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Schmerz als Warnsignal

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Zunächst ist diese Sinnesempfindung ein Warnsignal des Körpers und somit eine absolut sinnvolle Einrichtung der Natur. Beim mittlerweile sprichwörtlichen Fassen auf die heiße Herdplatte lässt er uns die Hand in Bruchteilen von Sekunden zurückziehen, bevor wir schwere Verbrennungen erleiden. Der Schmerz ist ein Alarm, der uns zeigt: „Hier stimmt etwas nicht, ändere sofort dein Verhalten!“ Er ist unbestritten ein überlebenswichtiges Warnsystem – ohne Schmerzen wäre die Menschheit längst ausgestorben. Wie gefährlich es ist, keine Schmerzen zu empfinden, zeigen Berichte über Menschen mit einer seltenen Genmutation. Ein Artikel aus der ZEIT schildert diese sehr eindrucksvoll: „Sobald die ersten Zähne wachsen, zerbeißt das Baby fröhlich seine Lippen. Dann der erste Knochenbruch, das Kleinkind betrachtet seinen dicken Ellbogen wie ein neues Spielzeug. Von jetzt an dokumentiert das Familienalbum ein Heranwachsen in Bandagen, Gipsverbänden, Schienen; auf den meisten Fotos lacht das Kind.“

In unserer modernen Welt haben viele Menschen diese „Warn-Dimension“ von Schmerz vergessen. Das Gefühl zeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist, es wird aber oft ignoriert oder mit Medikamenten „weggedrückt“. Die Betroffenen verpassen, über die Ursachen nachzudenken und dort anzusetzen, um etwas zu verändern. Der Workaholic, der 16 Stunden am Tag arbeitet, erkennt nicht, dass vermutlich genau da die Ursache für die wiederkehrenden Magenschmerzen liegt. Der Computer-Nerd bringt seine Dauerkopfschmerzen nicht mit vielen, vielen Stunden, die er vor dem Bildschirm hängt, zusammen. Und selbst, wenn er es tut, will er nichts verändern, das Spielen ist doch seine Leidenschaft. Übertragen gesprochen lassen diese beiden ihre Hand auf der heißen Herdplatte, bis es zu spät ist und es zu einem körperlichen oder seelischen Zusammenbruch kommt. Oft beides in Kombination. Mehr als die Hälfte aller körperlichen Leiden haben eine psychische Komponente – dennoch tragen seelische Leiden immer noch häufig den Stempel „Tabu“ oder den Aufkleber „Schwächling“. Mittlerweile wird die Psyche in unserer Gesellschaft zwar teilweise sogar überbehandelt. Auch die Zahl an verschriebenen Psychopharmaka steigt stetig. Aber dennoch werden psychische Probleme immer noch oft unterschätzt und klein gemacht. Das fügt gerade für Schmerzpatienten eine weitere, schwierige Ebene hinzu: Scham.

Das Handbuch gegen den Schmerz

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