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Der Visionär

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Ein Kapitel der Geschichte ging zu Ende. Langsam und schmerzhaft. Und die Politik konnte nichts dagegensetzen. Die Wirtschaft noch weniger. Die kapitalistische Markwirtschaft kollabierte. Und in dieser Welt, in der die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der Märkte immer komplexer wurden, wurde klar, dass die Titanic der Wirtschaft, die globalisierte Welt, gross und unsinkbar, genau so enden würde wie das Schiff. Ironischerweise würden die kleinen Holzboote sich auch jetzt über Wasser halten. Einfach in der Bauweise, primitiv, leicht steuerbar. Längst vergangen waren die Zeiten als alte, bärtige, englische Gentlemen wirtschaftliche und gesellschaftliche Konzepte erstellten. Konzepte, die der Welt aus dem dunklen Feudalismus halfen und sie in eine unglaubliche, wirtschaftlichen Revolution stürzte. Alte Philosophen, die uns mit Ideen, Visionen und Konzepten hätten bereichern müssen. Nur wir waren blind, wollten das letzte Kapitel derer genialen Werke nicht lesen. Und auch nicht den Untertitel. Konsequent. Und jetzt nahm der Fluch unserer Dummheit Gestalt an und führte uns die Bedeutung des Untertitels “Kritik der politischen Ökonomie”(1) vor Augen.

Das Model der kapitalistischen Markwirtschaft hatte ausgedient. Die Abnutzung des Konzeptes verlangte nach einer neuen Lösung. Karl Marx warnte genau vor dem Zeitpunkt, an dem sich die Welt jetzt befand. An dem Punkt an dem alles damit gemessen würde ob Geld mehr Geld generiert. Geld als absoluter Massstab. Als absolute Referenz. Die weitreichenden Wirkungen des herrschenden Wirtschaftsmodells wurden immer offensichtlicher und verlangten Opfer. Die Politik war nur noch eine Marionette einer Wirtschaft, die auf blindes, extremes Wachstum setzte. Einer Wirtschaft, die das globale Spiel der Macht bestimmen wollte und jetzt bestimmte. Einer Wirtschaft, die Kriege aus verschiedenen Gründen einfädelte, mal politische, mal religiöse, um zum einzigen wichtigen Ziel zu kommen: die Kontrolle über Rohstoffe, über Märkte, über Währungen. Wer die Kontrolle über Rohstoffe hatte, hatte die Kontrolle über Hunger. Über Armut und Reichtum. Menschenrechte wurden über Bord geworfen, internationale Abkommen wurden nicht mehr respektiert, wer Waffen hatte, hatte das Sagen. Schlimmer noch, bestimmte was richtig war. Inoffiziell natürlich. Denn offiziell war die “zivilisierte Welt”nur bemüht “Demokratie” einzuführen. Die Demokratie zeigte aber immer offensichtlicher ihre Schwächen. Demokratie war ein System, das zuliess, dass wirtschaftliche Mächte Märkte aggressiv erweiterten und kontrollierten, ohne Rücksicht auf Traditionen und Kultur. Ein System, dass nach feudalen Methoden Rohstoffe beanspruchte. Wer die Waffen, das Geld und die Mittel hatte, bestimmte für die ganze Welt was gut und was nicht gut war und konsolidierte das Monopol der Macht. Der Massstab war gesetzt. Für alle…

Die klassische Marktwirtschaft hatte keine Lösungen für die neuen Krisen und alte Lösungen funktionierten nicht mehr. Eins wurde klar: auch in der Wirtschaft, so wie in der Religion, war man in einem Dualismus gefangen. Eine halbe Welt satt und träge, auf Jahrzehnte durch den Konsum verschuldet, die andere Hälfte, hungrig und diszipliniert, auf die Übernahme wartend. Die Übernahme der Kontrolle. Reichtum konnte nicht ohne Armut existieren. Eine Hälfte der Welt konnte nicht reich sein solange die andere nicht arm war. Denn Reichtum definierte sich einfach: Mann verdiente viel mehr Geld, als man zum Überleben brauchte. Ein Zustand, der zu Kapitalanhäufungen führte. Das funktionierte nur wenn arme Länder versklavt für einen Hungerlohn Güter für die reiche Welt produzierten. Güter, die nationale oder internationale Konzerne mit extremen Gewinn weiterverkauften und welche aber immer noch im Lohn-Ausgaben Verhältnis der reichen Gesellschaften sehr billig waren. Konzerne konnten so Unmengen von Kapital anhäufen. Kapital, das Macht bedeutete. Die Versklavten produzierten diese Güter für Löhne mit denen sie kaum überleben konnten. Angenommen internationale Abkommen würden Lohnregelungen einführen, die Hungerlöhne verbieten und die Entlohnung für eine gewisse Arbeit im Verhältnis Lohn zu Lebensunterhaltskosten im jeweiligen Land überall auf der Welt angleichen würden, würden die übermässigen Gewinne internationaler Konzerne reduziert und dieses Kapital an die Arbeiter weitergegeben. Das würde aber Machtverlust bedeuten. Und genau das wollten sie nicht… diejenigen die die Macht besassen. Macht war der Rauschzustand, Gewinn die Droge.

