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8. Kapitel

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Die Kajüte, in der sich Cole Ketchum befand, lag unter Deck, war recht klein und zudem mit einer niedrigen Holzdecke versehen, sodass er unweigerlich den Kopf einziehen musste, um nicht gegen die Decke zu stoßen.

Er blickte zu dem Mann herüber, der an einem kleinen Holztisch stand, auf dem einige Karten ausgebreitet lagen und griente dabei wie ein Honigkuchenpferd.

»Das habt ihr mächtig fein hinbekommen. Wirklich, kann gar nicht sagen, wie froh ich bin. Es geht doch nichts über Familienehre, was?«

Brad Ketchum, der sich hierzulande nur Tascosa-Brad nannte, machte einen Schritt auf seinen jüngeren Bruder zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Nicht nur das, Cole. Wir haben zudem noch ‘nen verdammt guten Fang gemacht, mit all den Schönen, die jetzt hier an Bord sind. Don Miguel Ameche wird begeistert sein.«

Er rieb sich die Hände im Vorgeschmack dessen, was er zu erwarten hatte.

»Aber wie seid ihr denn gerade auf diese verdammte Sweet Travelling gekommen, Bruderherz? Das will mir noch nicht so richtig in den Schädel.«

Brad Ketchum fischte zwei Zigarren aus einer Holzkiste und reichte eine seinem Bruder in die Hand. Der eigenen biss er die Spitze ab, spie sie auf die Holzplanken und klemmte sie sich zwischen die Zähne. Während er die Zigarren mit einem Zündholz zum Glimmen brachte, erklärte er: »Du hattest mächtiges Glück gehabt, dass dieser Schmierlappen von einem Marshal in Brashear City nichts gegen ein paar Greenbacks einzuwenden hatte, um ihn auf unsere Seite zu bekommen. Wir wussten ja, dass du in diesem Nest im Jail schmortest, und dass man einen Ranger geschickt hatte, um dich nach Texas zu überführen. So brauchte man nur noch dafür zu sorgen, dass der verdammte Ranger mit dir an Bord der Sweet Travelling geht. Jonas hat uns dann Bescheid gesagt und uns auch über die wertvolle Fracht unterrichtet. Viele junge und vor allen Dingen hübsche Frauen. Auch das hatte er von diesem Marshal erfahren. Nun, wir haben dann schnell unsere Ghost Queen klar gemacht, um der Sweet Travelling an einer günstigen Stelle aufzulauern. Siehst du, Brüderchen, so einfach war das. Nun bist du hier an Bord der Ghost Queen und mit dir eine große Anzahl hübscher Frauen und ein paar komische Figuren, bei denen ich allerdings noch nicht weiß, was ich damit anzustellen werde.«

»Diese versnobten Typen können wir vielleicht als Sklaven für die Minenarbeit in Mexiko verschachern. Gibt nicht so viel wie für diese arroganten Hühner, aber immerhin … Na, und wenn nicht, legen wir sie doch einfach um, was?«

Brad nickte. »So oder ähnlich denke ich mir das auch, Cole.«

»Aber dieser dreckige Ranger! Er hatte Jonas noch erwischt, bevor er über Bord gesegelt ist. Eigentlich schade. Ich hätt‘s diesem Drecksack gern selbst besorgt. Möge das Schwein jetzt in der Hölle schmoren.« Zornig ballte Cole die Faust bei dem Gedanken an Brazos McCord und die ihm entstandene Schmach im Marshal-Office in Brashear City.

Brad winkte ab, während er an seiner Zigarre paffte und dichte Qualmschwaden sein Gesicht umwölkten. »Sei froh, wie‘s ist, Bruderherz. Ich hörte, dass dieser Ranger ganz frisch von Captain McNelly angeworben und auf Banditenjagd geschickt wurde. Soll sich mit den Haskins herumgeschossen und die Sippe ein für alle Mal von der Erde gefegt haben. War also nicht ganz ohne, dieses Bürschlein.«

Cole kratzte sich am Ohr, blickte durch die Rauchschwaden seinen Bruder an. »Mir ging dieser dämliche Ranger von Anfang an schon tüchtig auf die Nerven. Haskins hin oder her, Brad. Wenn der Kerl nicht über Bord geflogen wäre, hätte ich ihn eigenhändig erledigt. Das kannst du mir glauben.«

Brad fegte die Rauchschwaden zur Seite, erlaubte sich ein smartes Lächeln. Er war älter und etwas kleiner als Cole und schlanker. Rein äußerlich bestand nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen den beiden Brüdern. Brads Haare waren schwarz, an den Schläfen bereits ergraut. Das kantige Gesicht scharf geschnitten und von einem dünnen Oberlippenbart geziert. Man hätte ihn für einen Gentleman aus dem Süden halten können, mit ebensolchen Manieren.

