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5. Beförderungsfeier.

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Ich weiß, dass ich nichts weiß, und darum weiß ich mehr, als andere wissen.

Sokrates (469 v. Chr.–399 v. Chr.) Griechischer Philosoph

Thomas Herzog setzte sich an seinen bzw. an den Schreibtisch von Bennet.

Das ist ja besser gelaufen, als ich mir erträumt habe. Nur den Job hier muss ich wieder kündigen. Allerdings noch nicht gleich. Wie könnte ich das anstellen? Klar, gesundheitsbedingt. In einigen Monaten. Vielleicht schon in einigen Wochen. Dann mache ich Ferien am Meer.

Warum brauchen die Ermittler so lange, um die endgültige Höhe des fehlenden Geldes festzustellen? Ich könnte es ihnen ja sagen. Es sind genau 75 Millionen und 500.000 Euro. Ich hätte auch noch die eine oder andere Million mehr herausholen können, aber die Gelegenheit mit dem Unfall war einmalig. Und vielleicht wären sie mir sonst doch noch auf die Schliche gekommen. Nein, das Ende musste jetzt kommen. Es war gut so. Jetzt heißt es Ruhe bewahren und abwarten. Nur nicht auffallen.

Aber heute Abend wird gefeiert. Meine Beförderung. Ich rufe mal Sabrinchen an, was sie vom Ausgehen hält.

Zuvor jedoch kam auf seinem Handy ein Anruf an.

»Herzog.«

»He. Ich bin’s. Hier in Zürich ist alles abgeschlossen.

Sollen wir ein bisschen Geld mitbringen?«

»Bist du blöd? Keinen Cent rührt ihr an. Erst muss alles in trockenen Tüchern sein. Dann wird geteilt. Kommt morgen zurück. Wir treffen uns im Hotel. Ciao.«

Dann wählte er die Nummer von Bennets Haus.

Sabrina Bennet meldete sich.

»Bennet.«

»Hallo, mein Engel. Was machst du gerade? Liegst du in der Badewanne? Dann komme ich sofort zu dir.«

»Du kannst dir Zeit lassen. Ich pflanze gerade die Geranien in andere Töpfe. Was gibt es?«

»Oh. Ich bin befördert worden. Das müssen wir feiern. Gehen wir essen?«

»Ich weiß nicht, wenn uns jemand zusammen sieht.«

»Na wenn schon. Marc ist mein Kollege. Und er liegt seit einem Monat im Koma. Also was ist da verkehrt, wenn ich mich ein bisschen um dich kümmere?«

»Na gut. Bis um acht.«

Thomas Herzog war schon kurz nach sieben am Haus von Bennet und klingelte. Er erhoffte sich im Stillen, Sabrina Bennet zu einem Quickie überreden zu können. Das gelang ihm aber nicht, denn sie war noch immer mit der Gartenarbeit beschäftigt.

Na gut. Dann verschieben wir die Sache eben auf heute Nacht, sagte sich Herzog und machte sich am Kühlschrank zu schaffen.

Nachdem Sabrina mit ihrer Arbeit fertig war, duschte sie und wollte sich gerade ankleiden, als Herzog seine Nase durch die Schlafzimmertür steckte.

»Raus hier! Ich bin gleich so weit.«

Murrend schloss er die Tür und sagte sich, dass sie heute Nacht nicht davonkommen würde.

Eine Stunde später saßen sie in einem gemütlichen Lokal im Frankfurter Westend und plauderten über belanglose Dinge.

Herzog gab sich alle Mühe, charmant zu sein, plante er doch noch eine heiße Nacht ein. Ein Blumenverkäufer aus Pakistan, der allabendlich seine Runden drehte, wurde den ganzen Strauß Rosen an ihn los.

Sabrina war gerührt.

»He, ich habe ja schon ewig keine Rosen mehr bekommen. Danke! Was feiern wir eigentlich?«

»Heute bin ich befördert worden. Ich habe den Job von deinem Mann übernommen.«

»Oh.«

»Ich habe aber nicht vor, ewig in der Bank zu bleiben. Vielleicht noch ein halbes Jahr. Dann will ich auf große Fahrt gehen. Kommst du mit mir?«

Er wollte Sabrina Bennet nicht wirklich dabei haben, aber er sagte sich, dass es von Vorteil wäre, sie noch eine Weile bei Laune zu halten. Jedenfalls so lange, bis das Geld für ihn gesichert wäre. Mit ihr an seiner Seite konnte er besseren Kontakt zu Marc Bennet halten und war damit immer auf dem Laufenden. So konnte er schnell eingreifen, falls es Bennet wider Erwarten besser ging und dann die Gefahr bestand, dass man ihn überführen konnte.

»Wie, auf große Fahrt? Wohin?«

»Mit dem Schiff nach Amerika.«

»Woher hast du ein Schiff? Und was kostet so eine Tour?«

Oh, Thomas. Aufpassen! Nicht, dass sie misstrauisch wird.

»Doch nicht mit meinem Schiff. Mit einem Kreuzfahrtschiff. Und eine unbezahlte Auszeit kann ich mir schon leisten. Habe schließlich etwas gespart und etwas angelegt, in der Schweiz.«

Er musste lachen. Etwas gespart war gut. 75,5 Millionen waren schon etwas.

»Nein, ich glaube nicht, dass ich da mitkommen werde. Außerdem kann ich nicht weg von hier.«

»Warum? Wegen Marc?«

»Ja. Solange ich nicht weiß, was es mit ihm geben wird, bleibe ich hier bei ihm.«

Herzog war alles andere als begeistert, es machte ihm aber nicht allzu viel aus, da er sie sowieso nicht mitgenommen hätte. Sein Ego war nur etwas beleidigt über ihre Absage.

