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A.2 Sprachgeschichte und Sprachsituation der untersuchten Orte A.2.0 Mehrsprachigkeit in der Schweiz1

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Die Schweiz wird als Bundesstaat auf den drei Staatsebenen Bund, Kanton und Gemeinde verwaltet, wobei jede Einheit der drei Ebenen ihre offiziellen Sprachen festlegt. In einigen Kantonen existiert ausserdem eine zusätzliche dezentralisierende Ebene zwischen Gemeinde und Kanton, bestehend aus Bezirken oder Kreisen, welche ebenfalls offizielle Sprachen bestimmen, was in der vorliegenden Untersuchung insbesondere für die Fälle von Freiburg und Murten von Bedeutung ist (vgl. A.2.1 und A.2.2). Auf die gesetzlichen Grundlagen der Sprachpolitik auf Kantons-, Bezirks- (respektive Kreis-) und Gemeindeebene für die betreffenden Städte und Regionen gehen wir in den jeweiligen Kapiteln ein (A.2.1.2, A.2.2.2, A.2.3.2, A.2.6) und befassen uns hier mit den Bestimmungen auf Bundesebene.

Die offiziellen Landes- und Amtssprachen der Schweiz werden in den Artikeln 4 und 70 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft festgelegt:

Art. 4 Landessprachen

Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

Art. 70 Sprachen

1 Die Amtssprachen des Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch. Im Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache ist auch das Rätoromanische Amtssprache des Bundes.

2 Die Kantone bestimmen ihre Amtssprachen. Um das Einvernehmen zwischen den Sprachgemeinschaften zu wahren, achten sie auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.

3 Bund und Kantone fördern die Verständigung und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften.

4 Der Bund unterstützt die mehrsprachigen Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben.

5 Der Bund unterstützt Massnahmen der Kantone Graubünden und Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache.

(BV, Art. 4; Art. 70)

Die Sprachenfreiheit wird in Artikel 18 festgehalten:

Art. 18 Sprachenfreiheit

Die Sprachenfreiheit ist gewährleistet.

(BV, Art. 18)

Vier Sprachen erhalten also gemäss Artikel 4 der Bundesverfassung den Status einer «Landessprache» (Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch), nur drei davon sind jedoch «Amtssprachen des Bundes» gemäss Artikel 70 Absatz 1: Deutsch, Französisch und Italienisch. Rätoromanisch ist lediglich Amtssprache für ausdrücklich an Mitglieder der rätoromanischen Sprachgemeinschaft gerichtete Kommunikation, während die übrige Kommunikation grundsätzlich dreisprachig gewährleistet werden sollte.

Seit 2010 ist zusätzlich das Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (kurz Sprachengesetz, SpG, SR 441.1) in Kraft, das zusammen mit der zugehörigen Verordnung (Sprachenverordnung, SpV, SR 441.11) den Umgang mit der schweizerischen Mehrsprachigkeitssituation auf staatlicher Ebene regelt2. In Artikel 2 wird der Zweck des Sprachengesetzes festgehalten:

a. die Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz stärken;

b. den inneren Zusammenhalt des Landes festigen;

c. die individuelle und die institutionelle Mehrsprachigkeit in den Landessprachen fördern;

d. das Rätoromanische und das Italienische als Landessprachen erhalten und fördern.

(SpG, Art. 2)

In Artikel 3 Absatz 1 werden die Grundsätze festgelegt, die der Bund «bei der Erfüllung seiner Aufgaben» zu beachten hat:

a. Er achtet darauf, die vier Landessprachen gleich zu behandeln.

b. Er gewährleistet und verwirklicht die Sprachenfreiheit in allen Bereichen seines Handelns.

c. Er trägt der herkömmlichen sprachlichen Zusammensetzung der Gebiete Rechnung.

d. Er fördert die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften.

(SpG, Art. 3)

Die Mehrsprachigkeit des Landes wird also gesetzlich anerkannt und soll sowohl im Sinne von individuellen Kompetenzen der Einwohnerinnen und Einwohner als auch in Bezug auf Sprachgebrauch und Kommunikation der Behörden und Institutionen gefördert werden. Dazu vorgesehen sind namentlich Massnahmen im Bereich der Schule (Art. 14, 15 und 16 SpG; Art. 9 und 10 SpV), finanzielle Unterstützungen für die als mehrsprachig anerkannten Kantone Bern, Freiburg, Wallis und Graubünden (Art. 21 SpG; Art. 17 SpV) sowie für die Kantone Tessin und Graubünden zur Förderung der beiden kleinsten Sprachgemeinschaften Italienisch und Rätoromanisch (Art. 22 SpG; Art. 18-25 SpV). Empfehlungen und Bestimmungen zur Vertretung der Sprachgemeinschaften innerhalb der Bundesverwaltung werden ebenfalls abgegeben (Art. 7 SpV).