Aber Brad Ketchum war alles andere als ein Gentleman. Was diesen Punkt betraf, ähnelten sich die Brüder wie eineiige Zwillinge.

Cole hingegen war rotblond. Sein strähniges Haar lichtete sich bereits tüchtig in der Stirn und an den Ecken und gab ein massiges, grobes Gesicht frei, mit brutalen Zügen und einem grausamen Mund. Er war gewiss kein Mann, dem eine Frau ihr unbedingtes Vertrauen schenken würde. Und andere Männer ebenfalls nicht.

Eine Weile sahen sie sich an. Zwei Männer, die äußerlich unterschiedlicher nicht sein konnten, aber innerlich gleichermaßen schlecht waren. Das verband die beiden Brüder.

Es klopfte an der Kajütentür, und eine Frau trat herein. Sie war groß und schlank. Dichtes, rabenschwarzes Haar umhüllte ein bleiches Gesicht, das von der Sonne kaum berührt war. Dennoch war dieses Gesicht von einer gleichmäßigen Schönheit geprägt, in dem zwei dunkle, unergründliche Augen lagen, die fast so schwarz waren wie ihr Haar. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Holztür und verschränkte die Arme ineinander. Zuerst sandte sie einen Blick aus ihren dunklen Augen auf Brad, anschließend auf Cole. Ihre vollen Lippen verzogen sich spöttisch, und mit einem dunklen Timbre trafen ihn ihre Worte: »Muss schön sein, einen Bruder zu haben, der so herrlich fürsorglich ist, nicht wahr, Cole?«

Das kam nicht ohne triefenden Spott, und er grinste ihr wölfisch entgegen. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Valentine.«

Brad bemerkte sofort die Spannung zwischen den beiden. »Fangt nicht schon wieder an, euch die Augen auszukratzen. Was willst du, Valentine?«

Sie fuhr aufreizend mit der Zungenspitze über ihre Lippen. »Mit dir sprechen, Brad. Was sonst?«

Brad bedachte ihre Antwort mit einem leichten Kopfnicken. Ihm war klar, was sie wirklich wollte.

Cole war sicher kein besonders sensibler Mann. Aber auch er wusste Bescheid. Er wandte sich seinem Bruder zu. »Wir haben soweit ja alles klar, nicht wahr, Brüderchen? Werde mir auf dem Deck ein bisschen die Füße vertreten. Ist ‘ne verdammt komische Luft hier in deiner Kajüte.«

Den letzten Satz sprach er in Valentines Richtung. Dann schob er seine massige Gestalt an ihr vorbei, warf ihr noch einen alles sagenden Blick zu und verschwand nach draußen. Als seine schweren Schritte verklungen waren, stemmte Valentine ihre Fäuste in die Hüften und streckte ihr Kinn vor. »Du hättest ihn in der Hölle schmoren lassen sollen, Brad.«

Brad Ketchum maß sie mit harten Blicken. »Du vergisst, dass er mein Bruder ist, Valentine.«

Sie machte eine verächtliche Handbewegung. »Dein Bruder. Pah! Er bringt unsere Pläne nur noch in Gefahr, dieser Narr! Und du weißt es. Auf Cole war noch niemals Verlass, Brad. Damals nicht wie heute.«

»Er ist mein Bruder!«, wiederholte er sich, diesmal eine Nuance schärfer. »Außerdem haben wir ihm doch eine ganz einträgliche Fracht zu verdanken, für die sich Don Ameche gewiss großzügig erweisen wird. Sehr großzügig sogar.«

»Was diese verwöhnten Schlampen von der Sweet Travelling angeht, die jetzt unter Deck gebracht worden sind, mag ich dir sogar zustimmen. Aber trotzdem wäre es nicht klug, Cole weiterhin bei uns in der Mannschaft zu behalten. Brad, du weißt genau, wie er ist.«

