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A.2.3 Biel A.2.3.1 Sprachgeschichtlicher Überblick

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Im Gegensatz zu den Gebieten der heutigen Städte Freiburg und Murten (vgl. A.2.1.1 und A.2.2.1) sind für die Region der heutigen Stadt Biel keine Belege für eine Besiedelung in der vorrömischen Zeit vorhanden (vgl. HLSi). Die erste bekannte Besiedelung ist diejenige durch die Alemannen im 6. oder 7. Jahrhundert. Wie im Gebiet des heutigen Kantons Freiburg (vgl. A.2.1.1) fand zwar auch in dieser Gegend früh ein erster Kontakt zwischen romanischer und germanischer Kultur statt, jedoch nur vorübergehend: «[A]b dem 8. Jh. dominierte das germanische Kulturelement» (HLSi: 1.2.).

Die Stadt Biel kann nicht seit ihrer Gründung als zweisprachig bezeichnet werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Stadt zwischen 1225 und 1230 durch den Bischof von Basel, Heinrich II von Thun, gegründet wurde (vgl. HLSi) und somit zu einer Zeit, in der die betreffende Gegend längst deutschsprachig war. Seit ihrer Gründung befindet sich die Stadt in einer angespannten Situation zwischen verschiedenen Machthabern und Bündnispartnern. Sie ist gleichzeitig Verwaltungszentrum eines Teils des Basler Fürstbistums, emanzipiert sich aber rasch von der Herrschaft durch den Bischof und schliesst im 13. Jahrhundert eigene Verträge ab, dies unter anderem mit der Stadt Bern, was 1367 zum Krieg zwischen Bern und der bischöflichen Herrschaft in Basel führt. In der Folge fällt Biels Nachbarort Nidau an Bern. Biel wird somit zur Grenzstadt der bischöflichen Gebiete, wodurch der Aufbau eines eigenen Herrschaftsgebietes verhindert wird (vgl. HLSi).

Im 15. Jahrhundert erhält die Stadt den Status eines zugewandten Ortes der Schweizerischen Eidgenossenschaft1, wird somit nicht als vollberechtigter Ort anerkannt und bleibt sogenannte ‹Landstadt› unter fürstbischöflicher Herrschaft.

Die Französische Revolution stellt schliesslich einen entscheidenden Moment der Stadtgeschichte dar, der sich auch auf die Sprachsituation der Stadt auswirken sollte. Nachdem Frankreich 1793 zunächst Teile des Fürstbistums Basel annektiert hatte, wurde 1798 schliesslich auch die Stadt Biel als ‹Canton de Bienne› innerhalb des ‹Département du Mont-Terrible› für kurze Zeit Teil Frankreichs (vgl. HLSi). Innerhalb des Departements, das grösstenteils aus Gebieten des heutigen Kantons Jura bestand, wird Deutsch zur Minderheitensprache. Das Französische gewinnt in Biel zunächst an Präsenz durch die Anwesenheit französischer Funktionäre und Soldaten, die sich von dort aus auf den Angriff auf Bern vorbereiten. Dieser endet mit der Niederlage Berns und führt schliesslich zur Gründung der Helvetischen Republik (vgl. HLSe). Die französische Sprache wird aber auch zur offiziellen Sprache der Administration, anscheinend ohne grossen Widerstand der Bieler Bevölkerung: «Dès le 20 mars 1798, la correspondance administrative fut tenue en français, comme si ce changement avait été la chose la plus naturelle du monde» (Kaegi 2013: 472).

Biel blieb auch nach dem Ende der Helvetischen Republik unter französischer Herrschaft (nun innerhalb des neuen ‹Département du Haut-Rhin›) bis zur Niederlage Napoleons 1814 und wird im Zuge der Entscheidungen des Wiener Kongresses schliesslich Teil des Kantons Bern, obwohl sich grosse Teile der Bevölkerung einen eigenständigen Kanton Biel innerhalb der Schweizerischen Eidgenossenschaft wünschen. Das Verhältnis zum Kanton Bern ist zunächst weiterhin angespannt:

Die Skepsis gegenüber Bern blieb bestehen. Ein Teil der Bieler Bürger schloss sich aus den verschiedensten Motiven der liberalen Opposition gegen das Berner Regime an […]. 1832 wurde Biel Hauptort des gleichnamigen, neu geschaffenen Amtsbezirks. Erst mit der einsetzenden Demokratisierung während der Regenerationszeit begannen die Bieler, sich mit dem Staat Bern zu identifizieren. (HLSi: 3.1.1.)

