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A.2.5 Luxemburg (Grossherzogtum und Stadt) A.2.5.1 Sprachgeschichtlicher Überblick

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Dieser knappe historische Abriss soll die Entstehung der heutigen Mehrsprachigkeitssituation im Grossherzogtum Luxemburg und in seiner Hauptstadt vorstellen, auf die wir in A.2.5.2 ausführlicher eingehen werden.

Schon bevor Luxemburg 963 erstmals schriftlich als Name eines Gebietes genannt wird, finden auf dem betreffenden Territorium Ereignisse statt, die für die sprachliche Situation von Bedeutung sein werden. Bevor das Gebiet 53 v.Chr. von den Römern erobert und bis ins 5. Jahrhundert Teil des römischen Reichs wird, ist es durch die keltisch-germanischen Treverer besiedelt. Gemäss Hoffmann 1979 ist bereits früh eine Triglossiesituation gegeben, wenn auch nicht mit denjenigen Sprachen und Besonderheiten, welche später vorherrschen werden:

Hier ist schon ein halbes Jahrtausend, bevor Luxemburg im Jahre 963 territorialgeschichtlich in das Blickfeld der Geschichte tritt, die für diesen Raum typische triglossische Sprachsituation gegeben, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht mehr verändern wird. Obschon das Keltische in demselben Masse schwindet, wie das Germanische zunimmt, leben drei Sprachen in einem Raum nebeneinander. Das Lateinische ist Verwaltungssprache. Als vulgärlateinische Volkssprache ist sie das Umgangsidiom der römischen Verwaltungsbeamten und latinisierten einheimischen Oberschicht. Die älteste Sprachschicht bildet das vom Volk zäh bewahrte Keltische, die jüngste das Germanische […]. (Hoffmann 1979: 23)

In der Zeit der Herrschaft der Grafen von Luxemburg nach 963 (Vgl. Pauly 2011: 26-34) wird das Französische 1239 zur Sprache der Urkunden, obwohl die Bevölkerung nicht in erster Linie französischsprachig ist:

Dass das Französische die Luxemburger Amtssprache wurde, als in den europäischen Kanzleien die Nationalsprachen an die Stelle des Latein traten, erklärt sich weniger aus der Sprachensituation der Grafschaft, als daraus, dass zu dieser Zeit das französischsprachige und westlich orientierte Haus Namür herrschte. (Hoffmann 1979: 26)

Ein weiteres sprachgeschichtlich bedeutendes Datum in der Luxemburger Geschichte ist 1340, als das Gebiet administrativ in ein französischsprachiges ‹Quartier wallon› und ein deutschsprachiges ‹Quartier allemand› aufgeteilt wird. Wir können also zu dieser Zeit noch von einer territorialen Zweisprachigkeit Luxemburgs (zumindest auf administrativer Ebene) sprechen. Diese wird mit einigen Unterbrüchen weitgehend auch dann noch Bestand haben, als das Territorium Luxemburgs während Jahrhunderten unter mehr oder weniger rasch wechselnder fremder Herrschaft steht: 1443 bis 1506 burgundisch, 1506 bis 1684 spanisch, 1684 bis 1697 französisch, danach bis 1714 erneut spanisch, 1714 bis 1795 österreichisch (vgl. Hoffmann 1979: 4). Die als Herzoge von Luxemburg regierenden jeweiligen Herrscher sprechen dem Gebiet grösstenteils eine weitgehend unabhängige Verwaltung zu. 1795 bis 1814 gehört Luxemburg schliesslich als Teil des ‹Département des Forêts› zum nachrevolutionären Frankreich. Dies bringt eine deutliche politische Stärkung der französischen Sprache mit sich, wie beispielsweise Ziegler 2011 anhand von amtlichen Bekanntmachungen aufzeigt (vgl. auch A.2.3.1 für die entsprechende Epoche in Biel). Für einen Überblick über die Geschichte Luxemburgs vor dem Wiener Kongress verweisen wir auf Pauly 2011 (52-66).

Entscheidend sind schliesslich einmal mehr die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815, durch die Luxemburg als Grossherzogtum und offiziell unabhängiger Staat unter niederländische Verwaltung gelangt, wobei der regierende König Wilhelm I von Oranien das Gebiet aber dennoch als niederländische Provinz verwaltet, bevor es schliesslich erst 1839 in den heutigen Staatsgrenzen definitiv unabhängig wird.

Gemäss Hoffmann (1979: 31) betrachtet Wilhelm I das Gebiet als Teil der Niederlande (obwohl Teil des deutschen Bundes) und bekämpft daher dessen Beziehungen zu Deutschland und damit die deutsche Sprache.