»Es ist genug, Valentine! Bist du gekommen, um mit mir wegen meines Bruders zu streiten? Ich dachte eher, du hättest etwas anderes im Sinn.«

Das hatte sie auch, und es zeigte sich in ihrem Lächeln. Im matten Lichtschein glänzte ihr Haar wie Seide und fiel in voller Pracht an ihren Schultern herab. Valentine Ferreiras Mutter war Französin, der Vater Portugiese, den sie allerdings nie kennengelernt hatte. Valentines ungezügeltes Temperament stammte von der Mutter, die in einem Bordell in New Orleans gearbeitet hatte und ebenfalls sehr früh verstorben war.

Ja, Valentine musste bereits sehr früh lernen, dass einem im Leben nie etwas geschenkt wurde. Sie war gerade 18 geworden, als Brad sie kennenlernte.

»Du bist viel mehr als nur eine gewöhnliche Nutte«, hatte er zu ihr gesagt und sie einfach mitgenommen. Das war vor vier Jahren, und seitdem war sie treu an seiner Seite geblieben. Und unter ihm und seinen Männern lernte sie schnell. Verdammt schnell.

Jetzt war sie fast schon so etwas wie seine Partnerin. Denn die schöne Valentine verstand sich nicht nur auf das Spiel der Liebe. Sie besaß einen messerscharfen Verstand und den untrüglichen Sinn fürs Beutemachen. Sie war eine gefährliche und berechnende Frau, und so manch einer, der sie nur für ein heißes Kätzchen gehalten hatte, musste diesen Irrtum mit dem mit dem Leben bezahlen.

Aber jetzt im Augenblick war sie das Kätzchen, das für Brad Ketchum bereit war.

Vergessen war jetzt der Zorn auf Cole, den sie nicht mochte.

Jetzt galten für sie ganz andere Dinge. Sie lächelte Brad Ketchum verheißungsvoll entgegen. Die glühenden Blicke ihrer tiefschwarzen Augen trafen Brad Ketchum und schienen in seinen zu versinken. Heiser kam es über ihre Lippen. »Jetzt gehörst du mir – mir ganz allein. Und jetzt komm … Nimm mich in deine Arme, ich will deine Liebe spüren!«

***

»Mir tun die Füße weh! Ich kann nicht mehr.«

Brazos McCord drehte sich zu Marylee herum, unterdrückte eine ganze Batterie übelster Flüche, die ihm bei ihrem Anblick in den Sinn kamen. Die ganze Zeit über hatte sie in einer Tour gejammert. Sicher, wahrscheinlich wurde ihr erst jetzt richtig bewusst, was eigentlich geschehen war; dass ihre Freunde oder Freundinnen entweder getötet oder verschleppt worden waren.

Nun, er hatte befürchtet, dass sie schnell schlapp machen würde. Bei den Schuhen, welche diese verwöhnte Schöne trug, war das auch kein Wunder.

Zum Donner, sie hatten ja noch nicht einmal zwei ganze Meilen geschafft. Dabei war sie es gewesen, die sich beharrlich geweigert hatte, auf dem Rücken des Schecken zu sitzen.

Zur Hölle mit allen launischen Frauen, die immer ihren Dickkopf durchsetzen wollen, dachte er.

Hatte sie sich denn nicht verzweifelt am Schweif des Schecken geklammert, als sie sich beide, Frau und Tier, in den Fluten des Golfs befanden?

Ziehen lassen, ja? Reiten nein?

Er verstand diese hochnäsige Schöne einfach nicht.

Dabei könnten sie schon viel weiter sein, wenn sie sich nicht weigern würde zu reiten. Aber er verspürte nicht das geringste Interesse, sich weitere Gedanken über Marylee du Maurets Launen Gedanken zu machen. So ging er schnellen Schrittes auf sie zu, packte sie, hob sie einfach hoch und trug sie auf seinen Armen, bis sie beim Schecken angekommen waren. Sie protestierte und gebärdete sich zwar wie eine Furie. Doch das war ihm egal. Diese Frau strapazierte sein Nervenkostüm. Und wie. Seine Engelsgeduld war längst aufgebraucht. Zudem dröhnte ihm immer noch mächtig der Schädel, und diese Tatsache verbesserte seine Laune keinesfalls.