Bis heute ist die Stadt Teil des Kantons Bern geblieben und seit 2010 Hauptort des Verwaltungskreises Biel/Bienne (vgl. A.2.3.2). Die hier kurz beschriebenen Ereignisse bis zur Aufnahme der Stadt in den Kanton Bern hatten – mit Ausnahme der französischen Periode – kaum Auswirkungen auf die Sprachsituation der bis dahin deutschsprachigen Stadt, in der das Französische lediglich durch den Kontakt mit französischsprachigen Gebieten (vgl. Werlen 2010: 10) und seit dem 18. Jahrhundert als «zweite Umgangs- und Bildungssprache» der Oberschicht (HLSi: 2.7.) gebräuchlich war. Dies ändert sich mit der raschen Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in deren Folge sich die überbaute Fläche rund verzehnfacht. Die Stadt erlebt namentlich dank dem Uhrmacherhandwerk, das als Ersatz für die gescheiterte Baumwollindustrie eingeführt wird, einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Für diesen neu in Biel angesiedelten Zweig werden zahlreiche Arbeitskräfte aus den französischsprachigen Gebieten des nahegelegenen Jura in die Stadt geholt (vgl. Kaestli 2013a: 666). Erst diese Einwanderungen legen den eigentlichen Grundstein für die heutige Zweisprachigkeit der Stadt Biel, die also im Vergleich zu Murten und Freiburg (vgl. A.2.1.1 und A.2.2.1) sehr spät entstanden ist. Die Zweisprachigkeit scheint jedoch sehr schnell in die städtische Realität integriert worden zu sein. Bereits 1845 wird auf eine Forderung der französischsprachigen Gemeinschaft des Uhrmacherhandwerks die erste französische Schule eröffnet, die zunächst als private Einrichtung funktioniert und später von der Gemeinde übernommen wird. Auch ein erstes Projekt für eine zweisprachige Schule existiert bereits zu dieser Zeit: Das Schulreglement von 1857 sieht keine französischsprachigen Schulen, sondern zweisprachigen Unterricht für alle vor. Das Projekt scheitert schliesslich am Mangel an zweisprachig qualifizierten Lehrkräften (vgl. Kästli 2013a: 670). 1893 nimmt die französischsprachige Bevölkerung Biels mit der Umgestaltung der politischen Institutionen der Gemeinde erstmals offizielle Vertretungen in der Stadtpolitik ein (vgl. Kästli 2013b: 756).

Im 19. Jahrhundert findet aber auch eine Einwanderung aus deutschsprachigen Gebieten statt, die ihrerseits Einfluss auf den Sprachgebrauch der deutschsprachigen Stadtbevölkerung hat:

[Es] wirkte sich aber auch die deutschsprachige Einwanderung aus dem benachbarten Seeland aus. Die Einwanderer brachten berndeutsche Dialekte mit und trugen so zur Veränderung des Bieler Dialekts bei. (Werlen 2010: 11)

Das schnelle Wachstum der Stadt führte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schliesslich auch zu einer Verschiebung des Stadtzentrums weg von der Altstadt, «indem der Schüssübergang zwischen Altstadt und dem 1923 eingeweihten neuen […] Bahnhof […] als Zentralplatz gestaltet wurde» (HLSi: 3.2).

Während die Spannungen zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweizer Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs in Freiburg deutlich zu spüren sind (vgl. A.2.1.1), sind die Auswirkungen im nunmehr zweisprachigen Biel geringer. Zwar finden sich auch in Biel Anzeichen für unterschiedliche Sympathien der beiden Sprachgemeinschaften, beispielsweise in der Presse, Konflikte bleiben jedoch aus (vgl. Gaffino 2013a: 779-782).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die französischsprachige Minderheit stärker in das politische und kulturelle Leben der Stadt eingebunden, wodurch auch die Präsenz der französischen Sprache im öffentlichen Raum zunimmt. 1947 wird erstmals ein französischsprachiger Stadtpräsident gewählt, in dessen Amtszeit 1955 das erste französischsprachige Gymnasium eröffnet wird. Mit dem ‹Capitole› und seinem Gastspieltheaterbetrieb wird Französisch auch zu einer Sprache des Bieler Kulturlebens. Stimmen, die dieser Entwicklung kritisch gegenüberstehen und eine Schwächung der Übermacht der Mehrheitssprache Deutsch ablehnen, existieren zwar, werden aber wenig beachtet, wie das Beispiel der Zeitung Der Bieler zeigt, die mit ihrer antifranzösischen Haltung in Biel keinen Verlag findet und in Zürich erscheinen muss (Gaffino 2013b: 897-903).

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