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Wirkmechanismen der Funkstrahlung

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Funkstrahlung greift lebendige Strukturen auf mehrere, unterschiedliche Weisen an. Unter ihnen ist die Öffnung der sogenannten „Calcium-Kanäle“ am besten untersucht. Deshalb ist ihr und ihren Folgen auch der größte Teil dieses Kapitels gewidmet. In der untenstehenden Aufzählung werden aber in den Ziffern 3 bis 7 noch weitere Wirkmechanismen kurz vorgestellt.

Die wichtigsten Bausteine von Pflanzen, Tieren und Menschen sind die (Körper-)Zellen. Sie werden von einer Zellmembran umschlossen. Innerhalb der Zelle gibt es einen Überschuss an negativ geladenen Teilchen, außen herrschen positiv geladene vor. Das sind vor allem Natrium-, Kalium- und Calcium-Ionen. Eine Änderung der Calcium-Konzentration in der Zelle kann beispielsweise zu Muskelkontraktionen, zur Synthese von Hormonen oder zu Nervenimpulsen führen. Calcium steuert auch die Biosynthese von Proteinen. Manchmal, beispielsweise, wenn ein Nervenimpuls erzeugt werden soll, strömen Calcium-Ionen in die Zelle. Dazu dienen die „Calcium-Kanäle“. Das sind „Röhren“ durch die Zellmembran, durch die die Calcium-Ionen von außen ins Innere der Zelle gelangen können. Sie sind normalerweise verschlossen, können aber durch Funkstrahlung geöffnet werden. Das wurde in mehreren Experimenten nachgewiesen.8 Dafür werden zwei Wirkmechanismen diskutiert:

Die Calcium-Kanäle werden durch „Schalter“ geöffnet, sodass Calcium in die Zelle einströmen kann. Normalerweise geschieht dies selten und nur, wenn die Zelle zu einer spezifischen Aktivität angeregt werden soll. Der „Schalter“ ist ein Sensor, der auf Änderungen der elektrischen Spannung reagiert. Man kann ihn sich als einen Stöpsel vorstellen, der unter normalen Umständen bei einer Änderung der Spannung angehoben wird und so die Calcium-Ionen passieren lässt. Er enthält vier schraubenförmige Abschnitte, die in den Calcium-Kanälen9 liegen. Jeder dieser schraubenförmigen Abschnitte hat an einem Ende fünf elektrische Ladungen, sodass insgesamt 20 Ladungen im Spiel sind. An ihnen greift die Funkstrahlung an, wenn das Handy sendet.

Außerhalb und innerhalb der Zelle und auch im Calcium-Kanal selbst gibt es freie Ionen, die auf die Spannungssensoren der Calcium-Kanäle wirken. Sie bewegen sich unter Funkstrahlung sehr langsam und nur unglaublich kurze Strecken von 10–11 bis 10–12 m.10 Trotzdem zeigen Berechnungen,11 dass bei gepulsten Wellen unter Umständen schon eine sehr schwache Strahlung von weniger als 0,003 µW/m2 genügt, damit der Kanal aufgeht und Calcium in die Zelle einströmt. Dieser Wert hängt ganz wesentlich von der Pulsung ab. Bei ungepulsten Wellen bräuchte man erheblich stärkere Strahlung. Außer der Funkstrahlung können auch Magnetfelder diesen Effekt auslösen: Magnetfelder entstehen unter Hochspannungsleitungen und, wenn ein Handy benutzt wird, durch die Pulsung.12

Es gibt noch einen weiteren Mechanismus, wie Calcium-Kanäle durch Funkstrahlung geöffnet werden können: Wir wissen, dass viele Proteine ihre biologische Wirksamkeit nicht nur durch ihre chemische Zusammensetzung erreichen, sondern auch durch ihre spezielle Form. Das wurde oben anhand der schraubenförmigen „Schalter“ in den Calcium-Kanälen gezeigt. Die Gestalt der Proteine wird meistens durch sogenannte „Wasserstoffbrücken“ gehalten. Das heißt, dass die elektrischen Ladungen in den Proteinen nicht gleichmäßig verteilt sind. Dabei ziehen sich positive und negative Ladungen an und halten den entsprechenden Abschnitt des Proteins in Form. In der Pionierarbeit von Henrik und Jakob Bohr13 wurde nachgewiesen, dass Mikrowellen diese sehr schwache Anziehungskraft aufbrechen können. Das passiert auch bei den schraubenförmigen „Schaltern“ in den Calcium-Kanälen, die dann ihre Steifigkeit verlieren und den Weg ins Innere der Zelle freigeben. Nach der sehr groben Abschätzung zum Thema „Öffnung der Calcium-Kanäle durch Änderung der Proteinfaltung“ (siehe Seite 40 f.) braucht man mindestens 2,5 W/m2, um dadurch die Öffnung der Calcium-Kanäle zu bewirken – möglicherweise in einigen Situationen auch wesentlich mehr. Bedenkt man aber, dass der ICNIRP-Grenzwertvorschlag14 von 2020 Teilkörperbestrahlungen bis zu 100 W/m2 (an absorbierter Leistung) zulässt, so muss die Proteinfaltung auf jeden Fall berücksichtigt werden.