Unsanft hob er Marylee auf den Rücken des Schecken. Sehr zu seiner Verwunderung blieb sie auch tatsächlich dort sitzen. Wahrscheinlich taten ihr die Füße wirklich so weh, dass sie ihre Einstellung zum Reiten geändert hatte.

Allerdings musste sie ohne Sattel auf dem treuen Tier sitzen, da sich dieser mitsamt Satteltaschen jetzt auf dem Grund des Golfs befand.

»Sie gottverdammter Grobian!«, rief sie zu ihm herunter.

Er hob drohend den Zeigefinger. »Lady! Ich habe die Nase voll von Ihnen. Wenn ich auch nur ein einziges Wort noch aus Ihrem vorlauten Mund höre, überlege ich es mir anders, nehme Sie runter vom Pferd und lasse Sie einfach hier. Mitten in den Plains. Dann können Sie von mir aus bleiben und in der Sonne schmoren bis zum Sanktnimmerleinstag. Sie halten mich ohnehin schon viel zu lange auf. Schließlich ist bei dem Überfall mein Gefangener entkommen. Und Captain McNelly wird das alles andere als spaßig finden. Je schneller ich den Vogel wieder einfange, desto besser. Also …«

»Dann wollen Sie also die Bande verfolgen, die unsere Sweet Travelling überfallen hat?«

Blöde Frage, wie er fand. Deshalb kam auch gleich die passende Antwort: »Nein, wozu? Die Bande wird schließlich irgendwann zu mir kommen und mir Cole Ketchum freiwillig übergeben. Am besten noch auf einem Silbertablett. Dann trinken wir alle gemeinsam einen darauf, und alles wird gut werden.«

»Sind Sie eigentlich verheiratet, Mister Ranger?«

»Nein. Wieso?«

Sie zeigte ihm ein schnippisches Lächeln. »Das hätte mich auch sehr gewundert. Denn keine Frau der Welt würde es auch nur freiwillig eine Sekunde lang mit Ihnen aushalten, Sie ungehobelter Pavian.«

Eine steile Zornesfalte zeigte sich zwischen seinen Brauen. Einen Kerl hätte er jetzt gewiss mit einem tüchtigen Aufwärtshaken vom Pferd geholt. Bei einer Frau ging sowas natürlich nicht. So holte er tief Luft und setzte zu einer scharfen Erwiderung an. Doch er ließ es bleiben. Stattdessen drückte er ihr die Zügel in die Hand, brummte: »Zügel, Lady. Das hier nennt man Zügel. Damit kann man ein Pferd lenken oder sich dran festhalten oder von mir aus beides. Was Sie betrifft; Sie halten sie besser fest.«

Er wartete nicht erst einen Kommentar ab, sondern gab Pedro einen leichten Klaps aufs Hinterteil, und das Tier trabte an. Langsam schritt Brazos hinterher und fragte sich wieder mal, wie diese Frau es fertigbringen konnte, sich geistesgegenwärtig den Schwanz des Schecken zu ergreifen, um sich so ans Ufer ziehen zu lassen.

Zum Teufel mit ihr!, drang es grimmig durch Brazos McCords Kopf. So, wie die sich aufführt, hätte sie eher sang- und klanglos im Golfstrom untergehen müssen.

Doch er sollte sich über die verwöhnte Marylee du Mauret noch mächtig wundern.

***

Es war gegen Mittag, die Texassonne hatte ihren höchsten Stand erreicht und brannte mit einer erbarmungslosen Wucht auf die Erde nieder. Dafür, dass der Sommer erst noch ins Land ziehen würde, besaß sie bereits eine enorme Kraft.

Brazos McCord hatte seinen Stetson tief in die Stirn geschoben und auch Marylee davon überzeugen können, sich aus Stoffstreifen ihres ohnehin ruinierten Kleides einen Kopfschutz zu basteln.

»Das hier ist kein Land, es ist die Hölle. Ich frage mich, wie Menschen hier leben können«, war ihr Kommentar, als Brazos den Schecken halten ließ, um die Wasserflasche vom Haken zu lösen.

