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4. Krisensitzung.

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Anmaßung bei Verdiensten beleidigt noch mehr als Anmaßung von Menschen ohne Verdienst: Denn schon das Verdienst beleidigt.

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900) Deutscher Philosoph

Die Abteilungsleiter und Hauptverantwortliche aller betroffenen Abteilungen saßen schon eine Viertelstunde samt Sekretärinnen im Konferenzzimmer im obersten Stock der deutschen Wertbank in »Mainhätten«, wie Frankfurt auch im Volksmund genannt wird, beisammen. Die Skyline von Frankfurt ist zwar mit der von New York nicht zu vergleichen, Frankfurt hat aber die meisten Hochhäuser in Deutschland. In Big Apple wird wohl auch mehr Geld umgesetzt als in Frankfurt. Aber Frankfurt kann sich rühmen, Deutschlands wirtschaftliche Hauptstadt zu sein.

Eine bedrückende, nervöse Stimmung machte sich breit. Man wartete auf den Vorsitzenden des Bankenvorstandes. Alle anderen Vorstandsmitglieder waren schon anwesend.

Dann wurde die Tür ruckartig geöffnet und Dr. Herrmann Holighaus eilte herein, gefolgt von zwei in Nadelstreifenanzügen steckenden Bewachern. Ein Sekretär mit Aktenkoffer und zwei gutgekleidete, junge Frauen, deren bankinterne Tätigkeit auf den ersten Blick nicht ersichtlich war, folgten dem Vorsitzenden. Eine Wolke, ein Gemisch aus den teuersten Düften, welche eine Parfümerie zu bieten hat, schwebte über dem Konferenztisch.

Holighaus kam gleich zur Sache.

»Also, meine Damen und Herren. Jeder im Raum ist zu äußerstem Stillschweigen Dritten gegenüber verpflichtet. Nicht auszudenken, wenn die Presse davon Wind bekäme. Laut Jahresbericht sind bis Ende des Jahres noch 24 Prozent der gesetzten Gewinnzone zu erwirtschaften, um auf unseren Minimalsollwert zu kommen. Dies können wir schaffen, wenn es keine Aktieneinbrüche gibt. Schaffen wir es nicht, stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Das verlangt der Rechnungshof von den Banken so.«

Die Richtigkeit dieser Behauptung konnte im Moment keiner nachprüfen, es machte allerdings Eindruck auf die Anwesenden.

Jeder hatte um seinen Job Angst. So konnte sich der Vorsitzende sicher sein, dass es keine undichte Stelle geben würde.

»Legen wir mal die Fakten auf den Tisch. Frau Petersen, bitte.«

Die Frau im grauen Kostüm, was sicherlich von Dior stammte, stand auf, ging um die Sitzenden herum zum Tischende, wobei ihr ein Hauch von Versace folgte, und berichtete.

»Wir haben nach gründlichen Nachforschungen zurzeit einen Fehlbetrag von 65 Millionen Euro festgestellt. Allerdings sind noch nicht alle Unterlagen ausgewertet. Somit könnte sich der Betrag noch erhöhen.«

Ein Raunen ging durch die Versammlung.

Ein 44 jähriger Abteilungsleiter, auf dessen Visitenkarte jedoch nur Manager stand, der aber die Tätigkeit eines Vertriebschefs mit Masterabschluss ausübte und dessen vorversteuertes Gehalt bei 171.189,45 Euro lag, stellte die Frage, wo denn das Geld verschwunden sei und wohin mit welchen Zahlungsbegründungen.

»Es wurde vom Büro Nord für Devisenhandel europäisches Ausland in verschiedene europäische und südamerikanische Länder transferiert. Dies geschah durch viele Überweisungen, die von ihrer Höhe eher als gering eingestuft werden können. So fiel es zunächst nicht auf, dass überhaupt etwas fehlt. Auch der Überweisungsanlass erschien keinem verdächtig, obwohl man sich schon denken konnte, dass für den Europäischen Rettungsschirm, was mehrmals als Überweisungstitel angegeben war, doch größere Summen deponiert werden, zumal diese nur auf dem Papier bestehen und bis jetzt nicht wirklich fließen. Durch eine Überprüfung haben wir von der Inneren aber schnell reagieren können.«

Ein Vorstandsmitglied wollte wissen, wie die innere Sicherheitsabteilung, die im Allgemeinen die durch das Qualitätsmanagement festgelegten Sicherheitsbestimmungen überwacht, überhaupt von diesen Überweisungen erfahren habe.

Die Frau in Dior mit Versaceduft schaute zu Holighaus und dieser nickte.

»Wir haben einen Tipp bekommen, dass der leider vor vier Wochen verunglückte Abteilungsleiter Marc Bennet immer wieder bestimmte Geldsummen verschoben hat. Aufgefallen ist dies einem Kollegen von Herrn Bennet, der sich zunächst nicht traute, seinen Vorgesetzten anzuschwärzen.«

Die zweite gutgekleidete und äußerst attraktive Frau von der Internern Überwachung verzog das Gesicht und es war ihr anzumerken, dass sie der Sache nicht recht traute.