Die Schweiz kennt im Grundsatz das Territorialitätsprinzip in Sinne einer abgegrenzten räumlichen Verteilung der offiziellen Sprachen. Dieses Prinzip wird in Artikel 70 der Bundesverfassung und im Sprachengesetz lediglich umschrieben: «Die Kantone bestimmen ihre Amtssprachen. Um das Einvernehmen zwischen den Sprachgemeinschaften zu wahren, achten sie auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten» (Art. 70 BV); «Er [Der Bund] trägt der herkömmlichen sprachlichen Zusammensetzung der Gebiete Rechnung» (Art. 3 Abs. 1 Bst. a SpG). Die Umsetzung erfolgt jedoch durch die Entscheide auf Kantons- und Gemeindeebene, namentlich auch in Bezug auf den Sprachenunterricht an den Schulen3. Das Territorialitätsprinzip bedeutet konkret, dass die Schweiz zwar auf Bundesebene viersprachig ist und dass Kantone und Bezirke mehrsprachig sein können, die Gemeinden jedoch in der Regel eine einzige offizielle Sprache anerkennen. Zu den wenigen Ausnahmen zählt – als einzige Stadt – Biel, nicht aber die Gemeinden Freiburg und Murten (vgl. A.1.2, A.2.2, A.3.2). In Abb. A.2.0.1 bilden wir die entsprechende Karte der Kantone und (offiziellen) Sprachregionen der Schweiz ab:


Abb. A.2.0.14

Durch dieses Prinzip der räumlichen Abgrenzung der Landes- und Amtssprachen unterscheidet sich die Schweiz von anderen mehrsprachigen Ländern wie Luxemburg (vgl. A.2.5), dessen Mehrsprachigkeitspolitik als ‹Funktionsprinzip› bezeichnet werden kann.

Die Zahlen zu den Sprachgemeinschaften in den vier Landessprachen werden regelmässig erhoben. Die letzte vollständige Erhebung in Form einer Volkszählung fand jedoch im Jahr 2000 statt, seither werden jährliche Strukturerhebungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Volkszählung von 2000 wurden von Lüdi und Werlen in Bezug auf die Sprache ausgewertet (Lüdi/Werlen 2005). Gemäss diesen Auswertungen ist Deutsch die Hauptsprache5 von 63,7% der Wohnbevölkerung6 (4 640 359 Personen), Französisch von 20,4% (1 485 056 Personen), Italienisch von 6,5% (470 961 Personen) und Rätoromanisch von 0,5% (35 095 Personen). 9% (656 539 Personen) bezeichnen eine Nichtlandessprache als Hauptsprache (vgl. Lüdi/Werlen 2005: 7).

Die folgende Karte (Abb. A.2.0.2) zeigt die Verteilung der vier offiziellen Landessprachen in der Schweiz, indem die dominierende Landessprache nach Gemeinden angegeben wird. Es wird unterschieden zwischen «mittlere», «starke» oder «keine» Dominanz.


Abb. A.2.0.2 7

Die nach dem Jahr 2000 erhobenen Daten lassen sich damit nur bedingt vergleichen, da sie erstens nicht im Rahmen einer umfassenden Volkszählung erhoben wurden, sondern durch eine Strukturerhebung, und da zweitens seit 2010 bei der Frage nach der «Hauptsprache» Mehrfachnennungen möglich sind und das Total von 100% damit überschritten wird. Karten der dominierenden Sprache nach Gemeinden stehen nach 2000 ebenfalls nicht mehr zur Verfügung und wurden ersetzt durch Karten zur Verteilung der Wohnbevölkerung nach Hauptsprachen und Kantonen8.

Eine Auswertung der Erhebungen der Jahre 2010-2012 ergibt für die Wohnbevölkerung folgende Resultate: 65,4% nennen Deutsch als Hauptsprache, 22,6% Französisch, 8,4% Italienisch, 0,6% Rätoromanisch (Pandolfi/Casoni/Bruno 2016: 27)9.

Die Zahlen von 2016 wurden 2018 durch das Bundesamt für Statistik veröffentlicht10: 62,8% nennen Deutsch als Hauptsprache, 22,9% Französisch, 8,2% Italienisch, 0,5% Rätoromanisch11.

Wir konzentrieren uns in unserer Untersuchung auf die in den betreffenden Gebieten auf einer der Staatsebenen anerkannten offiziellen Amts- oder Landessprachen und befassen uns daher auch hier nicht eingehender mit den in der Schweiz präsenten Sprachen ohne offiziellen Status12.

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?

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