Dies hat gemäss Ziegler konkrete Auswirkungen auf die Sprachpolitik:

Dieser komplizierte Status wirkt sich sprachenpolitisch in zweierlei Hinsicht aus: zum einen dahingehend, dass Niederländisch als Schulfach in den Grundschulen eingeführt wird; zum anderen dahingehend, dass Deutsch – zugunsten des Französischen – in zwei Domänen zurückgedrängt wird: als Schulfach an den Gymnasien und in seiner Verwendung als Amtssprache. (Ziegler 2011: 177)

Als 1830 die belgische Revolution ausbricht, soll die Sprachpolitik wiederum zu Gunsten des Deutschen geändert worden sein, um der Sympathie der Luxemburger Bevölkerung zu Belgien entgegenzutreten (vgl. Hoffmann 1979: 31). Ziegler findet in ihrer Untersuchung allerdings keine Belege für einen solchen Wechsel der Sprachpolitik in der betreffenden Zeit (2011: 185). Die tatsächliche Situation des Sprachgebrauchs der Regierung und vor allem der Bevölkerung zu dieser Zeit ist unklar:

Abgesehen von der Frage, welchen Stellenwert die Verwendung einer Sprache als Regierungssprache bezogen auf den kommunikativen Haushalt einer Sprachgemeinschaft hat, stellt sich die noch dringlichere Frage, wie sich die Sprachpraxis im 19. Jahrhundert tatsächlich gestaltet. Denn dies ist bisher weder für die Ebene der Regierungssprache noch für die Ebene der Amtssprache untersucht worden. (Ziegler 2011: 178)

Gemäss Fehlen (2013: 39) umfasst zu dieser Zeit der «moderne luxemburgische Staat zunächst zwei Sprachgemeinschaften», d.h. eine Deutsch- und eine Französischsprachige (Luxemburgisch gilt damals noch als Dialekt des Deutschen). Erst mit der Unabhängigkeit von 1839 und den damit einhergehenden Gebietsverlusten verliert das Grossherzogtum die französische Sprachgemeinschaft:

1839 kann als das wichtigste Datum der Luxemburger Geschichte angesehen werden, nicht nur weil der Staat seither in seinen augenblicklichen Grenzen besteht, sondern weil erst jene Grenzziehung eine sprachliche Einheit geschaffen hat, die die weitere soziolinguistische und sprachenpolitische Entwicklung entscheidend beeinflussen sollte. (Fehlen 2013: 41)

Auch nach 1839 sind die niederländischen Könige in Personalunion Grossherzoge von Luxemburg, geben dem Gebiet aber eine demokratische Verfassung und faktische Unabhängigkeit. Erst als Wilhelm II 1890 stirbt, erhält das Gebiet eine eigene Herrscherdynastie, die Dynastie Oranien-Nassau, die bis heute die Luxemburger Grossherzoge stellt. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum Unabhängigkeitsbewusstsein der Luxemburger Bevölkerung. Denn es gab, wie Hoffmann festhält, in Luxemburg «bereits einen Staat, als es noch kein Nationalgefühl gab» (Hoffmann 1979: 7).

So entwickeln sich denn auch das luxemburgische Nationalgefühl und der luxemburgische Patriotismus aus der Gegenstellung heraus. Indem die Luxemburger begreifen lernen, was sie nicht sein wollen, gelangen sie zu einem nationalen Selbstverständnis und beginnen zu verstehen, was sie sind und was sie sein wollen. Die Abgrenzung geschieht in erster Linie nach Deutschland hin […]. Dies verhindert aber nicht, dass es auch antibelgische und antifranzösische Tendenzen gibt, die allerdings weniger stark ausgeprägt sind. (Hoffmann 1979: 8)

Gemäss Ziegler stellt die sprachliche Situation im Luxemburg des 19. Jahrhunderts eine mediale Diglossie dar:

Für die Stadt Luxemburg bedeutet das, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Medium der Mündlichkeit einen westmoselfränkischen Dialekt verwendet, Bürgertum und Adel dagegen (intendiertes) Hochdeutsch und Französisch favorisieren. Im Medium der Schriftlichkeit wird domänenspezifisch zwischen Deutsch und Französisch gewählt. (Ziegler 2011: 184)

Vor diesem Hintergrund wird das Luxemburgische als vorherrschende Sprache des mündlichen Sprachgebrauchs nach und nach zum Symbol eines neuen Nationalverständnisses. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist auch die Zeit der Anfänge und raschen Verbreitung der Literatur auf Luxemburgisch. Von 1912 stammt das Schulgesetz, in dem Luxemburgisch «als Unterrichtsgegenstand definiert, nicht jedoch als eigenes Fach eingeführt» (Timm 2014: 21) wird. Eine Orthografie des Luxemburgischen existiert zu dieser Zeit noch nicht.