Petra Meinert hatte einmal vor längerer Zeit eine Affäre mit Marc Bennet. Sie hatten sich bei einem Betriebsfest näher kennengelernt und mochten sich sehr. Nach einigen Wochen war die Sache aber vorüber. Getrennt hatten sie sich stillschweigend, im beiderseitigen Einvernehmen, wie es bei vielen Scheidungen so hieß. Sie aus dem Grund, weil er verheiratet war und er aus dem Grund, weil er verheiratet war.

Jetzt fand Petra Meinert die Vorwürfe, die gegen Bennet erhoben wurden, für nicht ausreichend begründet. Sie glaubte ganz einfach nicht an eine solche Tat von ihm. Das würde ihre Menschenkenntnis total über den Haufen werfen.

Ein andere Kollege protestierte ebenso.

»Aber Bennet ist ein guter Bankfachmann. Ich kann nicht glauben, dass er das Geld überwiesen haben soll.«

»Nach unseren Ermittlungen stoppten die Überweisungen mit dem Datum des Unfalls von Bennet. Zufall? Es steht eindeutig fest, dass alle Überweisungen von seinem Rechner getätigt wurden. Wer sonst käme da infrage? Dieser Rechner ist im Onlinebereich passwortgeschützt.«

Herrmann Holighaus schaltete sich ein.

»Marc Bennet konnte noch nicht vernommen werden. Er liegt im Wach-koma und es ist fraglich, ob er je wieder aufwachen wird. Wie uns die Polizei mitteilte, wurde der Unfall durch einen Wagen, der Fahrerflucht begann, ausgelöst. Ob dies absichtlich oder zufällig geschah, konnten die Beamten nicht sagen. Möglich wäre es auch, dass ein Komplize ihn aus dem Weg räumen wollte. Dies ist für mich sogar die wahrscheinlichste Schlussfolgerung. Fest steht, dass Bennet bei der Abwicklung der Transaktionen einen oder mehrere Helfer gehabt haben muss. Die Gelder, die in Mengen von 100.000 bis 500.000 Euro verschoben wurden, sind über Konten in verschiedene Länder der Erde geflossen. Die Konten der jeweiligen Erstbank, auf der das Geld einging, lauteten auf den Namen Bennet. Hier ruhte das Geld jedoch nicht lange und wurde auf andere Banken, ebenfalls mit anderen Decknamen, bewegt. Eine große Zahl von Banken ist hier im Spiel, da die Summe sonst aufgefallen wäre. Das kann nur ein Insider gemacht haben. Wir haben lediglich von zwei Banken, da steht in absehbarer Zeit eine Fusion an, interne Daten von Folgeadressen bekommen. Die verlaufen aber nach den danach erbrachten Überweisungen ebenfalls im Sande. Das war alles an Informationen. Ich appelliere noch mal an Ihre Vertraulichkeit und darf Sie an die Arbeit entlassen. Herrn Thomas Herzog und meine Vorstandskolleginnen und Kollegen bitte ich, noch einen Augenblick zu warten. Danke.«

Nachdem der Saal bis auf die Genannten leer war, führte Holighaus weiter aus.

»Herr Herzog war sehr aufmerksam und hat sofort die internen Ermittler benachrichtigt. Dafür gebühren ihm unsere Anerkennung und unser Dank. Herr Herzog, Sie werden ab sofort den Posten von Marc Bennet übernehmen.«

Herzog tat überrascht und erfreut.

»Das ist … ich freue mich. Sehr gerne.«

»Ja. Das Offizielle kommt dann noch. Sie können nun auch wieder an die Arbeit gehen.«

Als Herzog draußen war, fragte eine Frau aus dem Vorstand: »Wie ernst ist es wirklich?«

Holighaus blies durch die Zähne und seine Miene verfinsterte sich.

»65 Millionen sind es zurzeit. Es können noch ein paar dazu kommen. Für die Bank nicht unerheblich, aber kein Desaster. Wichtiger ist es, dass wir keine undichte Stelle haben. Wenn es sich herumsprechen würde, dass unsere Bank nicht sicher sei, verlieren wir in kürzester Zeit mehr als wir verkraften können. Da sind die 65 Mio ein Fliegenschiss dagegen.«

»Also keine Ermittlungen?«

»Nein. Auf keinen Fall. Jedenfalls nicht offi iell.«

»Aber die Polizei hat schon herumgeschnüffelt. Wie haben die davon Wind bekommen?«

»Das ist nicht bekannt. Sie können aber nichts wissen. Von uns aus wird alles dementiert. Es gibt keinen Diebstahl. Es gibt keine Unterschlagung. Es wird somit auch keine Anzeige geben. Bennet ist eh mehr tot als lebendig, wie ich hörte.«

»Wie gleichen wir die 65 Millionen aus?«

»Einen Teil durch unerwartete Gewinne in diesem Jahr. Die Leute wollen sichere Anlagen. Wir verkaufen sie ihnen, die langfristige Anlagen mit niedrigen Profiten für den Kunden und hohen Gewinnen für uns. Den Rest werden wir als viermalige Abschreibung auf nächstes Jahr festsetzen. Dann sind wir wieder sauber. Allerdings werden die Provisionen der Vorstandsmitglieder in diesem Jahr nicht so hoch ausfallen können. Ich bitte um Verständnis, wenn wir eine 30-prozentige Kürzung der Bonifikationen vornehmen müssen. Auch ich falle leider darunter.«

Betretene Gesichter bei allen Anwesenden zeugten von nicht allzu großer Beliebtheit dieser Maßnahme.

Wachkoma

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