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Es wurde abends später und später, vor allem am Wochenende, zu spät, fanden ihre Eltern. Ich fahr noch mal los, rief sie in die Küche oder ins Wohnzimmer, ohne eine Antwort abzuwarten. Als Fünfzehnjährige oder als Sechzehnjährige fing sie an, eigene Wege zu gehen. Den Abend mit Mama Elisabeth auf dem Sofa zu verbringen, zu stricken oder zu nähen, das hatte sie lange genug gemacht. Mit Erfolg, sie lernte schnell, stellte sich geschickt an und verstand es bald, sogar leichte Sommerkleider zu nähen. Schneiderin, das wär ein Beruf für dich, sagte Mama Elisabeth, doch Lisa sah ihr an, dass sie diesen Gedanken selbst nicht ernst nahm. Lisas Augenbrauen schnellten in die Höhe, sie lächelte, dachte nicht daran, empört zu widersprechen.

Das war ihr Haus, ihr Garten, und sie würde immer wieder an die Schlei zurückkehren, doch sie wusste, dass sie all das nach dem Abitur zurücklassen musste, zumindest eine Zeit lang. Sie spürte ihr Herz, wie es sich zusammenzog, wenn die Eltern gegen halb elf zu gähnen begannen und sich auf ihr Bett freuten. So leben wollte sie nicht.

Ich fahr noch mal los. Am Freitag und Samstag, manchmal mittwochs. Als Vierzehnjährige ging sie mit den anderen zur Tanzschule nach Schleswig, lustlos eher. So aber kam sie einmal die Woche aus dem Haus – oder zweimal, wenn am Samstag Party war. Sie boykottierte den Abschlussball, versetzte den Lehrersohn, der die Augen und die Finger nicht von ihr lassen konnte. Bist du sicher?, flüsterte sie ihm ins Ohr, als er bei Seasons in the Sun das schummrige Licht ausnutzte und ihr mit seinen fahrigen Händen über den Hintern streichen wollte. Sie spürte seinen Atem, der weder gut noch schlecht roch, an ihrer Schulter. Sie wartete einige Takte ab, bis sie sich mit einem Ruck aus seiner Umarmung wand. Vergiss es, leck einer anderen den Hals.

Sie tanzte allein weiter, zu Kung Fu Fighting, machte sich nichts daraus, dass die anderen ihr nachblickten und den Lehrersohn bemitleideten. Sie brauchte niemanden, um zu tanzen. Sie bestimmte, wer ihr an den Hintern fasste. Dass der sich sehen lassen konnte, war ihr klar.

Als Fünfzehnjährige ließ sie sich nach Hause fahren, von einem, der einen roten Käfer fuhr, nicht mehr zur Schule ging und keine dummen Sprüche machte. Sie hatten ein Eis gegessen, bevor sie beschloss, mit ihm zu schlafen. Lass uns eine Runde drehen. Er zögerte, sah sie skeptisch an, sie wich seinem Blick nicht aus. Hast du keine Traute?

Sie fuhren Richtung Ostsee. Er kenne da ein ruhiges Plätzchen, am Strand zwischen Damp und Schönhagen, da sei um die Zeit nichts mehr los. Sie setzte die Sonnenbrille auf, verzog keine Miene, als er an roten Ampeln seine Hand auf ihren Oberschenkel legte. Er war nervös, sie nicht. Sie sagten kein Wort, bis er in einer versteckten Parkbucht anhielt. Ein Dünenpfad führte zu einem Strandstück, zwei Lachmöwen trippelten am Wassersaum, in der Ferne bellte ein Hund.

Er trat neben sie, fuhr mit seiner Linken durch ihr Haar, sie nahm die Sonnenbrille ab, sah ihn an, neugierig, mit einer Abwehr, die ein Hintertürchen offen ließ. Sie ließ sich küssen, wollte sehen, wie er sich dabei anstellte. Erste Kusserfahrungen hatte sie, fast alle enttäuschend. Es schien Jungen schwerzufallen, beim Küssen nur zu küssen. Das verstanden die wenigsten. Und wer nicht gut küsste, war chancenlos. Das dachte sie als Fünfzehnjährige, als Fünfundzwanzigjährige, als Fünfunddreißigjährige und als Fünfundvierzigjährige. Einer ihrer wenigen Grundsätze.

Als Fünfzehnjährige am Strand zwischen Damp und Schönhagen drückte sie ein Auge zu. Er schob ihr seine Zunge hastig in den Mund.

Immerhin hatte er scharf geschnittene Lippen. Der Junge am Strand, der fast schon ein Mann war, durfte sie in die Dünen ziehen, auf ein ausgespartes Sandstück, das gerade genug Platz bot. Sie nahm seit Kurzem die Pille, hatte Mama Elisabeth so eindringlich angesehen, dass keine Gegenrede kam und ihr tattriger Hausarzt das Rezept am nächsten Tag ausstellte. Du musst wissen, was du tust, pass aber auf.

Schwarze Wolkenhügel türmten sich auf, es war fast Nacht, wenige Schiffslichter blinkten in regelmäßigem Rhythmus. Sie begann ihn auszuziehen. Er wich zurück, hatte damit nicht gerechnet, fügte sich … Und wenn sie als Fünfundzwanzigjährige an ihren ersten Sex, an diesen Sex zwischen Damp und Schönhagen zurückdachte, fiel ihr der Name des Jungen mit dem Käfer nicht mehr ein, aber sie erinnerte sich daran, dass es danach keinen Grund gab, aneinander vorbeizusehen.

Auf der Rückfahrt legte er wieder seine Hand auf ihren Oberschenkel, und diesmal strahlte sie ihn an. Gut war es gewesen. Vielleicht würde sie Inger davon erzählen, ihren Eltern nicht.

Als wär das Leben so

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