Читать книгу Das Handbuch gegen den Schmerz - Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas R. Tölle - Страница 5

Das Phänomen Schmerz

Оглавление

„Meine Schmerzhölle begann mit geschwollenen Händen. Die Finger wurden warm und unbeweglich. Mal pochte es, mal lag ein unheimlich schmerzhafter Druck auf meinen Händen. Irgendwann tat dann plötzlich auch mein Nacken irre weh – so, als würde man ein Messer hineinrammen. Er wurde ganz steif, der Schmerz strahlte stechend in die Schultern aus bis herunter in die Arme, dort wurde er dann drückend. Wenn ich jemanden berührte, fühlte sich das wie Nadelstiche an. Meine Finger kribbelten, ich bekam Fieber, Gliederschmerzen – und große Angst.“

Nina S. (34), Arzthelferin aus der Nähe von München, leidet unter einem Ganzkörperschmerz, genannt „Fibromyalgie“

Sucht man im Internet nach dem Wort „Schmerz“, fallen zwei Begriffe immer wieder: „komplex“ und „subjektiv“. Schmerz wird als komplexe, subjektive Sinneswahrnehmung beschrieben. Was sich fast trivial anhört, bringt das Phänomen aber auf den Punkt. Die beiden Adjektive „komplex“ und „subjektiv“ sind typisch für Schmerz – machen ihn aber gleichzeitig gerade so schwer fassbar, schwer messbar und ebenso schwer beschreibbar. Denn jeder empfindet ihn anders.

Auch die internationale Gemeinschaft der Schmerzwissenschaftler hat sich lange mit einer Definition schwergetan. Sie beschreibt das Phänomen nun so: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder möglicher Gewebeschädigung verbunden ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ Den Schmerz als eigene Diagnose, also nicht als Symptom oder Begleiterscheinung einer anderen Erkrankung, gibt es bisher nur in Deutschland. Ärzte rechnen Behandlungen über eine Art Katalog mit verschiedenen Ziffern ab – Schmerz hat nur in Deutschland eine solche eigene Ziffer. Die Diagnose „chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ (Ziffer F45.41) wurde bereits 2009 in die deutsche Version der internationalen Klassifikation von Krankheiten, den sogenannten ICD-Katalog, aufgenommen. Das stellte einen Meilenstein für die vielen Patienten dar, deren chronische Schmerzerkrankung nicht auf eine einzelne körperliche oder seelische Ursache zurückzuführen war und bei denen somit keine behandelbare Ursache vorlag. Bis dahin hatten Ärzte Probleme, der Erkrankung ihrer Patienten einen Namen zu geben, da ja keine bekannte Krankheit vorlag, die mit einem entsprechenden Diagnosecode versehen werden konnte. Auch wenn es sehr technisch klingt: Mit der Einführung des Diagnosecodes wurde deutlich gemacht, dass Patienten mit einer chronischen Schmerzerkrankung keine Simulanten, sondern krank sind. Sie haben das gleiche Recht auf Behandlung und auf Mitgefühl ihres Umfelds wie ein Patient mit einem Herzinfarkt oder einem Beinbruch.

Mittlerweile gibt es auch international Fortschritte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich entschieden, den Begriff „Chronischer Schmerz“ als eine eigene Diagnose in die Klassifikation der Erkrankungen aufzunehmen, die Menschen überall in der Welt beeinträchtigen. Damit wird klar und akzeptiert, dass Schmerz etwas Eigenes ist, eine Erkrankung mit ganz spezifischen Eigenschaften. Schmerzen betreffen nicht nur den Körper, sondern auch den ganzen Menschen und sie machen eine ganz eigene Behandlung nötig. Darum wird es auch in diesem Buch gehen: Es geht nicht nur rein um das Knie, die Hüfte, den Rücken, den Kopf – es geht um alles, was der Schmerz mit und aus den Betroffenen macht.

Das Handbuch gegen den Schmerz

Подняться наверх