Während dem ersten Weltkrieg stellt sich die Bevölkerung des offiziell neutralen Luxemburg auf die französische Seite. Die damalige Grossherzogin Marie-Adelheid allerdings steht Deutschland nahe, was dazu führt, dass sie 1919 abdanken und die Herrschaft ihrer Schwester Charlotte überlassen muss, die im Zweiten Weltkrieg zu einer wichtigen Identifikationsfigur der Luxemburger Bevölkerung werden sollte.

Auch wenn die Unabhängigkeit von 1839 mit erheblichen Gebietsverlusten verbunden war, wird sie von der Regierung im Jahr 1939 zum Anlass genommen, mittels einer überschwänglichen Jubiläumsfeier einen Luxemburger Nationalismus zu propagieren, der gezielt zur Ablehnung des nationalsozialistischen Deutschland beitragen soll. Diese Ablehnung ist tatsächlich deutlich und wird mitunter auch der Wirkung dieser Feierlichkeiten zugeschrieben (vgl. Hoffmann 1979: 11; Pauly 2011: 93). Noch vor dem Zweiten Weltkrieg werden Kompetenzen des Luxemburgischen zum Kriterium für Einbürgerungen (auch dies geschieht gemäss Hoffmann (1979: 35) zur Abgrenzung vom nationalsozialistischen Deutschland), wodurch sich der spätere Status des Luxemburgischen als Nationalsprache bereits abzuzeichnen scheint.

Der Zweite Weltkrieg und damit die deutsche Besetzung Luxemburgs tragen dazu bei, dass die Luxemburgische Sprache nun definitiv zu einem wichtigen Merkmal der Identität wird und der Wille, diese vom Deutschen zu unterscheiden, gross ist. Die nationalsozialistischen Besatzer planen eine Annexion Luxemburgs und versuchen, diese mit der Ideologie der gemeinsamen deutschen Sprache zu rechtfertigen. Zunächst wird der Gebrauch des Französischen «bis hin zu den in die Mundart eingebetteten französischen Höflichkeits- und Grussformeln» (Hoffmann 1979: 36) verboten. 1941 wird eine sogenannte «Personenstandsaufnahme» durchgeführt, die auch die Frage nach der «Muttersprache» stellt, mit der entsprechenden Erklärung dazu, dass nur «Hochsprachen» und keine «Dialekte» als Antwort angegeben werden dürften. Als Beispiele werden unter anderen explizit Deutsch respektive Luxemburgisch genannt. Trotz der möglichen Konsequenzen antwortet eine überwältigende Mehrheit der Luxemburger Bevölkerung dennoch mit «Luxemburgisch», nicht nur bei der Frage nach der «Muttersprache», sondern auch als Angabe der «Staatszugehörigkeit» und der «Volkszugehörigkeit» (das berühmt gewordene «dreimol lëtzebuergesch»). Dies führt zum Abbruch der Volkszählung. Die Erinnerung an die Rolle der luxemburgischen Sprache für den Luxemburger Widerstand – zum Beispiel auch die auf Luxemburgisch gehaltenen Ansprachen der Grossherzogin Charlotte aus ihrem Londoner Exil – tragen zum nunmehr auch symbolischen Gewicht der bis dahin in erster Linie als alltägliche Gebrauchssprache wahrgenommenen Varietät bei (vgl. Hoffmann 1979: 35-37, Timm 2014: 27-28). Für eine Zusammenstellung der Ereignisse in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs verweisen wir auf Pauly 2011: 93-104, für ausführlichere Untersuchungen zu den Thematiken der Zwangsrekrutierung und des Generalstreiks auf Stroh 2016, Quadflieg 2016, Klos 2016. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der für Luxemburg nach grossen Verlusten (Pauly 2011: 102-103) 1944 mit der Befreiung durch amerikanische Truppen endet, bleibt das Prestige des Luxemburgischen bestehen und 1946 wird bereits ein erster Rechtschreibungsentwurf verfasst, die ‹Margue-Feltes-Rechtschreibung›, die sich gewollt deutlich von der Schreibung des Standarddeutschen abhebt, jedoch keinen Erfolg hat (vgl. Hoffmann 1979: 36).

Offiziellen Status als Nationalsprache erhält das Luxemburgische schliesslich 1984 durch das neu in Kraft tretende Sprachengesetz, auf das wir in A.2.5.2 eingehen werden.

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?

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