Читать книгу KALTE GIER - Rachel Amphlett - Страница 9
Berlin, Deutschland
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Peter eilte auf dem Bürgersteig in Richtung seines Hotels, sein Atem dampfte dabei in der kalten Luft. Er zog den Rucksack auf seiner Schulter weiter nach oben und schob die behandschuhten Hände auf der Suche nach der letzten Körperwärme tiefer in die Jackentaschen. »Notiz an mich«, murmelte er, »das nächste Mal die Vortragsreise auf den Sommer legen.«
Der Mann war von athletischer Gestalt, breitschultrig, hoch gewachsen und kräftig. Trotzdem zitterte er in der bitterkalten Nacht und wünschte sich, doch ein paar wärmende Fettschichten zu besitzen, um besser mit diesem kalten deutschen Winter klarzukommen.
Das vertraute Weiß und Rot eines Stella-Artois-Werbeschildes an einem Gebäude auf der linken Seite erregte seine Aufmerksamkeit. Peter wurde deutlich langsamer, spurtete die beiden ungleichmäßigen, schmalen Stufen zu einer verzierten Holztür hinauf und stieß diese auf.
Als ihn die erlösende Wärme der Hotellobby umhüllte, war die Kälte der Nacht sofort vergessen.
Ein kleines, aber wirkungsvolles Feuer, das den gesamten Raum erwärmte, brannte in einem kunstvollen Kamin auf der rechten Seite des Lokals. Zu seiner Linken führte eine schmale Türöffnung zur Hotelbar, die von leisem Gläserklirren und dem Gelächter von Gästen erfüllt war, die versuchten, sich von den Strapazen des Tages zu entspannen. Peter schaute kurz zur Bar, dann ging er zur Rezeption an der Rückseite des Foyers und ließ den Rucksack in einer Bewegung von der Schulter zu Boden gleiten.
Während die Empfangsdame, deren Uniform aus einem marineblauen Anzug und einer weißen Bluse bestand, telefonisch eine Buchung entgegennahm, suchte sie seinen Blick und gab ihm ein Zeichen, dass er warten sollte. Schließlich beendete sie das Telefonat und lächelte ihn an.
»Irgendwelche Nachrichten?«, fragte Peter, während er seine Handschuhe über die Finger streifte.
»Einen Augenblick bitte.«
Die Empfangsdame wandte sich zum Computer um und tippte einen Befehl ein. Gedankenverloren schob sie ihre Brille den Nasenrücken hoch, als der Bildschirm eine Meldung ausgab.
»Vor Kurzem hat hier ein Mann nach Ihnen gefragt, Sir«, las sie vom Monitor ab. »Er sagte der diensthabenden Empfangsdame, dass er sich noch einmal telefonisch bei Ihnen melden würde. Einen Namen hat er nicht hinterlassen.«
Peter runzelte die Stirn. Auch wenn der Anruf unerwartet kam, so war ihm klar, dass er in den vergangenen Wochen viele Leute getroffen haben musste, die sich etwas intensiver mit ihm über seine Theorien unterhalten wollten. Vor zwei Tagen waren ihm seine Visitenkarten ausgegangen und er hatte damit begonnen, seinen Namen und die Telefonnummer auf Servietten und Bierdeckel zu kritzeln, um der Nachfrage von Journalisten, Forschern und – hier musste er lächeln – auch vereinzelten Spinnern nachzukommen.
Er dankte der Empfangsdame, während er seinen elektronischen Zimmerschlüssel herausholte und den Rucksack erneut schulterte, bevor er quer durch das Foyer zum Aufzug ging.
In der fünften Etage angekommen, schlenderte Peter über den Flur bis zu seinem Hotelzimmer und zog die Zugangskarte durch das Lesegerät an der Tür. Dann wartete er auf das grüne Licht und das weiche Klicken des Schlosses und öffnete die Tür. Im Dunkeln suchte seine Hand automatisch nach dem Lichtschalter, er gähnte, zog die Tür hinter sich zu und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
Die Luft im Zimmer war stickig, das Reinigungspersonal hatte offenbar die Heizung voll aufgedreht. Er ließ den Rucksack auf den Boden fallen, seine Schulter durchfuhr vor Erleichterung ein leichter Schmerz, als sie vom Gewicht des Laptops und der Dokumente erlöst wurde. Er schloss die Tür ab, legte seine Zugangskarte auf die Anrichte und schleuderte die Schuhe weit von sich. Dann warf er seine Jacke auf das Bett, öffnete die Balkontür ein wenig und ließ die kühle, frische Luft über sich hinwegstreichen. Langsam drehte er sich um und holte ein kaltes Bier aus der Minibar, die in der Ecke des Raumes stand.