Er blickte zu ihr auf, reichte ihr die Flasche und grinste. So, wie sie auf dem Schecken saß, mit dem Stoffstreifen um ihren Kopf, wirkte sie auf ihn wie eine jener Schönen aus dem Orient. Irgendwie stand ihr das, gab etwas her. Aber er hütete sich, ihr das zu sagen. Stattdessen kam es mahnend über seine trockenen Lippen: »Trinken Sie in langsamen Schlucken, sonst bekommt es Ihrem Magen nicht.«

Marylee befolgte erstaunlicherweise seinen Rat. Sie trank langsam und verzog angewidert das Gesicht, als sie die Wasserflasche absetzte und sie ihm in die Hand gab. »Mein Gott, das schmeckt ja widerlich!«

»Ist nun mal kein Champagner. Und Kaviar kann ich Ihnen derzeit auch nicht bieten. Aber es hilft gegen den Durst.«

Sie sah stirnrunzelnd zu ihm herab. »Würde mich nicht wundern, wenn die Leute hier sogar Schlangen essen.«

Brazos McCord nickte, während er einen großen Zug aus der Flasche machte. Er wischte sich über den Mund, schmunzelte breit.

»Kommt mit durchaus vor.«

»Das meinen Sie sogar im Ernst, nicht wahr?«

Gleichmütig zuckte er mit den Schultern, trieb den Verschluss mit dem Handballen in die Flasche und hängte sie zurück. Gerne hätte er jetzt eine Zigarette geraucht. Aber das musste er sich verkneifen, weil Tabak und Papier zu einer unbrauchbaren Masse zusammengequollen war. Er seufzte und verdrängte diesen Wunsch. Schon wollte er den Marsch fortsetzten, als Marylees Stimme an seine Ohren drang: »Wie lange geht das denn noch so weiter? Diese Quälerei durch diese schreckliche Einöde? Irgendwann muss es doch so etwas wie Zivilisation geben, oder etwa nicht?«

»Nun, wir sollten am Abend Stowell erreichen. Vorausgesetzt, Sie tragen vorher nicht noch etwas dazu bei, um die Sache zu verzögern.«

»Haben Sie das die ganze Zeit etwa gewusst?«

»Ja.«

Sie rammte ihre Fäuste in die Hüften. »Oh, Sie … Sie … haben mich die ganze Zeit in Ahnungslosigkeit … mein Gott, was sind Sie nur für ein scheußlicher Kerl!«

Er trat wieder an den Schecken heran, äugte grinsend zu ihr auf. »Was denn, Mylady? Mit Ihnen war ein vernünftiges Gespräch doch gar nicht möglich. Also habe ich daher meinen Mund gehalten. Sie wären schließlich schon noch dahinter gekommen. Spätestens, wenn wir in Stowell angekommen sind.«

Marylees Mund klappte auf und sogleich wieder zu. Für einen Moment glaubte er, sie würde ihm wieder irgendwelche scharfen Äußerungen entgegenbringen. Aber seltsamerweise blieb das aus. Ihre Brüste hoben und senkten sich, sie schüttelte leicht den Kopf. Dann sah sie zu ihm herunter, und in ihren Augen lag plötzlich ein Ausdruck, den er zuvor noch nie an ihr bemerkt hatte. »Bin ich wirklich so … schrecklich?«

Darauf wusste Brazos McCord nur eine Antwort. »Ja.«

Er wollte umdrehen und wieder vor dem Schecken die Marschposition einnehmen. Aber etwas in ihrem Augenausdruck ließ ihn stehenbleiben.

»Ich war noch nie in einer solch schrecklichen Situation. Ich habe Angst. Und meine Freundinnen und Freunde … wahrscheinlich sind sie alle tot. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wie es weitergehen wird. Und Sie …« Tränen schossen aus ihren geröteten Augen und Brazos empfand plötzlich so etwas wie Mitleid mit ihr. Er räusperte sich und legte seine Rechte behutsam auf ihr Knie.

»Was Ihre Freunde betrifft, nun, ich glaube einfach nicht, dass sie tot sind.«

»Nicht? Pah, Sie wollen mich doch nur beruhigen. Aber lassen Sie das nur. Ich weiß es ja auch so, dass …«

»Nun halten Sie doch mal die Luft an, verdammt! Ich habe nachgedacht und glaube eher, dass man sie auf das Boot verschleppt hat, das die Sweet Travelling überfallen hat.«

Marylee sah ihn irritiert an. »Aber wieso?«

Zunächst wollte er ihr sagen, dass er nur eine Vermutung war, die ihn die ganze Zeit über beschäftigt hatte.

