianten mit dünner, mittlerer und dicker Walkqualität, ein Kindermodell mit mittlerer Stoffdicke.
Er stellt die Tafel sofort ins Schaufenster.
Der Ansturm von Kunden in den letzten zwei Tage vor Weihnachten ist enorm und als sie am Heilig Abend den Laden schließen, sind sie so erschöpft, dass sie beide nach dem Abendessen am Tisch einnicken.
Sie feiern eine Weihnacht mit Gaumenfreuden des Landes. Andreas kocht Schlesisches Himmelreich, das ist geräucherter Schweinebauch, gekocht mit Backobst, Zimt und Zitronenschale, serviert mit Kartoffelknödeln und einer Lebkuchensauce.
Für Jonas sind das alles neue Geschmäcker, vor allem das Schweinefleisch, das die Mutter nie kochte, nicht nur aus religiösen Gründen.
Zum Nachtisch gibt es Apfelstreuselkuchen mit Schlagobers, das Wort für Sahne, wie es die Wiener gebrauchen, hat sich nun auch hier eingebürgert.
Dankbar genießen sie die gemeinsamen Mahlzeiten. Heute können sie sich das alles leisten, sie müssen die Pfennige auf dem Markt nicht mehr in der Hand umdrehen, nicht mehr andauern nachrechnen, ob man sich die ein oder andere Zutat wie zum Beispiel die teuren orientalischen Gewürze noch leisten kann. Für sie ist das Luxus.
Sie haben sogar genug verdient, um sich gegenseitig etwas zu schenken, aus der Betriebskasse, denn Andreas bezieht ja kein Gehalt mehr und Jonas findet, die Schneiderei soll die Kosten tragen. Sie kann es sich leisten.
Andreas bekommt eine neue Brille, der Rahmen silbern, in einem ledernen Etui, aus einer Wiener Manufaktur.
Jonas wird ab morgen in neuen Schuhen gehen, ledern, mit dicken weißen Steppnähten, schwarz wie Mohn, denn das ist seine Lieblingsfarbe.
Sie sind nun wohl ein klein wenig wohlhabend und es geht ihnen so viel besser als dem Großteil der Bevölkerung, vor allem besser als den Menschen auf dem Land.
Es ist ein Weihnachten, das sie so schnell nicht vergessen werden.