Die Politik war immer noch offiziell die Instanz, die die Industrieländer verwaltete. Und Politik lebte von Steuereinnahmen. Steuern bezahlten Konzerne, die wiederum die Freiheit erhielten die arme Welt zu versklaven. Politik wurde die Hure der Wirtschaft. Auf der einen Seite verantwortlich für internationale Regelungen, Beziehungen, Infrastruktur und Bildung, auf der anderen machtlos und abhängig von Steuereinnahmen. Und diese gewinnhungrige, nicht mehr zu kontrollierende Wirtschaft führte zur Verschuldung der Staaten und der Menschen. Die Autos wurden immer grösser, die Häuser auch, Statussymbole spielten eine grössere Rolle als die Bildung. Die grössten Industrienationen der Welt wurden durch ihren Stolz getrieben Macht und Wirtschaftsgrösse zu zeigen, indem sie riesige Bauprojekte finanzierten oder den vermeintlichen Reichtum durch Schulden finanzierten. Inzwischen kauften die Menschen Güter mit Geld, das sie nicht besassen. Auf Jahrzehnte verschuldet mussten sie irgendwann merken, dass die Waren, die sie kauften, keinen Wert hatten. Der Wert war nur eine momentane Lüge, die sich als eine Seifenblase entpuppte. Und jetzt war der Punkt gekommen, an dem dieser Grössenwahn nicht mehr kontrollierbar war und zur massiven privaten und staatlichen Überschuldung führte. Auf der einen Seite die Banken, die diesen Grössenwahn finanzierten, auf der anderen Seite die Wirtschaft, die das Geld schluckte und von diesem Grössenwahn profitierte und durch die gewonnene Macht alles kontrollierte. In der Mitte der dumme Bürger, der alles mitmachte. Zu müde und verblödet selbst zu denken, wurde er zum Werkzeug. Alles wurde so voneinander abhängig, dass das eine nicht mehr ohne das andere funktionierte.

Auf der anderen Seite der Welt wartete ein anderes System auf die Übernahme der Macht. Ein System, das Kapital anhäufte, in dem es nur das konsumierte, was zum Überleben nötig war, obwohl ihm mehr zu Verfügung stand. Ein System, das abhängig von der Weltwirtschaft war, aber das Risiko wirtschaftliches Wachstum durch Schulden anzunehmen, ablehnte. Und jetzt mit den enormen Kapitalreserven Staatsanleihen der übermässig verschuldeten Industrienationen kaufte. Der Nationen, die durch das eigene Wirtschaftsmodell zur Erhaltung der globalen Macht erdrückt wurden und jetzt genau das taten, was sie durch dieses Modell zu vermeiden versuchten: die Macht und die Kontrolle abzugeben.

In den sogenannten demokratischen Gesellschaften hatte sich die Postdemokratie eingeschlichen. Die Menschen waren zu faul geworden noch für sich selbst zu denken. Zu überlegen. Sie hatten kein Interesse an Gerechtigkeit, waren zu träge sich mit unbequemen Themen auseinanderzusetzen. Sie waren an dem Punkt, an dem sie sein sollten: faul, verblödet und versklavt. Dadurch leicht manipulierbar. Nur es war zu spät!

Finanzmärkte brachen zusammen, das Konzept der Börse entwickelte sich durch Spekulationen in eine falsche Richtung, perverse Kriege der mächtigsten Nationen brachten nicht mehr die Lösungen der eigenen Probleme, die man sich erhofft hatte. Die ganze Industriewelt ging langsam aber sicher zu Grunde. Denn eins wollte niemand mehr wirklich: den Konsum einschränken. Umdenken. Etwas verändern. Einen Schritt zurückgehen. Dieses kapitalistische Wirtschaftsmodell besiegte sich mit den eigenen Waffen. Seit Generationen rechnete man nie langfristig, sondern nur für die Zeit einer Wahlperiode.

Und das hasste er! Dieses kurzfristige Denken. Seine Vision war eine Welt mit einem neuartigem, einzigem Wirtschaftsmodell, dessen Ziel nicht Zahlen, Zuwachs und Gewinne waren, sondern die Welt zu versorgen. Das nicht nur die Privilegierten versorgte, mit dem Preis alle anderen verhungern zu lassen. Ein System, das kein Geld kannte. Ein System, das niemanden verhungern und verdursten liess. Ein System, das Ressourcen gerechter verteilte. Auf alle Menschen. Ein System, das alle gleich behandelte. Gewiss, alle Menschen waren verschieden, und sie würden auch verschieden bleiben, daher würde jeder seine Aufgabe in einer globalen zusammengefassten Gesellschaft je nach seinen physischen und kognitiven Möglichkeiten erfüllen. Niemand würde Neid und Hass kennen. Denn jeder würde stolz sein seinen Teil dazu beizutragen die Welt zu erhalten, in der niemand hungerte, niemand verdurstete, niemand den anderen bekämpfte. Eine Welt in der alle gemeinsam, mit gleicher Verantwortung, die Gesellschaft und die menschliche Rasse weiterbrachten. Seine Augen glänzten bei dem Gedanken eine schöne, genetisch perfekte, einzige menschliche Rasse, aus allen heutigen gemischt, in einer ordentlichen, sauberen, mit Liebe gefüllten Welt zu führen. Eine Welt, die nichts Böses kannte. Keine Propheten und keine Götter. Keine Macht und keinen Einfluss. Glänzten bei dem Gedanken eine Welt für ein höheres Wesens zu erschaffen. Für einen Menschen, der durch Bildung und Fürsorge sein Bewusstsein erweiterte.

Das Miami Syndikat

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