»Zwei Gründe, Miss du Mauret. Erstens: Mein Gefangener wurde befreit. Man musste also irgendwie gewusst haben, dass ich mit Cole Ketchum an Bord gegangen war. Zweitens: Auf dem Schiff befanden sich außergewöhnlich junge und hübsche Mädchen.« Er hatte das plötzliche Gefühl, schmeicheln zu müssen und setzte mit einem zaghaften Schmunzeln hinzu: »Sie eingeschlossen. Verstehen Sie?«

Sie schien ihn nicht zu verstehen, denn sie zuckte nur mit den Schultern. »Nein, irgendwie komme ich da nicht ganz mit.«

Er verstärkte etwas den Druck auf ihrem Knie, mehr unbewusst als bewusst, und versuchte seinem Tonfall einen behutsamen Klang zu geben. »Sehen Sie, Miss, die Sache ist die: Hübsche Mädchen werden in diesem Land gern gesehen. Es gibt nicht sehr viel davon. Und wenn dann eine Bande übler Burschen auf solche stößt, dann weiß man schon etwas damit anzufangen. Sie kapieren jetzt, was ich meine, ja?«

Er bemerkte, wie es in ihrem hübschen Köpfchen zu arbeiten begann. Jetzt schien sie ihn zu verstehen. Ein Schauer zog sich durch ihren Körper, der Brazos nicht verborgen blieb. Er hatte versucht, ihr die Sache so schonend wie möglich beizubringen. Aber dennoch zeigte sich ein heftiger Schrecken in ihrem Gesicht. Sie wurde weiß wie ein frisch gestärktes Laken.

»Sie meinen doch nicht etwa Mädchenhandel, Mister McCord? Nicht wirklich, oder?«

Doch, genau das meinte er. Er nickte ernst und nahm sogleich wahr, dass sie ihn zum ersten Mal mit »Mister McCord« angesprochen hatte.

»Das wäre ja schrecklich! Besteht denn ein Zusammenhang zwischen der Befreiung Ihres Gefangenen und einer Entführung? Für mich ist das alles so unvorstellbar. Bei uns in New Bedford würde es so etwas nicht geben! Niemals!«

Ja, wenn man so wohlbehütet aufwächst, wohl kaum, schoss es ihm durch den Kopf, behielt diesen Gedanken aber für sich. Stattdessen sagte er: »Miss, beruhigen Sie sich. Sobald wir in Stowell angekommen und Sie in einem Hotel untergebracht sind, werde ich mich auf die Fährte setzen. Aber dazu müssen wir endlich mal in diesem verdammten Stowell sein, Lady. Wenn wir hier noch lange herumstehen und lamentieren, wird nie was daraus.« Er versuchte ein beruhigendes Lächeln. Aber es erreichte Marylee nicht.

»Wie wollen Sie das denn anstellen? Sie wissen doch gar nicht, welchen Kurs dieses Boot genommen hat. Und überhaupt …«

»Lady, ich sagte Ihnen ja schon, dass mir Cole Ketchum durch die Lappen gegangen ist. Und ich bin nicht der Mann, der sich so etwas gefallen lässt. Und nun voran. Ich habe Hunger.«

Das Lächeln, welches sie in diesem Moment auf ihre Lippen zauberte, war auf einmal so sanft und süß, dass es ihm schon fast gefallen wollte.

»Warum müssen Sie eigentlich zu Fuß laufen, Mister McCord? Sie können doch auch auf Ihr Pferd klettern. Dann kämen wir sogar noch schneller voran. Oder haben Sie etwa Angst, vor mir zu sitzen?«

Er verstand die Welt nicht mehr. »Da soll mich doch der Blitz beim …«

Brazos McCord schluckte den Rest des Satzes einfach hinunter. Kopfschüttelnd legte er seinen Fuß in den Steigbügel und klemmte sich vor Marylee aufs Pferd. Und als er wenig später auf dem Rücken des Schecken saß, hörte er ihre Stimme, die auf einmal sanft und seidig klang, an seine Ohren dringen: »Ich glaube, so ein Scheusal sind Sie nun auch wieder nicht, wenn ich es mir so überlege.«

Kaum hatte Marylee es ausgesprochen, als sie auch schon ihre Arme um seinen Bauch legte. Brazos McCord konnte nur noch staunend den Kopf schütteln und ließ den Schecken antraben.

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