Er küsste sie auf die Wange.

»Das zeichnet dich aus. Du bist ja so selbstlos. Sicher hast du recht und musst erst mal nach deinem Mann sehen. Aber du darfst auch dich selbst nicht vergessen. Schließlich ist es schon über einen Monat her, dass er im Koma liegt. Und wer weiß, wann er wieder aufwacht und ob überhaupt?«

Das Essen kam und sie unterbrachen das Gespräch. Von der Ecke gegenüber wurden sie beobachtet. Petra Meinert, die sich hier mit ihrer Freundin Heike Springer getroffen hatte, um seit einiger Zeit wieder einmal einen Frauen abend zu verbringen, ließ keinen Blick von den beiden. So bekam sie die zärtliche Umarmung, das Tätscheln der Wange und den langen Kuss genau mit. Sie konnte jedoch nicht verstehen, was die beiden sprachen und hätte wer weiß was darum gegeben, es zu erfahren. Ihr eigenes Gespräch war ziemlich einseitig und ging in den letzten zehn Minuten nur von Heike Springer aus, sodass diese sich langsam über ihre stille Freundin wunderte.

Sie hielt mitten im Satz die Luft an und blickte Meinert an, die jedoch an ihr vorbeischaute. Sie hatte gar nicht gehört, was sie zu ihr gesprochen hatte. Dann versperrte sie ihr den Blick und schüttelte den Kopf. »Hallo. Sag mal, bist du hier bei mir oder in deiner Bank?«

»Entschuldige. Ich habe gerade nur einen Mitarbeiter gesehen, der mich nicht unbedingt erkennen sollte.«

Ihre Freundin drehte sich rasch um und sah die beiden tuscheln.

Meinert protestierte leise.

»Nicht hinschauen! Wenn sie mich sehen!«

Das berührte Heike Springer aber überhaupt nicht.

»Oh. Sind die miteinander verheiratet? Nee. Bestimmt nicht. Und der Typ meint es auch nicht ernst. Sicher nur eine Bettgeschichte.«

»Wie kommst du darauf?«

»Na, der fummelt so unangenehm an ihr herum. Sie will das gar nicht so. Wenn du mich fragst, er will sie nur ins Bett kriegen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Sein Gesichtsausdruck ist unehrlich. Glaube mir. Als Maskenbildnerin kann ich die Mimik der Menschen deuten. Das sehe ich jeden Tag. Wenn einer Nein sagt und Ja meint, erkenne ich es sofort am Ausdruck.«

»Kann sein. Ich muss herausfinden, wer sie ist. Wie krieg ich das nur heraus?«

»Warte, ich mache das.«

Meinert wurde blass.

»Nein, mach keinen Unsinn! Er darf das nicht merken.«

Ohne auf den Einwand von Petra Meinert zu hören, stand ihre Freundin auf und ging zu dem Tisch von Herzog und Bennet.

Im Vorbeigehen streifte ihre Tasche Sabrinas Rotweinglas und dieses landete auf ihrem Rock. Eine schauspielerische Glanzleistung folgte. Sie war zwar als Maskenbildnerin am Theater angestellt, wäre aber sehr gerne selbst auf der Bühne tätig gewesen und hatte alle Rollen der letzten Jahre sehr gut drauf.

»Oh! Oh je. Ach Gott, ach Gott. Wie ungeschickt von mir. So was Dummes. Nein, aber auch. Das ist mir jetzt aber sehr peinlich.«

»Ach, das ist nicht so schlimm.«

»Kommen Sie! Gehen wir zur Toilette. Ich will sehen, was da für heute Abend noch zu retten ist.«

»Ja, gute Idee.«

Sabrina Bennet ging mit ihr, während Petra Meinert sich hinter einer Weinkarte versteckte.

Fünf Minuten später hatte Petras Freundin Namen und Adresse von Bennet bekommen.

Als sie wieder zu ihr zurückkehrte, lag ein freches Grinsen auf ihren Lippen.

»Was gibst du aus, wenn ich dir den Namen verrate?«

»Nun sag schon.«

»OK. Du zahlst. Du kennst sie. Besser gesagt, du kennst ihren Mann.«

»Wie, ich kenne ihren Mann?«

»Na, mit dem hattest du mal was. Und das sah damals ziemlich ernst aus. Jedenfalls warst du monatelang unausstehlich, als es aus war.«

»Ich weiß nicht, wen du meinst.«

»Oje. Mit wie vielen Männern hattest du was? Nein, falsch. Mit wie vielen hattest du was Ernstes?«

»Sag schon. Los!«

»Sie heißt Sabrina Bennet. Dämmert es da bei dir?«

Petra Meinert wäre fast das Glas aus der Hand gefallen, obwohl sie es schon ahnte, wer die Frau war.

Herzog und die Frau von seinem Vorgesetzten, Exvorgesetzten, hatten eine Beziehung. Ob Marc Bennet das wusste? Dieser Thomas Herzog hatte ihr nie gefallen. Er war arrogant und eingebildet. Petra konnte sich auch gut vorstellen, dass er gewalttätig sein konnte.

Hier stimmte etwas nicht! Sie wollte morgen Bennet im Krankenhaus besuchen. Sie musste Bennet besuchen. Eine innere Stimme befahl es ihr.

Sie wusste nur nicht genau, ob sie Bennet besuchen wollte, um alte Erlebnisse aufzufrischen oder um seine, wie sie glaubte, Unschuld zu beweisen.

Konnte er sie eigentlich wahrnehmen? Er lag doch im Wachkoma. Sie musste es herausfinden.

Wachkoma

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