»Cheers«, prostete er dem leeren Zimmer zu, bevor er seine Krawatte losband.
Als er sich bückte, um seinen Rucksack zu öffnen, bemerkte er, dass der Anrufbeantworter blinkte. Er tippte den Zugangscode ein und klemmte sich den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, während er seine Notizen zusammensuchte. Die Nachricht wurde abgespielt, zuerst war im Hintergrund nur eine belebte Straße zu hören, bevor eine Stimme mit starkem Akzent durch den Straßenlärm schnitt.
»Doktor Edgewater, Sie wissen, wen ich vertrete. Wenn Sie damit fortfahren, der Organisation meines Arbeitgebers zu unterstellen, dass sie in irgendeiner Weise an Angelegenheiten beteiligt ist, die Weißes Gold oder supraleitende Edelmetalle betreffen, dann werden wir leider nicht in der Lage sein, Ihre Sicherheit auf dieser Vortragsreise zu gewährleisten. Sollten Sie weiterhin auf diesen Unterstellungen beharren, dann werden wir Ihnen und Ihrer Familie Schaden zufügen.«
Die Nachricht endete abrupt.
Peter knallte den Hörer empört und fassungslos zurück auf die Ladestation zurück. Er rechnete zwar damit, auf der Vortragsreise an ein paar Idioten zu geraten, aber Drohungen hatte er nicht erwartet … zumindest noch nicht. Denn schließlich hatte er bisher auf die wirklich brisanten Behauptungen verzichtet, weil er sich immer noch nicht im Klaren darüber war, ob sie den Ärger tatsächlich wert waren, den er sich dafür einhandeln konnte. Und nun das: Jemand beobachtete ihn und seine Forschung offensichtlich ein wenig zu intensiv.
Er zitterte. Zum Glück würde er morgen aus Berlin abreisen. Sein nächstes Ziel war Paris, was um einiges näher an seinem Zuhause lag. Für ihn hatte das Leben aus dem Koffer seinen Reiz bereits nach ein paar Wochen verloren.
Peter durchquerte den Raum, schob die Balkontür zu und schloss die Vorhänge, aber nicht, ohne vorher nervös auf die Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes gestarrt zu haben. Wie lange wurde er schon beobachtet? Hatte er bereits früher mit der Person gesprochen, die ihn angerufen hatte? Wurde heute nach dem Vortrag Kontakt zu ihm aufgenommen, ohne, dass er bemerkt hatte, mit wem er sprach?
Peter erkannte, dass er nicht mehr wusste, wem er noch vertrauen konnte.
Die Universität hatte letzten Monat damit gedroht, ihm seine Fördergelder zu streichen – die Vortragsreise war von Peter ohne ihre Zustimmung konzipiert worden. Seine Vorträge sollten ein Bewusstsein für das bisher verborgene Interesse an supraleitenden Edelmetallen schaffen, insbesondere Weißem Gold, sodass die Forschung zu diesem Thema nicht länger ignoriert werden konnte. Er war sich sicher, dass die Universität von der britischen Regierung unter Druck gesetzt worden war, um ihn zu stoppen, bevor er irgendetwas publik machen konnte, an dem sie gerade experimentierten.
Er ging zum Bett zurück, setzte sich darauf und legte die Beine hoch, griff nach der Fernbedienung des Fernsehers und schaltete zu den Nachrichten auf N24. Sein Flug nach Paris sollte vormittags starten, wobei sein Vortrag erst am Abend stattfinden würde. Während er beiläufig den Ton stumm stellte, griff er nach seinen Notizen.
Peter nahm einen tiefen Schluck aus der Bierflasche und betrachtete gedankenverloren das Etikett. Er würde bald wieder zu Hause sein, und vielleicht war es ja jetzt an der Zeit, bei den Vorträgen einen Gang hochzuschalten. Einfach nur, um zu sehen, wen er damit aus der Reserve locken würde, dachte er, bevor er auf die nächste Notiz-Seite blätterte.
Trotz der Warnung konnte er nicht aufhören, nicht jetzt … dafür war er zu nahe dran. Dafür stand zu viel auf dem Spiel.