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a) Kant

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Fichte deutet, dass Kants „transzendentale Deduktion der Kategorien“ aus der Kritik der reinen Vernunft zwar bereits das „Ich = Ich“ als Tathandlung enthalten habe, allerdings nur in latenter Form, nicht explizit. Denn bei Kant gibt es hinsichtlich der Ausformulierung des Ich-Prinzips in einem Grundsatz nur vage Andeutungen.46 Das „Ich = Ich“ ist nach Fichte eigentlich die Voraussetzung dafür, dass die transzendentale Deduktion wie Kant sie als Ausweis der Rechtmäßigkeit der Anwendung von spontanen, diskursiven Begriffen auf rezeptive, intuitive Anschauungen konzipiert, gelingen kann. Die Deduktion Kants soll zeigen, dass die synthetische Einheit des Ich die Anschauungen rechtmäßigerweise zu einem Objekt der Erkenntnis verknüpfen kann (1. Beweisschritt) und wie sie dies leistet (2. Beweisschritt).47 Allerdings hat Kant nicht aufgewiesen, inwiefern das Ich zunächst sich selbst als Tätigkeit überhaupt setzen muss, um die spezifischere Tätigkeit der Synthesis (von Anschauungen) vollziehen zu können. Dies genau ist die Leistung des ersten Grundsatzes aus Fichtes Grundlage: Die Beziehung eines Vorstellungsgehalts zu einem anderen setzt ein Beziehendes voraus, das sich selbst zunächst gesetzt haben muss. Die Ich = Ich-Einheit des Subjekts bleibt bei Kant unexplizierte Voraussetzung für die von ihm zu Recht als fundamental erkannte Synthesisleistung des Subjekts.

Dabei unterscheidet Kant bereits zwischen analytischer und synthetischer Einheit der transzendentalen Apperzeption;48 beide sind verschiedene Einheitsaspekte der reinen, spontanen Subjektivität. Die analytische Einheit der transzendentalen Apperzeption bezeichnet die durchgängige Identität des Selbstbewusstseins, also dass das Subjekt sich in den verschiedenen Akten und Aktphasen seiner Vorstellungsvollzüge als numerisch das selbe weiß; die synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption bezeichnet dagegen bei Kant den spontanen und regelhaft Verknüpfung leistenden Aspekt des Ich. Die beiden Einheitsaspekte des Ich bestehen also einerseits in der durchgängigen Identität und andererseits in der regelhaften Verknüpfungstätigkeit. Insbesondere die synthetische Einheit der Apperzeption zeigt, dass Kant das reine Selbstbewusstsein in seiner Einheit als unhintergehbar auf Mannigfaltigkeit bezogen konzipiert: Eine einheitliche Verknüpfung kann es nur bezüglich eines Mannigfaltigen geben, welches das zu Verknüpfende bildet; „Gedanken ohne Inhalt sind leer“,49 d. h., Begriffe werden letztlich von Anschauungen inhaltlich erfüllt und somit ist die theoretische Spontaneität des Subjekts auf die anschauliche Rezeptivität und auf die Pluralität verschiedener Vorstellungen angewiesen. Ist die Einheit der Apperzeption nicht auf sinnliche Anschauungen bezogen, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit reinen Begriffen, dann treibt sie entweder formale Logik oder sie droht in die Scheinlogik der Dialektik zu verfallen und hypostasiert dann reine Gedanken zu wirklichen Dingen. Kant entwirft, dass die synthetische Einheit der Apperzeption der analytischen sachlich vorhergeht bzw. von dieser vorauszusetzen ist, weil die durchgängige Identität der analytischen Einheit der Apperzeption die explizit-thematische Vorstellung der Selbigkeit des Subjekts in seinen verschiedenen, regelhaft verknüpften Vorstellungsakten ist; damit wird nach Kant von der analytischen Einheit die synthetische Einheit vorausgesetzt; sofern die verschiedenen, regelhaft verknüpften Akte bereits vom Subjekt vollzogen sein müssen, damit es sich darin als mit sich identisch thematisch machen kann.

Fichte kehrt das Verhältnis genau um und sagt, dass die analytische Einheit der Apperzeption der synthetischen vorangeht, weil es zunächst eines mit sich identischen Selbst bedarf, damit verschiedene Vorstellungen einheitlich verknüpft werden können; ganz deutlich sagt dies der späte Fichte, wenn er die synthetische Einheit der Apperzeption bloß als „Nachbild“ der analytischen bezeichnet.50 Die analytische Einheitsidentität der Apperzeption setzt nach dem späten Fichte mit der synthetischen Einheit der Apperzeption ihre eigene Diversifikation und Spezifikation in den verschiedenen Formen von Einheit;51 die verschiedenen Urteilsfunktionen sind als synthetische Einheiten differenzierende Selbstsetzungen und Aktualisierungen der einen identischen Subjektivität. Unverbunden und nicht zurückführend zwei Arten von Einheit des Subjekts nebeneinander koordiniert stehen zu lassen, wie Kant dies mit seinem Entwurf von synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption tat, würde in Fichtes Sicht zur Auflösung von Einheit und Prinzipienstatus der Subjektivität führen. – Wo der späte Fichte von der analytischen Einheit der Apperzeption als dem Vorbild der synthetischen spricht, darf das „analytisch“ nicht in dem Sinne verstanden werden, wie es Fichte im zweiten Grundsatz der Grundlage herleitet, nämlich dort als Antithesis, d. h. Entgegensetzung. Die analytische Einheit der Apperzeption als Vorbild der synthetischen ist gerade keine Entgegensetzung, sondern vom späten Fichte als durchgängige Selbigkeit des Ich gedeutet; und diese Analytizität als durchgängige Selbigkeit ist wiederum mit der reinen Identität der sich mit sich gleichsetzenden Tathandlung des absoluten Ich aus dem ersten Grundsatz der Grundlage zu identifizieren. –

Hinsichtlich des fundamentalen Einheitscharakters der Subjektivität ist Heideggers Deutungsalternative von Kants Konzeption der Apperzeption, die analytische und die synthetische Einheit der Apperzeption als gleichursprünglich anzusehen, problematisch; nach Heidegger ist im intentionalen Bezug der Synthesis die analytische Einheit des Selbst immer schon „mitenthüllt“.52 Eine Gleichursprünglichkeit zweier Einheitstypen der Subjektivität zieht das systematische Problem nach sich, dass das Prinzip in sich eine unableitbar bipolare Struktur und Duplizität hat. Gegen diesen Einwand würde Heidegger wohl entgegnen, dass diese Duplizität allerdings bloß zu konstatieren ist und in ihrer Unrückführbarkeit auf eine noch höhere Form von Einheit, die beide aus sich entlässt, die Endlichkeit und Beschränktheit der transzendentalen Subjektivität bildet. Dagegen ist die späte Äußerung Fichtes, dass die synthetische Einheit „Nachbild“ der analytischen ist, nicht so zu denken, dass es eine ursprünglichere Einheit gegenüber der analytischen und synthetischen gäbe, die dann bereits der dritte Einheitstypus wäre, sondern die analytische Apperzeptionseinheit selbst ist es, die sich in der synthetischen differenziert, es gibt dann also nach Fichte nur genau eine Einheitsform mit verschiedenen Selbstmodifikationen.53

Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794'

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