Bild 4 Funkstrahlung kann die Struktur von Proteinen verändern.

Die Proteine müssen jedoch nicht sofort ihre Gestalt verlieren. Es kann sein, dass sie sich nur unverändert bewegen und dabei einige Mikro-Strukturen (z. B. im Cytoskelett) ändern.15 16

Die bisher genannten Mechanismen bewirken die Öffnung von Calcium-Kanälen.17 Das ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, Zellen oder Gewebe zu schädigen:

Durch die Funkstrahlung werden Spannungen kurz unter der Haut induziert.18 Außerdem erzeugt das elektrische Feld der Strahlung Ströme im Gewebe.19 Dabei ist zu beachten, dass diese Ströme in nicht-linearen Übertragungswegen laufen und dabei zum Teil gleichgerichtet werden. Obwohl in der Endnote gezeigt wird, dass die so erzeugten Stromdichten von einigen zig µA/mm2 sehr klein sind, können sie doch möglicherweise bei der Signalübertragung zwischen den Zellen durch die „Membran-Nanokanäle“20 eine Rolle spielen.

Außer diesen spielen noch weitere Mechanismen eine wichtige Rolle: Die Lebensdauer von Paaren Freier Radikale (siehe Bild 5) kann verlängert werden, wenn zusätzlich zur Funkstrahlung noch ein schwaches Magnetfeld wie das der Erde vorhanden ist.21 22 Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie schädliche Reaktionen hervorrufen.

Außerdem kann die Zähigkeit des Wassers (Viskosität) durch Funkstrahlung erniedrigt werden. Auch das wurde schon unterhalb unserer Grenzwerte nachgewiesen, nämlich bei 0,45 GHz und 24,6 V/m.23 Damit werden die so wesentlichen Diffusionsprozesse im Körper verändert.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass bei Frequenzen von einigen GHz Körperteile, beispielsweise ein Finger, mit einer Ausdehnung von einem Viertel der Wellenlänge, also in Dezimeter- und Zentimeterbereich, als effektive Antennen wirken und so mehr Energie aufnehmen, als man vielleicht erwarten würde.

Für hohe Frequenzen spielen noch weitere Effekte eine Rolle, die im Abschnitt „Was ist bei 5G anders?“ (Seite 82 ff.) näher beschrieben werden.

Zurück zur Öffnung der Calcium-Kanäle: Die Calcium-Ionen im Inneren der Zelle lösen eine Reihe von Reaktionen aus: Sie neutralisieren zum Teil die negative Ladung, die dort vorhanden ist. Bei Nervenzellen kann dadurch ein Nervenimpuls ausgelöst werden, bei Muskeln kann es zu Kontraktionen kommen. Außerdem verursachen sie über mehrere Zwischenschritte die Entstehung von aggressiven chemischen Verbindungen wie „reaktive Sauerstoff-Spezies“, ROS, und reaktive Stickstoffverbindungen, ausgehend von Stickstoffmonoxid NO und seinen Folgeprodukten wie zum Beispiel ONOO.24 Sie sind die Ursache für den „Oxidativen Stress“ der Zellen.

Bild 5 Wirkung der Funkstrahlung auf die Calcium-Kanäle und die Folgen – nach einer Idee von Pall (2019).

Die Kenntnis dieser Reaktionen ist aber im Folgenden nicht nötig. Trotzdem werden hier wenigstens die wichtigsten Schritte angegeben:

Das Einströmen von Calcium in die Zellen durch Funkstrahlung ist in vielen wissenschaftlichen Arbeiten sehr gut dokumentiert.25 Sogar die beratende Expertengruppe BERENIS der Schweizer Regierung hat die Folge davon, nämlich den Oxidativen Stress, anerkannt, insbesondere auch, dass Oxidativer Stress die Ursache einer Palette entzündlicher Erkrankungen ist.26 Wenn ein großer Teil des Calciums in die Zellen fließt, fehlt es natürlich in den Bereichen zwischen den Zellen. Das kann schlimme Konsequenzen haben. Bei einer Bekannten kommt es zu einem lebensgefährlichen Calcium-Mangel im Blut, sobald sie Funkstrahlung ausgesetzt ist. Einige Zeit nach ihrer Rückkehr in ein besonders funkarmes Gebiet normalisiert sich ihr Calcium-Spiegel wieder. Diese Beobachtung hat sie wiederholt machen müssen.

INFO

Öffnung der Calcium-Kanäle durch Änderung der Proteinfaltung

In diesem Abschnitt wird eine sehr grobe zahlenmäßige Abschätzung angegeben, welche Leistungsflussdichten nötig sind, um die Proteinfaltung zu ändern. Dabei ist zu beachten, dass speziell bei höheren Frequenzen die Funkstrahlung nicht tief in das Gewebe eindringt und daher die gesamte eingestrahlte Energie in einer dünnen Schicht unter der Haut absorbiert wird. Dort treten dann große Belastungen auf. Es können aber auch Brennpunkte („hot spots“) mit hohen Energiedichten entstehen. Deshalb sind keine genauen Angaben darüber möglich, bei welcher Einstrahlung eine Aufweichung der Proteinfaltung erfolgen kann. Hier geht es nur um eine Abschätzung der Größenordnung.

Die Funkstrahlung kann zunächst die Proteine zu Schwingungen anregen,28 die dann eventuell zum Aufreißen der Helices führen. Die Bindungsenergie der Wasserstoffbrücken in den S4-Helices beträgt etwa 2,5 x 10–20 Joule.29 (Hier und im Folgenden stehen J für Joule = Wattsekunde, ms für Millisekunde und nm für Nanometer.) Für die Einwirkung der Funkstrahlung kann 1 Millisekunde als typische Zeit für Prozesse in der Zelle eingesetzt werden. Die Höhe der Helix ist etwa gleich der Dicke der Zellmembran, also etwa 10 nm = 10–8 m, ihr Durchmesser wird als 1 nm angenommen.

Um die Wasserstoffbrücke aufzubrechen, braucht man eine eingestrahlte Energie, die mindestens so groß ist wie die Bindungsenergie. Da die Energie gleich der eingestrahlten Leistung mal der Zeit ist und die Strahlung von einer Fläche absorbiert wird, die dem Querschnitt der Helix entspricht, erhält man:

Leistungsflussdichte = Bindungsenergie / (Fläche x Zeit)

= 2,5 x 10-20 Ws / (10-8 m x 10-9 m x 10-3 s)

= 2,5 W/m2

Das bedeutet, dass ab einer Leistungsflussdichte von etwa 2,5 W/m2 die Wasserstoffbrücken in den Helices der Kanalproteine („Schalter“) aufgeweicht werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Bindungslänge der Wasserstoffbrücken von etwa 0,18 nm wesentlich kleiner ist als die Höhe der Helices, was in diesem sehr groben Modell zu einer Erhöhung der nötigen eingestrahlten Leistung führen könnte. Andererseits wurden die Eigenschaften der Umgebung der Brücken (insbesondere das Verhalten im elektrischen Feld, nämlich die sogenannte Dielektrizitätskonstante) nicht berücksichtigt, was dieses Ergebnis ebenfalls beeinträchtigt. Für eine genauere Aussage sind daher umfangreiche Untersuchungen nötig.

Wichtig ist hier nur, dass die vorübergehende oder dauerhafte Auflösung der Form der Helices in einem Bereich stattfindet, der mit den heutigen Grenzwerten erreicht werden kann.

Es ist unmöglich, hier alle Folgen aufzuzählen, die durch das Einströmen von Calcium in die Zellen entstehen.27 Im nächsten Abschnitt werden die wichtigsten davon genannt (beispielsweise verminderte Hormonproduktion), ohne auf die Krankheiten und Beeinträchtigungen einzugehen, die sich daraus ergeben (beispielsweise verminderte Fruchtbarkeit). Diese sind das Thema des nächsten Kapitels (Seite 49 ff.). Dort werden auch Folgen von Funkstrahlung erwähnt, die nicht oder nicht direkt mit Calcium in Verbindung stehen. Einen Überblick über diese Krankheiten finden Sie unter „Erkrankungen durch Funkbelastung“ (siehe Seite 83 ff.). Im Übrigen wird auf die Literaturauswahl am Ende des Buches verwiesen.

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